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ger Karl August Manitus (1679–1740) gestorben, der dort seit 1730 als Pfarrer tätig gewesen war. Etzin gehörte zum Kirchenkreis Brandenburg-Dom. Dem Brandenburgischen Domkapitel unterstanden insgesamt 31 Kirchen, darunter 17 Mutterkirchen, also Kirchen, deren Pfarrer noch mindestens ein Filial mitbetreuen mußten. Das Domkapitel hatte sich bereits für den etwa 60jährigen Brandenburger Domdiakon Carl Wetzel (1681–1750) entschieden, dessen Gastpredigt sich die Gemeinde am 5. Februar 1741 anhören sollte. Doch am 12. Januar 1741 kam gegen Mittag Johann Peter Blell, der Kämmerer in der Neustadt Brandenburg, mit einem Brief der Königin, in dem diese einen Jüngeren vorschlug, den 33jährigen Süßmilch, seinen Vetter, der in der Folge heftige Debatten im Domkapitel auslöste, das mehrheitlich an seiner Entscheidung festhalten wollte. Ein reger Schriftwechsel der Entscheidungsträger war die Folge. Am 17. Januar 1741 setzte sich auch der Prinz Moritz von Anhalt-Dessau (1712–1760) für Süßmilch ein. Dessen erster Arbeitgeber (Süßmilch hatte bei ihm eine Hofmeisterstelle innegehabt), der 1741 noch sein Regimentskommandeur war – General von Kalckstein –, sorgte als einer der Domherren von Brandenburg, denen übrigens auch die lokale Gerichtsbarkeit unterstand, mit dafür, daß Süßmilch schon vor Ablauf der damals vorgesehenen fünf bis sechs Jahre als Feldprediger auf die Stelle in Etzin berufen wurde.
Eckart Elsner
Süßmilchs Zeit in Etzin

Johann Peter Süßmilch (1707–1767) hat 1741 das erste deutsche Statistikbuch geschrieben, »Die Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts ...«.1) Er ist damit und durch viele andere Arbeiten zum bedeutendsten Wegbereiter dieser Wissenschaft in Deutschland geworden. In Berlin erinnern im öffentlichen Raum zwei Tafeln aus dem einheitlichen Berliner Gedenktafelprogramm und ein Straßenname sowie im Museum einer privaten Brauerei eine Gedenktafel an sein Wirken. Auch in der »Berlinischen Monatsschrift« ist schon verschiedentlich über ihn berichtet worden (BM 3/93, 3/95), daher soll hier nur ein relativ kurzer Ausschnitt aus seinem Leben beleuchtet werden, nämlich der seiner Zeit als Pfarrer vor den Toren Berlins (Spandau) in der Gemeinde Etzin im Havelland (historisch: Ezien). Ziel ist es auch, den Boden zu bereiten für eine öffentliche Ehrung des zweifellos größten Sohnes dieser Gemeinde, die Mitte des 18. Jahrhunderts etwa 300 Einwohner zählte.
     Wie kam Süßmilch nach Etzin? Unter anderem durch Intervention der Königin. Am 6. Dezember 1740 war der Etziner Predi-

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Süßmilchs Etziner Pfarrei hatte noch ein Filial, Knoblauch.2) Etzin und Knoblauch lagen auf halber Strecke von Berlin nach Brandenburg, nordnordwestlich von Potsdam. Die ursprünglich getrennten Gemeinden waren schon im Jahr 1360 zu einer kirchlichen »Pfründe« zusammengelegt worden und hatten jede einen eigenen Kirchenbau im Ort. Der von Knoblauch existiert – wie der gesamte Ort – heute nicht mehr, wie noch berichtet werden soll.
     Die Antrittspredigt in Etzin hielt der jetzt vom Feldprediger zum Gemeindepfarrer avancierte junge Süßmilch am Sonntag, dem 13. August 1741. Für diesen Tag (11. Sonntag nach Trinitatis) hatte der König ein Dankfest zur Würdigung der Einnahme von Breslau im Ersten Schlesischen Krieg angeordnet.3) Bisher ist kein Dokument über das Thema dieser Antrittspredigt gefunden worden, es ist aber anzunehmen, daß Süßmilch, der kurz zuvor in der Schlacht von Mollwitz mit seinem Regiment selbst kurz vor Breslau gestanden hatte, damals – wie befohlen – über diesen militärischen Erfolg predigte.
