90 Berlin im Detail | Straßenumbenennungen |
Otto Dittkrist
Zweierlei Maß oder was war anders? Als im 19. Jahrhundert das Bürgertum in Berlin seine Rolle immer bewußter
wahrzunehmen begann, kam auch der Wunsch auf, an der Gestaltung der näheren Umgebung in größerem Maße teilzuhaben.
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nis einen Antrag an den König
erarbeitete und ihm diesen zur Entscheidung
einreichte. Abgesehen von einigen abweichenden Festlegungen, hielt sich Seine
Majestät Friedrich Wilhelm in der Regel an das,
was vorgeschlagen wurde. Die von ihm getroffene, durch Kabinettsorder verkündete
Entscheidung begründete das weitere Vorgehen zur Änderung der Unterlagen und zur Benennung der Straßen, Plätze oder Tore. Sie gelangte den gleichen Weg
zurück wieder zum Polizeipräsidenten,
der dann alle Maßnahmen zur erfolgreichen Umsetzung zu veranlassen hatte.
In das Reglement schaltete sich Volkes Stimme im frühen 19. Jahrhundert immer direkter ein. Mit den Immediatgesuchen der Anwohner an allerhöchste Instanz bemühten sich die Bürger, nach ihrer Auffassung behindernde oder unzeitgemäße Straßennamen, wie Doppelbenennungen oder zur Verspottung der Bewohner angetane Namen loszuwerden und gegen solche einzutauschen, die für Fortschritt und Gewerbe förderlicher zu sein schienen; die Absicht, von der in Mißkredit geratenen Bezeichnung »Gasse« wegzukommen, spielte dabei oft eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dennoch wurden auch bei dieser durch Gesuche ausgelösten Verfahrensweise Reglement und Kompetenzen eingehalten. Der König entschied nicht sofort. Er ließ über den zuständigen Staatsminister, den des Innern und der Polizei, das Polizeipräsidium darüber infor- | ||||||
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mieren. Es prüfte Ursachen und
Möglichkeiten des Antrages, begründete
ausführlich seinen Standpunkt und reichte den
Bericht wieder an sein zuständiges
Ministerium. Wenn dieses nun mit dem Vorschlag
mitgehen konnte, legte es dem König nahe, wie denn bei dem vorliegenden Gesuch am günstigsten entschieden werden könne.
Dann kam siehe oben die alles bewegende Entscheidung. Dabei war das ganze zunächst keineswegs auf einen endlos dauernden Prozeß abgestellt. Man bemühte sich schon allerorten, die Dinge zügig, aber auch mit der notwendigen Sachkenntnis zu Ende zu bringen. Daß Anträge nicht entschieden wurden, ist zu dieser Zeit eher die Ausnahme. Wie unterschiedlich ein solches Anliegen beschieden werden konnte, zeigen die folgenden beiden Entscheidungen: Im Dezember 1821 wird das Ministerium des Innern und der Polizei davon informiert, daß der Name Kalandergasse für die zwischen Spandauer Straße und Heiligen Geist Gasse liegende Gasse kein guter Name mehr sei, da insbesondere die Namensähnlichkeit zur Kalandsgasse, gelegen am Kalandshof, viel Verwirrung stifte und Leben und Orientierung in der Stadt schwer mache. Die Bürger wünschen sich, ihre Straße Neue Burgstraße zu nennen. Dem kann die Polizei nicht entsprechen, weil es in Berlin schon eine Burgstraße gab. Aber sie sucht andere Lösungen und bringt Joachimsgym- | nasiums Straße nach dem nahe
gelegenen Joachimsthalschen Gymnasium und Brauhausstraße in Vorschlag. Letzteres ist
etwas schwer abzusehen, hat aber einen historischen Hintergrund. Anne Sabine
Lietzmann, geborene Ziegler, die verstorbene Witwe des vormaligen Bürgermeisters
Lietzmann, hatte nämlich in ihrem Testament verfügt, daß das an der Ecke der
Spandauer Straße und Kalandergasse gelegene
Grundstück »für ewige Zeiten zu einem Brauhaus bestimmt« sei. Das Haus war zwar zu dem Zeitpunkt vermietet, aber die Mieteinkünfte wurden nach Abzug der für die
Instandhaltung anfallenden Kosten jährlich am Johannitertage zum Gedächtnis an
die Lietzmannsche Familie unter die Armen der Stadt verteilt.2) Man hatte also sehr sorgfältig recherchiert. Majestät rührte die Sache offensichtlich, und er entschied mit Kabinettsorder vom 29. Januar 1822, der Straße »nach der wohltätigen
Bürgermeisterin«, deren Wohltätigkeit sogar noch
andaure, den Namen Lietzmanns Gasse zu
geben.3) Alles weitere sollte das Polizeipräsidium nun veranlassen.
