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Annette Vogt
Das »Cum laude« gelang erst im zweiten Anlauf Alice Salomon mußte zweimal den Antrag auf Zulassung zur Promotion stellen Unter den vier Dissertationen zur Nationalökonomie, die zwischen 1899 und 1908 von Frauen an der Berliner Universität eingereicht wurden, ragt eine besonders heraus. Es handelte sich gleichzeitig um den einzigen Fall an der Philosophischen Fakultät, bei dem eine Frau versuchte zu promovieren, abgelehnt wurde, es kurz darauf erneut versuchte und dieses Mal erfolgreich! Aktiv in der Armenpflege und bei der Errichtung von Kinderhorten Die am 19. April 1872 in Berlin geborene Kaufmannstochter Alice Salomon hatte am 18. Februar 1905 dem Dekan der Fakultät mitgeteilt, daß sie mit ihrer Arbeit »Die Bestimmungsgründe der ungleichen Entlohnung gleicher Leistungen von Männern und Frauen« promovieren und in den Fächern Nationalökonomie (Hauptfach), Geschichte | und Philosophie (Nebenfächer) geprüft werden möchte.1)
Sie schreibt in ihrem Lebenslauf: »Am 19. April 1872 bin ich, Alice Salomon, in Berlin als Tochter des Kaufmanns Albert Salomon und seiner Frau Anna, geb. Potocki-Nelken, geboren. Ich bin mosaischer Konfession. Vom 1. April 1878 bis zum 1. April 1887 besuchte ich die Zimmermannsche Höhere Töchterschule. Seit elf Jahren betätige ich mich auf sozialem Gebiet sowohl in praktischer wie in theoretischer Beziehung. Ich habe mich bei der Organisation der Berliner Armenpflege, bei der Errichtung von Kinderhorten und ganz besonders bei den Fürsorgebestrebungen für Fabrikarbeiterinnen betätigt und leite seit fünf Jahren die Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, die eine Ausbildung der Frauen für soziale Arbeit anstreben. Meine Vorbildung zum Universitätsbesuch eignete ich mir in sozialpolitischen Kursen an, die Herr Prof. Max Weber, Prof. Hintze, Prof. von Wenkstern, Prof. Albrecht (von der Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen) und Herr Stadtrat Münsterberg in den Gruppen für soziale Hilfsarbeit hielten. Auf Grund einer Arbeit über die Geschichte der Frauenarbeit auf sozialem Gebiet, die im Handbuch der Frauenbewegung (Verlag W. Moeser) erschienen ist und vieler kleinerer wissenschaftlicher Arbeiten erhielt ich die Erlaubnis zum Besuch der Königlichen Friedrich Wilhelms- Universität zu Berlin. | |||||
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Ich hörte seit dem April 1902
während sechs Semestern Vorlesungen der philosophischen Fakultät, und zwar bei den Herrn Professoren Sering, Schmoller,
Wagner, Paulsen, Lenz, Hintze, Dr. A. Weber, Dr. Eberstadt, Dr. Jastrow, Dr. Menzer. Ich habe an den seminarischen Übungen der Herrn Prof. Sering, Schmoller, Lenz, Dr. A. Weber, Jastrow, Menzer
teilgenommen.«2)
Ein Nein vom »Frauenfeind«, dem Germanisten Gustav Roethe Die Fakultät hatte das Promotionsverfahren eingeleitet, sie bat ihre Kollegen Staatswissenschaftler Gustav Schmoller (18381917), seit 1882 Professor, und Max Sering (18571939), seit 1897 Professor in Berlin, das Gutachten über die eingereichte Arbeit zu verfassen. Außerdem richtete sie an das Kultusministerium den Antrag, am 24. Februar 1905 vom Dekan Adolf Erman (18541937) verfaßt, Alice Salomon zu erlauben, ohne Reifezeugnis zu promovieren. In der Begründung betonte Erman, daß die Referenten ihre Arbeit ausgezeichnet beurteilen würden.3) Daraufhin fragte Friedrich Althoff (18391908) vom Ministerium am 11. März 1905 bei der Fakultät an, ob der Beschluß, die Studierende Salomon zur Prüfung und damit zur Promotion zuzulassen, einstimmig gefällt wurde, da dies bekanntlich die Voraussetzung für die Zustimmung | des Ministeriums
bilde.4) Nun hatte es aber in der Fakultätssitzung am 17.
