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Schönhauser Allee um, gedreht wurden »ägyptische« Zigaretten, verarbeitet Tabake aus dem Orient. Diese Geschmacksrichtung war groß in Mode gekommen. Passend dazu erfand Josef Garbáty die »Königin von Saba«. Reichtum, nicht Schall und Rauch, brachte ihm dieser Name. Er ließ ihn 1898 patentieren. Als Garbáty beschloß, mit seiner Zigarettenfabrikation nach Pankow zu ziehen, hatte seine »Königin« ihn bereits zum steinreichen Mann gemacht. 1906 begann der Neubau in der Hadlichstraße. Es dauerte nur wenige Jahre, dann war die Zigarettenfabrik zu einem großen Industriebetrieb in Pankow herangewachsen. Die weißrussische Emigrantenfamilie Garbáty war endgültig in Deutschland angekommen, hatte in Pankow eine Heimat gefunden.
     Als Josef Garbáty am 29. Juni 1939 im Alter von 87 Jahren starb, war er einsam und allein. Seine Familie hatte längst das Land verlassen, war nach Amerika ausgewandert. Er selbst verspürte keine Lust mehr auf die Ferne.
     Nach dem Krieg wurde Garbáty ein Volkseigener Betrieb, heute gehören das Gelände und die leerstehenden Hallen einer Immobilienfirma, kaum etwas erinnert an das Lebenswerk des einstigen Zigarettenkönigs. Und vielleicht wären der alte Mann und sein Werk ins ewige Vergessen gesunken, hätten nicht in liebe- und mühevoller Kleinarbeit Historiker und andere Akademiker in einem ABM-Projekt unter Regie des Museums die
Bernd Siegmund
Kostbarkeit – mit Füßen getreten

Ende der 30er Jahre nahm man der »Königin von Saba« ihren Herrschertitel. Fortan durfte sie sich nur noch »Saba« nennen, wurde als schlichte, deutsche Zigarette geraucht. Weg war der blaue Dunst des Morgenlandes, der die Sinne der Süchtigen so erfolgreich betört, die Raucher auf einer Nikotinwolke in die geheimnisvolle Welt der Minarette, der Abenteuer und der schönen Frauen entführt hatte. Am 12. November 1938 konnte jedermann in der Pankower Heimatzeitung »Der Norden« lesen, was geschehen war: »Mit der Übergabe des gesamten Garbáty- Besitzes ... ist die Arisierung ... endgültig Wirklichkeit geworden.«
     Um das Jahr 1851 herum, so haben Recherchen des Pankower Heimatmuseums ergeben, war die jüdische Familie Garbáty aus Weißrußland nach Berlin gekommen. 1875 begann der Vater damit, Tabake zu mischen, die Familie stellte in Heim- und Handarbeit Zigaretten her, aus dem Bauchladen heraus wurden sie verkauft. Der Erfolg war so groß, daß der älteste Sohn Josef beschloß, Fabrikant zu werden. Im Jahre 1881 gründete er in der Linienstraße sein erstes Unternehmen. Zwölf Jahre später zog die Firma in die

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weit verstreut liegenden Mosaiksteinchen seines Lebens gesucht, gesammelt und zusammengesetzt.
     »Sieben Monate lang erinnerte das Heimatmuseum in einer großen Ausstellung an den Pankower Josef Garbáty«, sagt Barbara Keil, eine der beiden engagierten hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Panke-Museums, das seinen Namen im Dezember
1993 erhielt. Zeitgleich erschien ein Museumsblatt zum Thema. Diese Publikationen, die von einer Arbeitsgemeinschaft des Museums betreut werden, sind einerseits Programmheft, begleiten in Form von Arbeitsberichten und Hintergrundinformationen die aktuellen Ausstellungen des Hauses, andererseits dokumentieren in ihnen Mitarbeiter und Freunde des Panke-Museums wichtige heimatkundliche Arbeiten. So beschäftigt sich beispielsweise die Nummer 1/97 mit der Pankower Zeit des Dichters Hans Fallada, der im November 1945 auf Anraten von Johannes R. Becher in das sogenannte »Städtchen« zog. »Mit dieser Veröffentlichung«, so Barbara Keil, »wollen wir an Hans Fallada erinnern und zugleich zeigen, daß er auch 50 Jahre nach seinem Tod in Pankow nicht vergessen ist.« – Andere Museumsblätter wieder berichten über »Die Elsa- Brändström- Straße im Wandel der Zeiten« (3/96), über die »Pankower Siedlungsgeschichte« (1/96) oder das »Schloß Schönhausen« (2/95).
