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Rainer Kubatzki
Vor dem Hof des Schulzen stand der Gerichtsbaum

Schulzen, Gemeinde- und Amtsvorsteher in Weißensee

Nicht nur dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Sie windet auch den Männern des Lokalgeschehens selten Ranken, geschweige denn den Vätern der Ortsgeschichte. »Lorbeer«, vermerkte ein Weißenseer Pfarrer vorzeiten in Kirchenakten, »ist besser Küchenkraut für die Soßenköche. Wer es als Kopfbedeckung wünscht, wisse, daß es steche.« So ermahnt, befassen sich Chronisten im Verein der Weißenseer Heimatfreunde seit längerem mit den Dorf- und Gemeindeverwaltern von Weißensee.1)
     Die früheste namentliche Überlieferung von Dorfschulzen datiert vom 4. März 1449. Unter diesem Datum übertrug Kurfürst Friedrich II. (1413–1471, Kfst. seit 1440), nachdem er mit »demutigem fleisz gebetenn, unnsere lieben getruwen Claus, Bastian und Andreas schulten, gebrudere, czu wissensehe das gerichte und schultenampt in unnserem dorfe czu Weißensehe mit aller czugehorung, friheiten und gerechtickeit,

als vonn Alder darczu gehört had, zu gesampter Hand zu Lehen.«2) Es hat sich demnach um eine stattliche Dorf- Schultissei gehandelt. Dieses örtliche Verwaltungsamt des Grundherren, das nunmehr drei Männer mitversorgte, war etwa 200 Jahre früher und sicher als kleinere Instanz mit der Gründung von Weißensee um 1230 entstanden. Doch liegen die Umstände wie die Namen der frühdeutschen Schulzen im Dunkeln.
     Sicher ist, daß das Schulzenamt zur Aufrichtung und Bewahrung des Dorfregimes diente. Zu seinen ersten Obliegenheiten gehörte wie überall in den Dörfern des Barnim die Vereinnahmung von Pacht, Zins und Bede für den Grundherrn, der auch die Schulzen einsetzen und ihnen für ihre Dienste meist Hufen ohne Kaufsumme und Abgaben einräumen ließ. In Dörfern auf dem Barnim waren für einen Schulzenhof vier Hufen üblich. Erst in der ältesten erhaltenen Weißenseer Urkunde von 1375, einem Eintrag über das Dorf in das Landbuch Kaiser Karls IV.,3) finden sich genaue Belege über die Verwaltung des Ortes. Danach war der Landesherr selbst Grundherr von Weißensee. Er hatte eine Schultissei mit einem Lehnschulzen im Dorf. Doch mußte diesem das Amt oft schwer geworden sein, denn Weißensee war gar »nicht gut markgräflich«. Die von der Gröben erlangten schon vor 1375 über eine Hälfte des Dorfes Afterlehnsrechte und sollten sie bis in das 17. Jahrhundert
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auch behalten, ohne jemals Land in der Gemarkung zu besitzen. Überdies gingen 1375 schon allerhand Einnahmen aus den 68 Hufen Ackerflur an Gefolgsleute und an Bürger aus Berlin. Etwa 20 Hufen steuerten nur an den Landesherrn. So oblag es dem Lehnschulzen von 1375, die landesherrlichen Interessen gegen die der anderen Besitzer zu wahren. Daß seine Vorgänger und er selbst das Amt mit großem Interesse und Fleiß ausübten, kann man am Besitz erkennen. Als im Verlauf des 14. Jahrhunderts Krisen auf dem Getreidemarkt zusammen mit Krieg und Seuchen die Eigentumsverhältnisse in den Barnimdörfern veränderten, konnten die Weißenseer Schulzen bis zur Auflistung von 1375 zu vier freien Hufen noch vier zinspflichtige dem Schulzenhof angliedern. Für die vier abgabefreien mußten sie dem Grundherrn bei Bedarf ein Lehnspferd stellen. Für das Rechtsverständnis der Lehnsschulzen spricht, daß eine in jener Zeit auf ihren Hof gekommene jährliche Schuld von 20 Scheffel Roggen an die Kirche zu Liebenwalde bis um 1490 immer pünktlich abgeliefert wurde. Erst im September 1874 löste der Weißenseer Rittergutsbesitzer als letzter Schuldner die rund 500 Jahre geleistete Abgabe gegen 1 081 Taler, 21 Silbergroschen, vier Pfennige ab.4)