November 1904 über Salomons Antrag 20
Ja-Stimmen und zwei Nein-Stimmen gegeben, letztere vom bekannten »Frauenfeind«, dem
Germanistik- Professor Gustav Roethe (18591926), und vom Dekan, also von Adolf Erman, Professor für Ägyptologie, was dieser
nun dem Ministerium berichten mußte. Daraufhin verfügte das Ministerium im
Schreiben vom 7. Juni 1905, das wiederum von
Althoff verfaßt war, daß die Zulassung
genehmigt würde unter Befreiung vom Reifezeugnis, »jedoch in der Voraussetzung, daß die
von dem Mehrheitsbeschluß der Fakultät abweichenden Stimmen ihren Widerspruch nicht auf besondere Mängel der Dissertation, der Vorbildung oder der sittlichen Qualifikation gründen«.5)
In Salomons Akte zum Verfahren sind Schreiben von Max Sering und Adolf Wagner (18351917) erhalten geblieben, die ihre Arbeit loben. Dennoch schrieb die Fakultät am 8. Juli 1905 an das Ministerium, »dass sie schon deshalb nicht in der Lage ist, weiteres derzeit in der Angelegenheit des Frl. Alice Salomon zu tun, da die Dame am 20. Mai ihre Arbeit und ihre Papiere zurückerhalten hat«.6) Die Fakultät hatte damit strenger entschieden als das Ministerium bzw. sein berühmter Vertreter Althoff. In dem Schreiben bekundete die Fakultät jedoch die Bereitschaft, einen erneuten Antrag von Alice Salomon | |||
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gemäß der Hinweise des
Ministerialvertreters vom 7. Juni zu behandeln. Für
dieses Antwortschreiben sind übrigens zwei Varianten in der Akte erhalten geblieben, das eine, oben wiedergegebene, weil
vom Dekan Erman abgezeichnete, und ein weiteres, betitelt »Entwurf des Herrn Wagner«.
Der Staatswissenschaftler Adolf Wagner, seit 1870 Professor an der Fakultät, nutzte den »Fall Salomon«, um in seinem Antwortentwurf ein prinzipielles Problem anzusprechen das der geforderten Einstimmigkeit der Fakultät bei derartigen Anträgen. Frauen waren abhängig von einer einzigen Stimme Er schreibt eingangs, die Fakultät wäre bereit, »die genannte Dame zur Promotion zuzulassen«, wenn sie in Zukunft damit von der »Forderung der Einstimmigkeit« entbunden würde. Und dann betont er: »Sie (die Fakultät A. V.) gestattet sich dabei auch hervorzuheben, dass nach ihrer Ansicht die Forderung der Einstimmigkeit bei Dispensen vom Reifezeugnis unbedingt zu weit geht. Ihre Aufrechterhaltung würde nur dazu führen, ganz wenigen und selbst einem einzigen Mitglied der Fakultät, welches aus welchen Gründen immer eine abweichende Auffassung vertritt, die Macht zu geben, diese seine Auffassung selbst derjenigen der Gesammtheit der übrigen Mitglieder gegenüber durchzusetzen. Wenn z. B. ein | einziges Mitglied grundsätzlich der
Zulassung von Frauen zum akademischen Studium und zur Promotion entgegen ist, würde es im Stande sein das Studium
von Frauen überhaupt zu hindern, ähnlich
jedes Dispensgesuch von Personen, deren Vorbildung und Bildungsgang nicht ganz den
normalen Bedingungen entspricht, unmöglich zu machen. Wir bitten daher Euer
Excellenz auch in Zukunft von der sachlich unhaltbaren Forderung der Einstimmigkeit in Promotionsangelegenheiten, wo es sich um Dispensgesuche handelt, absehen zu
dürfen. Wenn hier nicht wie in den meisten
anderen Angelegenheiten die einfache Mehrheit der Stimmen genügen soll, könnte unseres Erachtens höchstens die Forderung einer höheren Einheit z. B. von zwei Dritteln gestellt werden. Vollends in so grossen und
aus Vertretern so verschiedener Fachwissenschaften bestehenden Fakultäten
erscheint ein anderes Vorgehen unmöglich,
wenn nicht einzelnen oder selbst einem einzigen Mitglied eine übermässige Macht
gegenüber den anderen Mitgliedern gegeben werden soll.«7)
