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er gesehen und gedacht: Wo bin ich denn? Das hat mich irritiert. Aber dann habe ich auch gedacht: Sozialismus auf der einen Seite und Kapitalismus auf der anderen ... vielleicht ist das notwendig. Viele meiner linken alternativen Freunde kämpften mit Arbeitslosigkeit, sie konnten frei reden, aber ihre Existenz war immer unsicher. Und umgekehrt: Von Leuten aus der DDR – ich war oft da – wußte ich, daß sie in Sicherheit leben, aber viele hatten den Mut zu Auseinandersetzungen verloren, weil es keine Meinungsfreiheit gab, keine wirkliche, öffentliche. Ich war ständig hin und her gerissen. Alles war neu für mich. Ich bin ja aus einer Gesellschaft gekommen, in der die Gedankenfreiheit auch begrenzt war. Kunst ist davon immer betroffen. Ich konnte zwar gut verdienen, aber meine Seele war nicht zufrieden. Deshalb bin ich weggegangen aus meinem Land – und hier gelandet.

     Wie war das 1989: Sie hier oben – und da unten bricht eine Welt zusammen. Wie haben Sie das erlebt?
     Kani Alavi: Als ich hergezogen bin, war das eine tote Ecke. Aber mich hat die Situation interessiert. Auf der anderen Hausseite war ein CIA- Stützpunkt und schräg gegenüber saß der KGB. Und die beobachteten sich gegenseitig. Und unten war der Grenzübergang. Diese Situation habe ich immer wieder skizziert, 40 bis 45 Bilder gemacht ...

Und diesmal für die Ewigkeit

Der Maler Kani Alavi zur Rettung der East-Side-Gallery

Die Ortsbeschreibung ist einfach: Café »Adler« am Checkpoint Charlie. Im 3. Stock hat Kani Alavi seine Atelierwohnung. Der heute 42jährige Maler kam 1980 aus dem Iran nach Berlin. Seit elf Jahren lebt und arbeitet er hier am Checkpoint Charlie – bis heute Symbol für die Machtsphären von damals.
     In den Tagen und Nächten nach der Grenzöffnung im November 1989 wird der Ort zum Logenplatz in der Geschichte. Seine Eindrücke verarbeitet Kani Alavi in dem weltberühmten Bild »November« an der East-Side-Gallery. Er ist Vorsitzender der »Künstlerinitiative East-Side-Gallery«, die sich für die Rettung der Mauerkunst engagiert.

     Leben so direkt an der Mauer, wie hat das auf Sie gewirkt?
     Kani Alavi: Da muß ich zuerst erzählen, wie das war, als ich nach Berlin gekommen bin. Natürlich wußte ich, daß es die DDR und die BRD gibt. Die Grenze habe ich nicht gekannt. Zwei Berlins – das konnte ich mir nicht vorstellen. Dann habe ich die Mau-

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     Und wie war das am 9. November?
     Kani Alavi: Hier war die Hölle los. Die Straße voller Menschen. Das Café unten war übervoll ... früher immer leer. Ich habe gesehen, wie die Leute rauskamen, da unten aus dem Übergang. Das war Euphorie und Freude und Traurigkeit. Das mischte sich. Den Menschen blieb der Atem weg. Das war ein Erlebnis für mich. Eine einmalige Situation überhaupt in der Geschichte. Auch ich fand das toll und traurig zugleich, weil ich wußte, da stoßen zwei Kulturen – zwei Welten – aufeinander. Alles würde sich verändern, und ich habe gedacht, wie werden die damit fertig werden? Ob die das überhaupt schaffen? Freunde aus der DDR sind heute in Notsituationen ... die sind total fertig. Alles wird denen doch weggenommen. Arbeit, Wohnung, Lebensstil, Auffassungen. Alles weg und anders, das ist kaum zu akzeptieren.
     Eine Welt ist zusammengebrochen – und in der anderen sind zu viele nicht angekommen. Aber damals waren Freude und Erwartung die stärksten Gefühle. Auch bei mir.

