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archiv gelangte der Schriftensatz, sondern nach Berlin, wo Bonhoeffer seine wichtigste und schlimmste Zeit erlebte, wo er, der konsequente Nazigegner, auch in den eigenen Reihen der Bekennenden Kirche isoliert war und wegen seiner konsequenten Haltung sogar des Sektierertums verdächtigt wurde.
     Bonhoeffers heute hochbetagter Studienfreund Eberhard Bethge und seine Frau Renate, eine Nichte des Theologen, trennten sich von den originalen Handschriften, Kopien und rund 1 000 Büchern aus Bonhoeffers Bibliothek, versehen mit Randbemerkungen, wohl wissend, daß sie an der Spree gut aufgehoben und allgemein zugänglich sind. Die Staatsbibliothek sei bemüht, den Schatz um weitere Dokumente zu ergänzen, versicherte Bibliotheksdirektor Antonius Jammers. Mit der Übernahme des Nachlasses werde die Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek ein weiteres Mal Ziel von Forschern aus aller Welt. Der Bischof der evangelischen Landeskirche in Berlin- Brandenburg, Wolfgang Huber, betont, Bonhoeffers Erbe gehöre der ökumenischen Christenheit, aber es sei gut zu wissen, daß Berlin zum Aufbewahrungsort wurde. Er hoffe, daß das zum Teil auf Grund der Zeitumstände nur fragmentarisch überlieferte Erbe des bereits 1940 mit Rede und Schreibverbot belegten und im April 1943 verhafteten Pfarrers durch neue Funde ergänzt wird.
Horst Koch
Bonhoeffers Nachlaß in der Staatsbibliothek

»Hitler ist der Antichrist. Wir müssen daher weitergehen mit unserer Arbeit und ihn ausmerzen, einerlei, ob er erfolgreich ist oder nicht.« Dem evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer war es nicht vergönnt, die ersehnte Befreiung zu erleben. Kurz vor Kriegsende wurde der 39jährige im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet. Wie durch ein Wunder konnte ein großer Teil seiner Schriften, versteckt von Freunden, Familienangehörigen und Gemeindemitgliedern, dem Zugriff der Gestapo entzogen werden. Die Briefe, Predigten, Studien, Notizen, Aphorismen und Kassiber, die Gedichte und Meditationen, von Bonhoeffers Freund Eberhard Bethge gesammelt und für zahlreiche biographische Beiträge und die 16bändige Bonhoeffer- Edition aufbereitet, gelangte unlängst in den Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin–Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Vergeblich hatten sich andere Sammlungen um das aus 1 000 Seiten – vom Wunschzettel des Knaben zum Weihnachtsfest über die Dissertationsschrift bis zu Aufzeichnungen in der Gestapohaft – bestehende Gut bemüht. Doch nicht nach Koblenz ins Bundes-

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Auf den kompromißlosen Kampf gegen jede Form von Unbarmherzigkeit und Diktatur verwies der Wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach. Der Erwerb der »sperrigen Schriften« zeige, daß sich in Berlin, entgegen vielfacher Klagen über Stillstand und Kulturverfall, doch manches bewegt. Die von dem Gestapohäftling Dietrich Bonhoeffer als schmerzlich empfundene Isolation und »Schwebelage« sei letztlich eine »Tür in eine neue, offene Welt« gewesen. Alles Irdische sei nur vorläufig, habe Bonhoeffer in tiefster Angst erkannt. Nur durch die Kraft des Evangeliums sei er in der Lage gewesen, mit Einsamkeit, Furcht und Verzweiflung fertigzuwerden und diese bewunderungswürdige Haltung auch auf Mithäftlinge zu übertragen. Die Übernahme des Nachlasses in Berlin sei eine Art Wiedergutmachung an einem Ausgestoßenen und Entehrten, so Steinbach, der als »Kopf einer Restgruppe in der Bekennenden Kirche« sich auf keine Zugeständnisse an die Adresse des Antichristen und seine Helfer einließ und für seine Überzeugung einen hohen Preis zahlen mußte.
     Mit einem Seufzer der Erleichterung erklärte der heute 84jährige Bonhoeffer- Biograph Eberhard Bethge, ihm und seiner Frau sei die Entscheidung leicht gefallen, die Schriften in den aus vielen Nachlässen bestehenden Handschriftenfundus der Staatsbibliothek einzugliedern. Seine immerwährende Sorge um den bei ihm zu
Hause bewahrten, glücklicherweise niemals gefährdeten Bestand habe nun ein Ende. Einen Brief hat Bethge behalten. Die Staatsbibliothek muß sich mit einer Kopie zufriedengeben. Der in Tegel einsitzende Freund hatte ihn am Tag nach dem mißglückten Attentat auf Hitler geschrieben. »Dankbar und friedlich« gedenkt Bonhoeffer an Vergangenes und Gegenwärtiges und spielt damit auf den Putsch an, nach dessen Scheitern er seine Hoffnung auf Freiheit begraben mußte. In einem nunmehr in Berlin aufbewahrten Notizzettel entschuldigt sich Bonhoeffer bei Bethge für »anspruchsvolle Weisheiten«, wie die Erkenntnis, auf dem Weg zur Freiheit sei der Tod das höchste Fest. »Wenn man, wie ich, genötigt ist, nur in Gedanken zu existieren, dann kommt man auf die allerdümmsten Gedanken, nämlich seine gelegentlichen Gedanken schriftlich festzuhalten.« Der Empfänger ist froh, daß die Last der Nachlaßpflege nun von seinen Schultern genommen ist.
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