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Felix Escher
Kaiser Wilhelm II. und der Brandenburgische Provinziallandtag

In der umfassenden Reform der preußischen provinzialen Institutionen (1875/76), die durch die Organisations- und Zuständigkeitsgesetze am Anfang der 80er Jahre abgeschlossen -wurde, hatte man dem Herauswachsen Berlins aus den Verhältnissen der Provinz Brandenburg weitgehend Rechnung getragen und die Trennung der Stadt aus den provinzialen Einrichtungen rechtlich fixiert. Daß diese Trennung nicht vollständig war, kann an mancherlei Beispielen gezeigt-werden: Die Bildung einer gesetzestechnisch vorbereiteten Provinz Berlin unterblieb.
     Der brandenburgische Provinzialverband, der nun zum Rechtsnachfolger der bisherigen kommunalständischen Verbände geworden war, behielt seinen Sitz in der preußischen Hauptstadt. Der Sitz der Institution befand sich zunächst im alten Ständehaus in der Spandauer Straße 59. Dieses bereits im 18. Jahrhundert von den Kurmärkischen Ständen genutzte und mehrfach umgebaute Gebäude

erwies sich freilich infolge der neuen Aufgaben ab 1876 - als zu klein, und auch ein Neubau kam auf dem Grundstück nicht in Betracht.
     Die Frage der Verlegung des Geschäftsortes nach einer in der Provinz selbst gelegenen Stadt oder dessen Beibehaltung in Berlin wurde zugunsten der Hauptstadt entschieden, im Jahre 1885 wurden die Grundstücke Matthäikirchstraße 20 und 21 angekauft. Der Neubau mit vier Säulen zu Seiten des Haupteinganges, über die sich die vier Standbilder von Fürsten, welche von besonders hervorragender Bedeutung für die Entwicklung der Mark Brandenburg waren, erhoben, erfolgte 1885 bis 1888. Nicht auf der repräsentativen Straßenseite, sondern im Seitenflügel befand sich der durch Oberlicht erhellte Sitzungsaal des Landtages. Er war über den lediglich mit einer Ziegelfassade versehenen Innenhof zugänglich. Im Ergebnis war die Reform eher eine behutsame Modernisierung des von den Landkreisen und den Städten auf der Basis der kommunalen, ungleichen Wahlrechte beschickten Landtages, keinesfalls eine durchgreifende Veränderung. Monarch und Institution pflegten im Verhältnis zueinander die vorkonstitutionellen Formen, wie im Folgenden am Verhältnis zwischen Monarch und Regionalparlament zu zeigen ist.
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     So hatte sich der Brandenburgische Provinziallandtag bereits einige Zeit vor der Thronbesteigung Willielms 11. nachhaltig dem künftigen König und Kaiser empfohlen und dabei zugleich einen Verstoß gegen die Haushaltsordnung sanktioniert: Am 17. Januar 1881 beschloß der Provinzialausschuß anläßlich der Vermählung des Prinzen einstimmig, der Braut ein Perlencollier mit Brillanten, eine dreifache Perlenkette mit eingelegtem märkischem Adler »in historischer Gestalt« im Wert von 42 000 Mark »unter Beantragung der Indemnität« zu schenken. Zwei Monate später, am 17. März 1882, machte der Abgeordnete (Hans-Wilhelm) v. Rochow(-Plessow) nähere Angaben: Der Landtag stimmte ebenfalls einstimmig zu und erteilte die Indemnität, das heißt, die Ausgabe von Haushaltsmitteln ohne vorherige Bewilligung wurde nachträglich für rechtens erklärt.
     Hans-Wilhelm v. Rochow-Plessow, der sich so für das Hochzeitsgeschenk einsetzte, hatte am 40. März 1856 im Duell den Berliner Polizeipräsidenten Carl Ludwig v. Hinckeldey getötet. Hier aber nahm er, der auch Mitglied der Ersten Kammer des Preußischen Parlamentes gewesen war, eine traditionelle Aufgabe der Ständeversammlung wahr. Seit dem Mittelalter war es üblich, zur Vermählung der Landesherrn, aber auch der landesherrlicher Prinzen, »Hochzeitshilfen« zu bewilligen.
