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Eltern hatten beyde eine liberale Erziehung genossen«, berichtete Bendavid in seiner »Autobiographie« (1806). »Sie schrieben beide sehr richtig jüdisch und deutsch, sprachen beide gut französisch ... Ihre Religionsbegriffe waren nach einem ihnen eigenen System geformt, und wichen ziemlich vortheilhaft von dem der mehrsten Juden damaliger Zeit ab ... Ich wurde bloss zu einem sittlichen, ordentlichen Lebenswandel ... und zur Verrichtung des Morgen und Abendgebeths, als einzige Religionsübung, angehalten.« So blieb er zwar sein ganzes Leben dem jüdischen Glauben verbunden, stand aber in deutlicher Distanz zu jeder Form von Orthodoxie und betonte stets seine Toleranz in religiösen Fragen.
     Trotzdem erhielt der junge Bendavid seine erste Ausbildung in jüdischen Talmudschulen, allerdings ohne allzu große Wirkung. Auch bei ihm, wie bei anderen jüdischen Denkern seiner Zeit, herrschte der autodidaktische Weg zur Wissenschaft und Philosophie vor. Dabei halfen ihm seine Kontakte zu Moses Mendelssohn (1728–1786), zu Markus Herz (1747–1803) und Johann Heinrich Lambert (1728–1777). Er begann mit ersten kleineren Veröffentlichungen und hielt Vorträge in Berlin. Bedeutsam wurden für ihn auch Aufenthalte in Halle und Göttingen, wo er als Hauslehrer wirkte und zum Beispiel Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) kennenlernte. Ende 1791 übersiedelte er nach Wien, wo er – in-
Eberhard Fromm
»Ein Weiser nach antikem Zuschnitt«

Lazarus Bendavid

»Ein gewisser Ben David verspricht mir ... sehr viel für die Zukunft«, schrieb der Philosoph Johann Benjamin Erhard 1791 an Immanuel Kant (1724–1804). Und 100 Jahre später nahm der ungarische Philosophiehistoriker Julius S. Spiegler Bendavid in seine »Geschichte der Philosophie des Judentums« (1890) auf, da er »seinen Namen im Buche der Geschichte der Philosophie mit unverwischbaren ehernen Lettern« eingezeichnet habe. In seiner Heimatstadt Berlin jedoch erinnert man sich nicht an ihn: kein Straßenname, keine Gedenktafel weist auf ihn und sein Wirken hin. Einen längst unbekannt gewordenen Menschen nennt Heinz Knobloch Bendavid in seinem Buch »Herr Moses in Berlin«.

Ein Leben für die Philosophie

Lazarus Bendavid wurde am 18. Oktober 1762 in Berlin geboren. Sein Vater David Hirsch stammte aus Braunschweig, seine Mutter Chawa war die Tochter eines angesehenen Berliner Samtfabrikanten. »Meine

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zwischen zu einem versierten Kenner und Anhänger der Kantschen Philosophie herangereift – in Vorträgen die Philosophie Immanuel Kants verbreitete. Karl Rosenkranz nannte ihn in seiner »Geschichte der Kant'schen Philosophie« von 1840 sogar den »eigentlichen Lehrer der Wiener« in Sachen Kant. Wie Dominique Bourel, der sich seit 1986 intensiv mit Leben und Wirken Bendavids befaßt, dazu anmerkt, kam es zu der seltsam anmutenden Situation, daß ein jüdischer Philosoph zum Propagandisten einer preußisch-protestantistischen Philosophie im katholischen Wien wurde.
     Da man jedoch in Wien – wie auch anderswo in Deutschland – der Kantschen Philosophie nicht nur mit Zurückhaltung, sondern mit Ablehnung und Mißtrauen begegnete, kehrte Bendavid 1797 in seine Heimatstadt Berlin zurück. Auch hier widmete er sich der Verbreitung der Kantschen Philosophie, erhielt er zum Beispiel 1801 für seine Arbeit »Über den Ursprung unserer Erkenntnis« einen Preis der Berliner Akademie der Wissenschaften und publizierte eifrig in verschiedenen Journalen. Von 1802 an arbeitete er als Redakteur der Spenerschen Zeitung.
     1806 übernahm Bendavid die Leitung der jüdischen Freischule, die er bis zur Vereinigung dieser Einrichtung mit der Knabenschule der jüdischen Gemeinde im Jahre 1826 innehatte. Die Freischule in der Großen Hamburger Straße war 1778 von Isaak Dani-
el Itzig (1723–1799) und David Friedländer (1750–1834) gegründet worden. In seinem pädagogischen Wirken an dieser Schule ging Bendavid davon aus, daß »ohne Religion gar keine, und ohne hebräische Sprache keine jüdische Schule mit Recht auf den Namen einer Bürgerschule Ansprüche machen darf«.
     Am 18. Oktober 1832 starb Lazarus Bendavid in Berlin und wurde auf dem erst 1827 eingeweihten jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee beigesetzt. Heinrich Heine (1797–1856) schrieb über ihn achtungsvoll: »Er war ein Weiser nach antikem Zuschnitt, umflossen vom Sonnenlicht griechischer Heiterkeit, ein Standbild der wahrsten Tugend, und pflichtgehärtet wie der Marmor des kategorischen Imperativs seines Meisters Kant.«

