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Gerhard Keiderling
Die Berliner Trümmerfrauen

»Berlin ist die Stadt der Warenhäuser, hier war'n Häuser und da war'n Häuser«, so beschrieb die Journalistin Ursula von Kardorff das zerbombte Berlin. Nicht nur die ehemalige Reichshauptstadt, fast alle größeren deutschen Städte lagen bei Kriegsende in Schutt und Trümmern. Weiterleben und wiederaufbauen hieß zunächst einmal aufräumen. Enttrümmerung wurde als notwendig, doch wenig attraktiv, weil mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden, angesehen. Wer sollte es also tun? Die arbeitsfähigen Männer waren im Krieg gefallen, aus der Kriegsgefangenschaft noch nicht heimgekehrt oder mit »männertypischen« Aufgaben betraut. Als Chefs von Enttrümmerungsfirmen, als Abrißexperten, Fuhrwerkbesitzer, Trümmerlok- Fahrer, Vorarbeiter u. ä. hielt sich der maskuline Anteil in bescheidenen Grenzen. Die Hauptlast trugen die Frauen, junge wie alte.
     Das war so in Berlin wie überall in Deutschland. Insofern gehört die viel zitierte »Berliner Trümmerfrau« als ein unikales Markenzeichen der Nachkriegszeit dieser Stadt ins Reich der Legende. Das Kontrollratsgesetz Nr. 32 vom 10. Juli 1946 erlaubte –

um den Mangel an männlichen Arbeitskräften auszugleichen – die Beschäftigung von Frauen für Bau- und Enttrümmerungsarbeiten und hob sogar teilweise Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen auf. Die Enttrümmerung des schwer zerstörten Berlin, d. h. das Beiseiteräumen und Entfernen der vom Krieg hinterlassenen Trümmermassen im öffentlichen kommunalen Raum, zog sich in beiden Hälften der inzwischen geteilten Stadt bis Anfang der 60er Jahre hin.
     Im Mai/Juni 1945 ordnete die sowjetische Besatzungsmacht Arbeitseinsätze mit den Zielen an, die Straßen freizuräumen, Granat- und Bombentrichter zu verfüllen und öffentliche Gefahrenstellen, wie vom Einsturz bedrohte Häuserfassaden, zu beseitigen. Daran mußten sich zunächst alle Bürger, bald nur noch die erfaßten Nazis, beteiligen. Die Weiterführung der Enttrümmerung ab Sommer 1945 wurde zu einer Domäne der Frauen. Allein in Berlin schätzte man die Zahl der Trümmerfrauen auf 20 000 bis 60 000.
     Einer der Gründe – nämlich Männermangel – ist schon genannt worden. Ein anderer Umstand lag darin, daß die Frauen, die sich damals zur Enttrümmerung meldeten, über keine Berufsausbildung verfügten, aber auf eine bezahlte Beschäftigung zum Unterhalt ihrer Familien angewiesen waren. Sie wurden als »Hilfsarbeiterinnen im Baugewerbe« mit einem Stundenlohn
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von 0,72 RM eingestellt – das war der niedrigste Tarif in Berlin. Ihr »Vorteil« gegenüber nichtberufstätigen Frauen bestand darin, daß sie die besser gestellte Lebensmittelkarten- Kategorie 2 für Schwerarbeit (zum Vergleich: die Kategorie 2 bekam 450 Gramm Fett pro Monat gegenüber 210 Gramm Fett der »Hausfrauen«- Karte) erhielten. Dennoch reichte das nicht aus, die Familie zu ernähren bzw. sich selbst satt zu kriegen für den nächsten schweren Arbeitstag.

Frauen bauen Berlin wieder auf

Im Rahmen des Jugend- Noteinsatzes wurden auch viele schulentlassene Mädchen bis zum Nachweis einer Lehrstelle zur Enttrümmerung vermittelt. Ihr Wochenverdienst betrug 1945/46 je nach Schwere der Tätigkeit 18 bis 27 Mark. Die meisten gaben ihren Arbeitslohn zu Hause ab und beschränkten sich auf ein Taschengeld um drei Mark, womit kleine Wünsche erfüllt werden konnten.
     Die Arbeitsbedingungen waren sehr hart. Die Frauen mußten ihre Arbeitsbekleidung mitbringen: Kittel und Schürzen im Sommer, warme Kleidung im Winter. Bei jedem Wetter standen sie auf der Enttrümmerungsstelle. Die Handgriffe waren immer die gleichen. Entweder den Schutt von Hand zu Hand für den Abtransport weiterreichen oder mit einem Hammer Mörtelreste von