     Die Staatsaufsicht über den Landtag und die gesamte, in der Verschränkung von Legislative und Exekutive für den Staat Preußen so charakteristische Neuorganisation im Rahmen der Provinz wurde dem Oberpräsidenten, dem höchsten Staatsbeamten in der Provinz, zugewiesen. Als Vorsitzender des Provinzialrates hatte er darüber hinaus eine Schlüsselstellung in diesem aus Verwaltungsbeamten und dem aus ebenfalls zumeist gleich ausgebildeten Vertretern der Provinzialausschüsse zusammengesetzten Entscheidungsgremium. So war der Oberpräsident, nicht der Landesdirektor, Einladender bei den die Landtagssession begleitenden traditionellen Festmählern.
     Das Amt des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg hatte seit 1878 der vormalige erste Oberpräsident der Provinz Westpreußen (1876-1878), Heinrich Achenbach, inne. Prinz Wilhelm trat mit dem Spitzenbeamten im Jahre 1882 im Zusammenhang seiner -Vorbereitung auf das Herrscheramt in näheren Kontakt. Durch eine Allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 2. Oktober des Jahres bestimmte der kaiserliche Großvater, Kaiser Wilhelm I., daß Prinz Wilhelm »während des bevorstehenden Winter-Halbjahrs in die Kenntniß der Civil-Verwaltung Meiner Monarchie durch den Ober-Präsidenten, StaatsMinister Dr. Achenbach nach einem von demselben entworfenen Plan,< eingelührt werden sollte ... Achenbach hat diese Aufgäbe erfolgreich lösen können.
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In seiner im holländischen Exil entstandenen Autobiographie sprach sich Wilhelm II. mit Anerkennung, wenn auch ohne Wärme, über die Vorbereitungszeit, die ihn in die wirtschaftlichen Zusammenhänge eingeführt hätte, aus. Die rein juristische Seite - mithin auch die Stellung des Provinzialverbandes in der Staatsverwaltung - interessierten den künftigen Thronfolger dagegen weniger.
     Am 8. Februar 1888 nahm Prinz Wilhelm Kronprinz war zu diesem Zeitpunkt noch sein Vater - an dem traditionellen Festmahl, das anläßlich der Landtagssession gehalten wurde, teil. In der dabei gehaltenen Ansprache des Prinzen finden sich bereits typische, in späteren Reden zum gleichen Anlaß wiederkehrende Elemente. Er schloß mit dem abgewandelten Bismarck-Zitat »Wir Brandenburger fürchten nur Gott und sonst nichts auf der Weit! « Wie auch in späteren Reden folgen hier nach der moderaten Einleitung die gegen einen imaginären Feind gerichteten Kraftworte, die in einem populären Schlachtruf gipfeln.
     Am 3. März 1890 folgte der Kaiser der Einladung zum Festmahl. Auch diesmal fand das Essen im Hotel Kaiserhof statt. In der Ansprache ging der Kaiser wiederum auf das enge Verhältnis des Hohenzollernhauses zum Lande ein. Abschließend aber kam er zu dem Themenkreis, den ich als Hauptmotiv seiner Reden vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag bezeichnen möchte: eine Würdigung der Leistungen und Ziele des Großvaters, Kaiser Wilhelms I., »der seine Stellung als eine Ihm von Gott gesetzte Aufgabe ... widmete «. Der Kaiser ergänzte dies: »So wie er dachte, so denke ich auch«
Wiederum vergaß er nicht, eine - daraufhin sprichwörtlich gewordene - Drohung gegen die -imaginären - Feinde herauszuschleudern: »Diejenigen jedoch, die sich Mir bei dieser Arbeit in den Weg stellen, zerschmettere ich.«
     In seiner Rede vom 20. Februar 1891 fand Kaiser Wilhelm II. warme Worte für den kurz zuvor verstorbenen Hans-Willielm v. Rochow-Plessow, »einem altem Edelmann von treuem festen Schrot, einem Vorbild aller ritterlichen Tugenden, der seinem Fürstenhause treu ergeben war«. Wiederum wurde die »rastlose Tätigkeit« des Großen Kurfürsten beschworen, bevor er abermals zu den Widerständen gegen seinen Kurs kam: »Es schleicht der Geist des Ungehorsams durch das Land, gehüllt in schillernd verführerisches Gewand ... versucht er zu verwirren; eines Oceans von Druckerschwärze und Papier bedient er sieh, um die Wege zu verschleiern ... « Das Gottesgnadentum wird in die Formel gekleidet, »Sie wissen, daß ich Meine ganze Stellung und Meine Aufgabe als eine Mir vom Himmel gesetzte auffasse«. Er schloß mit dem markigen Appell: »Nun Brandenburger! Ihr Markgraf spricht zu Ihren! Folgen Sie ihm durch Dick und Dünn auf allen den Wegen, die Er Sie führen wird! «
     Aus der Ansprache des Jahres 1892 sind einige Passagen für den kaiserlichen Redner sprichwörtlich geworden, so der Zuruf an die »Nörgler, lieber den deutschen Staub von den Pantoffeln« zu schütteln und die »felsenfeste Überzeugung, daß unser Alliierter von Roßbach und Dennewitz Mich ... nicht im Stich lassen wird.