     Mit den nächsten Forschungs- Vorhaben werden sich die Mitarbeiter des Panke-Museums verstärkt darum kümmern, den weißen Flecken in der Regionalgeschichte Farbe zu geben. An guten Projekten mangelt
Das Eingangsportal zum Panke-Museum erinnert an die einstige Wohlhabenheit des Hauses.
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es nicht. Hoffentlich werden auch interessante Ausstellungen daraus. Durchschnittlich 4 000 Besucher im Jahr konnten im Museum begrüßt werden, offensichtlich stießen die Ausstellungen bei vielen Bürgern Pankows auf großes Interesse. Also, was ist zu tun? Die Geschichte des Pankower Abschnitts der Berliner Mauer ist aufzuarbeiten. Und man wird sich um das sogenannte »Pankower Städtchen« kümmern. Dann wartet die Geschichte des Schloßes Schönhausen darauf, intensiver erforscht zu werden. Hier interessieren besonders die Jahre nach 1933 und nach 1945. Schließlich wird die Erich-Weinert- Siedlung geschichtlich unter die Lupe genommen werden.
     »Aber jetzt freuen wir uns erst einmal auf das Museumsfest, das wir einmal im Jahr feiern«, sagt Barbara Keil. »Es findet am 19. August statt und steht unter dem Motto: >Pankower Hofhaltungen<. Dazu werden wir den alten Küchenherd anheizen, Waffeln auf ihm backen, etwas aus der Geschichte des Gartenhofs erzählen, ein historisches Handwerk vorstellen, uns amüsieren. Das Fest ist eine schöne Gelegenheit, all denen zu danken, die durch ihre freundschaftliche Mitarbeit unser Haus in ein lebendiges Museum verwandelt haben.«
Im Jahre 1965 wurde die heimatkundliche Sammlung im Stadtbezirk Pankow gegründet. Damit ist das Museum in der Heynstraße 8 eines der ältesten im Ostteil der Stadt. Es berichtet nicht nur über Geschichte, es hat auch eine. Anfang der 70er Jahre erst wurde die Wohnung , in der sich das Panke-Museum befindet, entdeckt. Sie war reich mit Neo- Barockornamenten ausgestat-

Den Kachelofen im Salon baute die bekannte Ofensetzerdynastie C. Schulz aus Neustrelitz.

