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Horst Wagner
14. September 1897:
Neue »Elektrische« geht auf Fahrt

»Ungeheures Aufsehen« – so das »Berliner Tageblatt« in seinem Bericht – habe die am 14. September 1897 erfolgte Probefahrt eines neuen Typs der elektrischen Straßenbahn bei den schaulustigen Berlinern erregt. Die »Vossische Zeitung« stellte die »Gegenwart der Direktion und des Aufsichtsrathes der Großen Berliner Pferdebahn-AG sowie einiger Herren der Union- Elektrizitätsgesellschaft« an die Spitze ihrer Meldung von der Probefahrt, die »vom Depot Nürnberger Straße nach dem Halleschen Tor, von da nach der Manteuffelstraße und zurück zum Zoologischen Garten« führte.
     Die neue »Elektrische«, die bereits wenige Tage später, ab 20. September, regulär auf der Linie Zoologischer Garten–Schlesisches Tor verkehrte, war nach dem sogenannten gemischten System eingerichtet: Sie verfügte sowohl über einen stangenförmigen Stromabnehmer als auch über eine Akkumulatoren- Batterie, wobei ersterer vorwiegend zum Aufladen der Batterie gedacht war. Die Batterie war eine Neukonstruktion, welche »die großen vierachsigen Wagen von 12,5

Tonnen Gewicht mit Leichtigkeit in Bewegung setzt und mit einer Ladung für eine Fahrt von 15–20 km ausreicht«. Mit ihren 1 200 Kilogramm war sie weniger als halb so schwer wie die bisher verwendeten Batterien. Während die »Tante Voss« vor allem die von der Union- Elektrizitätsgesellschaft und der Gielschen Akkumulatoren- Fabrik gelieferte technische Ausrüstung beschrieb, hob das »Tageblatt« die »elegante Bauweise« des neuen Straßenbahnwagens hervor, der über 28 »Polstersitzplätze mit Plüschbezügen«, zehn »mächtige Spiegelscheiben« und fünf elektrische Lampen verfügte. Erstmals verwendete Drehgestelle bewirkten, »daß der sieben Meter lange Wagenkasten sich auf der vorderen und hinteren Achse drehen« und »die Radstellung sich bei Durchfahren der Kurven der Gleisanlage anpassen« kann, »so daß die durch starke Federn abgemilderten Stöße und Schwankungen kaum wahrnehmbar sind«.
     Der neue Wagentyp wurde von seinen Betreibern als »Jubiläumswagen« bezeichnet und erhielt die Seriennummer 1 000, was offenbar auf eine langjährige Tradition verweisen sollte. Bekanntlich gab es in Berlin die erste Pferdebahn Deutschlands und die erste elektrische Straßenbahn der Welt. Am 22. Juni 1865 hatte die Berliner Pferde- Eisenbahn- Gesellschaft E. Beesckow ihren Betrieb auf der Linie Brandenburger Tor–Charlottenburg eröffnet. 1871 wurde dann die Große Berliner Pferde- Eisenbahn
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Jubiläumswagen Nr. 1 000 aus dem Jahre 1897


als Aktiengesellschaft gegründet, die, wie der Feuilletonist Robert Springer in seinem Buch »Berlin – Die deutsche Kaiserstadt« vermerkt, im Frühjahr 1876 über 160 Wagen, 760 Pferde, 657 Beamte und ein Liniennetz von 74 Kilometern verfügte. Nachdem Werner Siemens auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 die erste elektrische Lokomotive vorgestellt hatte, ging seine Firma an den Bau einer elektrischen Straßenbahn, die am 16. Mai 1881 auf der 2,45 Kilometer langen Strecke vom Bahnhof Lichterfelde zur dortigen Kadettenanstalt den Betrieb aufnahm. Sie bezog ihren Strom ausschließlich aus den Schienen. Obwohl nur eine Spannung von 180 Volt verwendet wurde, war das wegen der damit verbundenen Gefahren

natürlich nicht problemlos. 1882 machten batteriegetriebene Droschken auf dem Kurfürstendamm Probefahrten. Im gleichen Jahr wurde von der Firma Siemens ein elektrischer Probebetrieb mit zwei umgebauten Pferdebahnwagen und einer doppelpoligen Oberleitung aufgenommen, wozu ein besonderer, nachgezogener »Kontaktwagen« nötig war. Fünfzehn Jahre später dann also der vierachsige elektrische »Jubiläumswagen 1 000«. Auch er wurde von der Großen Berliner Pferdebahn-AG betrieben, die ein Jahr später ihren Namen in »Große Berliner Straßenbahn« aktualisierte und 1902 die Elektrifizierung ihrer Linien vollendete.

Bildquelle: Archiv Autor

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