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»Daß ich eins und doppelt bin«

Einer der interessantesten, heute auch in unseren Breiten wachsender »fossiler« Baum, ist der »Ginkgo biloba«, der Ginkgobaum, dessen Geschichte vor etwa 280 Millionen Jahren begann. Jeder, der dem Baum mit Aufmerksamkeit begegnet, spürt etwas von jenen weit zurückliegenden Zeiten z. B. in der eigenartigen Blüte oder im typisch gespaltenen Blatt, das Johann Wolfgang von Goethe zu folgendem Gedicht inspirierte:

Ginkgo biloba

     Dieses Baumes Blatt, der von Osten
     Meinem Garten anvertraut,
     Gibt geheimen Sinn zu kosten,
     Wie's den Wissenden erbaut.

     Ist es ein lebendig Wesen,
     Das sich in sich selbst getrennt?
     Sind es zwei, die sich erlesen,
     Daß man sie als eines kennt?

     Solche Fragen zu erwidern,
     Fand ich wohl den rechten Sinn;
     Fühlst du nicht an meinen Liedern,
     Daß ich eins und doppelt bin?

     Goethe schrieb diese Zeilen im Frühjahr/Sommer 1815 für die Tochter des Frankfurter Bankiers Johann Jacob von Willemer.

Hainer Weißpflug
»Ginkgo biloba« – Berliner Zeugen der Erdgeschichte

Unter den etwa 800 als Naturdenkmale geschützten Bäumen in Berlin gibt es einige Zeugen längst vergangener Perioden der Erdgeschichte. Derartige »lebende Fossilien« sind beispielsweise die zahlreichen Eiben. Seit dem Tertiär haben sie weitgehend unverändert alle natürlichen Veränderungen überstanden. Erst der Mensch schaffte es, sie in unseren Breiten fast vollständig auszurotten. Die heute in den Bezirken Köpenick, Tempelhof oder Pankow stehenden Eiben wurden überwiegend vor ungefähr 200 Jahren angepflanzt. Sie sind als Naturdenkmale unter den Schutz der Gesetze gestellt.
     Ein weiterer Zeuge aus der Urzeit ist der Mammutbaum. Er war bis in die 40er Jahre unseres Jahrhunderts nur als Fossil bekannt, bis er in China als noch existierende Art entdeckt wurde, 1955 nach Jena kam und in der ehemaligen DDR verbreitet wurde. In Berlin steht ein Exemplar dieses Urweltzeugen auf dem Friedhof der Auferstehungsgemeinde in der Indira-Gandhi-Straße in Weißensee.

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Bei einem Besuch im Heidelberger Schloß hatte er ein Exemplar des damals in Europa noch seltenen »Ginkgo biloba« entdeckt.
     Jener Baum im Heidelberger Schloß, die Ginkgos in Frankfurt am Main, im Mannheimer Botanischen Garten, beim Schloß Wilhelmshöhe in der Nähe von Kassel, im Gutspark Harbke bei Helmstedt, in Dresden, in Weimar, Jena und auch die alten Ginkgobäume auf dem Gelände der Berliner Humboldt-Universität oder der im Gutspark Britz stammen alle aus der Zeit nach 1730. Es war jene Epoche, als man an den europäischen Fürstenhöfen begann, Pflanzen und Bäume ferner Länder in den Schloßgärten und Parks zu kultivieren. Vermutet wird, daß der »Ginkgo biloba« um 1730 durch einen Sämling, der in Utrecht als Topfpflanze gezogen und gehalten wurde, seinen Weg nach Europa fand. Mit der Entwicklung und europaweiten Verbreitung des englischen Gartenstils und der Entdeckung der weiblichen Blüten des zweihäusigen Baumes erlangte der Ginkgo rasch wachsende Beliebtheit und eroberte die Gärten und Parks der Herrschenden.
     Erstmalig beschrieben wurde der »Ginkgo biloba« vom Arzt und Forschungsreisenden Engelbert Kämpfer (1659–1716). In Lemgo geboren, studierte Kämpfer in Krakau und Königsberg Medizin, ging 1681 nach Schweden, wo er in diplomatischen Kreisen verkehrte. Das Angebot eines schwedischen Gesandten, ihn nach Rußland und Persien zu begleiten, weckte den Drang zur Erkundung
ferner Länder in dem jungen Mediziner und ließ ihn nicht mehr los. Von Persien reiste Kämpfer nach Indien, wo er als Chirurg im Dienst der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) die Gelegenheit nutzte, Asien ausgiebig kennenzulernen. 1690 führte ihn sein Weg nach Japan. Zwei große Werke entstanden hier und ließen ihn in die Geschichte der Botanik eingehen. Das eine war die 1687 bis 1689 verfaßte »Geschichte der Dattelpalme«. Sie ist der vierte Teil seines einzigen zu Lebzeiten veröffentlichten Buches »Amoenitates exoticae«, der fünfte und letzte Teil beinhaltet die erste Beschreibung der japanischen Flora in Europa überhaupt. Kämpfer nutzte diese Reisen zur Erstellung seiner »Flora Japonica«, in der erstmalig der Ginkgo beschrieben wurde. »Ginkgo, oder Ginan, insgemein Itsjo, ist ein Nußbaum mit einem Venushaarfarn ähnlichem Laube«, lautet der erste Satz seiner Beschreibung, die er mit nebenstehender Zeichnung eines Zweiges mit Samen und den darin enthaltenen Kernen versah. Kämpfer verursachte dabei auch die merkwürdige Schreibweise »Ginkgo«. Der Baum hatte im damaligen Japan die Namen »ginkyo«, »ginnan« und »icho«. Ihm unterlief in der Transkription des zu seiner Zeit in Japan gebräuchlichen Namens »ginkyo« ein kleiner Fehler: statt »Ginkjoo« schrieb er »Ginkgo«. Eine Korrektur dieses offensichtlichen Fehlers verhinderte Carl v. Linné (1707–1778), der Kämpfers Schreibweise sanktionierte.
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Ein Baum, der Rekorde bricht

