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WeiberWirtschaft in Berlins Mitte

Ute Schlegelmilch zur Arbeit der ersten Frauengenossenschaft seit der Weimarer Republik

Wer durch die Anklamer Straße im Bezirk Mitte geht, stößt – gegenüber der Einmündung der Fehrbelliner Straße – auf einen schönen rekonstruierten Bau, an den sich ein neues Wohnhaus anschließt. Die zum Gebäude gehörenden Gewerbehöfe, hier hatte zu DDR-Zeiten der VEB Berlin Kosmetik seine Produktionsstätte, signalisieren etwas außergewöhnliches: neu gepflanzte Bäume und Rosenstöcke, einladende Bänke im Schatten, Restauranttische im zweiten Hof, Kindergetobe im nächsten. In der Anklamer Straße 38 hat das erste Gründerinnenzentrum Deutschlands seinen Sitz. Mehr als 5 500 Quadratmeter Büro-, Dienstleistungs-, Produktions- und Ladenfläche wurden zwischen 1993 und 1996 saniert, modernisiert, um- und ausgebaut. Für Frauen, die sich selbständig machen, und es dabei erwiesenermaßen noch immer schwerer haben als Männer. Die Frauen haben eine Genossenschaft gegründet, um bessere Start-, aber auch Langzeitbedingungen zu ermöglichen. Hilfreich ist auch die informelle Nähe zu Unternehmerinnen aus den ver-

schiedensten Branchen. Der Austausch von Informationen und Knowhow geschieht schnell und unkompliziert.

     WeiberWirtschaft ist mehr als eine Frauengenossenschaft und ein Gründerinnenzentrum. Es ist ein Modell. Worum geht es?
     Ute Schlegelmilch:
In Paragraph 2, Absatz 1 unserer Satzung heißt es dazu: »Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder, die Verbesserung der Ausgangsbedingungen von Frauenbetrieben und -projekten durch Bereitstellung von Gewerberäumen in einem Gründerinnenzentrum, die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen für Frauen sowie die Stärkung der Frauen auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet.« Es geht also darum, den Frauen Existenzgründungen zu erleichtern. Hier in diesem Gründerinnenzentrum arbeiten gegenwärtig mehr als 50 Chefinnen unter einem Dach, das fördert natürlich auch das Miteinander. In unserer Genossenschaft hat jede Frau unabhängig von ihrem Kapitaleinsatz eine Stimme. Die WeiberWirtschaft ist auch deshalb als Genossenschaft gegründet worden, damit sich möglichst viele Frauen an diesem Modell beteiligen. Modellhaft ist es ja schon, daß es uns gelungen ist, mit sehr wenig Eigenkapital das Gebäude zu kaufen und zu sanieren. Rund 1 100 Genossenschaftlerinnen haben bisher Anteile gekauft, die es schon für 200 Mark gibt. Die Genossenschaftlerinnen kommen übri-

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gens auch aus Österreich, der Schweiz und Holland.

     Frauengenossenschaften haben zwar Tradition, sehr viele gab es allerdings nicht.
     Ute Schlegelmilch: Vor 100 Jahren gründete Lida Gustava Heymann in Hamburg die erste Berufsgenossenschaft für weibliche Angestellte. In Berlin haben Frauen dann etwas später versucht, die erste Frauenbank auf die Beine zu stellen. 1908 warben sie Interessierte unter dem Motto: »Frauenkapital – eine werdende Macht«. Nach der Weimarer Republik gab es in Deutschland aber keine einzige Frauengenossenschaft mehr. Wir sind die ersten, die an diese Tradition anknüpfen.

     Die offizielle Eröffnung des Gründerinnenzentrums fand im September 1996 statt. Die WeiberWirtschaft hat aber eine viel längere Geschichte.
     Ute Schlegelmilch:
Sie beschäftigt uns schon seit zehn Jahren. Während des ersten Frauenarbeitskongresses 1987 in Berlin wurde die Idee geboren, ein selbstverwaltetes Gründerinnenzentrum zu schaffen. Im August des selben Jahres wurde dann der Verein WeiberWirtschaft gegründet. Es ging um die Entwicklung eines Trägermodells, um Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederwerbung. Damals haben wir auch schon angefangen, uns nach passenden Gebäuden umzusehen. Im Oktober 1989 erhielt die WeiberWirtschaft dann eine ABM-Stelle, die ich bekam. Es war meine erste Stelle nach

dem Studium der Betriebswirtschaft. Und es blieb für mehrere Jahre die einzige bezahlte Stelle im Verein. Alle anderen arbeiteten ehrenamtlich. Im Dezember 1989 fand dann die Gründungsversammlung der Frauengenossenschaft statt.

