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Slawist Wolfgang Steinitz (SED) gewählt, zu seinen Stellvertretern der Berliner Bürgermeister Ferdinand Friedensburg (CDU) und der Stadtverordnete Fritz Hausberg (LDP). Dem Beirat gehörten u. a. der Universitätsprofessor Ernst Niekisch, die Schriftstellerin Inge von Wangenheim, der Bibliothekar Bruno Kaiser und der Redakteur der »Berliner Zeitung« Günter Kertzscher (sämtlich SED) an. Im 12köpfigen erweiterten Vorstand saß auch der Schriftsteller Rudolf Leonhard. Ihren Sitz nahm die Landesgesellschaft in Berlin W 8, Kanonierstraße 10 (heute Glinkastraße).
     Der Anstoß zur Gründung einer Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion kam von der sowjetischen Militärregierung (SMAD) selbst. Während eines Mittagessens am 14. Juni 1947 im wenige Monate zuvor eröffneten Haus der Kultur der Sowjetunion am Kastanienwäldchen (heute Palais am Festungsgraben) offerierte der gastgebende Oberst Sergej Tjulpanow, Leiter der Informationsverwaltung der SMAD, seinen Tischnachbarn Martin-Andersen Nexö, Ernst Busch und Jürgen Kuczynski diese Idee. Schon am 30. Juni 1947 fand im Haus der Kultur der Sowjetunion die Gründungsversammlung statt.
Auf Vorschlag Tjulpanows wurden der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski zum Präsidenten und die Schriftstellerin Anna Seghers zur Vizepräsidentin berufen.
     Der SMAD lag sehr an einer solchen
Gerhard Keiderling
Spagat zwischen Kultur und Politik

Vor 50 Jahren Gründung der deutsch-sowjetischen Studiengesellschaft in Berlin

Am 31. Oktober 1947 führte die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, Landesgesellschaft Berlin, ihre Gründungskundgebung im Deutschen Theater in der Schumannstraße durch. »Die Beziehungen der deutsch-russischen Literatur im 19. Jahrhundert« standen auf dem Programm. In seinen einleitenden Worten sagte der Vorsitzende der Landesgesellschaft, Wolfgang Steinitz, man wolle durch die Verbreitung von Kenntnissen über die russisch-sowjetische Kultur zu einem neuen verständnisvollen Verhältnis zur Sowjetunion, die nun als Sieger- und Besatzungsmacht im Lande stand, beitragen. Der stellvertretende Vorsitzende Ferdinand Friedensburg fügte hinzu, die Beschäftigung mit den russisch-sowjetischen Problemen sei eine Existenzfrage des vierbesetzten Deutschland.1)
     Als letzte Landesorganisation in der sowjetischen Besatzungszone hatte sich die Berliner Gesellschaft am 5. September 1947 konstituiert. Zum Vorsitzenden wurde der

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Gesellschaft. Ihr Ansehen bei den Deutschen war nicht groß. Der tiefsitzende Antisowjetismus aus der Zeit vor 1945 hatte durch Ausschreitungen von Rotarmisten, blindwütige Demontagen und Reparationslasten neuen Auftrieb erhalten.

Wettlauf um die Gunst der Besiegten

Mit dem Ausbruch des Kalten Krieges zwischen Ost und West setzte auch ein Wettlauf der Sieger um die Gunst der Besiegten ein: Auf welche Seite werden sich die Deutschen mehrheitlich stellen? Die sowjetischen Kommunisten begriffen früher als ihre deutschen Klassenbrüder, daß sie in diesem Wettspiel die schlechteren Karten hatten.
     Die Amerikaner hatten schon am 3. Juni 1946 am Nollendorfplatz ein Amerika-Haus als Informationszentrum über die USA eingerichtet. Am 31. Oktober 1947 eröffneten die Franzosen ihr Maison de France am Kurfürstendamm. Die Briten folgten am 9. April 1948 mit einem Kulturhaus am Lehniner Platz. Die Eröffnung eines Hauses der Kultur der Sowjetunion am 28. Februar 1947 in exzellenter Lage nahe den Linden fügte sich in diese Reihe ein.
     Was das Haus am Kastanienwäldchen und den Künstlerklub Die Möwe in der Luisenstraße für alle Künstler, Literaten und Wissenschaftler so attraktiv machten, waren

