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Hans Aschenbrenner
Zeichner und Maler des Berliner Volkslebens

Theodor Hosemann (1807–1875)

Unter den Berliner Zeichnern und Malern des 19. Jahrhunderts erfreute sich kaum einer so großer Beliebtheit wie Theodor Hosemann, einer der interessantesten Künstler seiner Zeit. Das vormärzliche Berlin hat in ihm, so kann in einem Gedenkartikel in den »Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins« vom September 1897 nachgelesen werden, »seinen getreuesten Chronisten und Schilderer gefunden; und hätte er nicht mehr geschaffen als seine Bilder aus dem Berliner Volksleben, sein Andenken könnte nicht verlöschen, und jeder, der die Geschichte unserer Stadt in jenen Zeiten recht verstehen will, muß auch die Schilderungen Hosemanns zur Hand nehmen – die beste Bilderchronik jener Jahre!«. Nicht nur der Zeichenstift, auch Pinsel und Palette waren ihm vertraut. Für die Malerei fand er allerdings wesentlich weniger Zeit. Dem Karikaturisten und Zeichner, dem Maler und Buchillustrator

Theodor Hosemann (Selbstbildnis, um 1855)
verdanken wir an die 5 000 bis 6 000 graphische Arbeiten, etwa 500 Ölgemälde, zahlreiche Aquarelle und unendlich viele Handzeichnungen.
     Nicht mit Spreewasser getauft, hat er dennoch fast ein halbes Jahrhundert in Berlin gelebt und gewirkt. Seine Wiege stand im Märkischen. Im Kirchenbuch der reformierten Johanniskirche in der Altstadt von Brandenburg erfolgte vor nunmehr 190 Jahren
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die Eintragung: »Friedrich Wilhelm Heinrich Theodor Hosemann, geboren den 24. September 1807; getauft den 31. Oktober desselben Jahres.« Der Vater, Wilhelm Albrecht Hosemann, diente als »Lieutnant« im Regiment Puttkamer, das zu jener Zeit in der Havelstadt stationiert war; er entstammte einer Pastorenfamilie aus der rebenreichen Pfalz in Neustadt an der Hart. Die Mutter, Christiane Charlotte, war Märkerin, Tochter des Bürgermeisters und Justizdirektors Stenge von Nauen bei Spandau. Des Vaters Sold als preußischer Offizier war kärglich, um die Frau, den Jungen und zwei zuvor geborene Töchter konnte er sich, kriegs- und militärbedingt, kaum kümmern. Auf den Schultern der Mutter lag die Last, für die Familie zu sorgen, die zu einem ständigen Wanderleben gezwungen war, wobei sie bei Verwandten bald hier, bald dort Unterkunft fanden.
     Den beschwerlichen, widrigen Lebensumständen war es geschuldet, daß Sohn Theodor bereits sehr früh Geld verdienen mußte. Mit 12 Jahren trat er als Lehrling in die lithographische Anstalt von »Arnz & Winckelmann« in Düsseldorf ein. Das Zeichnen war ihm in die Wiege gelegt worden, und stets hat er Trost und seinem heiteren Gemüt entsprechende Ablenkung von alltäglichen Sorgen bei seinen Farben und einem Stückchen Papier gefunden. Nun aber konnte er auch durch das Kolorieren von Bilderbögen einige Groschen Geld zum Familienunterhalt beisteuern. Die rastlose
Tätigkeit, die sein ganzes späteres Leben kennzeichnete, zeigte sich schon in seiner frühesten Jugend. Alsbald wurde aber auch das Talent des Knaben offenbar. 1822, knapp 15jährig, nicht lange nach dem Tod der Mutter, erhielt er eine Anstellung bei »Arnz & Winckelmann« als Zeichner mit festem Gehalt von 200 Talern jährlich, was in etwa dem Jahressold des Vaters entsprach. Nebenbei besuchte er die damals gerade gegründete Düsseldorfer Kunstakademie, der Peter Cornelius (1783–1807) und später Wilhelm Schadow (1788–1862) vorstanden. Seine Lehrer waren Cornelius, der dem jungen Hosemann 1822 in einem Zeugnis eine künstlerische Begabung bescheinigte, und Adolf Schrödter. 1828 beschloß der Teilhaber Johann Christian Winckelmann, sich selbständig zu machen und in Berlin eine eigene lithographische Anstalt, den später sehr bekannt gewordenen Verlag »Winckelmann & Söhne«, zu gründen.
