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Hans Aschenbrenner
7. Oktober 1897:
Zwischen Rangsdorf und Schöneberg »funkt's«

Im Wortlaut mitunter fast identisch informieren die Zeitungen in den ersten Oktobertagen 1897 über die von Adolf Slaby, Elektrotechnik-Professor an der Technischen Hochschule Charlottenburg, mit Unterstützung seiner Assistenten Graf von Arco und Dr. Tietz unternommenen Versuche, erstmals in Deutschland auf »weite« Entfernungen nach dem »System Marconi« drahtlos zu telegraphieren. Der entscheidende Test ist für den 7. Oktober angesetzt, und er wird auch nicht abgeblasen, als man am Morgen feststellen muß, daß ungünstige atmosphärische Verhältnisse herrschen.
Alles geht dann letztendlich gut, führt »zu einem außerordentlich befriedigenden Ergebniß«, wie die »National-Zeitung« als erste am Tag darauf schreibt, die dann auch Einzelheiten des Experiments mitzuteilen weiß: »Von Rangsdorf an der Militärbahn in der Nähe von Zossen wurden elektrische

Strahlen nach dem Übungsplatz der Luftschifferabtheilung in Schöneberg gesandt und dort durch einen Morse-Apparat aufgenommen. Die Entfernung beider Stationen beträgt in der Luftlinie 21 Kilometer.«
     Allerdings sei die Luftelektrizität so stark gewesen, heißt es weiter, »daß die an den Fesselballons angebrachten, zur Aufnahme der elektrischen Wellen dienenden Drähte

Adolf Slaby

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nicht berührt werden konnten ohne heftige elektrische Schläge«. Die Deutlichkeit der telegraphischen Zeichen sei aber dadurch nicht beeinträchtigt worden; »die in Rangsdorf aufgegebenen Depeschen kamen in Schöneberg mit tadelloser Klarheit an«.
     Die von Professor Slaby, Graf von Arco und Dr. Tietz mit Unterstützung der vor Ort stationierten Luftschifferabteilungen an jenem 7. Oktober 1897 »überbrückten« 21 Kilometer übertreffen alle bis dahin per drahtloser Telegraphie erzielten Reichweiten. Ein »deutscher Weltrekord«, so vermerkt dazu, nicht ohne Stolz, Kaiser Wilhelm II., hat er doch alle diesbezüglichen Experimente, speziell die von Adolf Slaby, aufmerksam verfolgt und nachhaltig unterstützt.
     Slaby, Jahrgang 1849, hatte sich 1876 in Berlin habilitiert; drei Jahre später gehörte er bereits zu den Gründungsmitgliedern des Berliner Elektrotechnischen Vereins; in den achtziger Jahren leitete er die »Elektrotechnische Zeitschrift«, und er war 1893 mit Wilhelm von Siemens und Emil Rathenau Mitbegründer des Vereins Deutscher Elektrotechniker (VDE). Ab Mitte der 90er Jahre konzentrierte er seine Kraft auf das jüngste Gebiet der Elektrotechnik: die »Telegraphie ohne Draht«, damals auch als »Funkentelegraphie«, »Wellentelegraphie« bezeichnet.
Noch wurde im allgemeinen die Übermittlung schneller Nachrichten unmittelbar mit der Existenz fortlaufenden Drahtes oder sogar von optischen Zeichen – »ältester Weg des Telegraphierens« – verknüpft. Und doch befaßten sich bedeutende Köpfe seit längerem schon mit drahtloser Telegraphie, in die manche nicht geringe Erwartungen – z. B. für die Marine – setzten und für deren

