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sal am deutlichsten. Alles Produktive,
aber auch alles Kranke und Verfehlte drängt
sich in einem solchen Zentrum zusammen.«
Der aus einer Kaufmannsfamilie stammende Spranger verkörpert den charakteristischen Typ des deutschen Hochschullehrers in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am 27. Juni 1882 in Groß- Lichterfelde damals noch bei Berlin geboren, wuchs er in der Friedrichstraße/Ecke Französische Straße auf, studierte seit 1900 an der Berliner Universität, der er dann von 1920 an als Philosoph »diente«. Er publizierte zu den verschiedensten Fragen der Geisteswissenschaft, und manche seiner Arbeiten erlebten viele Auflagen. Er war ein aktives Mitglied der Deutschen Philosophischen Gesellschaft und im Kreise seiner Berufskollegen geachtet, wovon nicht zuletzt die Festschrift »Geistige Gestalten und Probleme« zeugte, die 1942 zu seinem 60. Geburtstag erschien. In seiner politischen Position unterschied er sich kaum von der Mehrzahl seiner Kollegen. »Die überwiegende Mehrzahl der deutschen Professoren jener Jahre war unpolitisch. Das Ressentiment überwog. Mochten die Motive des Grolls bis zur Feindseligkeit hin auf sehr verschiedenen Vorstellungen konservativen, ständischen, nationalistischen oder völkischen beruhen, die negative Haltung gegenüber dem Weimarer Staat war mehr oder minder die gleiche«, bemerkte der Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg in | |||||||
Eberhard Fromm
Künder einer Kulturkrise Eduard Spranger »Der Genius loci denn Berlin hat seinen Genius und ist nicht nur ein Ort ruht
auf drei Faktoren: Arbeit, Kritik und Wirklichkeitssinn«, schrieb Eduard Spranger in
der 1966 veröffentlichten Sammlung
»Berliner Geist«. Mit dieser Charakteristik seiner
Heimatstadt brachte der Philosoph seine enge Verbundenheit zu Berlin zum Ausdruck.
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seinen Erinnerungen an das
Universitätsleben in der Sammlung »Deutsches
Geistesleben und Nationalsozialismus« (1965).
Als Student an der Berliner Universität
erlebte er auch Professor Spranger, den er so charakterisierte: »Eduard Sprangers
Sympathie für eine mehr autoritäre
Staatsordnung, schon aus seinen preußischen
Traditionsvorstellungen heraus, war bei aller
seiner Beamtenloyalität ... unverkennbar.«
Spranger gehörte der 1863 gegründeten Mittwochsgesellschaft an, die am 19. Juni 1940 auf Schloß Brüningslinden an der Havel ihre 1 000. Sitzung feierte. Zu den damaligen Mitgliedern zählten der Botaniker Ludwig Diels (18741945), der Historiker Hermann Oncken (18691945), der Mediziner Ferdinand Sauerbruch (18741951), der Ökonom und preußische Finanzminister Johannes Popitz (18841945) und der Generaloberst Ludwig Beck (18801944). Im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurden Beck und Popitz hingerichtet. Auch Spranger, der 1943 und 1944 zu Gast auf Neuhardenberg war, wo er Claus Graf Schenk von Stauffenberg (19071944) und Werner Karl von Haeften (19081944) kennenlernte, wurde im September 1944 für einige Zeit in Moabit inhaftiert. In den Wirren der Nachkriegszeit zuerst noch in Berlin tätig so führte er einige Zeit den Vorsitz im Ausschuß für Wissenschaften und Hochschulen , wechselte er später an die Tübinger Universität. Hier widmete er | sich seinen kulturphilosophischen
Themen und blieb engagiertes Mitglied in der (west)deutschen Philosophengesellschaft. So rief er auf dem IV. Philosophenkongreß 1954 in Stuttgart die Philosophen dazu
auf, sich gegen eine
»Katastrophenphilosophie« und für eine »Restaurationsphilosophie« zu entscheiden, worunter er eine »Wiederaufbauphilosophie« verstand, »die auf lange hinaus den Sockel für ein neues Zeitalter bilden könnte«.
Als Schüler des lebensphilosophischen Konzepts von Wilhelm Dilthey (18331911) widmete sich Eduard Spranger vor allem den Bereichen der Kultur, der Pädagogik und der Psychologie. Er ging von sechs idealen Grundtypen des Menschen aus, denen dann auch sechs Gebiete der objektiven Kultur entsprechen sollten. Daraus ergab sich die Struktur der Gesellschaft, wie Spranger sie verstand. Seine idealen Grundtypen waren der theoretische, der ökonomische, der ästhetische, der soziale, der politische und der religiöse Mensch. In seinen psychologischen Hauptwerken »Lebensformen, geisteswissenschaftliche Psychologie und Ethik der Persönlichkeit« (1914) und »Psychologie des Jugendalters« (1924) entwickelte er seine Vorstellung, daß Psychologie nur in enger Beziehung mit einer historisch- beschreibenden und kritisch- normierenden Geisteswissenschaft betrieben werden könne. Psychologie, Soziologie und Pädagogik rückten dabei eng zu- | ||||||
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sammen. »Wir alle Rickert, die
Phänomenologen, die an Dilthey anknüpfende
Richtung treffen uns in dem großen Ringen
um das Zeitlose im Historischen, um das Reich des Sinnes und seinen geschichtlichen
Ausdruck in einer gewordenen konkreten Kultur, um eine Theorie der Werte, die über das bloß Subjektive hinausführt«, schrieb er in den »Lebensformen«.