     Im Kirchenbuch von Etzin ist die »Frau Süßmilchin« erstmals am 11. Januar 1742 als Patin genannt, und in den »Denkwürdigkeiten bey der Kirche in Etzin und Knoblauch«4), angefangen von Pfarrer Gerhard Arnold Sybel (1773–1814), fortgesetzt von seinem Nachfolger und Schwiegersohn Friedrich Ernst Duchstein (1784–1867), ist
Siegel der Kirche von Etzin mit dem Barockturm, der heute immer noch fehlt
nachzulesen, daß es für die Süßmilchs anfangs ein Wohnungsproblem gegeben hat. Die Witwe des Pfarrers Manitus lebte nach wie vor im Pfarrhaus, ihr stand das »Gnadenjahr« zu, das heißt, sie mußte das Pfarrhaus erst nach Ablauf einer Frist von einem Jahr nach dem Tode ihres Mannes räumen. Da Süßmilch nur relativ kurzzeitig in Etzin tätig war, ist er dort wohl nie eingezogen, zumindest hatte sich noch sein Nachfolger mit der Witwe Manitus wegen des Inventars der Pfarrwohnung auseinanderzusetzen.5)
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Im Pfarrarchiv ist auch festgehalten, daß während der Amtszeit von Süßmilch, der selbst doch Geburts- und Sterbelisten aus den entferntesten Ländern gesammelt habe, die Kirchenbücher nachlässig geführt worden seien. Dies sei allerdings auch oft Aufgabe der Küster gewesen. Die Handschrift des Eintragenden sei jedenfalls ungelenk und unkorrekt gewesen, sie lasse eine ungeübte Hand, möglicherweise die einer Frau, erkennen.6) Hier irrt das Pfarrarchiv, denn die Bücher sind zu Süßmilchs Zeit ordentlich geführt, auch die Handschrift ist weder ungelenk noch etwas unkorrekt.
     Auch Fontane irrte in seinen »Wanderungen«7), denn die Pfarrstelle von Etzin und Knoblauch war finanziell gesehen keine der schlechtesten. Sie hatte durch das Zusammenlegen der vormals getrennten Pfarren einen relativ großen Landbesitz. Süßmilchs Nachfolger wird sogar als Prediger und Landwirt bezeichnet.8) Die Pfarrer wurden damals zwar vom König generell recht kurz gehalten; es ist aber anzunehmen, daß es der Familie Süßmilch nicht gerade schlecht ging. Darauf deutet auch die Tatsache hin, daß ein Mann Süßmilchs Nachfolger wurde, der sich Verdienste erworben hatte. Davon soll noch berichtet werden.
