68   Porträt Max Maria von Weber  Nächste Seite
Friedrich Kleinhempel
Der Dichter-Ingenieur

Max Maria von Weber (1822–1881)

Biographen charakterisierten ihn als »Dichter-Ingenieur«. Und wie prototypisch für auch andere Große seiner Zeit: Neben seinem Studium als ordentlich immatrikulierter Student der Berliner Universität eignete sich Max Maria von Weber gleichzeitig die technische Arbeitspraxis als Lehrling bei Borsig an. Der weitgespannte Bogen seines Berufslebens endete auch wieder in Berlin.
     Max Maria von Weber war ein Künstlerkind. Als Sohn des zu Lebzeiten schon berühmten Komponisten des »Freischütz«, Carl Maria von Weber (1786–1826), und einer gefeierten Schauspielerin wurde er am 25. April 1822 in Dresden geboren, wo sein Vater als Opernkapellmeister wirkte. Nach des Vaters frühem Tod – Max Maria war gerade vier Jahre alt – wußte sein Vormund, der Afrikareisende und Naturforscher Hinrich Lichtenstein (1780–1857), in dem Knaben naturwissenschaftliche Begeisterung zu wecken. Ursprünglich künstlerische Berufsabsichten – sie lagen natürlich nahe – waren bald wissenschaftlich-technischen gewichen. Zunächst aber gab ihm eine private Lehranstalt gründliche Allgemein-

Max Maria von Weber

bildung. Sehr jung noch, besuchte er das »Technische Institut« seiner Geburtsstadt, die heutige Technische Universität. Er widmete sich dem Maschinenbau. Das eben erst entstehende Eisenbahnwesen begann ihn zu faszinieren. Gerade 18 Jahre alt, kam er nach Berlin, um hier seine Ausbildung in Naturwissenschaften, Volkswirtschaft und neueren Sprachen zu vervollkommnen.
SeitenanfangNächste Seite


   69   Porträt Max Maria von Weber  Vorige SeiteNächste Seite
Im amtlichen Personalverzeichnis der Königlichen Universität zu Berlin findet sich Weber zu Ostern 1840 erstmals eingeschrieben. In der Rubrik »Geburtsort oder Vaterland« steht Dresden vermerkt, unter »Studium« ist Philosophie eingetragen, »Wohnung« war Alte Leipziger Straße Nr. 16.1) In der »Studentenliste der Philosophischen Fakultät« ist Weber ebenfalls benannt: »von Weber, Chr. Phil. Max Maria/geb. Dresden/immatr. 12.4.1840/Ausländer (Sachsen)/No. Albi. 518/Rectorat: 30./abg. laut Anz. v. 11./9.41«. Die philosophische Fakultät hatte damals an Studenten neben 253 Preußen 114 »Ausländer«. Weber hat das Ende seines Studiums am 11. September 1841 »angezeigt«. Der König von Preußen hatte dem Sohn des großen Komponisten die Studiengelder erlassen.
     Noch als Student lernte Weber in der 1837 am Rande Berlins vor dem Oranienburger Tor gegründeten, aufstrebenden »Borsigschen Maschinenbau-Anstalt und Eisengießerei« die Praxis kennen. Er arbeitete »schon während seiner Universitätszeit als Freilehrling im Zeichensaal bei Borsig«.2) August Borsig (1804–1854), selbst Absolvent des Königlichen Gewerbeinstituts zu Berlin und Unternehmer, produzierte unter anderem für das Bauwesen und die Wasserwirtschaft Berlins, für die preußische Marine und insbesondere für den preußischen Eisenbahnbau. 1841 hatte Borsig die erste Lokomotive Preußens gefertigt. Bis 1854 waren 500, 1858
bereits 1 000 Borsig-Lokomotiven ausgeliefert worden. Der technikbegeisterte Max Maria konnte sich in allen Abteilungen der Fabrik ausbilden. Als Maschinentechniker hat er sich früh am Bau mehrerer Eisenbahnen beteiligt. Er fuhr ein Jahr lang auf der Lokomotive die Strecke Berlin–Jüterbog und schloß seine Lehrzeit mit der Lokomotivführer-Prüfung erfolgreich ab.
     Weber wollte weiterlernen. Seine Mittel gestatteten ihm eine Studienreise nach Belgien, wo 1835 die erste Lokomotivbahn des Kontinents in Betrieb gegangen war, nach Frankreich und in das Eisenbahnmutterland England. In England wurde der Sohn des berühmten Vaters sehr entgegenkommend aufgenommen. Weber durfte im Büro Isambart Kingdom Brunels (1806–1859) arbeiten, einem Ingenieur, der zahlreiche Bahnen, Brücken und Riesendampfschiffe konstruiert hatte. In Brunels Familie kam Weber auch mit anderen namhaften Technikern zusammen, wie Georg Stephenson, dem genialen Lokomotiv-Vollender, mit Samuel Glegg, dem Erfinder der atmosphärischen (Luftdruck-)Eisenbahn, mit Hyde Clarke, dem weitgereisten Philologen, Schriftsteller sowie Eisenbahn- und Telegrafen-Ingenieur. Diese Meister der Technik hinterließen in Weber tiefe Eindrücke.
     Den Verkehrsdienst verschiedener Regionen Europas hat Weber ziemlich vom Anfang der Eisenbahn- und Telegrafenentwicklung an maßgeblich mitbestimmen können.
SeitenanfangNächste Seite