     Daraus ist Ihr Bild entstanden – schließlich dann die Mauergalerie. Dachten Sie damals: Das ist für die Ewigkeit?
     Kani Alavi: Nein, den Gedanken daran hatten wir nicht. Keiner wußte, ob das erhalten bleibt. Das war eine spontane Sache. Irgendwie war die Idee da: Wir malen auf die Mauer. Stellen Sie sich vor: 1 300 Meter Fläche! Das war schon faszinierend.

Aber noch mehr die Tatsache, daß es diese Mauer war. Das war auch ein Symbol. Über 100 Künstler machten mit, aus der DDR, aus der BRD, Amerika, Korea, Ungarn, Chile, aus Rußland und Spanien, Uruguay und Schottland – also eine internationale Truppe. Die waren alle begeistert, und die Zuschauer und Besucher auch. Die East-Side-Gallery ist weltberühmt geworden – und sie ist einzigartig.

     Das rettet sie trotzdem nicht vor dem Verfall, jedenfalls bislang nicht. Es gibt offiziell nette Reden, aber kaum wirkliche Unterstützung.
     Kani Alavi: Das hängt natürlich damit zusammen, wie überhaupt mit Geschichte umgegangen wird. Ich frage mich auch, warum das nicht unterstützt wird. Eigentlich hatte ich das erwartet. Für den Reichstag werden Milliarden ausgegeben, am Potsdamer Platz wird investiert – warum nicht für die Mauergalerie?

     Nun haben Sie und andere die Sache in die Hand genommen. Was ist erreicht bisher?
     Kani Alavi: Es war höchste Zeit, daß etwas unternommen wird. Die Mühlenstraße ist stark befahren. Abgase, Mauerspechte und das Wetter haben schon großen Schaden angerichtet. Farben verlieren ihre Kraft, Bilder werden bekritzelt und übersprayt, mit Farbbeuteln beworfen. »Beliebtes« Ziel waren und sind die Bilder »Bruderkuß« zwischen Breshnew und Honecker, die »Vaterland«-Flagge mit Davidstern und der

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Trabi, der durch die Wand kommt. Da bin ich zur Denkmalpflege nach Friedrichshain gegangen und habe eine Mal-Aktion vorgeschlagen. Die fanden das gut, waren aber skeptisch. Ich habe dann Künstler angerufen, Genehmigungen auf Ämtern beschafft und die Presse informiert. 118 Künstler sind es, die damals an der Mauer gemalt haben. 35 Künstler sind gekommen. Das war eine tolle Sache. Wir haben 38 Bilder restauriert. Das war im vorigen September. Die Aktion hatte ein großes Echo. Aus aller Welt kamen Reaktionen, Anerkennung und gute Wünsche. Ja, und da haben wir dann die »Künstlerinitiative East-Side-Gallery« gegründet.

     Aber das wird wohl nicht genügen. Was hat sich die »Künstlerinitiative« vorgenommen?
     Kani Alavi: Ganz viel. Die gesamte Mauergalerie soll restauriert werden. Wir wollen einen Traum verwirklichen. Die Galerie soll Teil eines Gesamtprojektes werden, also in ein lebendiges Umfeld integriert werden. Dazu soll ein kleines Museum gehören, in dem die Ost-West- Geschichte vor dem Mauerfall erzählt wird, wo sich Besucher über die Galerie informieren können, wo einfach Kommunikation ist.

     Und wie ist der Stand der Dinge?
     Kani Alavi: So schnell geht das alles nicht. Dazu kommt, daß das Gelände hinter der Mauer ein schöner Happen ist. Aber zum Glück steht die Galerie unter Denkmalschutz – daran ist nicht mehr zu rütteln, und

daran kommt kein Investor vorbei. Wir sind zur Zeit mit der Firma Kolpinghaus im Gespräch. Die sind sehr offen und interessiert an unserem Anliegen und würden die Sanierung und den Schutz des Mauerstückes mit übernehmen. Aber es gibt noch andere Gesprächspartner.