     Auch wenn die Bevölkerung in Süßmilchs beiden Pfarrgemeinden nach damaligen Maßstäben nicht als besonders arm zu bezeichnen war, reich war sie aber auch nicht. Und sie war hohen gesundheitlichen Risiken
ausgesetzt. Durch sein breites Wissen war Süßmilch, der ja auch Medizin studiert hatte, in der Lage, den »Landmann« in vielerlei Hinsicht zu beraten. Er schrieb zum Beispiel später: »Da ich vormals als Prediger auf dem Lande gestanden, so weiß ich aus Erfahrung, wie viel daran gelegen, wenn ein verständiger Mann dem armen unwissenden Landmann zu Hülfe zu kommen weiß.« Süßmilch fuhr fort: »Es ist vergeblich, wenn man einwenden wollte, daß man den Bauer zum Arzt in die Stadt verweisen sollte. Er scheuet sich vor den Kosten, und in den mehresten Fällen ist er zu weit von einem geschickten Arzt in einer Stadt entfernt. Zu einem Apotheker in der nächsten Stadt oder zu einem Bader geht er noch wol, wo er für etliche Groschen ein Pferdemittel kaufen kann. Wem ists aber wol unbekannt, wie schlecht größtentheils die Apotheken samt den Apothekern in kleinen Städten beschaffen sind? Ich habe es in dem einen Jahre meines Aufenthalts in der Landpfarre erlebt, daß ein Bauer meiner Gemeinde nach einer gelegenen Stadt ging, und sich eine Abführung für zwey Groschen forderte und auch bekam, wodurch er sich in drey Tagen zu Tode purgiert hat. Ich erfuhr es erst nach seinem Tode, und der Mann war noch in guten Jahren. Ist das nicht ein Menschenmord?«9) Und an anderer Stelle heißt es bei ihm, was Prediger auf den Dörfern in medizinischer Hinsicht helfen könnten, »habe ich im Jahre 1741 auf dem Lande erlebt, daß die Fleck-
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   7   Probleme/Projekte/Prozesse Süßmilch in Etzin  Vorige SeiteNächste Seite
fieber durch die aus dem Lager bey Brandenburg zurückmarschiernden Armee in das Dorf R...ow10) gebracht waren. Der Prediger des Orts ... war so glücklich, daß er zwölf darnieder liegende Bauren rettete ... Bey dem Bauer kann das Gift einer ansteckenden Seuche auch darum desto leichter andern mitgetheilet werden, weil er allzu unvorsichtig ist, weil er die Gefahr nicht kennet, und weil er nur eine Stube und ein Bette hat, daher oft die Gesunden noch bey den Kranken liegen, wenn die Krankheit schon bis auf den höchsten Grad gekommen. Dieses sind alles Dinge, die in der Erfahrung beruhen, und ich glaube nicht, daß jemand dagegen werde etwas einwenden können, er müßte denn die Armen in Städten und die Beschaffenheit auf dem Lande gar nicht kennen. Aber obgleich nun viele hundert und tausend Menschen verloren gehen, die dem Staat könnten erhalten werden, so bleibt es dem ohngeachtet so, wie es war, und niemand nimmt den Schaden zu Herzen, der doch handgreiflich ist. Es bestätigt mich dieses immer in der Vermuthung, daß die wenigsten Menschen den Werth der Menschen kennen, wenn sie gleich am Ruder der Landesregierung sitzen.«11) Eine mutige Kritik an den damaligen Verhältnissen auf dem Lande und an Friedrich II.
     Wie waren die Verhältnisse in Etzin und Knoblauch? Theodor Fontane (1819–1898) hat Etzin im Band »Havelland« der »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« sehr
schön beschrieben. Er meinte, Etzin sei ein Dorf, in dem alles Wohlhabenheit verrate, aber zugleich »bescheidenen Sinn«. Die Kirche habe einen Turm mit einer schindelgedeckten Spitze. Dieser Turm ist heute nicht mehr vorhanden, russische Truppen haben ihn beim Einmarsch 1945 leider zerschossen. Der Stumpf wirkt wie ein Anbau an die Kirche, da er – nach dem Zweiten Weltkrieg – mit einem Satteldach geschlossen wurde. Fontane beschreibt das Innere der heute dringend renovierungsbedürftigen Kirche als »schlicht und einfach, wohlhabend, sauber, eine wahre Bauerndorfkirche«. Von den ehemaligen Etziner Geistlichen gab es vier Ölbildnisse, die nach Fontanes Schilderung von Brautkronen eingefaßt waren. Von Süßmilch war in Etzin kein Porträt vorhanden, er ist dafür wohl nicht lange genug dort tätig gewesen.
     Porträtiert worden war unter anderen Joachim Friedrich Seegebarth (1714–1752), dessen Leistungen Fontane ausführlich dargestellt hat, während von Süßmilch bei ihm leider nicht die Rede ist, vermutlich war Statistik für Fontane ein Buch mit sieben Siegeln, Süßmilchs Bedeutung für diese Wissenschaft ihm wohl deshalb unbekannt.