Aber weder Kämpfer noch die Gärtner an europäischen Fürstenhöfen oder Goethe wußten, daß es sich beim geheimnisumwitterten Ginkgobaum um ein Fossil handelt, dessen Wurzeln weit in die Geschichte unserer Erde zurückreichen. Das erste fossile Ginkgoblatt aus dem Mansfelder Kupferschiefer wurde 1828 durch Adolphe Brongniart abgebildet und beschrieben. Aber erst 1876 stellte man bei der Untersuchung jurazeitlicher Pflanzenfossilien von Spitzbergen fest, daß sowohl der Fund aus dem Mansfeldischen als auch der »Taxon Ginkgo« der Jurazeit zu einer Gattung gehörten, deren Geschichte vor vielen Millionen Jahren begann. Die Blüten des heute lebenden »Ginkgo biloba«, und vor allem das Blatt, verweisen auf diese unvorstellbar weit zurückliegende Zeit. Das zweigeteilte Blatt mit seinen zwei Hauptadersträngen zeugt von einer etwa 100 Millionen Jahre dauernden Periode, in der alle höheren Pflanzen solche stimmgabelförmig gespaltenen Blätter hatten. Es ist wohl noch nicht vollständig geklärt, ob die heute exi-

Ginkgozweig mit Samen und den darin enthaltenen Kernen, Kupferstich nach einer Zeichnung von E. Kämpfer in den »Amoenitates exoticae« (1712)
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stierende Art »Ginkgo biloba« selbst erst im Tertiär enstand oder sich schon im Jura, der Zeit der Ginkgogewächse entwickelte. Diese und weitere ungeklärte Fragen, wie etwa die Zuordnung des Ginkgo zur Klasse der Gabel- oder Nadelförmigen Nacktsamer sind umstritten. Aber nicht nur dies weckte das Interesse der Wissenschaft, sondern auch die Tatsache, daß einige Ginkgobäume in Hiroshima sogar den verheerenden Atombombenabwurf überlebten, obwohl ihre Stämme vom Feuersturm der Bombe verbrannt und ausgehöhlt waren. In einem Bericht dazu wurde festgestellt: »Die Ginkgobäume hatten unter den von der Atombombe geschädigten Pflanzen die stärkste Regenerationskraft und brachten bald viele neue Schößlinge hervor ... Bei einigen Bäumen, die 2 000 bis 3 000 Meter vom Zentrum der Explosion entfernt standen, starben die Äste ab, aber im Herbst oder im Frühling kamen wieder viele neue Schößlinge aus den Stämmen hervor«. Selbst ein nur 800 Meter entfernter Ginkgo hat den Atombrand überstanden. Diese Widerstandskraft gegen Feuer und radioaktive Strahlung ist aber nicht das einzige Rätsel des Baumes. Rätselhaft ist auch seine Fähigkeit zur Abwehr pflanzlicher und tierischer Schädlinge – der »Ginkgo biloba« ist fast vollständig resistent gegen Schaderreger. Auch das hohe Alter, das einzelne Exemplare erreichen, ist ein solches Rätsel. Weit über 1 000 Jahre alte Ginkgos sind in Japan keine Seltenheit. Ein weiteres Geheimnis bilden die Heilkräfte des Ginkgo. Essenzen aus Blättern und Früchten machten den »Ginkgo biloba« für Biologen, Botaniker, Pharmazeuten und Heilpraktiker interessant. 1992 belief sich in Deutschland der Umsatz verschiedener Präparate aus diesem Baum zur Behandlung von Durchblutungsstörungen auf 370 Millionen Mark.