   70   Porträt Max Maria von Weber  Vorige SeiteNächste Seite
Was er in seinen Studien, bei Borsig und im Ausland gelernt hatte, konnte er bald bestens verwenden. Gerade 22 Jahre alt, wurde er mit der Leitung der Eisenbahnen des Erzgebirges betraut, später mit Aufgaben im Sächsischen Finanzministerium sowie mit der Einrichtung und der Leitung des sächsischen Telegrafenwesens. Er wurde technisches Direktionsmitglied, Staatseisenbahndirektor und Regierungsrat in Dresden. Seit 1869 wirkte er in Wien an der Entwicklung und Modernisierung der österreichisch-ungarischen Eisenbahnen, an der nach dem Kriege 1866 ihm sehr gelegenen Verbesserung der Verkehrsverbindungen mit Preußen und ganz Deutschland. 1878 schloß sich ein Kreis: Preußen, von dessen integrierender Funktion für die deutsche Einigung Weber stets überzeugt gewesen war, welche er für ein umfassendes, einheitliches Staats-Eisenbahnwesen als dringend nötig erachtete, holte den international renommierten Verkehrsexperten in das zuständige Handelsministerium nach Berlin. Reisen zum Studium der Eisenbahnen und insbesondere der Wasserverkehrs-Wege Skandinaviens und Nordamerikas wurden Webers letzte große Aufgaben, denen er sich mit gewohnter Gründlichkeit widmete. Ende 1880 aus den USA nach Berlin heimgekehrt, arbeitete er »den ganzen Winter bis in das Frühjahr hinein an seinem Bericht für den Minister. Als er am 18. April 1881 ... die Arbeit abschloß und nach alter Gewohnheit drei Kreuze darunter setzte, machte ein Herzschlag seinem arbeitsreichen Leben ein Ende.«3)
     Unermüdlichem Schaffensdrang folgend, hat Max Maria von Weber seine Kenntnisse, sein organisatorisches Talent und sein humanes Naturell Europas jungem Eisenbahnwesen gewidmet. Seinem geraden Sinn wie seiner überlegenen technischen Autorität mußte sich mancher Laie unter den Beamten beugen. Bestes Verständnis wurde ihm stets von seinen Untergebenen, »den Technikern und Arbeitern entgegengebracht, die in ihm, der ja den Dienst aus eigenster Erfahrung heraus kannte, selbst die Strecken abfuhr und bei jedem Unglücksfall tapfer zugriff, ein Vorbild tüchtigen Könnens und eifrigster Pflichttreue verehrten. Er hat ... ihre Lage ständig zu verbessern gesucht, die Gefahren des Dienstes von ihnen abzuwenden sich bemüht.«4)
     Ausführlich beschäftigte er sich mit Problemen des Eisenbahnbaus, des Eisenbahnbetriebs, mit Eisenbahnpolitik und -ökonomie. Gefesselt liest man gerade heute, angesichts ambivalenter und manch bedrohlicher Technikentwicklungen, wieder Webers populäre Arbeiten über technische Gegenstände, wie die Erzählungsbände »Werke und Tage« (Weimar 1869), »Schauen und Schaffen« (Stuttgart und Leipzig 1879), »Vom rollenden Flügelrade« (Berlin 1882) oder das Buch »Aus der Welt der Arbeit« (Berlin 1907 und München 1912). Im literari-
SeitenanfangNächste Seite