     Mancher Traum und etliche Realitäten gehen ja daran ein, daß es Geld kostet.
     Kani Alavi: Wir wollen ja weder dem Senat noch sonstwem große Belastungen zumuten. Aber ein bißchen Unterstützung erwarten wir schon. Das Bezirksamt Friedrichshain ist auch sehr kooperativ, aber es gibt ja noch andere Behörden. Außerdem werden wir auch einiges unternehmen. Zum Beispiel wollen wir im Herbst ein Galerie- Fest machen, und mögliche Einnahmen natürlich für die Sanierung der Bilder verwenden, oder Künstlern die Reise nach Berlin ermöglichen. Und die Legende, daß die Sanierung weit über 20 Millionen kostet, muß erst mal aus der Welt geschafft werden durch Gegenfakten.

     Wie soll denn das gehen?
     Kani Alavi: Wir haben im Juni mit Hilfe vom Bezirksamt und von Sponsoren ein Pilotprojekt gestartet. Der Künstler Günter Schäfer saniert sein Bild »Vaterland«- Flagge mit Davidstern von Grund auf. Dabei werden alle Arbeitsschritte erfaßt, Zeit, Materialverbrauch, Technikaufwand – einfach alles wird festgehalten und so ein

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Kostenschlüssel ermittelt. Das reicht vom Abtragen des Bildes mit Sandstrahl bis zu dem Moment, wo das Bild fertig ist.

     Diesmal für die Ewigkeit?
     Kani Alavi: Ja, kann man so sagen. Denn die Restaurierung ist wirklich sehr gründlich. Es werden nicht nur die Farben erneuert und die Risse zugeschmiert. Das Grundmaterial – die Betonmauer – wird sozusagen bis auf die Knochen, also bis auf den Armierungsstahl, saniert. Und immer unter Aufsicht der Denkmalpflege. Das Bild entsteht zum zweiten Mal. Am Schluß kommt eine Lasur drauf, die Umweltschäden fernhält. Dafür wurde extra ein Material entwickelt. Zur Zeit wird das in der Bundesanstalt für Materialprüfung getestet.

     Was ist aber, wenn nicht alle Künstler gefunden werden für die Aktion. Was passiert mit den Bildern?
     Kani Alavi: Darüber haben wir auch nachgedacht. Sollte es nicht klappen, daß alle 118 Maler mitmachen, dann muß das betreffende Bild entweder von einem Kollegen gestaltet werden, oder ein völlig anderes Bild gemacht werden. Ich fände das schade. Aber wir haben schon etwa 50 Maler aus aller Welt ausfindig gemacht, und ich hoffe, sie werden alle kommen.

     Finden Sie es nicht paradox – sieben Jahre nach dem Mauerfall, das Stück so unbedingt erhalten zu wollen?
     Kani Alavi: Nein, überhaupt nicht. Es ist doch nicht mehr die Mauer. Es ist ein Kunst-

werk, ein internationales. Ein Geschichtsdenkmal. Ein Symbol für Toleranz, für Freude und auch für Leid. Wenn man sich die Bilder ansieht – da wird so viel über die Welt mitgeteilt: Wie sie war, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Mich erinnert es auch daran, wie kompliziert das immer noch ist in Deutschland mit dem Kennenlernen und der Akzeptanz der hinzugekommenen Hälfte.

     Meinen Sie damit den Alltag der Einheit?
     Kani Alavi: Mein Thema in der Kunst ist der Mensch, wie er lebt, was er fühlt, wie er mit sich und anderen umgeht. Ich beobachte, mache täglich Skizzen auf Papier und im Kopf. Und ich sehe, die reale Mauer ist weg, aber das Sich-Näher- Kommen ist ein sehr komplizierter Vorgang. Ich merke es an meinen Ostfreunden ... ja, es muß sich zur Zeit nur eine Seite angleichen, und das ist nicht gut. Das macht Menschen traurig und wütend. Natürlich wollen sie Teile ihres Lebens behalten, aber sie sollen alles abgeben, wie an einer Garderobe. Ich habe das Gefühl, viele Menschen haben keine Chance für ein neues Leben bekommen. Das ist, als wären sie nicht existent. Daran gehen sie kaputt.

Das Gespräch führte Burga Kalinowski

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