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be des Gendarmen mit einem Anschreiben zur näheren Untersuchung der Angelegenheit an das Domänenamt Altlandsberg.
     Dem Amtsrat erscheint die ganze Geschichte höchst verdächtig. Er bestellt Heymann Meseritzer zum 3. Mai mit den erforderlichen Unterlagen aufs Amt. Daraufhin schreibt Frau Meseritzer ihm: »Da mein Mann in Leipzig zu der Messe ist, so ist es nicht möglich, den 3. Mai in Landsberg zu sein.« Sie bittet um vier Wochen Aufschub. Als neuer Termin wird der 26. Mai anberaumt. Meseritzer ist entrüstet, denn – das müßte das Amt doch wissen – am 26. Mai sind »Feiertage«.2) Er bittet also um einen neuen Termin, der schließlich auf den 2. Juni festgelegt wird. An diesem Tage erscheint nun Heymann Meseritzer. Zur Rede gestellt über seine Familienverhältnisse, erklärt er, daß seine jetzige Frau in Rotterdam in die jüdische Religionsgemeinschaft aufgenommen wurde, bei Altona hätten sie dann geheiratet. Zum Beweis überreicht er zwei Urkunden. Aber ach, dem Amtsrat bricht der Schweiß aus, er kann die Schrift nicht lesen, denn beide Dokumente sind in Hebräisch aufgesetzt. Preußisch- korrekt quittiert er Herrn Meseritzer den Empfang der Schriftstücke und verabschiedet ihn.
     Nun aber ist guter Rat teuer. Die in Altlandsberg ansässigen Juden um Übersetzung zu bitten, hält der Amtsrat nicht für den richtigen Weg. Es sind zumeist Handelsleute wie
Gisela Langfeldt
Heymann Meseritzers Bekanntschaft mit der preußischen Bürokratie

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ...

Im Februar des Jahres 1841 trifft beim königlichen Landrat des Niederbarnimschen Kreises, von Witzleben, ein Bericht des Gendarmen Goboreck aus Vogelsdorf ein, der darin mitteilt, daß der jüdische Handelsmann Meseritzer zu Herzfelde mit einer Person christlichen Glaubens in wilder Ehe lebe. Meseritzer behaupte, seine Frau sei in Altona bei Hamburg zur jüdischen Religion übergegangen, aber tatsächlich besitze sie keine weiteren Atteste, als ein Führungszeugnis vom Magistrat ihres Geburtsortes Naumburg an der Saale zur Auswanderung nach Halle auf den Namen Eleonora Martin. »Eure Hochwohlgeboren stelle ganz gehorsamst das Weitere Anheim. Goboreck.«1)
     Herr von Witzleben ist sprachlos. Er übergibt den Vorgang seinem Stellvertreter, dem Regierungs- Assessor Breder. Dieser schickt nach langem Zögern Anfang April die Einga-

