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Was damals in der Zeitung stand

Die feierliche Übergabe des Rectorats an den Geheimen Medicinalrath Prof. Rudolf Virchow ging heute mittag, 12 Uhr, in der Aula der Universität unter Entfaltung des herkömmlichen akademischen Prunks vor sich. Der Zudrang von Teilnehmern war ein ganz außerordentlicher, und schon eine halbe Stunde vor Beginn des Aktes war der den Studenten vorbehaltene Raum völlig besetzt ... Vom Ministerium war, soweit wir sahen, kein Vertreter erschienen ... Hinter den Pedellen schritt der noch mit dem Hermlin bekleidete bisherige Rector Prof. Förster und der Universitätsrichter, der Geh. Rath Daude. Dahinter schritt allein Geh. Rath Virchow in Kniestrümpfen und mit dem Galanterriedegen; über dem Leibrock trug er das breite, rothe Band seines hohen russischen Ordens, auch sonst hatte er allen Ordensschmuck angelegt.
     Aus: Berliner Lokal-Anzeiger vom 15. Oktober 1892)

Die Schönsten der Öffentlichkeit vorenthalten

Hundertvierzig weibliche Schönheiten werden sich am Montagabend unter Ausschluß

der Öffentlichkeit der Jury der von Herrn von Schirp veranstalteten ersten Berliner Schönheits-Concurrenz vorstellen. Von dem ursprünglichen Plane, nur Berlinerinnen zuzulassen, mußte abgesehen werden, da die Papiere derer, die sich gemeldet hatten, ergaben, daß mindestens ein Drittel außerhalb von Berlin geboren, und da unter diesen gerade einige außergewöhnliche Schönheiten sich befanden, beschloß die Jury auch solche Damen zuzulassen, die nicht in Berlin geboren, aber hier wohnhaft sind. Unter diesen erweiterten Verhältnissen werden noch Anmeldungen bis spätestens Sonnabend Abend entgegengenommen.
     Aus: Berliner Lokal-Anzeiger vom 18. November 1892

Ein Luftschiff in der Wallstraße

Das Modell eines lenkbaren Luftschiffes war gestern in Tettenborns Restaurant in der Wallstraße ausgestellt. Der Erfinder, Herr E. Th. Geißler, ein Hamburger Gärtner, will als bewegende Kraft einen aus Aluminium hergestellten Daimlerschen Benzinmotor verwenden. Die Aufhängung des 100 Fuß langen eisernen Gondelgestells mit der Flügelschraube, dem Motor und der Gondel soll an zwei Zweigstreifen erfolgen, die unten an der zylinderförmigen Gondel entlanggehen ... Der Zweck der Ausstellung des Modells ist die Gewinnung von 120 Personen, die sich bereitfinden, je hundert Mark in drei Raten

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zu zahlen, um so den Bau des Geißlerschen Luftschiffes zu ermöglichen.
     Aus: Berliner Lokal-Anzeiger, 30. November 1892

Berliner Börsianer sauer über S. M.

Über die Art, in welcher der Kaiser telephoniert, waren kürzlich einander widersprechende Nachrichten verbreitet worden. Der Monarch, so hieß es u. a., trete niemals selbst an den Apparat, sondern lasse das durch seinen persönlichen Adjutanten besorgen. Wenn nun Letzteres im allgemeinen richtig ist, so trifft es doch nicht in allen Fällen zu; vielmehr spricht der Kaiser, wenn auch nicht täglich, so doch häufig persönlich ins Mikrophon hinein, und zwar geschieht das mit seinem Bruder, dem Prinzen Heinrich in Kiel ... Die Verbindung Berlin–Kiel wird bekanntlich über Hamburg geleitet. Sobald nun der Kaiser mit seinem Bruder sprechen will, müssen nicht bloß alle Beamten in Berlin, Hamburg, Neumünster, Kiel etc. auf Hörweite von dem Apparat zurücktreten, sondern auch alle angefangenen Gespräche auf der ganzen Linie Berlin–Hamburg– Kiel werden, da je nur eine Leitung vorhanden ist, plötzlich unterbrochen. Das gilt nicht nur von den einfachen Telefongesprächen, sondern auch von den dringenden, welche mit dreifacher Taxe bezahlt werden. Da die Gespräche des Kaisers meist in der Zeit von ein bis drei Uhr stattfinden, um die-

se Zeit aber viele dringende Gespräche zwischen der Berliner und der Hamburger Börse geführt werden, ist der Ärger der Börsianer über diese Unterbrechung ihrer teuren Gespräche verständlich. Alle Petitionen, sogar an Staatssecretär Stephan, um Änderung dieser Verkehrsbehinderungen sind bisher ohne Erfolg geblieben.
     Aus: Berliner Lokal-Anzeiger vom 15. März 1883
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