     In den Überlieferungen bis zur Reformation fanden sich noch Hinweise auf die Lage des Schulzenhofes, der sich etwas südwestlich gegenüber der Dorfkirche befand. Vor
dem Anwesen stand inmitten der Dorfaue der Gerichtsbaum, in den 1686 der Blitz fuhr und das Wahrzeichen des alten Weißensees arg zersplitterte. Hier walteten die Lehnschulzen zusammen mit Schöppen des Dorf- oder Niederen Gerichtes als Richter und sprachen den rund 150 Einwohnern, davon fast 20 Hüfner und neun Kossäten, Recht, wofür sie einen Teil der Bußgelder erhielten. Allerdings mußte ein Diebstahl, mit geringem Schaden und am Tage begangen, am selben Tage mit Strafen an Haut, Haaren oder Besitz geahndet werden, sonst war ein höheres Gericht zuständig. Den Schulzen oblag auch die Aufsicht über Grundstücks- und Landgrenzen. Vor ihnen wurden Verkäufe, Verzichte und Erbfragen geregelt. Sie hielten den Dorfbullen und Zuchteber und sorgten sonst für das Eigentum des Dorfes. Sie besaßen eine Kruglage, also das Recht einer Braupfanne. Doch ist ein Krug erst für 1730 in einem Dorfreglement nachgewiesen.5)
     Das markgräfliche Lehnschulzenamt von Weißensee erlosch 1490. Es fiel an den Berliner Gewandschneider Thomas Blankenfelde, der als Besitzer aller Dorfrechte die Erbuntertänigkeit der Bewohner begründete. Seine Söhne und Enkel richteten drei anerkannte Rittersitze und eine Meierei ein und bauten ihre Dorfherrschaft sehr wahrscheinlich mit Hilfe von eingesetzten Schulzen aus. Erst 1616, nach 130 Jahren, endete das Regime der Blankenfeldes durch Verkauf
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ihrer letzten Besitzteile. Die Weißenseer wurden für weitere 100 Jahre von vielen wechselnden Gutsherren, deren Namen alle überliefert sind, ausgepowert. Hingegen sind die Namen von Setzschulzen nicht genau bekannt. Erst für die Gutsherrschaft unter Johann Heinrich Leberecht Pistorius ab 1821 nennt die erste Ortschronik von Alexander Giertz als Setzschulzen: für 1823 Bauer Wilhelm Heinrich Ohse, 1824 Kossät Friedrich Schiele, bis 1838 Kossät Andreas Moeser, um 1846 Gürgen, bis 1866 Kossät Heinrich Daniel Schiele, bis 1868 Bauer Ludwig Dähne und bis 1874 Kossät Daniel Schiele.
     Als ab 1872 die neue preußische Kreisordnung eine neue Verwaltungsordnung brachte, blieb der Gutsbezirk Weißensee zwar erhalten, im Dorf aber wich das alte Ordnungsgefüge mit der Vorherrschaft der Rittergutsbesitzer einer eigenen Selbstverwaltung. Am 13. April 1874 konnten nach dem Dreiklassenwahlrecht 31 wahlberechtigte Dorfbewohner ihren ersten Gemeindevorsteher wählen. 18 waren anwesend, die 26 Stimmen für den Schmiedemeister Gustav Schultze abgaben. Er erhielt anfangs aus Gemeindegeldern 150 Taler Aufwandsentschädigung und blieb bis 1886 im Amt.6) Am 29. Mai 1886 übernahm der Bauer Rudolf Wegener die Funktion. Im Herbst 1890 wurde Heinrich Klingenberg Gemeindevorsteher von Weißensee. Die Funktion ging 1905 auf Heinrich Feldtmann über. Eine Gemeindevertretung für Weißensee wurde
erstmals am 1. September 1880 nach dem Dreiklassenrecht von 29 Einwohnern gewählt. Ihr gehörten elf Gemeindeverordnete an.