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tet, hatte prachtvolle, hohe Öfen und ein exklusives Badezimmer mit einer luxuriösen, gefliesten Wanne. Die Wohnung »roch« regelrecht nach vergangenem Reichtum. Es stellte sich heraus, daß sie dem Fabrikanten Fritz Heyn gehört hatte, der sein Geld mit dem Import und der Verarbeitung von Stuhlrohrmöbeln verdiente, jahrzehntelang in der Pankower Gemeindevertretung saß und hier uneigennützig als Gemeinde- schöffe arbeitete. Heyn hatte einen großen Teil seines Geldes in Grundbesitz angelegt. Unter anderem kaufte er sich in den Jahren 1886 bis 1891 Grundstücke in der Florastraße, in der Görsch-, Gaillard- und Heynstraße, die 1891 nach ihm benannt wurde. Auf dem Grundstück Heynstraße 8 ließ er sich 1893 ein repräsentatives Wohnhaus vom Berliner Architekten Fröhlich bauen und zog gemeinsam mit seiner Familie dort ein. Die Fassade des Hauses, leider ahnt man heute nichts mehr davon, war mit prächtigen Stuckelementen versehen, ein schöner Garten mit Gartenlaube rundete das Ensemble ab. 1943 wurde das Haus von Bomben getroffen und brannte teilweise aus. Die lädierte Fassade wurde leider in den 60er Jahren nicht restauriert, sondern abgeklopft, die Mauern glatt verputzt. Fritz Heyn erlebte das alles nicht mehr, er starb im Jahre 1928. Zwei seiner Töchter aber mußten wohl oder übel mit der neuen Zeit auskommen. Unverheiratet und weltfremd, lebten sie hier bis 1972. Sie hinterließen die prachtvollen Zimmer, in denen die reiche Wand- und Deckenbemalung allerdings nach 80 wechselvollen Jahren kaum noch zu erkennen war. In diese Wohnung sollte 1973 ein Organisationsbüro für die Weltfestspiele der Jugend und Stu-
Küchenherd um 1910
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denten einziehen. Aber zuvor mußte renoviert werden. Unter anderem war geplant, die prachtvollen Öfen abzureißen. Gott sei Dank wurde der historische Wert der Wohnung noch rechtzeitig erkannt. Die Denkmalpflege kam, sah und staunte. Und das Organisationskomitee der Weltfestspiele mußte sich eine neue Bleibe suchen. Die Wohnung wurde dann aufwendig restauriert, 1974 zog das Panke-Museum hier ein und residiert seither in Räumen, die so prachtvoll sind, daß sogar der englischsprachige Baedecker sie erwähnt.
     Grundstock des Museums waren einst Akten, Zeitungsausschnitte, Bücher und Foto- Dokumente, die Rudolf Dörrier, der erste Nachkriegsleiter der Pankower Bibliothek, in der Zeit der Wirren nach 1945 über die Zeit gerettet hatte. Zunächst im Pankower Rathaus untergebracht, umfaßt die heimatkundliche Sammlung heute frühgeschichtliche Funde aus dem Bereich Pankows ebenso wie Gegenstände des täglichen Gebrauchs, alte Lampen, Möbel, Münzen, Bücher.
     Es macht einfach Spaß, durch die Wohnung im ersten Stock des Hauses zu gehen, sich umzuschauen und zu staunen. Über die Mädchenkammer beispielsweise, die im Museum zu besichtigen ist. Ein »schmales Handtuch«, das von der Küche abgeht, in ihm kann man sich weder drehen noch wenden: Kleinst- Lebensraum für Dienstboten. Man erfährt dazu, daß von den 205
Dienstmädchen, die einer Untersuchung zufolge um die Jahrhundertwende in »Pankower Diensten« standen, 128 auf dem Hängeboden schliefen, 27 in einer dunklen Dachkammer oder auf dem Boden, 18 im Badezimmer, 15 in der Küche, sieben im Keller und sechs im Korridor. Nur zwei Dienstmädchen hatten ein eigenes Zimmer.
     Nicht weniger interessant ist die Einrichtung der Küche, die originale Heynsche Sitzecke, die wuchtigen Kandelaber, die alte Standuhr und das Clavichord, das die Witwe des Schriftstellers Michail Tschesno- Hell dem Museum schenkte. Besonders stolz sind die Mitarbeiterinnen des Museums auf einige Zentimeter Originalstreifen vom »Filmerfinder« Max Skladanowsky (1863–1939), die seine Tochter dem Panke-Museum »vermachte«. Auf eine weitere Kostbarkeit darf der Besucher sogar mit Füßen treten, auf den im Original erhalten gebliebenen Linoleum- Fußboden des »Berliner Zimmers«. Er ist so alt wie das Haus selbst: 104 Jahre! Daß die ursprünglich bräunlich- schwarze Kunststoffmasse, die bei Übernahme des Hauses an vielen Stellen gebrochen, rissig und versotten war, heute wieder in alter, bodenfrisch gewienerter Schönheit erstrahlt, verdankt das Museum dem Malermeister Werner Erdmann. Er erwies sich als ein oft ehrenamtlicher, aber stets perfekter Linoleum- Restaurator.
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© Edition Luisenstadt, 1997
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