Im Geiste Kants

Das Interesse an der Philosophie überhaupt und die systematische Beschäftigung mit den Schriften des Königsberger Philosophen Immanuel Kant ließen Lazarus Bendavid zu einem wirkungsvollen Verbreiter der kritischen Philosophie werden. »Er wußte Kant's sämtliche KRITIKEN in elegante, deutliche, wohlgedruckte, mit empfehlenswerten Registern ausgestattete Paragraphen zu zerlegen«, schrieb Rosenkranz über ihn. Und der Schriftsteller Ludwig Börne (1786–1837) bestätigte diese Wirkung, als er 1802 in seinem Tagebuch

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notierte: »Bendavid weiß mir die Logik recht deutlich zu machen.«
     Zentrale Bedeutung gewannen für Bendavid das Erkenntnisproblem und die von Kant in der »Kritik der reinen Vernunft« angebotenen Überlegungen und Lösungen. Dieses Werk Kants war 1781 zum erstenmal, 1787 in zweiter Auflage erschienen. Bereits 1795 gab Bendavid in Wien seine »Vorlesungen über die Kritik der reinen Vernunft« heraus, denen seine »Vorlesungen über die Kritik der Urteilskraft« (1796) und die »Vorlesungen über die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften« (1798) folgten. 1802 veröffentlichte er seine preisgekrönte Arbeit über den »Ursprung unserer Erkenntnis«. Damit folgte er den Kantschen Vorgaben, waren doch die »Kritik der Urteilskraft« 1790 sowie die »Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften« 1786 erschienen.
     Wie Kant wandte sich Bendavid aber auch anderen Bereichen zu; immer wieder äußerte er sich zu sittlichen und ästhetischen Problemen. Er verfaßte größere Arbeiten über das Vergnügen (1794) sowie eine Geschmackslehre (1799), schrieb Artikel über das Sittengesetz und über den moralischen Beweis vom Dasein Gottes und polemisierte mit Salomon Maimon (1755–1800) über den logischen Egoismus. Auch um eine rechte Ein- und Zuordnung Kants im europäischen Denken war er bemüht, wovon Aufsätze wie »Helvetius und Kant« oder
»Kant und Herder« zeugen. Viele seiner Beiträge erschienen in der Zeitschrift der Berliner Aufklärer »Berlinische Monatsschrift« bzw. »Neue Berlinische Monatsschrift«.
     Ganz im aufklärerischen Geist stellte er in der »Neuen Berlinischen Monatsschrift« von 1807 die auch heute noch aktuelle Frage: »Wenn nun dieser, von der Vernunft postulierte, gleichsam jüngste Tag gekommen sein wird, wenn das gesamte Menschengeschlecht in Industrie (oder der Kunst mit Geschmack zu erwerben) und Kultur (oder der Kunst mit Geschmack zu genießen) den höchsten Gipfel erreicht hat; wie wird es dann mit der Sittlichkeit aussehen?«
     Neben einigen Arbeiten zum Judentum seiner Zeit wie »Etwas zur Charakteristick der Juden« (1793) oder »Zur Berechnung des jüdischen Kalenders« (1817) galt sein Interesse auch psychologischen Problemen. Liebe, Eifersucht und Hoffnung waren ebenso Gegenstände seiner Untersuchungen wie Trübsinn und Selbstmord. Zu solchen Fragen publizierte er auch in der von Carl Philipp Moritz (1756–1793) in Berlin herausgegebenen Zeitschrift »Magazin der Erfahrungsseelenkunde«. Philosophische und psychologische Fragen wurden von ihm miteinander verknüpft, wovon zum Beispiel die 1807 veröffentlichte Problemstellung »Wie weit kann und darf die Philosophie zur Bezähmung der Affekte angewandt werden« beredtes Zeugnis ablegt.
     Die Vielfalt der behandelten Probleme, der
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Umfang der Interessengebiete bei Bendavid widerspiegeln die Herangehensweise Kants an die Totalität des Lebens und Denkens. Als einer der frühesten Verfechter der Kantschen Philosophie in Wien und Berlin entging er so einem bloßen Epigonentum und verdient es deshalb, der Vergessenheit entrissen zu werden.