neben der vorzüglichen Küche die – noch – freimütige, offene Atmosphäre einer Begegnung zwischen Ost und West.
     Oberst Tjulpanow, eine Schlüsselfigur in der sowjetischen Militärverwaltung, von Hause aus Germanist und im Umgang mit den Deutschen ebenso charmant wie resolut, wünschte eine Organisation, auf die er direkten Einfluß nehmen konnte.
     Über die Beschäftigung mit Geschichte und Kultur Rußlands und der Sowjetunion sollte ein wenngleich zunächst noch kleiner Kreis von Intellektuellen und Interessierten einen Zugang zu breiten Bevölkerungskreisen öffnen, die man momentan nicht mit politischen Losungen ansprechen konnte. Den gesamtdeutsch orientierten Kulturbund hielt Tjulpanow offensichtlich für wenig geeignet, ganz abgesehen von einer persönlichen Aversion gegenüber dessen Präsidenten Johannes R. Becher.
Kuczynski schrieb später, Tjulpanow habe im Sommer 1947 mit Bedacht den Gründerkreis ausgesucht und die politischen Leitlinien vorgegeben; somit handelte »es sich nicht um eine spontane Organisation, entsprungen einem spontan erwachten Interesse für die Kultur der Sowjetunion«.2)
     Die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion Groß-Berlin setzte sich in ihrer für das Genehmigungsverfahren durch die Alliierte Kommandantur notwendigen Satzung die Aufgabe, »der Berliner Bevöl-
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kerung die Kenntnis der kulturellen Grundlagen und Einrichtungen der verschiedenen Völker der Sowjetunion zu vermitteln. Dazu sollen dienen inbesondere Veranstaltungen von Vorträgen und Diskussionen, Theater- und Konzertaufführungen. Filmvorführungen, Errichtung von Bibliotheken, Einrichtung von Kursen zum Erlernen der russischen Sprache und die Herausgabe von Veröffentlichungen, die dem Gesellschaftszweck entsprechen.«3)

Russische Bemühungen um deutsche Bevölkerung

Nach der Zulassung durch die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin am 29. November 1947 begann die Gesellschaft mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit. In zehn Verwaltungsbezirken richtete sie Stadtbezirksgruppen ein, davon vier im sowjetischen Sektor und je zwei in den drei Westsektoren; in den anderen Verwaltungsbezirken entstanden Stützpunkte in Form von Arbeitsausschüssen. Wie zu erwarten, fand die Gesellschaft im Ostteil der Stadt einen starken Zulauf. Hier waren es vor allem Lehrer, die sich Kenntnisse und Hilfe holten, denn mit dem Wiederbeginn des Schulbetriebes im Oktober 1945 war Russisch zur obligatorischen Fremdsprache ab der 5. Klasse geworden. Wolfgang Steinitz hatte das erste Russisch-Lehrbuch geschrieben. Bemühungen, in den Großbetrieben

