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einen glücklosen, vor dem Bankrott stehenden Ableger des von Mosse seit Dezember 1871 erfolgreich herausgebrachten »Berliner Tageblatts«. Der 14. Juli 1877 aber wird seitdem als Gründungstag eines der größten und erfolgreichsten deutschen Verlagshäuser gefeiert.
     Firmengründer Leopold Ullstein, am 6. September 1826 in Fürth geboren, ausgebildet in der väterlichen Papier- Großhandelsfirma H. H. Ullstein, kam 1848 nach Berlin, wo er mit Hilfe des väterlichen Erbes eine Papiergroßhandlung in der Brüderstraße eröffnete. Mit geschäftlichem Erfolg verbesserten sich die Adressen: Wilhelmstraße 71, Tiergartenstraße 17 a ... Wenige Wochen nach Erwerb von Druckerei und Zeitung in der Zimmerstraße, am 11. September 1877, wird der Ullstein- Verlag ins Königliche Handelsregister eingetragen. Sein »Neues Berliner Tageblatt« wandelt Ullstein schon am 1. Oktober 1877 aus einem Morgenin ein Abendblatt namens »Deutsche Union« um. Er läßt es bald in der von ihm am 1. Januar 1878 erworbenen »Berliner Zeitung« aufgehen, die nun sein politisches Flaggschiff wird. Das segelt nach herrschendem Zeitverständnis ziemlich weit links, verhöhnt in Karikaturen das Dreiklassenwahlrecht, was seine Redakteure mehrmals vor den Richter führt. Dem geschäftlichen Erfolg tut das keinen Abbruch. Die Abonnentenzahl der »Berliner Zeitung«, die 1878 bei 20 000 lag, steigt bald auf über 40 000.
Horst Wagner
14. Juli 1877:
Ein Verlagsriese wird geboren

Sozusagen von zwei Geburten ist in dem Brief die Rede, den der damals 51jährige, in zweiter Ehe verheiratete Berliner Kaufmann Leopold Ullstein am 15. Juli 1877 seiner ältesten Tochter Käthe schrieb: »Dein Ebenbild ist gestern Mittag eingetroffen«, teilte er ihr die Geburt ihrer Schwester Antonie (Ullsteins zehntes und letztes Kind) als »Großereignis« mit. »Mama geht es recht gut.« Dann folgt, was in der Zeitungsgeschichte als eine Art Geburtsurkunde des Ullstein- Konzerns gilt: »Gestern habe ich nun in der That und wirklich einen großen Kauf gethan, nämlich eine Zeitung nebst Buchdruckerei. Ich glaube, damit für Hans und Louis gesorgt zu haben.«
     Hans und Louis waren die beiden ältesten Söhne Ullsteins, 18 Jahre damals der eine, 14 der andere. Bei der Zeitung, die Leopold Ullstein mit Vertrag vom 14. Juli 1877 von der Firma Stahl & Assmann mit der »in der Zimmerstraße 94 befindlichen Druckerei ... nebst sämtlichen in dem Geschäftslokal befindlichen Inventar« zum Preis von 60 000 Mark übernommen hatte, handelte es sich um das »Neue Berliner Tageblatt« –

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1885/86 wird ein neues Ullstein-Haus in der Kochstraße 23 errichtet, das zu einem Zentrum des sich in diesen Jahren herausbildenden Zeitungsviertels wird.
     Unaufhaltsam geht es nun voran. Am 14. Dezember 1891 erscheint im Haus Ullstein die erste Nummer der »Berliner Illustrirten Zeitung«, die in den folgenden Jahren zu einer Art Prototyp aller Illustrierten werden sollte. Am 20. September 1898 kommt die »Berliner Morgenpost« als neues Flaggschiff des Verlages und erfolgreiche Konkurrenz des Scherlschen »Lokalanzeigers« heraus, die sich bald zur auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands entwickelt. 1904 modernisiert Ullsteins Sohn Louis (Vater Leopold war 1899 gestorben) die inzwischen lahmende »Berliner Zeitung« zur »BZ am Mittag«, die – als neuer Typ der Boulevardzeitung – zur »schnellsten Zeitung der Welt« wird: Acht Minuten vergehen von der telefonischen Durchsage der letzten Börsenkurse bis zur Auslieferung des Blattes. 1906 wird der Ullstein- Buchverlag gegründet, 1912 als illustrierte Frauenzeitschrift »Die Dame« herausgebracht, 1914 die älteste Berliner Zeitung, die »Vossische«, von Ullstein erworben. 1918 umfaßt der Ullstein- Gebäudekomplex in der Koch-, Charlotten-, Markgrafen- und Besselstraße bereits ein Territorium von 10 000 Quadratmetern. In den 20er Jahren entsteht das neue Ullstein- Druckhaus in Tempelhof, kommen zahlreiche neue Blätter hinzu, wie das erste deut-
sche Magazin »Uhu«, die Illustrierte »Koralle«, das Kulturjournal »Querschnitt«, die populäre Familienzeitschrift »Grüne Post«...
     1934, nachdem die Nazis ihre Macht gefestigt hatten, kommt es im Zuge der »Arisierung« zum Zwangsverkauf des Ullstein- Konzerns an eine NSDAP- gesteuerte Firma, die das Unternehmen in »Deutscher Verlag« umtauft. »Das erste, was die neuen Bewohner taten«, notierte Ullstein- Sohn Hermann in seinen Lebenserinnerungen, »war, das Reliefbild unseres Vaters aus der Wand herauszureißen. Sogar die Erinnerung daran, daß ein Mann jüdischer Herkunft den Grundstein zu diesem Gebäude gelegt hatte, sollte ausgelöscht werden.« Das Gebäude wurde im Krieg zerstört. Die Erinnerung konnte nicht ausgelöscht werden. Der Name Ullstein steht heute neben dem von Springer am Eingang zum Verlagshochhaus in der Kochstraße, das die Eule, Ullsteins Wappentier, schmückt. 1952 wurde nämlich die Ullstein- Aktiengesellschaft an die Erben zurückgegeben. Im gleichen Jahr kam auch die »Morgenpost« wieder heraus, 1953 folgte als neues Boulevardblatt die »BZ«. 1956 fusionierten die Ullstein- Erben ihren Verlag mit dem Springer- Konzern, der 1966 sein neues Haus im alten Berliner Zeitungsviertel bezog.
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