     In diesem Schlepptau kam Theodor Hosemann nach Berlin, das damals knapp 250 000 Einwohner zählte, immerhin Residenz des Königs, Sitz der obersten Behörden Preußens war und nach den Befreiungskriegen geradezu magisch bedeutende Köpfe aus Wissenschaft (an die neugegründete Universität), aus Kunst und Theater anzog. So sehr sich die spätere Entwicklung zur Weltstadt bereits andeutete, so viel Kleinliches, für ihre »Herkunft« Typisches sollte sich in ihr
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Titelkupfer von Theodor Hosemann aus der Heftreihe von Adolf Glaßbrenner
noch lange erhalten. Gerade dieses Milieu, diese Mentalität faszinierte den jungen Hosemann, und nie wieder sollte er davon loskommen. So begann sein Weg zum geist-, gemüt- und humorvollen Darsteller Alt-Berliner Lebens. 400 Taler Jahresgehalt war »Winckelmann & Söhne« sein nunmehriges Mitwirken als erster Zeichner wert. Gemeinsam entwickelte man die Jugendschriften- Illustration. Über 100 Kinder- und Jugendbücher hat Hosemann mit kolorierten Feder- oder Krei-
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dezeichnungen illustriert. »Das allergrößte Bilder-ABC« aus dem Jahre 1828 war sein erstes größeres Werk für »Winckelmann & Söhne«, danach »Das Berliner ABC«, Schriften von Dielitz und Nieritz und vieles mehr.
     Weiter für »seinen« Verlag tätig, hat er alsbald auch für andere Auftraggeber gearbeitet, darunter den Kunstverlag Gropius. Hier zeichnete er nach dem Ausscheiden von Franz Burchard Doerbeck (1799–1835) auf Wunsch zunächst sogar in dessen Stil weiter. Mit dem nur um wenige Jahre jüngeren Adolph Menzel (1815–1905), der ebenfalls von der Lithographie her kam, gestaltete er 1834 zum Beispiel Erinnerungskarten für die Feste des »Vereins Berliner Künstler«; beide gehörten neben anderen bekannten Schriftstellern und Künstlern dem Berliner Sonntagsverein »Der Tunnel über der Spree« an. Durch Eduard Meyerheim (1808–1897) angeregt, hatte er sich mit Erfolg auch der Ölmalerei zugewandt. Jahre später fand er dann Zugang zu allerhöchsten Kreisen – als Zeichenlehrer der Kinder des Grafen Carl Brühl, Generalintendant der Königlichen Schauspiele, nachdem dieser im Hause von Winckelmann die Arbeiten Hosemanns kennen und schätzen gelernt hatte. Der Großherzogin von Mecklenburg- Schwerin gab er Anfang der 50er Jahre Unterricht in Zeichnen und Aquarellmalen; Prinz Georg von Preußen gehörte zu seinen Schülern und Gönnern. In den Kreisen des Adels und des höhergestellten
Bürgertums hat er später auch die besten Käufer seiner Bilder gefunden. Und trotzdem hatte er die Welt des Kleinbürgertums und den Alltag der Berliner nie aus den Augen verloren.