     Auch Süßmilch hat Seegebarths Leistungen aller Wahrscheinlichkeit nach hinreichend beschrieben in einer bisher nicht aufgefundenen Dankpredigt »Zur Schlacht von Chotusitz« am 17. Mai 1742, gehalten vermutlich am 27. Mai 1742, auf die er sich später
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anderweitig berief: »Ich hatte an dem Tage Sieges-Feyer, an welchem in denen Wohnungen der Gerechten und im Heiligthum des Herrn mit Freuden vom Siege gesungen wurde, die Worte Mosis aus dem 5. B. Mos. 33, 29, zum Grunde unserer Betrachtung geleget, welche also lauten: Wohl dir, Israel, wer ist dir gleich? O Volck, daß du durch den Herren selig wirst, der deiner Hülfe Schild und das Schwerdt deines Sieges ist. Deinen Feinden wirds fehlen, aber du wirst auf ihrer Höhe einher treten. Ihr werdet euch erinnern, daß ich mit der Vorstellung der Glückseligkeit und der uns von Gott durch den zweyten Sieg geschenckten Vortheile zugleich den Wunsch verknüpfet, daß dieser Sieg der letzte Sieg unseres Königes seyn möchte, nehmlich daß dieser wichtige Sieg dem Kriege möchte ein Ende machen und zu einem baldigen Frieden den Grund legen.«12)
In der Schlacht hatte sich der damalige Feldprediger Seegebarth solche Verdienste erworben, daß er nach Meinung mancher Autoren daraufhin der berühmteste Feldprediger seiner Zeit geworden ist. Seegebarth diente zu dieser Zeit im Regiment »Prinz Leopold« des Alten Dessauers, das auch an der Schlacht von Mollwitz teilgenommen hatte. Süßmilch kannte seinen damaligen Feldpredigerkollegen also wohl recht gut.
     Wie die Qualität der Pfarrstelle Etzin einzuschätzen ist, zeigt auch ein Ausschnitt
aus Seegebarths Leben: Zum Kriegshelden war dieser geworden, als bei Chotusitz einige Regimenter aus dem feindlichen Feuer zu fliehen begannen und zunächst nicht mehr zum Stehen gebracht werden konnten, obwohl Fliehende von den eigenen Offizieren befehlsgemäß in großer Zahl niedergestochen worden waren. Auch die Gegenangriffe der Kavallerie waren vergeblich geblieben. Als alles in wildem Durcheinander vom Feind durch das brennende Dorf Chotusitz getrieben wurde, war es Seegebarth mit kriegerischem Geist gelungen, »den Kampf wieder herstellend, endlich alles zu Heil und Sieg hinaus« zu führen.13) Dabei flogen ihm die Kugeln »so dick um den Kopf, als wenn man in einem Schwarm sausender Mücken stehet«. Seegebarth schrieb am 24. Mai 1742 an den Professor Johann David Michaelis (1717–1791) in Halle, mit dem auch Süßmilch, als Michaelis in Göttingen lehrte, rege korrespondierte: »Der König hat ... mich versichern lassen, ich sollte die beste Pfarrstelle in allen seinen Landen haben, wozu der Prinz (der »Alte Dessauer – E. E.) hinzugesetzt: >wenn das nicht geschähe, so wolle er mir die beste in seinem eigenen Fürstentum geben, denn ich hätte in der Bataille nicht nur wie ein Prediger, sondern auch wie ein braver Mann getan.« Drei Monate nach dieser Schlacht wurde Seegebarth Nachfolger Süßmilchs in Etzin und Knoblauch.
     Zunächst aber war Süßmilch in Etzin ja
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noch im Amt: Das dritte Kind der Süßmilchs wurde dort geboren, sieben Tage bevor die Verhandlungen in Breslau durch englische Vermittlung zu einem Ende der Kampfhandlungen führten. Im Kirchenbuch von Etzin steht unter der Rubrik Geburten die folgende Eintragung: »den 4ten Juny Nachmittags um 4 Uhr ist dem Herrn Probst Süssmilch ein Töchterlein geboren, welche den 12ten dito getaufft und genennet worden Chatarina Charlotte. Paten waren
     Frau von Bredow und Marke
     Frau Krieges Räthin Eller 14)
     Frau Lieberkühn
     Frau Krügerin aus Brandenburg
     Demois. Susmilch.«
Bei der letzteren Demoiselle dürfte es sich um Süßmilchs Schwester Dorothea gehandelt haben, die erst 1745 geheiratet hat.