     Das war kurz nach der Wende. Hat dieses politische Ereignis dann in Ihren Überlegungen eine Rolle gespielt?
     Ute Schlegelmilch: Nicht sofort, die Entwicklung war ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Später schon. Da ja im Westteil der Stadt keine Grundstücke mehr verkauft wurden, wandten wir uns an die Treuhand, um über das Gebäude von Berlin Kosmetik zu verhandeln. Das gestaltete sich ziemlich schwierig, weil auch diese Herren es nicht gewohnt waren, daß drei Frauen um ein Objekt von 20,5 Millionen verhandeln.

     Verhandeln ohne nennenswertes Eigenkapital. Waren die WeiberWirtschaftsfrauen denn für die Banken kreditwürdig?
     Ute Schlegelmilch: Uns ging es da nicht anders als anderen Frauen auch, man komplimentierte uns zumeist hinaus. Da wir dann aber Senatszuschüsse in Form zinsloser Darlehen erhielten, fand sich schließlich doch eine Bank, die uns den Kredit in Aussicht stellte. Im Oktober 1992 haben wir dann den Kaufvertrag über den Gebäudekomplex unterschrieben, das war für mich wirklich der aufregendste Moment.

     Sie haben nicht nur die alten Produktionsge-

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bäude gekauft, sondern auch ein freies Grundstück daneben.
     Ute Schlegelmilch:
Dort ist ein Neubau mit 13 Wohnungen entstanden, und zwar im sozialen Wohnungsbau. Die Zwei- und Vier-Zimmer- Wohnungen waren ganz schnell vermietet, weil guter und bezahlbarer Wohnraum in Berlin ja Seltenheitswert hat.

     Das erste Gründerinnenzentrum Deutschlands sollte gleichzeitig eines der ersten modellhaft sanierten Gewerbezentren werden. Ist das gelungen?
     Ute Schlegelmilch: Ich denke schon.
Ökonomisches Wirtschaften ist für uns ohne ökologische Verantwortung nicht denkbar. So ist ein nicht geringer Teil der 34 Millionen, die hier verbaut wurden, in die Ökologie geflossen. Die Stromversorgung erfolgt beispielsweise über ein Blockheizkraftwerk, für die Warmwasserbereitung wird eine Solaranlage genutzt, die WC-Spülung funktioniert mit einem hohen Anteil Regenwasser.

     WeiberWirtschaft will vor allem stabile Langzeitbedingungen und eine innovative Infrastruktur bieten. Worin bestehen sie?
     Ute Schlegelmilch: Zu den stabilen Langzeitbedingungen gehören Mietverträge über zehn Jahre. Die Mieterinnen können also langfristig planen, was auch für die Kredite wichtig ist. Außerdem sind unsere Mieten im Berliner Durchschnitt niedrig, zwischen 10 und 21 Mark, je nach Gewerbe. Zum Beispiel fördert der Senat produzieren-