Fuß zu fassen, fruchteten zunächst nicht.
Betriebsgruppen bestanden im Sommer 1948 nur im Kabelwerk Oberspree, in den Elektro-Apparatewerken Treptow und bei Siemens-Plania (später Elektrokohle) in Lichtenberg; ferner in der Linden-Universität und in der Redaktion der »Täglichen Rundschau«, dem Organ der SMAD für die deutsche Bevölkerung, also sämtlich im Sowjetsektor.
     Während Vorträge und Diskussionsabende nur schwach besucht wurden, fanden Konzerte, Theateraufführungen und Filmvorführungen besseren Zuspruch, wie der Tätigkeitsbericht vom Juni 1948 auswies. Natürlich nahmen die Berliner Mitglieder auch an Großveranstaltungen des Zentralvorstandes in der Deutschen Staatsoper (damals im Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße) und im Haus der Kultur der Sowjetunion teil.
     Ein Höhepunkt war der Auftritt des sowjetischen Armee-Ensembles unter Leitung von Boris Alexandrow am 18. August 1948 auf dem Gendarmenmarkt. Die Landesgesellschaft hatte gemeinsam mit dem Berliner FDGB-Vorstand das Ensemble, das sich auf einer Tournee durch die sowjetische Besatzungszone befand, gebeten, nach dem großen Erfolg wenige Tage zuvor in der Staatsoper noch einmal unter freiem Himmel aufzutreten. Unter dem riesigem Beifall der rund 30 000 Besucher, die sogar auf den umstehenden Ruinen einen
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Platz gesucht hatten, wirbelten die Tänzer über die provisorische Bretterbühne vor dem ausgebrannten Schauspielhaus und brillierte der Chor mit russischen Volksweisen. Das vom Tenor Nikitin in deutscher Sprache gesungene Lied »Sah ein Knab' ein Röslein stehen« stand noch lange auf den oberen Rängen der Hörerwunschliste des Berliner Rundfunks. Mit Fug und Recht kann man sagen, daß damals die Geburtsstunde für die heute so populären »Open air«-Konzerte auf dem Gendarmenmarkt schlug.
     Trotz solcher Erfolge war der erhoffte Sprung zu einer Massenorganisation ausgeblieben. Von den Ende Juni 1948 eingeschriebenen 1 810 Mitgliedern der Landesgesellschaft waren 40,6 Prozent Angestellte, 11,9 Prozent Arbeiter und Handwerker, 10,6 Prozent Schüler und Studenten, 9,3 Prozent Lehrer und Professoren und 3,3 Prozent Künstler; der Rest verteilte sich auf Ärzte und Techniker, freie Berufe, Hausfrauen und Rentner. Am meisten zeigte sich die SMAD über die unverändert tiefe Skepsis hinsichtlich der Gesellschaft in der Bevölkerung enttäuscht. Ein Politoffizier meldete im März 1949 dem Obersten Tjulpanow:
»Die bürgerlichen Parteien ignorierten die Studiengesellschaft, weil sie sie als Propagandaapparat für den Kommunismus betrachteten, während die SED sich von ihr fernhalte, weil sie fürchte, als russische Partei zu gelten.«4)
Spagat zwischen Kultur und Politik nicht ohne Risiko

Wie riskant der Spagat zwischen Kultur und Politik war, zeigte sich früh im Berliner Landesvorstand. Der angesehene Kommunal- und CDU-Politiker Ferdinand Friedensburg hatte sich, als er im August 1947 von Steinitz angesprochen worden war, spontan zur Mitarbeit entschlossen, weil es ihm um eine »deutsch-russische Zusammenarbeit mit ehrlichem Willen« ging. Seine Vorstellungen, die er im November 1947 Steinitz mitteilte und die unwidersprochen blieben, waren klar: »Die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion ist eine deutsche Vereinigung von Menschen unabhängig von jeder parteipolitischen Haltung, die es für ihre Pflicht halten, sich in Wiedergutmachung früherer Versäumnisse sachlich und gewissenhaft mit den Leistungen der Sowjetvölker auf kulturellem Gebiet zu beschäftigen. [...] Da sie sich mit den Verhältnissen eines der Siegerländer beschäftigt, deren Truppen bei uns im Lande stehen und eine im einzelnen oft schwerwiegende Beeinträchtigung unserer Freiheit und Selbständigkeit bedeuten, bedarf die Führung der Geschäfte einer solchen Vereinigung eines besonderen Taktes, die uns von dem Verdacht oder Mißverständnis ausschließt, gegenüber der Besatzungsmacht liebedienerisch zu sein oder womöglich sogar als ihr Propagandaorgan zu erscheinen.«5)