     Wann und wo Süßmilch seine nächste der verbürgten Predigten, die über »Das Frolocken der Brandenburgischen Lande über dem glücklich geendigten Kriege ...« gehalten hat, ist nur durch Rückschlüsse herauszufinden. Gedruckt wurde sie 1742 in Berlin-Cölln, dem Ort seines neuen Wirkungskreises. Die Antrittspredigt dort hielt Süßmilch aber erst am 29. Juli 1742, eine ganze Zeit nach Beendigung der Kampfhandlungen also. Somit dürfte Süßmilch die obige Predigt noch in Etzin, im drei Kilometer entfernten Knoblauch oder aufeinanderfolgend an beiden Orten gehalten haben. Das Datum kann indirekt dem Anfang der Predigt ent-
Siegel der früheren Kirche von Knoblauch
nommen werden, wo es heißt: »Kaum ist ein Monath verflossen, andächtige und geliebte Zuhörer, da wir uns zur Freude über dem Siege unseres Königes miteinander hier in dieser Versammlung ermuntert haben: so giebt unser gütiger Gott anjetzo schon wieder die wichtigste Ursache zur abermahligen Freude, welche die vorige um so vielmehr übertreffen muß, je grösser das Gute ist, so er uns anjetzo verkündigen lässet.« Wenn Süßmilch die Dankpredigt über die zuvor angesprochene Schlacht von Chotusitz am 27. Mai 1742 gehalten hat, dann hat er die obige Predigt mit ziemlicher Sicherheit am
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Sonntag, dem 1. Juli 1742, gehalten. Hätte Süßmilch zu diesem Zeitpunkt schon in Berlin gelebt, wäre im Titel der Predigt sicher auch die dortige St.-Petri-Gemeinde erwähnt worden, und es hätte der »Nachricht an dem Geneigten Leser« am Schluß der Predigt nicht bedurft: »Weil der Verfasser, wegen Abwesenheit diese Bogen nicht selbst durchsehen können, so bittet er die eingeschlichenen Druckfehler, sonderlich die häufige Verwechselung des m, mit den n, und dieses mit jenem am Ende der Wörter ihm nicht beyzumessen.« In dem Fall wäre auch die Chotusitz-Dankpredigt in »dieser« (dann Berliner) Versammlung gehalten worden, was angesichts der zur damaligen Zeit noch nicht ganz abgeschlossenen Berufungsformalitäten wenig wahrscheinlich ist. Kurz danach ist die Familie Süßmilch dann aber doch nach Berlin umgezogen.
     Seegebarth kam als Nachfolger nach Etzin und Knoblauch. Den Pfarrgarten hat er in einem völlig verwilderten Zustand vorgefunden. Vermutlich lag das weniger an der Familie Süßmilch, die ihn aus den genannten Gründen wohl zu keiner Zeit bewirtschaftet hatte, als an der Witwe Manitus, die, ihren Umzug vor Augen, anderes als wichtiger erachtete.
     Der Ort Knoblauch existiert – wie schon erwähnt – heute nicht mehr; er wurde von der DDR dem Erdboden gleichgemacht, Süßmilchs Kirche ist gesprengt. Unter dem
Ort hatte die DDR ein Gaslager eingerichtet. Da dieses undicht und der Aufenthalt im darüberliegenden Dorf für die Bewohner zu gefährlich geworden war, mußte man das ganze Dorf umsiedeln. Die letzte Eintragung im Kirchenbuch von Knoblauch stammt vom Februar 1964. Der Friedhof mit seinen zerstörten, umgefallenen und verwitterten Grabsteinen ist von Brombeeren und anderem überwuchert.
     Am 11. August 1996 wurde im Rahmen eines Festgottesdienstes in der Dorfkirche von Etzin eine Gedenktafel für Süßmilch eingeweiht, womit auch an ihn als für Etzin historisch bedeutenden Kirchenvertreter erinnert wird. Der Text lautet:
     In dieser Kirche predigte
     MDCCXLI und MDCCXLII
     Als hiesiger Pfarrer
     Johann Peter Süßmilch
     MDCCVII-MDCCLXVII
     Er war der
     Vater und Wegbereiter
     der deutschen Statistik
     und Demographie.