des Gewerbe und Handwerk. Davon profitieren die Druckerei, die Glasermeisterin und andere.
     Zur innovativen Infrastruktur gehört all das, was Frauen brauchen, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Beispielsweise die Kita, die vor einem halben Jahr vom Arkonaplatz hierher gezogen ist. Von Anfang an war uns klar, daß eine Kita zum Gewerbehof gehören muß. Die Umsetzung dieser Idee gestaltete sich dann allerdings äußerst schwierig, weil die Finanzierung nicht gesichert war. Erst durch die Unterstützung vieler Sponsoren konnten die Räume fertiggestellt werden. Jetzt sind rund 30 Kinder hier, in schönen Räumen, mit einem eigenen Spielplatz. Wir haben vereinbart, daß eine gewisse Anzahl der Plätze für die Unternehmerinnen und Angestellten zur Verfügung stehen. Wir denken auch daran, daß Kundinnen ihre Kinder hier für ein bis drei Stunden unterbringen können. Wenn sie etwa an einer Weiterbildung teilnehmen, die Kosmetikerin in Anspruch nehmen oder einen Termin bei der Steuerberaterin haben.
     Zu dieser sozialen Ökonomie gehört nicht zuletzt der Austausch, den die Frauen untereinander pflegen. Und zwar nicht nur bei den monatlichen Treffen. Es gibt hier eine Reihe von Dienstleistungsbetrieben, die rund um die Existenzgründung angesiedelt sind. Ich denke da an die Existenzgründungsberatung, die Rechtsanwältin, die Steuerberaterin, den Büro- Service. Aber auch bei
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den kleinen Dingen des Alltags ist Hilfe vor Ort, durch die Computer- Schule zum Beispiel.

     Woher stammt eigentlich das Modell der Zentren für Gründerinnen?
     Ute Schlegelmilch: Die Idee kommt aus den USA. Allerdings funktioniert das Modell dort ganz anders. Frauen werden Mitglied der Genossenschaft, gründen in ihrem Schutz einen Betrieb, müssen aber nach der Gründungsphase, das sind in der Regel zwei bis drei Jahre, die Genossenschaft wieder verlassen. Es ist ein Brutkastensystem, wenn die Betriebe flügge sind, gehen sie, und die nächsten kommen. Wir wollen dagegen, daß die gewachsenen Strukturen beibehalten werden. Auch für die Kunden ist es besser zu wissen, was sie in dem Gewerbezentrum vorfinden.

     Zur WeiberWirtschaft gehört ein technisch gut ausgestattetes Tagungszentrum. Hier kann mieten, wer ein Symposium, einen Workshop, Empfang oder eine Präsentation durchführen will. Den Service – von der Gastronomie über die Organisation von Rahmenprogrammen bis zur persönlichen Betreuung – liefert das Gründerinnenzentrum. Wird das Tagungszentrum schon genutzt?
     Ute Schlegelmilch: Ja, aber noch nicht in dem Maße, wie wir uns das wünschen. Von den insgesamt 5 500 Quadratmetern Gewerbefläche sind auch erst 70 Prozent vermietet. Das bedeutet, daß die WeiberWirtschaft noch ums Überleben kämpfen muß. Auf sicheren Füßen steht die Genossenschaft

erst, wenn mindestens 85 Prozent der Gewerbefläche vermietet sind. Erst dann können wir den Gründerinnen auch die finanzielle Unterstützung geben, die wir uns vorgenommen haben, zum Beispiel in prekären Situationen vorübergehend auf zwei Mietzahlungen zu verzichten.

     In die Anklamer Straße 38 zogen zuerst Existenzgründerinnen aus dem Westen ein, heute ist das Verhältnis zwischen Ost und West nahezu ausgeglichen. War das gewollt?
     Ute Schlegelmilch: Nicht direkt, aber wir freuen uns, daß es so ist. Die Frauen leben hier miteinander, viele wissen gar nicht, wer woher kommt. Entscheidend für die Mitgliedschaft in der Genossenschaft ist ein gutes Konzept. Das wird von einer externen Gutachterin geprüft, dann entscheiden zwei Mieterinnen und zwei Vorstandsfrauen, ob die Bewerberinnen hier einziehen können.

     Gut zweieinhalb Jahre haben die umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten gedauert, in diesem Monat feiert das Gründerinnenzentrum einjähriges Bestehen. Hat Sie während der komplizierten Bauarbeiten, die Sie ja betreut haben, nie der Mut verlassen?
     Ute Schlegelmilch: Wenn ich über die Höfe gehe, kann ich es manchmal kaum glauben, daß aus unserem Traum Wirklichkeit geworden ist. Ohne die ehrenamtliche Arbeit vieler Helferinnen und Helfer wäre die WeiberWirtschaft aber wohl ein Traum geblieben.

     Das Gespräch führte Jutta Arnold

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