»Ginkgo biloba« in Berlin

Die Ginkgobäume in Deutschland erreichen bei weitem nicht jenes Alter, wie ihre japanischen Verwandten. Sie wurden erst in den vergangenen 200 bis 300 Jahren wieder angesiedelt. Erwiesener Maßen waren Ginkgos bis zur Eiszeit auch in Mitteleuropa beheimatet. Im Gegensatz zu solchen Arten wie den Eiben, deren natürliche Bestände der Mensch wegen des wertvollen Holzes, aber auch wegen der Giftigkeit aller Teile des Baumes und aus Aberglauben vollständig ausrottete, zerstörte oder verdrängte die Natur selbst – durch mehrere Eiszeiten – die bestehende Vegetation und Tierwelt und damit auch die ursprünglichen Ginkgos.
     Einziges Rückzugsgebiet der einst so reichen Ginkgoarten blieben Gebiete in Südostasien. Im Grenzgebiet der chinesischen Provinzen Zhejiang und Anhui überstand auch der »Ginkgo biloba« die pleistozänen Vereisungen. Von hier aus fand er nach dem Rückzug der Eismassen wieder Verbreitung, zu-

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Systematische Darstellung der Ginkgogewächse im Pflanzenreich
oder im Park des Immanuel-Krankenhauses in Zehlendorf. Nicht wenige dieser Vertreter stehen als Naturdenkmale (NDM) unter besonderem Schutz. In Berlin sind bisher 12 Exemplare des »Ginkgo biloba« als Naturdenkmale ausgewiesen.
     Die wohl ältesten geschützten Exemplare Berlins befinden sich in Britz und auf dem Gelände der Humboldt-Universität.
     Der in der Fulhamer Allee, Bezirk Neukölln, auf dem Gelände des alten Gutsparks Britz als NDM XIV-2/B geschützte Ginkgo gilt seit der Vernichtung einer 1710 gesetzten
nächst vor allem in China und Japan. Allerdings ist bis heute unklar, ob es noch natürliche Vorkommen der Ginkgoarten gibt. Die uralten Ginkgos in Japan z. B. sind auch schon von Menschenhand gesetzt worden.
     Je mehr der »Ginkgo biloba« in Europa bekannt wurde, je mehr seiner Rätsel gelöst wurden und je mehr neue Geheimnisse sich auftaten, desto mehr Verbreitung fand er in Deutschland. Heute säumen Ginkgobäume ganze Straßen in mancher deutschen Stadt, und in Parkanlagen sind sie oft zu finden.
     In Berlin z. B. im Köllnischen Park in Mitte
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Robinie durch einen Brand im Jahre 1949 als ältester Baum des Gutsparkes. Minister Ewald Friedrich von Hertzberg (1725–1795) soll den Britzer Park vom übrigen Gut, auf dem er Seidenbau betrieb, abgetrennt und angelegt haben. Der Gutspark besteht mindestens seit 1753. Es wird vermutet, daß er als Barockgarten gestaltet war. Zwischen 1880 und 1890 gab der Gartenarchitekt Nahlop dem Park seine heutige Gestalt. Ob der Ginkgobaum aus dieser Zeit stammt oder schon zuvor gepflanzt wurde, ist nicht geklärt. Mit ca. 3 Meter Stammumfang und 20 Meter Höhe gehört er wohl auch zu den stattlichsten seiner Art in Berlin.