   71   Porträt Max Maria von Weber  Vorige SeiteAnfang
schen Nachlaß finden sich Gedichte, Sonette, Romanzen, Reiseeindrücke, historische Arbeiten, ein Aufsatz zur Förderung des Tierschutzes. Heute bewegen der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal, seine Finanzierungskrisen und Zughavarien die Gemüter. Max Maria von Weber hatte bereits 1876 über »Die Wechselwirkungen zwischen den englischen und den kontinentalen Bahnsystemen nach Vollendung des unterseeischen Tunnels« geschrieben, wonach die Phantasie »mit glänzenden aber unklaren Vorstellungen von Nationenströmungen, Massenbewegungen, Besiegungen der Natur usw. die kühleren Erwägungen der Staatswirtschaft und der Völker-Physiologie in den Hintergrund gedrängt hat«.5)
     Sein Lehrbuch »Die Schule des Eisenbahnwesens« wurde seit 1857 derart populär, daß es weitverbreitet und in mehreren Auflagen Generationen von Eisenbahnern zum Katechismus über das gesamte Eisenbahnwesen geworden war.6) Weber hatte bereits berufs- und erwachsenenpädagogische Grundsätze ausgeprochen, die heute, bei Nötigung zu enger fachlicher Spezialisierung und kultureller Abgrenzung weitgehend vergessen zu sein scheinen: »Nur ein Stand, der aus ganzen Technikern besteht, ist der freien Entwicklung, der selbständigen eigenen Vertretung seiner Interessen würdig. Es kann aber niemand ein ganzer Techniker werden, der nicht vorher schon ein ganzer Mensch war. Erziehet
ganze Menschen, die an allgemeiner Bildung und Lebensform auf der Höhe des Völkerlebens und der zivilisierten Gesellschaft stehen, und macht aus diesen dann Techniker – das ist das ganze Geheimnis und die alleinige Lösung des Problems.« 7)

Quellen:
1     »Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden auf der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Auf das Winterhalbjahr von Michaelis 1840 bis Ostern 1841. Berlin. Gedruckt in der Nauckschen Buchdruckerei. 1840.«, S. 35
2     Carl Weihe: Max Maria von Weber, ein Dichter-Ingenieur. Verein deutscher Ingenieure und Verlagsbuchhandlung von Julius Springer, Berlin 1917, S. 15 f.
3     Ebenda, S. 49
4     Ebenda, S. 19
5     »Augsburger Allgemeine Zeitung« vom 27. Mai 1876
6     Max Maria von Weber: Die Schule des Eisenbahnwesens, 4. Auflage, bearbeitet von Koch, Verlag J. J. Weber, Leipzig 1885
7     Max Maria von Weber: Aus der Welt der Arbeit. Gesammelte Schriften, hrsg. von Maria v. Wildenbruch, Verlag G. Grote, Berlin 1907, S. 487

Bildquelle:
Carl Weihe: Max Maria von Weber, Berlin 1917

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de