den Ziegelsteinen abklopfen und diese dann stapeln. Trotz Handschuhen waren die Hände zerschunden.
     Die zur Verfügung stehenden Arbeitsmittel waren primitiv. Stadtrat Hans Jendretzky beanstandete im November 1945, die Enttrümmerung würde mit »mittelalterlichen Methoden, Marmeladen- Eimern und dergleichen« durchgeführt. Oft zogen die Frauen in Ermangelung von Pferden die beladenen Wagen selbst oder schoben die mit Schutt gefüllten Loren. Sogar Abrißarbeiten und Bergung von Balken und anderen Baumaterialien gehörten zu ihren Aufgaben. Gefährdet waren sie außerdem durch die vielen Bomben- und Munitionsfunde.
     Kaum ein Tag verging ohne Zwischenfälle, die körperliche Folgen hatten. Wiederholt kam es auch zu schweren Unfällen mit Todesfolge. In der Triftstraße 64 (Wedding) stürzte am 17. November 1945 zur Mittagsstunde eine Giebelwand ein und begrub neun Frauen unter sich. Infolge eines starken Sturmes am 22. März 1946 kippte in Alt-Moabit 122 eine Hausfassade auf einen am Straßenrand abgestellten Bauwagen und erschlug sechs Frauen und einen Mann. Bei Abrißarbeiten an der Ecke Charlotten-/ Behrenstraße kamen am 2. Juni 1947 zwei Bauarbeiter und sechs Trümmerfrauen zu Tode.
     Auf der Enttrümmerungsstelle waren alle gleich. Da stand die Arbeiterfrau neben der einst wohlhabenden, durch den Krieg jedoch
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verarmten Dame, da standen Alte neben Jungen. Zwischen ihnen entwickelte sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das noch lange nachwirkte. Besonders Frauen aus bürgerlichen Kreisen, die erstmals in einen Arbeitsprozeß kamen, empfanden diese Atmosphäre wohltuend. Man half sich gegenseitig, tröstete sich in persönlichen Notsituationen oder tauschte Kochrezepte aus. Fotos aus jener Zeit belegen, daß man in der Pause auch mal die Zeit zu einem kleinen Tänzchen zur Leierkastenmusik fand. In den Arbeitspausen wurde das Mitgebrachte, ein dünnes Süppchen im Wehrmachts- Kochgeschirr oder eine mit Margarine und Kunsthonig bestrichene Stulle, verspeist. Dann ging es wieder zur Sache. Die Arbeitsleistung der Frauen war unter Berücksichtigung all der Widerwärtigkeiten einmalig; sonst würden die Geschichtsbücher von »Trümmermännern« berichten.
     In den ersten Nachkriegsjahren leiteten der Magistrat und die Ämter für Abräumung in den Verwaltungsbezirken die Organisation und den Einsatz der Arbeitskräfte. Allein in Kreuzberg befanden sich im Spätsommer 1946 täglich 2 000 bis 3 000 Personen, wie gesagt, zumeist Frauen, im Einsatz. Bald wurden Firmen beauftragt, die Enttrümmerung weiterzuführen. Damit stieg auch der Männeranteil an den Arbeiten. Im Verwaltungsbericht des Bezirks Prenzlauer Berg für Januar 1949 hieß es, daß zur Abräumung sieben Firmen mit 46 Männern und 103
Frauen und zur Beseitigung von Gefahrenstellen sieben Firmen mit 59 Männern und 37 Frauen beauftragt wurden. Langsam erhöhte sich der Einsatz von technischem Gerät, wie Kräne, Bagger, Splittanlagen u. a. Doch unverändert bestimmte die schwere körperliche Arbeit das Geschehen.

Die Geburt der »Trümmerberge«

In der Innenstadt fauchten kleine Trümmerloks, die jeweils zehn bis 15 Kipploren auf einem bis zu 45 Kilometer langen Schmalspur- Gleisnetz durch die Straßen zogen. Sie brachten den Schutt entweder in Parkanlagen oder an andere öffentliche Plätze – auf diese Weise wurde das Engelbecken in der Luisenstadt zugeschüttet –, oder zu Verladerampen an die Spree, von wo er mit Lastkähnen in die Sand- und Kiesgruben am Seddinsee verbracht wurde. Mit der Hauptmenge des Trümmerschutts wurden Trümmerberge aufgeschüttet, so um die Flakbunker im Friedrichshain und im HumboldtHain, der Teufelsberg am Rande des Grunewalds, der Schäferberg am Wannsee, der Insulaner im Bezirk Schöneberg oder die »Oderbruchkippe« (Volkspark Prenzlauer Berg) nahe der Landsberger Allee. Später wurde der Schutt vor allem für Zwecke des Wohnungsbaus verarbeitet.
     Zu Beginn der 50er Jahre, als der größte Teil der Enttrümmerung bereits geleistet

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war, ging auch die Zeit der legendären Trümmerfrauen zu Ende. In West-Berlin erfolgte der Fortgang der Arbeiten vor allem im Rahmen des Notstandsprogramms vom April 1950 zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. In Ost-Berlin rief die SED im November 1951 die Bevölkerung zu einem »Nationalen Aufbauwerk« (NAW) in Form von freiwilligen und unbezahlten Arbeitseinsätzen auf.

Ein Denkmal dankt den Trümmerfrauen

Behörden und Presse in Ost- und West-Berlin sparten nicht mit überschwenglichem Lob für die Trümmerfrauen. An sie erinnert aber nur ein Denkmal, das – ursprünglich auf der Rixdorfer Höhe – seit zehn Jahren in der Neuköllner Hasenheide steht.
     Katharina Singer schuf eine in sich ruhende Muttergestalt, sitzend auf einem Stapel geputzter Ziegelsteine, die Füße in Holzpantinen und in der rechten Hand einen Hammer haltend.
     Eine am Sockel angebrachte Gedenktafel verkündet: »In Dankbarkeit den Berlinerinnen gewidmet, die nach dem 2. Weltkrieg als >Trümmerfrauen< die Trümmer der zerstörten Stadt beseitigten und damit ihren Wiederaufbau begründeten.«

Die beiden von Fritz Cremer 1958 geschaffenen Bronzefiguren »Aufbauhelfer« und »Aufbauhelferin« vor dem Roten Rathaus verkörpern sozusagen die zweite Generation der Enttrümmerer, die sogenannten NAW-Helfer der 50er Jahre in Ost-Berlin.
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© Edition Luisenstadt, 1997
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