Denkanstöße:

In grossen Gesellschaften, sagte meine Tante, putze, Neffe! nie Licht. Der glücklichste Erfolg bringt keine Ehre: das Misslingen macht Dich lächerlich. – Fast sollte man glauben, dass der Geist meiner Tante mich bei dieser Arbeit verlassen habe. – Allein ausser dass ich selbst im Finstern sass, und mein Werk für mich, bei meinen Vorlesungen, nöthig hatte, glaubte ich, es lohne der Gefahr, lächerlich zuwerden, bei Geschäften, die etwas mehr auf sich haben, als Lichtputzen. Es giebt noch immer Liebhaber der Philosophie, die von den Kantischen, neu entdeckten Wahrheiten unterrichtet seyn möchten, und denen die Arbeiten meiner Vorgänger bald zu abstract, bald zu kurz und bald dadurch zu lang scheinen, dass sie mehr enthalten, als Kant selbst gelehrt hat.
     Vorrede zu: Vorlesungen über die Kritik der reinen Vernunft, Wien 1795

Kein Instinkt; nein! die Vernunft muß dem Menschen alles zubereiten: von ihr allein muß er hienieden gelenkt werden, und sie ist es, die ihn durch die süßeste aller Empfindungen, die Hofnung, im Leben erhält. Denn in der Vernunft des Menschen ist der Boden zu suchen, auf welchem die Phantasie diesen Baum des Lebens, die Hofnung, anpflanzt; und in dem Verstande findet er seinen Gärtner, der ihn hegt und von üppigen Auswüchsen befreit ...
     Unser Verstand hat ein Hauptgesetz, nach welchem er sich richtet, und das sich wie ein starker Baum, in zwei mächtigen Aesten, von der Gegenwart aus, über unser vergangenes und zukünftiges Leben verbreitet. Die Begebenheiten die uns itzt wiederfahren, müssen, so stellt es sich nehmlich unser Verstand vor, eine Ursache in der vergangenen Zeit, und eine Folge in der zukünftigen haben: wir können uns nichts ohne Ursache, nichts ohne Folge denken ...
     Der Gang also, den das menschliche Gemüth einschlägt, um sich immer mit der Hofnung eines bessern Zustandes zu nähren, und selbst bei den trübsten Leiden noch in der Zukunft eine lichte Aussicht zu erblicken, ist folgender. Unser Verstand, der keine Begebenheit ohne Folgen denken kann, forscht der unendlichen Reihe von Folgen nach, die für uns aus der jetzigen Zeit entspringen müssen ...
     ... die Vernunft strebt immer nach Vollendung, und was der Verstand nur als einen

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Sporn zum Suchen betrachtet, sieht die Vernunft als vollendet und schon gefunden an.
     Über die Hoffnung. Vorgelesen in der Gesellschaft der Humanitätsfreunde am Stiftungsfeste d. 11. Jän. 1806, In: Neue Berlinische Monatsschrift, 15. Band, Januar–Juni 1806, S. 350, 353, 357–358

Es giebt weder rein angenehme, noch rein unangenehme Affekte, sondern alle sind gemischter Art, und sie erhalten nur jenen verschiedenen Namen durch die Menge der angenehmen oder unangenehmen Gefühlte, die in ihnen enthalten sind ...
     Der Affekt in seinem Entstehen ist ein bloßes Naturbedürfniß, das sich als Begierde ankündigt, das aber durch den Widerstand den es zur Befriedigung von außenher findet, die Einbildungskraft aufregt, die Befriedigung wünschenswerth macht, und den Willen bestimmt, diese Befriedigung durch gewaltsame Wegräumung des Widerstandes zu erreichen.
     Wie kann und darf die Philosophie zur Bezähmung der Affekte angewandt werden? In: Neue Berlinische Monatsschrift, 18. Band, Juli–Dezember 1807, S. 28, 38

Schön ist es und erhebend zu sehen, daß ein Verein von achtbaren Männern den 100jährigen Geburtstag eines Weisen feyert, der leiblich schon seit fast einem halben Jahrhundert den irdischen Schauplatz verlassen hat. Deutlich und inniger als Worte spricht

es diese Feyer aus, daß der Geist des Weisen noch hienieden unter uns wandelt, seine Wirkung noch auf das jetzige Geschlecht äußert, und dieses sie mit dankbarem Herzen anerkennt ...
     Wie für das Pflanzenreich es Jahre gibt, in denen alle Früchte, durch den erwärmenden Strahl der Sonne, eine höhere Reife erlangen, und sich mit Süßigkeit und Geruch erfüllen, so scheinen für das Geisterreich ganze Jahrhunderte sich dadurch auszuzeichnen, da in ihrem die Menschheit sich in ihrer lieblichsten Blüthengestalt zeigt, und Männer heranreifen, die für die spätere Nachwelt fruchtbringende Samenkörner ausstreuen.
     Trinkspruch auf Moses Mendelssohn bei einer Gedenkfeier in Berlin 1829, In: Mendelssohn-Studien, Bd. 6, Berlin 1986
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