     Ganz besonders inspirierte ihn sein Freund Adolf Glaßbrenner (1810–1876), der Anfang der 30er Jahre in Theodor Hosemann den kongenialen, einfühlsamen Illustrator unter anderem für seine unter dem Pseudonym »Brennglas« herausgegebenen Hefte »Berlin wie es ist und – trinkt« fand. Viele der mit der Feder auf Stein gezeichneten und leicht kolorierten Bildchen schmückten die Skizzen des engagierten Publizisten – das erste Heft kam 1832 heraus; bis 1850 erschienen in unregelmäßigen Abständen insgesamt 30 dieser Heftchen; einige von ihnen erlebten zahlreiche Auflagen. Mit ihnen wurden die untersten Bevölkerungsschichten und der Berliner Dialekt in die Literatur eingeführt. Von Hosemanns Hand stammten dabei auch etliche der handkolorierten Titelbilder, so der »Guckkästner« (1834). Etwa 20 Jahre währte die unmittelbare, überaus fruchtbare Zusammenarbeit des für spitze und scharfe Formulierungen bekannten Satirikers – einer seiner Wahlsprüche lautete: »Der Ernst ist Partei, der Humor steht über den Parteien« – und des, seinem Naturell entsprechend zurückhaltenderen, mit zunehmendem Alter noch konzilianteren Zeichners, der aber, wenn er es für angebracht
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hielt, durchaus auch kritisch und bissig sein konnte. Hosemann- Zeichnungen fanden in jener Zeit Eingang auch in Glaßbrenners Hefte »Buntes Berlin« (insgesamt 13), in den »Komischen Volkskalender« und den »Jahreskalender«; er illustrierte 1848 dessen »Freie Blätter«.
     Natürlich ist längst nicht alles, was er in jenen Jahren zu Papier brachte, aus der unmittelbaren Zusammenarbeit mit Glaßbrenner entstanden. So erschienen von Hosemann »Scenen aus den Märztagen in Berlin« in den »Düsseldorfer Monatsheften«. Er arbeitete auch für die Berliner Zeitschrift »Charivari«. Und er gehörte zum sogenannten »Kladderadatsch«- Kreis, traf sich mit seinen Freunden, zuvorderst dem Berliner Possendichter David Kalisch (1820–1872) und dem Zeichner Wilhelm Scholz (1824–1872) am Stammtisch, wobei er selbst überraschenderweise in dem Berliner Satire- und Witzblatt, dessen erste Nummer am 7. Mai 1848 erschien, nicht in Erscheinung trat.
     Beständig war über die Jahre hinweg Hosemanns Ruf als Illustrator gewachsen. Viele Aufträge hatten ihn inzwischen erreicht: für Kalender, Märchen, Rittergeschichten, Volkslieder, Alben, Fest-, Speise- und Tischkarten, die bei keiner Veranstaltung Berliner Vereine fehlen durften und deren Deutung großes Vergnügen bereitete. Ferner hat er Visitenkarten, Neujahrsglückwünsche und die verschiedensten scherz-
haften Blättchen in zahlloser Menge bis an sein Lebensende illustriert bzw. gestaltet. Richtige Berliner Typen waren seine »Sonntagsreiter«, »Sandbuben«, »Eckensteher«, die »Putzmacherin«, »Hökerin«, »Pflaumenverkäuferin«, die »Biertrinker«, »Weinkoster«, »Kegler«, »Gänsemädchen«, »Droschkenkutscher«, »Stiefelputzer«, »herumziehenden Musikanten«, »Zensoren«, »Bankiers«, »Zeitungsleser«, »Bürger- Gardisten«, die »Rehberger« vom Mai 1848 oder die beim Stralauer Fischzug ausgelassen Feiernden und viele Figuren mehr. Nicht zuletzt schmückten schöne Zeichnungen von ihm vor allem in den 40er und 50er Jahren Werke der Literatur wie die deutsche Übersetzung des Schauerromans »Die Geheimnisse von Paris« von Eugène Sue, die abenteuerlichen Geschichten des Barons von Münchhausen, Immermanns »Tulifäntchen«, »Peter Schlehmils Heimkehr« von Friedrich Förster, Erzählungen und Phantasiestücke von E. T. A. Hoffmann, Andersens Märchen, um nur einige der wichtigsten zu nennen. Theater und Ballett interessierten ihn lebhaft. Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter auch den vielseitig begabten Komiker, Hofschauspieler und Schriftsteller Louis Schneider (1805–1878), hat er in verschiedenen Rollen und Kostümen dargestellt; er entwarf Figurinen, ersann Bühnenbilder und Dekorationen. Hosemann wurde so populär, daß er bald für die Berliner der Zeichner schlechthin war. Liebevoll
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skandierten sie: »Was man nicht deklinieren kann, ist meistens immer Hosemann.«
     Beruflich ist es somit in der langen Berliner Zeit immer besser gelaufen. Das Leben wurde wesentlich sorgenfreier, auch wenn ihm so manche schmerzliche Stunden nicht erspart blieben. 1849 starb seine Frau Henriette Wilhelmine, ein Jahr darauf heiratete er Bertha Heimbs. Eine junge Frau aus einer wohlhabenden Familie. Aus jeder der beiden Ehen entstammten drei Kinder, von denen jedoch nur ein Sohn das Erwachsenenalter erreichen und ihn überleben sollte.