In seinen Überlegungen zur Kultur kam Spranger immer wieder auf das Problem einer tiefgreifenden Krise zurück. Damit brachte er wie auch viele andere Denker einen Zeitgeist zum Ausdruck, der am Ausgang des 19. Jahrhunderts das europäische Denken erfaßt hatte und der nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in Deutschland immer stärker zum Tragen kam. Arthur Liebert beschrieb in seiner 1923 erschienenen Arbeit »Die geistige Krisis der Gegenwart« den Zustand als »innere Unerlöstheit«. Die »eigenartige Struktur« dieser Krise sah er darin, daß in ihr die »metaphysischen, individuellpsychologischen und historischen Züge zu einer merkwürdigen Einheit verwebt sind«. Eduard Spranger diagnostizierte bereits frühzeitig eine Kulturkrise, die mit dem neuen Jahrhundert begonnen habe. Allerdings war er anfänglich der Meinung, daß es sich dabei keineswegs um einen Verfall handele. Vielmehr sah er in der sich abzeichnenden Krise eine sich ankündigende Wiedergeburt. »Gerade darin liegt | die lebendige Funktion des
Verfallsgefühls und der Fortschrittssehnsucht, daß sie messianische Erwartung wecken. Erwartung aber beflügelt die Tat. Das alles
haben nur wir Deutsche heut, weil auf uns die tragische Bestimmung liegt, die neue Weltstufe durchzukämpfen für die anderen«,
erklärte er 1926 in dem Vortrag »Die
Kulturzyklentheorie und das Problem des
Kulturverfalls«. Nach dem Nationalsozialismus, der
»deutschen Katastrophe« von 1945 und den
Entwicklungen in den 50er Jahren wurden die Diagnosen Sprangers immer
pessimistischer. 1953 sprach er in seiner Schrift
»Ist der moderne Kulturprozeß noch
lenkbar?« bereits von einer Kulturapathie und
Vermassung. Dem Menschen sei das Wertvollste seines Wesens verlorengegangen: »das
mutige Wollen in die Welt hinein, der Schwung der Freiheit, und die Orientierung dieses
Wollens an sittlichen Maßstäben«.
Schließlich gelangte er 1960 in dem Aufsatz »Leben
wir in einer Kulturkrisis?« zu der düsteren
Feststellung, daß sich das System der Mittel
von der Lenkung durch sinngebende Zwecke emanzipiert habe und daß damit den
Menschen das Gefühl vermittelt werde, ihnen
sei das Steuer längst entglitten. »Die
Entscheidung für einen Endwert, für die inneren
Gehalte der Kultur und der Lebensführung, ist hier fast in Vergessenheit geraten ...
Diese leer gebliebene Stelle ist es, die uns drückt.«
Am 17. September 1963 starb Eduard Spranger in Tübingen. | ||||||
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Denkanstöße
Die Wucht der Masse und Nietzsches halb verstandener Übermensch, das waren
die beiden Pole, zu denen meine Altersgenossen sich hingedrängt fanden. Beide
bedeuteten gefährliche Klippen. Die Vermassung
mußte zur Entmachtung des verantwortlichen
Wollens führen, das Herrenmenschtum zu einer oft ebenso verantwortungslosen
Schätzung bloß äußerer Gewinne und Erfolge. Der Nationalsozialismus zeigt das reife Ergebnis beider Fehlentwicklungen: einen
einseitigen Machtmenschen oder vielmehr eine Machtclique an der Spitze, dahinter eine gedankenlose Gefolgschaft, berauscht vom Anfangsglück, betrogen und zerschmettert vom Ausgang des Dramas ...
| Macht des Massenwillens hinter ihnen
steht, so würde sie urteilslos vom Strom der
Zeit mitgerissen. Glaubte sie anderseits,
Mächte, die als Realität gegeben sind, ignorieren
zu können, so wäre sie weltfremd und
nicht zum Mitreden berufen.
Der wahre Historiker ist der Mensch, der in seiner Zeit, ihr existentiell verhaftet, doch über sie geistig hinausgewachsen ist. Er muß sich als Persönlichkeit mit seiner Welt auseinandergesetzt haben. Also muß er rein sein. Indem er deutet und darstellt, richtet er schon ganz im stillen ... Aber wenn man von dem philosophischen Historiker sagen dürfte: Er urteilt über die Geschichte so, als ob in ihm die Stimme eines überlegenen gerechten Richters spräche, dann hätte der historische Geist in ihm die reinste Gestalt erreicht. Aus: Berliner Geist, Tübingen 1966, S. 13/14; 181/183 Wenn der tiefe und echte Gehalt einer gegebenen Religion, einer Wirtschaft, einer Staatsordnung, eines geltenden
Rechtes nicht mehr verstanden, nicht mehr bejaht, nicht mehr weitergebildet wird, so
entsteht eine Kulturkrisis, die durch die Fortdauer
in eine eigentliche Verfallsepoche übergehen kann.
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© Edition Luisenstadt, 1997
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