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Helmut Caspar
Armenfriedhof in Berlins Mitte freigelegt

Der schon seit Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr benutzte Begräbnisplatz des Berliner »Armenfriedhofs zum Heiligen Geist« an der Spandauer Straße im Bezirk Mitte, besser bekannt als Heiliggeist- Hospital, hat sein Geheimnis preisgegeben. Er war größer, als vermutet, und besaß eine Mauer, die man bisher nur von uralten Stadtplänen kannte. Die Grabungen wurden von Archäologen des Landesdenkmalamtes im Vorfeld der Anlage einer neuen Zufahrtsstraße zum Hotel Radisson SAS durchgeführt. In zweieinhalb Meter Tiefe wurden Teile des Friedhofs freigelegt, der vom 13. Jahrhundert bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zur Bestattung der Bewohner des Asyls diente.
     Grabungsleiter Heinrich Lange und seine Kollegen fanden Reste von etwa 70 Menschen, darunter etliche vollständig erhaltene, bräunlich gefärbte Skelette mit gekreuzten Armen. Verschiedene Knochen und Schädel wurden unweit der spätgotischen Heiliggeist- Kapelle, die als Hörsaal der Humboldt- Universität dient und restauriert wird, einzeln im Erdreich gefunden. Bei der Art

der Begräbnisstätte des 1272 erstmals urkundlich erwähnten Armenhospitals sei es nicht verwunderlich, daß nur spärliche Beigaben, etwa ein Fingerring aus Bronze oder eine Gewandnadel für ein Leichentuch, gefunden wurden, so Lange. Ein Teil der Überreste wird von Anthropologen untersucht. Sie versprechen sich davon Hinweise auf den gesundheitlichen Zustand der Toten, auf spezifische Krankheitsbilder bei der Stadtarmut sowie auf Mangelerscheinungen. Daraus ließen sich Rückschlüsse etwa auf die Ernährung der Hospitalbewohner ziehen.
     Gefunden wurden auch zahlreiche Scherben mittelalterlicher Kugeltöpfe, Kannen und Grapen mit grauer Glasur sowie gelb und grün gefärbte Keramik. Dazu kommen Flaschen mit Glasmarken sowie aus dem 19. Jahrhundert stammende Backsteine aus der durch das Grabungsgelände verlaufenden Mauer. Die hier entdeckten Ziegelmarken weisen in eine Rathenower Ziegelei. Münzen, die bei der Datierung von Kulturschichten helfen könnten, wurden nicht entdeckt. Reste von Kiefernsärgen sollen dendrochronologisch untersucht werden. Dabei ist allerdings fraglich, ob an dem schlecht erhaltenen Holz noch Jahresringe zu erkennen sind, um das Alter der Bäume bestimmen zu können.
     Nach Abschluß der Grabungen an der Heiliggeistkapelle und Verfüllung der zweieinhalb Meter tiefen Schächte haben Hein-
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rich Lange und sein Team, darunter auch einige Grabungshelfer von der Arbeitslosen- Initiative Berlin- Marzahn, die Untersuchungen in der benachbarten Burgstraße fortgesetzt. Auf dem Gelände des abgerissenen Kongreßzentrums entsteht ein Büro und Geschäftshaus. Die Kosten der Grabungen tragen die jeweiligen Bauherren.
     Archäologen suchen auch im Garten des Schlosses Bellevue nach Spuren bronzezeitlicher Besiedlung. Dann und wann wird der Hausherr Roman Herzog, der auch Schirmherr der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ist, vorbeischauen. Vom Bundespräsidenten weiß man, daß er sich für das bauliche und archäologische Erbe interessiert. »Wir untersuchen archäologisch interessante Flächen, bevor Tief- und Hochbauarbeiten beginnen. So ist es auch beim Erweiterungsbau für das Bundespräsidialamt«, sagt der Archäologe Peter Fuchs vom Landesdenkmalamt. »Wir erwarten Aufschluß über eine etwa 300 Jahre alte Siedlung. Daß hier zu jener Zeit bereits Menschen gewohnt haben, ist durch gelegentliche Funde aus der Erde bekannt.«
     Die Bagger sitzen den Bodendenkmalpflegern auch an anderen Stellen im Nacken. So fanden schon erste Suchgrabungen auf dem großen Parkplatz in der Breiten Straße (Bezirk Mitte) statt, der bebaut werden soll. »Was wir hier finden, bereichert wesentlich unsere Kenntnis über die Berliner Siedlungs-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte.«
Die Arbeiten seien möglich, weil in Berlin laut Denkmalschutzgesetz das »Verursacherprinzip« waltet. Bauherren müßten für die Kosten aufkommen. Private Investoren seien im übrigen korrekter bei der Finanzierung solcher Maßnahmen, während sich die öffentliche Hand merklich zurückhalte. Anträge würden in den Behörden hin und hergeschoben, und es gebe auch Unklarheiten über Zuständigkeiten. Daher könne manches Grabungsprojekt nur mit Zeitverzug oder überhaupt nicht begonnen werden.
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© Edition Luisenstadt, 1997
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