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Bei anderer Gelegenheit wurde Friedensburg noch deutlicher: »Vor allem müßten wir alles tun, um uns nicht den Vorwurf zuzuziehen, daß wir etwa die Sowjetisierung Deutschlands vorbereiteten. Wir würden dadurch das Freundschaftsverhältnis zur Sowjetunion unheilvoll gefährden.«6)
     Für ihn waren die Großmacht Sowjetunion und die dort herrschende kommunistische Ordnung nicht eins: »Ich bin kein Kommunist und werde auch keiner werden, aber ich bin ein Freund der Sowjetunion.«7) Mit dieser Meinung stand Friedensburg nicht allein; er drückte aus, was die nichtkommunistische Bevölkerung fühlte.
     Doch die Schärfe des ausbrechenden Kalten Krieges zwischen Ost und West kannte nur ein Entweder – Oder. Als Friedensburg die Feier zum 30. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution am 6. November 1947 im Haus der Kultur der Sowjetunion kritisierte, weil der Präsident der zentralen Gesellschaft Kuczynski »eine einzige byzantinische Jubelhymne« anstimmte, »ohne jeden Versuch einer wissenschaftlich kritischen Vertiefung, ohne jeden Versuch, eine andere politische Auffassung auch nur anzudeuten«8), traf ihn der Bannstrahl der SED-Vertreter. Als er nach der zentralen Lenin-Feier vom 21. Januar 1948 erneut Kuczynski mangelndes politisches Fingerspitzengefühl bescheinigte, weil er in seiner Festrede den Gründer der Sowjetunion in überschwenglicher, geradezu stalinistischer Weise ver-
herrlichte, brach die SED über ihn den Stab. Der Landesvorsitzende Steinitz versicherte am 26. Februar 1948 den sowjetischen Kulturoffizieren Auslender und Dymschitz: »Ende Januar besprach ich mit Gen[ossen] Kuczynski den »Fall Friedensburg« und sagte, ich werde erreichen, daß Fr[iedensburg] im Laufe des Februars aus dem Vorstand der Gesellschaft ausscheidet. [...] Am 20. 2. war ich mit 6 Genossen aus dem Vorstand bei Mewis9), wo wir den Fall Fr[iedensburg] besprachen.« Steinitz kündigte die »Erledigung des Falles Fr[iedensburg]« auf der nächsten Vorstandssitzung am 9. März 1948 an. In dieser Sitzung setzten die zahlreich erschienenen SED-Vertreter dem stellvertretenden Landesvorsitzenden, dem sie Aufrichtigkeit und Engagement nicht absprechen konnten, hart zu.
     Man warf ihm »politische Unklarheiten«, »nationalistische Ansichten«, schädlichen »Neutralismus« und vor allem »Antisowjetismus« vor. Friedensburg rechtfertigte sich: »Ich bin ganz dafür, daß wir die dringende Aufgabe haben, ein besseres Verhältnis zwischen dem sowjetischen und dem deutschen Volk herzustellen, und daß wir uns an die große Masse des Volkes wenden. [...] nur wie man diese Schwierigkeiten überwindet, habe ich verschiedene Ansichten.«10)
     Doch das SED-Inquisitionsgericht ließ keine Debatte darüber zu und schloß Friedensburg aus der Gesellschaft aus. Mit den Worten, er sei falsch am Platze, »wenn Sie hier
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eine Inzucht treiben und nur Leute haben wollen, die nur eine politische Richtung verfolgen«, hatte Friedensburg kurz zuvor unter Protest die Vorstandssitzung verlassen.11)
     Die Ausbootung Friedensburgs war signifikant für den abrupten Kurswechsel in der sowjetischen Propaganda. Die von intellektuellen Persönlichkeiten getragene Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion genügte längst nicht mehr den veränderten deutschlandpolitischen Zielsetzungen Moskaus. Ihre Umbenennung in »Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft« (DSF) im Juli 1949 ging mit der forcierten Sowjetisierung Ostdeutschlands einher. Die DSF wurde von nun an straff der SED untergeordnet, die Anfang der 50er Jahre verkündete: »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.«
     Mit rund 6,4 Millionen Mitgliedern zählte die DSF am Ende der DDR neben dem FDGB zu den mitgliederstärksten Massenorganisationen – auf dem Papier.

Quellen:
1     »Telegraf« vom 23. November 1947
2     Jürgen Kuczynski: Die Durchsetzung der Freundschaftsidee zur Sowjetarmee in unserem Volke, In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin (Ost), Jg. 1979, H. 5, S. 680
3     SAPMO-BArch
4     Norman M. Naimark: Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1997, S. 516 f.

5     Bundesarchiv Koblenz (im folgenden: BAK), NL 114 (Nachlaß Ferdinand Friedensburg, Nr. 27, Bl. 287)
6     BAK, NL 114, Nr. 33, Bl. 69
7     BAK, NL 114, Nr. 27, Bl. 93
8     BAK, NL 114, Nr. 27, Bl. 287 (Rückseite)
9     Karl Mewis war damals Sekretär der SED-Landesleitung Groß-Berlin.
10     BAK, NL 114, Nr. 33, Bl. 135
11     BAK, NL 114, Nr. 27, Bl. 135 (Rückseite)
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© Edition Luisenstadt, 1997
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