Ein besonderer Paragraph im Immatrikulationsrecht für Frauen Bei der »einzelnen Person«, die Wagner in seinem Schreiben mehrfach erwähnt, ohne sie zu nennen, handelt es sich um den erst 1902 als Professor für Germanistik beru- | |||||
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fenen Gustav Roethe, der viele Jahre
stadtweit bekannt dafür war, daß er sich
selbst noch nach dem Erlaß über das
Immatrikulationsrecht für Frauen im August 1908 weigerte, Frauen in seinen Vorlesungen zuzulassen.8) Roethes konstante
Weigerung hatte beim Erlaß über das
Immatrikulationsrecht für Frauen vom 18. August 1908
dazu geführt, daß der Paragraph 3 eingefügt wurde, der besagt: »Aus besonderen
Gründen können mit Genehmigung des
Ministers Frauen von der Teilnahme an einzelnen Vorlesungen ausgeschlossen werden.«9)
Der »Fall Salomon« wurde dennoch eine Erfolgsgeschichte, denn schon im November 1905 stellte Alice Salomon erneut den Antrag auf Zulassung zur Promotionsprüfung und reichte ihre Arbeit »Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit« ein, die auch publiziert wurde.10) In ihrem Lebenslauf, der nun verkürzt war und auch weniger selbstbewußt die eigenen Tätigkeiten hervorhob sowie demutsvoller verfaßt war, dankte sie besonders den Professoren Sering und Weber »für das freundliche Interesse, das sie dieser Arbeit geschenkt haben«. Am 5. März 1906 fand die Promotionsprüfung statt; es prüften sie Max Sering im Hauptfach Nationalökonomie (»gute Kenntnis«), Alois Riehl (18441924) im Nebenfach Philosophie (»recht befriedigend«) und Max Lenz (18501932) im Nebenfach Geschichte | (»voll befriedigend«); die Prüfer
einigten sich auf das Gesamtresultat »cum
laude«.11)
Nach eineinhalb Jahren erhielt sie die Promotionsurkunde Die Dissertation begutachteten im Juni 1906 Max Sering und Gustav Schmoller und bewerteten sie mit der selten
vergebenen Note »valde laudabile« (lat. weithin zu loben).12) Beide Gutachter waren sich so einig über die Arbeit, daß Schmoller
nur »einverstanden« unter das Gutachten
von Sering schrieb, was eine in den Geisteswissenschaften selten praktizierte
Vorgehensweise war. Mit der Überreichung der Promotionsurkunde am 14. Juli 1906 war das Verfahren erfolgreich abgeschlossen. Die Dissertation erschien in der von
Schmoller und Sering herausgegebenen Reihe
»Staats- und sozialwissenschaftliche
Forschungen« als Heft Nr. 122.
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Beschluß der Universität Berlin vom 18.
April 1939 wurde derAlice Salomon geboren am 19. April 1872 in Berlin, promoviert am 14. Juli 1906, der Dr. Titel
entzogen.«13)
Der Entzug des Doktortitels hing mit der am 28. Januar 1939 im »Reichsanzeiger« veröffentlichten 90. Ausbürgerungsliste zusammen, auf der Alice Salomon (als 98.) mit weiteren 133 Schicksalsgefährtinnen aufgeführt wurde.14) Zu diesem Zeitpunkt lebte sie schon über zwei Jahre im sicheren New York, aber glücklich wurde sie nicht mehr. Alice Salomon starb am 30. August 1948. Quellen:
| Acte UK R 177, Bd. 1, Bl. 6. Diesen Hinweis verdanke ich Frau Kalb vom Archiv der HUB.
9 Vgl. u. a. in: Archiv HUB, Rektor Nr. 350, (Ottilie von Hansemann- Stiftung), Bl. 1 10 Promotion von Alice Salomon, In: Archiv HUB, Phil. Fak., Nr. 415, Bl. 132166 11 Vgl. Prüfungsprotokoll, In: Archiv HUB, Phil. Fak., Nr. 415, Bl. 143143 R 12 Vgl. die Gutachten von Max Sering und Schmollers »einverstanden«, in: Archiv HUB, Phil. Fak., Nr. 415, Bl. 138139 R (4 Seiten handschriftlich) 13 Archiv HUB, Phil. Fak., Nr. 415, Bl. 145 14 Vgl. Ausbürgerungsliste 90, Nr. 98, vom 28. Januar 1939, In: Ausbürgerungs- Listen, Bd. 1, 1985, S. 118 | |||||
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