     Als 1872 das Rittergut mit über 500 Hektar Land verkauft und viele Parzellen bebaut werden konnten, setzte im Gutsbezirk neben dem alten Dorf eine vorstädtische Entwicklung mit Hunderten neuen Siedlern, reger Bautätigkeit und handwerklichen Gewerbegründungen ein. Den Männern der Dorfverwaltung wuchs sie rasch über den Kopf. 1880 reifte in vielen Auseinandersetzungen die Bildung einer selbständigen Gemeinde Neuweißensee heran. Am 22. März 1880 bestätigte eine Gemeindeversammlung Heinrich Feldtmann, geboren am 12. Juni 1838 in Nienburg an der Weser, der seit 1874 in Weißensee als Direktor der Weißensee Aktiengesellschaft wirkte, als kommissarischen Gemeindevorsteher. Schon am 10. Juli 1880 wählten die Einwohner nach Dreiklassenrecht die erste Gemeindevertretung mit 12 Mandaten. Sie konstituierte sich am 7. August 1880, wählte Feldtmann auf 15 Jahre als Gemeindevorsteher und genehmigte ihm für die ersten Jahre 2 000 Mark Entschädigung für die Amtsführung. Unter seinem Einfluß wuchs die Gemeinde Neuweißensee bis zur Jahrhundertwende im amerikanischen Tempo zu einem städtischen Ensemble heran, das sich mit einem ausgebauten Straßensystem und großen Wohnvierteln ohne Berliner Mietskasernen,
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mit Industrie und Gewerbe auf Wirtschaftsstandorten, mit Schulen, Krankenhäusern, einer neuen Kirche, mit Wasserleitung und Abwassersystem weit über ländliche Gemeindestrukturen erhob. Als 1905 Neuweißensee die Gemeinde Weißensee in ihre Strukturen aufnahm, wurde Feldtmann erster Gemeindevorsteher. Er verstarb am 26. Juli 1905 im Alter von 67 Jahren. Nach seinem Tode wählte die Gemeindevertretung aus vielen Bewerbern Dr. jur. Carl Woelck, geboren am 21. September 1868 in Rosenberg in Westpreußen, der vorher als Stadtrat in Schöneberg wirkte, als Gemeindevorsteher. Er trug ab Frühjahr 1906 auch die Amtsbezeichnung Bürgermeister. Im Frühjahr 1920 trat er von seinem Amt zurück und ging in den Ruhestand. Die Funktion des Gemeindevorstehers und Bürgermeisters von Berlin- Weißensee blieb für wenige Wochen bis zur Eingemeindung des Ortes nach Berlin im Oktober 1920 unbesetzt. Carl Woelck verstarb am 23. September 1937.7)
     Der Amtsbezirk Weißensee entstand im Frühjahr 1874. Er umfaßte die Gemeinde und den Gutsbezirk Weißensee, der 1880 aufgelöst wurde. Seitdem gehörte die neugebildete Gemeinde Neuweißensee zum Amtsbereich. Im Mai 1874 nahm der erste Amtsausschuß unter Amtsvorsteher Ludwig Woeltge (auch Wöltge) die Tätigkeit auf. Sein Stellvertreter war Schultze aus Französisch- Buchholz. Um 1876 übernahm Heinrich Feldtmann die Stellvertretung,
ab 8. Mai 1877 wurde er Amtsvorsteher. Zum Leben und Wirken der Männer aus der Verwaltung des Dorfes und der Gemeinden Weißensee sind viele weitere Details bekannt, noch mehr müssen erst aus Quellen zusammengetragen werden.

Quellen und Anmerkungen:
1     Überblick bei Alexander Giertz: Chronik der Gemeinde Weißensee bei Berlin. Weißensee bei Berlin 1905/06, bes. S. 183, 234-243
2     Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten, hrsg. von Adolph Friedrich Riedel, 4 Hauptteile A-D, Berlin 1838–1869, C, Bd. 11, S. 338
3     Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK), Rep. 78, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 90
4     Alexander Giertz: Weißensee, S. 64
5     GStAPK, Rep. 62, Nr. 251 b (Weißensee 1666–1739), Bl. 2
6     Hierzu und zum folgenden vgl. Landesarchiv Berlin (LAB), Rep. 48-05/3, Nr. 3, 12, 19, 29
7     Joachim Bennewitz: Recherchen und Tafel zu Bürgermeistern von Weißensee und Bezirk Weißensee, Archiv Verein der Weißenseer Heimatfreunde e. V.

Dieser Beitrag wurde auf einem wissenschaftlichen Kolloquium an der Humboldt- Universität zum Thema »Stadt und Provinz, Berlin und Brandenburg in Wechselbeziehung« gehalten.

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