Rätsel um Humboldt-Anpflanzungen

Zwei Gingkos befinden sich auf dem Gelände der Humboldt-Universität (Bezirk Mitte), der eine als NDM I-6/B registrierte steht im hinteren Hof der Universität und der andere (NDM I-7/B) im Vorhof neben ebenfalls geschützten Ahornbäumen und Purpurkastanien. Sie sollen von Humboldt selbst gepflanzt worden sein.
     Wie Klaus-Dietrich Gandert in seinem Buch über die historische Entwicklung des Universitätsgeländes in Berlin 1992 feststellte, gibt es dafür keinerlei Beweise.
     Beide Bäume sind vermutlich im Botanischen Garten der Universität gezogen und zwischen 1860 und 1870 an ihren Platz gebracht worden. Der »Ginkgo biloba« im

Ehrenhof der Universität ist erst auf zeitgenössischen Bildern von 1870 deutlich zu erkennen, Bilder aus der Zeit davor zeigen ihn nicht. Wilhelm von Humboldt, der Begründer der Universität, ist aber bereits 1835 gestorben. In der Zeit nach der Gründung der Universität im Jahre 1810 bis zu seinem Tod war Humboldt in diplomatischem Dienst in Österreich und England und lebte ab 1819 auf seinem Schloß in Tegel. Auch sein Bruder Alexander von Humboldt starb schon 1859, also bevor die Ginkgos gepflanzt wurden. Gandert kommt deshalb zu der Schlußfolgerung, daß beide Bäume nicht von den Humboldts gepflanzt worden sind.
     Weitere geschützte Ginkgos befinden sich an folgenden Orten:
–     Bezirk Weißensee, Gartenstraße 1-5: Auf dem Gelände des St.-Joseph-Krankenhauses ist ein verhältnismäßig großer Park mit einer Vielzahl interessanter und kräftiger Bäume. Der hier stehende Ginkgobaum hat eine Höhe von 15 Metern, einen Kronendurchmesser von 7 Metern und einen Stammumfang von 1,31 Metern.
–     Bezirk Weißensee, Berliner Allee 157: Der »Gingko biloba« hat eine Höhe von 18 Metern, einen Kronendurchmesser von 14 Metern und einen Stammumfang von 1,9 Metern. Er gehört schon zu den stattlichen Exemplaren der Gattung in Berlin.
–     Bezirk Marzahn, Ortsteil Biesdorf Süd, Alberichstraße 87: Der etwa 30 Jahre alte Baum
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hat eine Höhe von 6 Metern. Der Kronenansatz liegt bei einer Höhe von 0,80 Metern, der Kronendurchmesser beträgt 6 Meter und der Stammumfang 0,75 Meter.
–     Bezirk Köpenick, Friedrichshagen, Wißlerstraße 5: Der Gingko ist ca. 85 Jahre alt. Seine Höhe beträgt 18 Meter, die des Kronenansatzes 2 Meter, der Kronendurchmesser 12 Meter und der Stammumfang 1,20 Meter.
–     Bezirk Treptow, Puschkinallee 47: Dieser Ginkgo hat eine Höhe von 20 Metern, einen Kronendurchmesser von 5 Metern, einen Stammumfang von 1,50 Metern und ist ca. 80 bis 90 Jahre alt.
–     Bezirk Wilmersdorf, Bundesallee 12:
Vor dem ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasium, der heutigen Hochschule der Künste, stehen zwei Exemplare des »Ginkgo biloba«, die etwa 120 Jahre alt sind. Der eine Baum hat eine Höhe von 18 Metern und einen Stammumfang von 1,60 Metern und der andere ist 15 Meter hoch mit einem Stammumfang von 1,15 Metern.
–     Bezirk Prenzlauer Berg, Senefelder Straße 6: Der Baum steht auf dem Schulhof im Hausmeistergarten hinter dem Vorderhaus. Er hat eine Höhe von ca. 20 Metern und einen Stammumfang von ca. 0,80 Metern.
–     Bezirk Friedrichshain, Koppenstraße 76: Der auf dem Schulhof des Andreas-Gymnasiums stehende Baum ist außergewöhnlich hoch und schlank gewachsen und hat eine Höhe von ca. 15 Metern und einen Stammumfang von ca. 1,50 Metern.
Literatur:
P. F. Michel: Ein Baum besiegt die Zeit – Ginkgo biloba, 1989
K.-D. Gandert: Vom Prinzenpalais zur Humboldtuniversität, Berlin 1992
W. Liedtke: Untersuchung des Denkmalwertes von Grünflächen in Berlin (W). Gutspark Britz, Berlin 1978

Bildquellen:
Atsuko Kato: Ginkgobäume in Japan
Helga Dietrich: Ginkgo biloba – ein Überlebensstratege im Pflanzenreich

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