Nach dem Gottesdienst spendierte die aus Süßmilchs Krug am Müggelsee hervorgegangene »Familienbrauerei im Grünen zu Friedrichshagen« jedem einen Geschenkkarton mit Bier des Berliner Bürgerbräu und Informationen zu ihrer Geschichte, vom Heimatverein gab es Kaffee, von der Kirche den Kuchen.
     Was jetzt Etzin noch fehlt, ist ein geeig-
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   11   Probleme/Projekte/Prozesse Süßmilch in Etzin  Vorige SeiteAnfang
neter öffentlicher Hinweis auf Süßmilch, eine nach ihm benannte Straße oder öffentliche Einrichtung, ein Denkmal oder eine schlichte Erinnerungstafel im öffentlichen Raum. Das Amt Ketzin, der Bürgermeister von Etzin, Gemeinderat und Heimatverein sind zur Zeit wohl noch am Grübeln, wie dem am besten entsprochen werden kann.

Hinweis der Redaktion: Die Gedenktafel in der Etziner Dorfkirche wurde vom Autor gespendet.

Quellen und Anmerkungen:
1     Johann Peter Süßmilch: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts ..., Berlin 1741
2     Manchmal Knobloch. Aus der dortigen Kirche war zur Zeit des Baus der Spandauer Zitadelle von einem wandernden Kesselflicker eine Monstranz gestohlen worden (1510). In der Folge dieser Tat kamen die vielen jüdischen Grabsteine ins Fundament der Zitadelle, und es wurden in Berlin 38 Juden zusammen mit einem Christen verbrannt sowie zwei weitere (getaufte) Juden mit dem Schwert gerichtet.
3     F. Holtze (ed.): Chronistische Aufzeichnungen eines Berliners von 1704 bis 1758, In »Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins«, Berlin 1899, S. 69
4     J. Stapenbeck: Brief an den Konsistorialrat Paul Troschke vom 25. April 1954, Heimatarchiv Zehlendorf
5     Damals war es durchaus üblich, daß der Nachfolger auch die Möbel und das sonstige Inventar

der Pfarrei übernahm und dafür der Witwe seines Vorgängers einen angemessenen Preis bezahlte. Es ist aber oft zu gerichtlichen Auseinandersetzungen darüber gekommen, was als angemessen zu betrachten sei.
6     Stapenbeck, a. a. O.
7     Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Teil 3, 9. u. 10. Auflage, Stuttgart und Berlin 1907, S. 359–369
8     J. F. Seegebarth: Das Tagebuch des Feldpredigers J. F. Seegebarth und sein Brief an J. D. Michaelis, ein Beitrag zur Geschichte des Schlesischen Krieges, hrsg. von Dr. K. R. Fickert, Breslau 1849, S. 32
9     Johann Peter Süßmilch: Die göttliche Ordnung ..., Auflage von 1761, Teil 1, S. 459
10     Vermutlich der Nachbarort von Etzin, das Dorf Roskow
11     Johann Peter Süßmilch: Die göttliche Ordnung ..., Teil 2, S. 522
12     Johann Peter Süßmilch: Das Frolocken der Brandenburgischen Lande über dem glücklich geendigten Kriege, Dankpredigt, Berlin 1742, S. 4
13     J. F. Seegebarth, a. a. O.
14     Johann Theodor Eller (1689–1760) war Dr. med., ab 1724 Professor am Collegium medicochirurgicum, Dekan des Obercollegium medicum, 1727 Direktor der damals neu gegründeten Charité (Krankenhaus) in Berlin unter Süßmilchs späterem Regimentschef von Kalckstein, 1735 Leibarzt und Generalstabsmedicus der Armee, im gleichen Jahr Direktor der physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften in Berlin, der er seit 1725 angehörte. Eller saß dann mit Süßmilch zusammen im Armendirektorium.
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