     1857 wurde Theodor Hosemann zum Professor ernannt und drei Jahre später zum
Mitglied der Berliner Akademie der Künste berufen. Gleichzeitig fungierte er auch als Lehrer an der königlichen Kunstschule. Wer zu ihm in den Unterricht kam, schwärmte in der Regel für den ruhigen, ausgeglichenen, auch auf die Eigenheiten der Lernenden eingehenden Lehrer. Der junge Heinrich Zille (1858–1929) wurde sein berühmtester Schüler. In einem Brief von Anfang Dezember 1903 an den Berliner Schriftsteller Georg Hermann (1871–1943) hat Zille später einmal seine Freude über dessen ihm zu Gesicht gekommene Artikel zu Hosemann und Glaßbrenner ausgedrückt. Herzliche Verehrung für Theodor Hosemann verraten seine in diesem Brief enthaltenen Äußerungen: »Bin
Theodor Hosemann bestätigte 1874 seinem Abendschüler Heinrich Zille die Teilnahme am Unterricht.
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selber bei Hosemann etwas in die Schule gegangen, habe den alten Herrn gut gekannt, es ist mir oft vergönnt gewesen, seine Zeichnungen zu sehen, die alle peinlich nach Rang und Ordnung in einem großen Schrank lagen ... Sehr gefreut hat es mich, daß Sie den lieben alten Herrn aus der Vergessenheit gerissen, daß Sie mich aber mit zu seinen Nachfolgern rechnen, ist gewagt, denn wir Neueren reichen ihm nicht das Wasser.« Zille hat noch des öfteren, so auch in einem Lebenslauf 1924 für die Akademie der Künste nach seiner Aufnahme, beschrieben, wie er »die Woche zweimal abends in den Unterricht zum alten guten Professor Hosemann in die Kunstschule« ging, »die damals in der Akademie war«, und wie dieser ihn im Atelier in seiner Wohnung, Louisenstraße, dicht am Neuen Tor, gern seine Skizzen und Zeichnungen ansehen, die Blätter mit nach Hause nehmen und auch abmalen ließ, bald aber sagte: »Gehen Sie lieber auf die Straße 'raus, ins Freie, beobachten Sie selbst, das ist besser als nachmachen. Was Sie auch werden – im Leben können Sie es immer gebrauchen; ohne zeichnen zu können, sollte kein denkender Mensch sein!«
     Theodor Hosemann ist am 15. Oktober 1875 gestorben. In seinen letzten Jahren genoß er neben fortgesetzter unermüdlicher Arbeit die Freuden häuslichen Glücks mit Frau und Sohn. Und gewiß hätte er mit Schmunzeln wahrgenommen, wie sehr ein Zille den ihm erteilten Rat, zumal dessen ur-
eigensten Intentionen absolut entsprechend, später in die Tat umgesetzt hat. Hosemann selbst konnte und wollte sich, darob mitunter von einigen Zeitgenossen zuletzt auch etwas belächelt, mit dem sich inzwischen rasant entwickelnden Metropolen- Moloch kaum mehr anfreunden. Er blieb in den letzten Lebensjahren derjenige, der er stets gewesen ist – ein Humorist des vorherigen Berlins und Verherrlicher der Mark. Sein Grab befindet sich in Berlin-Mitte, auf dem Friedhof der Sophiengemeinde in der Bergstraße. Seinen Namen trägt seit 1910 eine Straße im Nordosten Berlins, im Stadtbezirk Prenzlauer Berg.

Bildquellen:
Stadtmuseum Berlin; Archiv Autor

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