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Bernhard Meyer
24. September 1907:
Gründung der Robert-Koch- Stiftung

Die Berliner Tageszeitungen und durchweg alle medizinischen Fachzeitschriften veröffentlichten am 25. September 1907 den »Aufruf für die Begründung einer Robert-Koch- Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose«. Dieser Aufruf war am Vortag bekanntgegeben worden und gilt als offizielles Gründungsdatum der Stiftung. Eine 112 Namen umfassende Liste der Komiteegründer und Förderer war dem Aufruf beigefügt. Formeller Anlaß war Entdeckung des Verursachers der Tuberkulose vor 25 Jahren, um dem »Meister der Bakteriologie ein dauerndes Zeichen der Anerkennung« bereits zu Lebzeiten zu setzen. Der Zeitpunkt erschien den Initiatoren auch deshalb besonders günstig, weil am 23. September der Internationale Hygienekongreß in Anwesenheit »Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen« in Berlin eröffnet wurde. Beunruhigend für die etablierte Öffentlichkeit war die im Aufruf genannte, noch immer hohe Tuberkulose- Sterberate von 122 000 Menschen (1905). Durch die Gründung einer im gesamten Deutschen Reich agierenden Stiftung mit namhaften

Persönlichkeiten sollte erneut ein unüberhörbares Zeichen zum konzentrierten, ernsthaften Vorgehen gesetzt werden. So wurde das Anliegen knapp mit der Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zur weiteren Aufdeckung der Geheimnisse dieser Krankheit und deren praktische Umsetzung umrissen. Der Aufruf wandte sich an jedermann mit dem Appell, Geld für diese Unternehmung zu spenden. Die Namen der Spender sollten in die Stiftungsurkunde aufgenommen werden. Wer einen Obolus von mehr als 10 000 Mark beisteuerte, galt als »Donateur der Stiftung«. Vorgesehen wurde u. a. die Vergabe von Stipendien mit dem Namen der Donateure (Förderer).
     Den Aufruf zieren 35 Namen als Erstunterzeichner und weitere 77 Persönlichkeiten, die ihren Beitritt zur Stiftung bereits vollzogen hatten. Insgesamt finden sich 112 honorige Namen, die dem Aufruf ein bedeutendes Gewicht verliehen. Die Namensliste vereint Staatsminister und Oberbürgermeister, Leibärzte und Militärärzte, Bankiers und Großindustrielle, Nobelpreisträger und Ordinarien mit dem Ziel, einen Großangriff auf die Tuberkulose zu starten. Als Vorsitzender fungierte Dr. Konrad von Studt (1838–1921), seit 1899 Preußischer Kultusminister, als stellvertretender Vorsitzender der Wirkliche Geheime Rat Prof. Friedrich Althoff (1839–1908) und als Schriftführer Julius Schwalbe (1863–1930), Herausgeber der Deutschen Medizinischen Wochenschrift.
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Zu den Förderern der Stiftung gehörten u. a. Ernst Bumm, Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamtes Berlin; Graf Henckel Fürst von Donnersmarck; Paul Ehrlich, der spätere Nobelpreisträger und Entdecker des Heilmittels Salvarsan, Martin Kirschner, Oberbürgermeister von Berlin, Ernst von Leyden, Ordinarius für Innere Medizin der Charité; Emil Behring, Nobelpreisträger 1901 und Begründer der Serumtherapie; Karl Haniel, Großindustrieller aus Düsseldorf; Rudolph Mosse, Verlagsbuchhändler in Berlin; Dr. J. Nietner, Generalsektretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK); Fritz Stinnes, Reeder und Fabrikbesitzer aus Mülheim an der Ruhr, und August von Wassermann, Entdecker der nach ihm benannten Reaktion zur Früherkennung der Syphilis.
     Der Name Robert Koch (1843–1910) hingegen fehlt auf der Unterzeichnerliste. Dieser befand sich seit Mai 1906 auf einer Expedition in Ostafrika zur Aufklärung der Schlafkrankheit und kehrte »wohlbehalten«, wie die zeitgenössische Presse beruhigend berichtete, erst am 11. November 1907 nach Berlin zurück. Als Anerkennung für seine erneut erfolgreichen Forschungen erhielt er den Titel »Wirklicher Geheimer Rat« mit dem Prädikat »Exzellenz«.
     Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Tuberkulose noch immer eine verbreitete Volkskrankheit, obwohl sie im letz-
ten Jahrzehnt eine leicht rückläufige Tendenz aufwies. Unter den Todesursachen rangierte sie im Deutschen Reich an der Spitze. Der sozialdemokratische Arzt Dr. Max Bylo konstatierte kurz vor der Jahrhundertwende in der »Neuen Zeit«: »Einmal eingeschleppt, durch ungünstige soziale Verhältnisse gesteigert, ist sie die mörderischste Kulturkrankheit unseres Jahrhunderts geworden.« Und sie verlor diesen Charakter vorerst nicht. Daran hatte auch die Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Robert Koch 1882 nichts geändert: Die Diagnoseverfahren waren unsicher und mit hohen Fehlerquoten behaftet, ein heilendes Medikament existierte ebensowenig wie eine vorbeugende Impfung. Selbst das 1890 mit großen Erwartungen von Koch entwickelte und von der Pharmaindustrie propagierte Tuberkulin erwies sich letztlich als unwirksam.
     Auf 100 000 Einwohner kamen 192,1 Tuberkulose- Gestorbene (1904) in Deutschland. In Berlin starben von 100 000 Einwohnern 310 Männer und 200 Frauen (1900) an Tuberkulose. Von je 1 000 ausgezahlten Renten entfielen 264 auf Tuberkulosekranke (1898). Erstmalig 1902 wurde auf Drängen der SPD der bescheidene Betrag von 150 000 Mark für Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in das Reichsbudget aufgenommen. Die Sozialversicherung und noch mehr die in vielfältiger Form agierende Wohltätigkeit mußten die Behandlung und Betreuung der Tuberkulosekranken finanzieren.
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Ein Aufschwung der Tuberkulosebewegung war demnach angezeigt, denn die therapeutischen Möglichkeiten erschöpften sich bislang auch international nur in Appellen zur besonderen Hygiene und reichlicher Ernährung. Allerorts propagierte man die »Pasteurisierung« der Milch. Erkrankte sollten sich in die Obhut einer Tbc-Fürsorgestelle begeben sowie eine Liegekur in einer Lungenheilstätte anstreben. Aber auch der »Heilstättenrausch«, übrigens von Koch nicht als sonderlich nützlich angesehen, erbrachte den anfänglich erhofften Durchbruch zur Eindämmung nicht. In der wald- und seenreichen Umgebung Berlins boten Kommunen, Krankenkassen, Wohltätigkeitsvereine und Private in Heilstätten gegen Bezahlung Ruhe, Diät und frische Luft. Für sozial Bedürftige übernahm die Krankenkasse die Kosten, fast alle Heilstätten boten als Ausdruck ihres caritativen Denkens einige Freistellen an, für die Anträge zu stellen waren.
     Die erste Heilstätte in Görbersdorf/ Riesengebirge hatte 1856 der Arzt Hermann Brehmer (1826–1889) ins Leben gerufen, der die bis dahin als unheilbar geltende Tuberkulose erstmals als heilbar erklärte. 50 Jahre später existierten Lungenheilstätten für Tuberkulosekranke aller Klassen und Schichten, von der Luxusklinik in Davos (Thomas Manns »Der Zauberberg«) bis zu den vom Magistrat getragenen Volksheilstätten (»Hustenburgen«) direkt im Stadtge-
biet. Gutgläubige vertrauten den im Handel befindlichen Tuberkulinen, Vakzinen oder Tuberkulosesera, von denen der »Tuberkulose- Kalender« von 1911 immerhin 40 verschiedene Sorten (»Vakuum- Tuberkulin«, »Perlsucht- Original- Alttuberkulin«, »Trocken- Tuberkulin«, »Tuberkelbazillen- Emulsion«, »Tuberal«, »Tuberkol« usw.) anpries.
     Durch die Stiftung konnten trotz erheblicher Bemühungen keine nennenswerten wissenschaftlichen Fortschritte erreicht werden. Der entscheidende Durchbruch zur erfolgreichen Tuberkuloseprophylaxe gelang den Franzosen Albert Calmette (1863–1933) und Camille Guérin (1872–1961) erst 1924 durch die BCG-Impfung (Bacille Calmette Guérin), während die Entwicklung des Streptomycins durch den US-Amerikaner Selman Abraham Waksman (1888–1973) 1943/44 zum ersten wirksamen Medikament avancierte. Nicht mehr in Europa, aber anderswo in der Welt ist die Tuberkulose noch heute die am häufigsten zum Tode führende Infektionskrankheit.
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