Graf Georg von Arco
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Realisierung inzwischen seit den achtziger Jahren verschiedene Systeme entwickelt worden waren.
     In Deutschland war dabei der Gruppe um Slaby eine zentrale Rolle zugedacht.
Anregungen und Inspiration holte man sich zunächst bei Guglielmo Marconi, der 1896 Italien, wo seine Arbeiten auf völliges Desinteresse gestoßen waren, verlassen und sich daraufhin in England niedergelassen hatte. Auch die Arbeitsergebnisse anderer Wissenschaftler, so von Heinrich Hertz, des Franzosen Edouard Branly und des Russen Alexander Popow, einbeziehend, war es ihm früh gelungen, ein praktikables System der drahtlosen Telegraphie zu entwickeln und diese als technische Erfindung zu etablieren.
Im Alter von 21 Jahren stellte er 1895 eine Sendeverbindung von über 2,5 Kilometern her. Im März 1897 hat er die »historische Distanz« von fünf Kilometern zwischen Pennarth und Flat Holm am Bristol-Kanal drahtlos telegraphierend überbrückt.
     Auf Vermittlung des Kaisers (der sich zuvor vergebens darum bemühte, daß Marconi seine Übertragung auch einmal in Berlin vorführt), mit Genehmigung des Chefingenieurs der englischen Telegraphenverwaltung, erlebte Slaby im Mai 1897 als Beobachter, wie Marconi erneut am Bristol-Kanal die Verbindung über eine Strecke von nunmehr 13 Kilometern gelang. Slabys Dabeisein war schon erstaunlich, spitzte sich doch das Konkurrenzverhalten in Form von Patent-
klagen, gegenseitigen Behinderungen und anderem – von politischen und militärischen (Kriegsmarine) neben den wirtschaftlichen Motiven ganz zu schweigen – auch auf dem Gebiet der drahtlosen Telegraphie rasch zu.
     Das besondere Interesse von Slaby hatte der technischen Ausstattung, den Antennen, der Erdung der Geräte, dem Aufbau des Empfängers gegolten. In der Folgezeit bediente er sich des »Systems Marconi«, das, wie man es umschreiben könnte, »im großen und ganzen« in Berlin nachgebaut wurde. Erste Tests in der Praxis erbrachten ganz geringe Reichweiten: 250 Meter zwischen dem Gebäude der Technischen Hochschule und dem Wasserturm einer nahegelegenen Fabrik bzw. auch zu einem Wohnhaus an der Berliner-/ Ecke Sophienstraße. Es folgten Versuche an den Havelseen, für die der Kaiser seine Gärten an der Havel bei Potsdam, das Schloß auf der Pfaueninsel und die Matrosenstation bei der Glienicker Brücke bereitstellte. Dabei gelang es zunächst, über dem Jungfernsee zwischen der Heilandskirche von Sacrow und der Matrosenstation – Distanz etwa 1,4 Kilometer – Stromstöße durch die Luft zu senden und zu empfangen. Wenig später konnte eine Funkstrecke über drei Kilometer vom Sender im Schloß auf der Pfaueninsel zum Empfänger auf der Matrosenstation aufgebaut werden.
     Noch immer wird jedoch, von relativ ge-
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ringen Veränderungen abgesehen, nach dem »System Marconi« verfahren. Slaby und seine Helfer setzen allerdings am 7. Oktober 1897 zur Herstellung der »telegraphischen Brücke« Rangsdorf–Schöneberg nicht wie Marconi Drachen, sondern Luftschiffe ein. Die Luftschifferabteilung des Heeres ist von oberster Stelle dazu angewiesen worden. Als vorteilhaft erweist sich, daß bei einer Flughöhe der Ballonschiffe bis zu 300 Metern die Antennen entsprechend ausgefahren werden können.
     Bei Versuchen im Jahre 1898, wiederum an den Havelseen, löst man sich dann von Marconis System, stützt sich auf eigenständige Forschung. Auch rückt die Reichsmarine in das Zentrum der Versuche; über 150 Kilometer gelingt beispielsweise im Jahre 1901 ein Telegrammwechsel – nach dem »System Slaby« – zwischen Cuxhaven und dem Dampfer »Deutschland«. Slabys einstiger Assistent Graf Georg von Arco nimmt 1898 als Ingenieur in dem gerade begründeten Kabelwerk Oberspree (KWO) der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) die Tätigkeit auf. Die beiden Wissenschaftler und Techniker arbeiten weiter eng zusammen (es folgen das »System Slaby-Arco« für drahtlose Telegraphie und ein »System Slaby-Arco-AEG«). Bald werden Reichweiten von einigen 100 Kilometern erzielt. Das kann sich sehen lassen, auch wenn Marconi längst alles zu übertrumpfen scheint, indem er 1899 über den Ärmelkanal
telegraphiert und dann am 12. Dezember 1901 spektakulär erstmals über den Atlantik funkt.
     Ständig experimentiert die AEG ebenso wie Siemens mit neuen Methoden für die Verwendung elektrischer Energie, auch zur Ausstrahlung von Kurzwellen für die drahtlose Nachrichtenübermittlung. AEG und Siemens & Halske gründen 1903 die »Gesellschaft für drahtlose Telegraphie m. b. H., System Telefunken«, und von Arco wird deren erster Direktor. Slaby resümiert 1901 den erreichten Stand so: »Die Funkentelegraphie hat das Stadium der tastenden Versuche verlassen, sie ist jetzt einer zielbewußten Ingenieurtätigkeit erschlossen, und die regsamen Kräfte der Industrie werden schon das ihrige tun, das Anwendungsgebiet in schnellem Tempo zu erweitern.« Auf diesem wie auf anderen Gebieten lassen in der Tat neue bahnbrechende Ergebnisse der Berliner (und der deutschen) Elektroindustrie nicht lange auf sich warten.

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