Doch das war mit dieser Entscheidung gar nicht glücklich. Schweren Herzens, aber voller Pflichtgefühl vermeldete es am 19. Februar des Jahres 1822 dem Hohen Königlichen Ministerium des Innern und der Polizei, daß es eine Lietzmannsgasse in Berlin bereits gäbe, und zwar zwischen Königsstraße und Judengasse, und man möge doch | |||||
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S. M. veranlassen, die Entscheidung zu überdenken.4)
Das geschah dann auch. Noch am 28. desselben Monats erging eine Kabinettsorder5), die der Straße nunmehr den Namen Brauhausgasse zuerkannte, worauf dann alles andere schleunigst veranlaßt und auch vollzogen wurde. Die Entscheidung war dennoch nicht ganz im Sinne der Bewohner, denn sie hätten lieber in einer Straße als in einer Gasse gewohnt. Wir sehen aber, daß Gemeinnützigkeit und Wohltätigkeit Anerkennung und Achtung erfahren haben, auch wenn das aus diesem Beispiel für spätere Generationen gar nicht so leicht ablesbar ist. Ganz anders im zweiten Falle: Graf von Roth (Roß) und andere Mitbewohner der Kirchhofstraße wandten sich am 1. Februar 1822 an den König, den Namen ihrer Straße wegen der häufigen Verwechslung mit anderen Straßen gleichen oder ähnlichen Namens, »gegen den freundlichen Namen Johanna oder Eleonora auszutauschen«, gedacht zur Ehrung und Anerkennung für die Demoiselle Johanna Eleonora Fickert in ihren alten Tagen. Sie wohnte in dieser Straße und war »wegen ihrer allgemein geachteten Tugendhaftigkeit und Wohltätigkeit« weithin bekannt.6) Das Innenministerium ließ auch zu diesem Gesuch über das Polizeipräsidium ermitteln. Dasselbe kam zu einer noch detaillierteren Information: »Johanna Eleonora Fickert ist die einzige Tochter des | hier verstorbenen Banquier Fickert und
hat sowohl von ihren Eltern als auch von ihrem Onkel ... ein beträchtliches
Vermögen ererbt. Ihr Ruf ist durchaus
unbescholten, ihr Sinn und Wandel relegiös und
anständig; sie steht in allgemeiner Achtung lebt
häuslich ... und hat den Ruf großer
Wohltätigkeit, die sie jedoch mit bescheidenem Sinne
in stiller Verborgenheit einhält. Aus dem Krieg ... von 1813 und 1814 ist jedoch ihre gutwirtliche Tätigkeit bei der
Ausrüstung unbemittelter Freiwilliger und ihre Beihilfe zur Verpflegung der Verwundeten ... bekannt.« Dem Waisenhaus hatte sie ein Grundstück Nr. 5 an der
Friedrichsgracht und 500 Taler Gold zum Ausbau und
zur Einrichtung übereignet, aber bestimmt, »daß ihr Capital und Haus bis zu ihrem
Tode verzinst werden«. Verschiedentlich hatte sie sogar auf diese Einkünfte zum Wohle der Waisenanstalt verzichtet. So waren alle Bewohner der Straße einhellig der Meinung, dem eingereichten Gesuch müsse stattgegeben werden.7)
Der König mußte in diesem Falle wohl lange überlegen. Nach fast einem Monat Bedenkzeit verkündet die Kabinettsorder vom 21. April 1823, daß es der König ablehnt, die Kirchhofstraße »nach einem der beiden Namen der unverehelichten Fickert« benennen zu lassen. 8) Wer mag wohl ergründen, was letztendlich den Ausschlag gab, in zwei fast gleichgelagerten Fällen, zeitlich gar nicht so weit aus- | |||||
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einanderliegend, so unterschiedlich zu entscheiden und zu werten?
Quellen:
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© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de