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Übersetzung des Dokuments, das den Übertritt zum jüdischen Glauben bestätigt
Heymann Meseritzer, die durch gemeinsamen Gottesdienst mit ihm bekannt oder gar befreundet sein könnten. Nein, die sind seinem Mißtrauen nicht gewachsen. An den königlichen Landrat wagt er sich auch nicht zu wenden, solange er die Sache nicht geklärt hat. Außerdem erscheinen ihm die Urkunden ohnehin anfechtbar, zumal eine von beiden noch nicht einmal ein Siegel trägt. Und wie eine Frau, die eine Ausreise von Naumburg nach Halle beantragt, dann nach Rotterdam gelangt, kann er sich schon
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gar nicht vorstellen. Die Sache erscheint ihm kriminell, zumal der Gendarm es anders berichtet hatte. Er überlegt einen Monat und zwei Tage. Am 4. Juli wendet er sich an das Polizeipräsidium zu Berlin. Ausführlich beschreibt er den gesamten Vorgang, legt die Urkunden bei und bittet um glaubhafte Übersetzung in deutscher Sprache, da in seinem Orte niemand sei, der das könne. Auch seine Zweifel an der Echtheit verschweigt er der Polizeibehörde nicht. »Die Dokumente scheinen, besonders das eine ohne Siegel, keinen öffentlichen Glauben zu haben.«
     Im Berliner Polizeipräsidium konnte natürlich auch niemand die Dokumente übersetzen. Daher wandte man sich an die Ältesten der Judenschaft. Diese ließen »durch den Beglaubten der hiesigen Judenschaft und Translator bei dem Königl. Kammergerichte, [Esayas Jacob] Levy« eine beglaubigte Übersetzung anfertigen und fügten außerdem noch ein Gutachten über die Echtheit der Urkunden bei. Darin verweisen sie auf das Siegel der Gemeinde zu Rotterdam unter dem Schriftstück, das den Übertritt der Eleonora Martin zur jüdischen Religion beinhaltet. Weiterhin erklären sie, daß Traubriefe generell nicht mit Siegeln versehen werden. Auch sei es nicht üblich, daß die Brautleute diese unterschreiben. »Hiernach müßten wir die Glaubhaftigkeit der in Rede stehenden zwei Scripta gehorsamst anheim stellen. Mit der größten Hochachtung; die Ältesten der Judenschaft;
Meyer, Jochim Meyer, [Dr. Moritz] Veit; 28. Juli 1841.«
     Das Polizeipräsidium enthält sich jeden Kommentars. Am 1. August werden alle Unterlagen an das Domänenamt Altlandsberg abgesandt, versehen mit einem kurzen Anschreiben und der Anweisung, daß die entstandenen Kosten für Übersetzung und Schreibgebühren in Höhe von einem Taler und 15 Silbergroschen »gefällig einzuziehen und einzusenden« seien.
     Diese nicht gerade unscheinbare Postsendung wird im Domänenamt mit großer Aufregung geöffnet. Meint doch der Amtsrat, über den Juden Meseritzer triumphieren zu können. Er nimmt zunächst das Anschreiben vom Polizeipräsidium Berlin zur Kenntnis und nickt. Dann überfliegt er das Gutachten der Ältesten der Berliner Judenschaft und wackelt bedenklich mit dem Kopf. Man brauchte demnach die Dokumente, die ordnungsgemäß beiliegen, nicht anzuerkennen. Nun aber nimmt er die auf feinem hellblauen Papier in saubersten lateinischen Schriftzügen angefertigte fünfseitige Übersetzung der Urkunden in die Hand und liest die »Translation der Bescheinigung des Übertritts der Eleonore Martinus vom christlichen zum mosaischen Glauben«, wonach diese den Namen Rachel, Tochter des Patriarchen Abraham, erhalten hat, datiert vom 18. November 1840, gesiegelt und unterschrieben vom Rabbiner Marcus Loewenstein in Rotterdam. Tatsächlich, er
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kann es kaum glauben. Aus der Übersetzung des Traubriefes des Heymann, Sohn des Israel Meseritzer, und der Rachel, Tochter des Abraham, geht hervor, daß beide »im Dorfe Eimsbüttel nahe bei Altona« nach jüdischem Recht getraut wurden, was Jacob, Sohn des Mosche, und Abraham, Sohn des Israel aus dem Stamme Levi, durch Unterschrift bezeugen. Resignierend schiebt der Amtsrat die Papiere beiseite. Das muß er erst einmal verkraften, und das dauert.
     Nun muß er aber dem Meseritzer die Dokumente wieder aushändigen und – was noch wichtiger ist – laut Anweisung des Berliner Polizeipräsidiums die Kosten einziehen und nach Berlin senden. Er übergibt die Angelegenheit dem Kassenführer, der aus den mit Akribie geführten Amtsakten ersieht, daß sechs Silbergroschen Porto in Sachen Meseritzer zu Buche stehen. Als Heymann Meseritzer schließlich am 15. September 1841 seine Urkunden abholen darf, muß er nicht nur einen Taler und 15 Silbergroschen, sondern auch die sechs Silbergroschen Porto entrichten, was wiederum sorgfältig in den Akten vermerkt wird.
     Siebzehn Jahre später erfahren wir wieder etwas über den inzwischen 52jährigen Heymann Meseritzer. Bei der Gründung der Synagogengemeinde zu Altlandsberg im Jahre 1858 wählen ihn die Gemeindemitglieder in die Repräsentantenversammlung.3) Offensichtlich genoß er in seiner Gemeinde ein hohes Ansehen.
Quellen und Anmerkungen:
1     Hier und im folgenden: BLHA, Pr. Br. Rep. 7, Amt Altlandsberg Nr. 812, Bl. 38–48 und 149
2     Der 26. Mai 1841 war der erste Tag des jüdischen Wochenfestes Schawuot des Jahres 5601. (Mitteilung von Dr. H. Simon)
3     Statut der Synagogengemeinde zu Altlandsberg vom 22. März 1858, S. 16

Bildquelle:
Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), I. Pr. Rep. 7 Amt Altlandsberg Nr. 812, Bl. 46 + RS

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