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Er hat sich so unendliche Mühe mit unserer alten Mark und unserem Haus gegeben, daß wir nicht annehmen können, daß er dies für nichts gethan hat. Nein, im Gegenteil, Brand-enburger, zu Großem sind wir noch bestimmt und herrlichen Tagen führe ich euch noch entgegen.« Er schloß diesmal mit dem Ausspruch: »Mein Kurs ist der richtige, und er wird weiter gesteuert! «
     Die zudem jeweils als Antwort auf die Grußworte des Einladenden gedachten Ansprachen hatten keinen langen Vorlauf. Für die Jahre 1891/92 wissen wir vom Gang der Einladung. Sie wurde in beiden Fällen recht kurzfristig vereinbart. Für 1891 teilte das Kgl. Ober-Ceremonien-Amt dem Landesdirektor von Levetzow am 9. Februar des Jahres mit, daß in Erwiderung eines Schreibens vom Vortage Seine Majestät an dem von den Mitgliedern des Brandenburgischen Provinziallandtages zu veranstaltenden Festmahl am 20. des Monats um sechs Uhr abends teilnehmen werde. Für 1892 war es der Landesdirektor, der den Holmarschall am 5. Februar darüber informierte, daß Seine Majestät die Gnade gehabt hätte, mündlich seine Teilnahme »am gemeinsamen Mittagsmahl des Provinziallandtages« im Hotel Kaiserhof am 21. Februar zu erklären. Vieles dürfte extemporiert gewesen sein. Konzeptunterlagen fehlen.
     Weniger spektakulär waren die in diesem Zusammenhang gehaltenen Ansprachen der Jahre 1893 und 1894. Der Höhepunkt und zugleich ein vorläufiges Ende derartiger Reden aber war das Festmahl des Brandenburgischen Provinziallandtages am 26. Februar 1897, als der Kaiser vor den 140 geladenen Gästen über seinen kaiserlichen Großvater als »Instrument der Vorsehung«, der die »Großen Gedanken bereits in seinem Haupte fertig« gehabt hätte und - hätte er im Mittelalter gelebt - »heilig gesprochen« worden wäre, sprach. In der Nähe »Kaiser WilheIms des Großen«, wie der Großvater in diesem Zusammenhang genannt wurde, wäre »mancher brave, tüchtige Ratgeber« gewesen, »der die Ehre hatte, seine Gedanken ausführen zu dürfen, die aber alle Handlanger seines erhabenen Willens waren«. Die nach ihrem Kernsatz »Handlangerrede« genannte Ansprache fand ein besonders starkes Echo in der Öffentlichkeit. Danach trat der Kaiser nur noch in dem folgenden Jahr 1899 als Redner beim Festmahl des Brandenburgischen Landtags in Erscheinung. An der von ihm vertretenen Botschaft kann die nun folgende Abstinenz wohl nicht gelegen haben. Sie fällt eher mit dem 1899 stattgefundenen Wechsel im Amt des Oberpräsidenten von Achenbach zu Theobald von Bethmann-Hollweg, dem späteren Reichskanzler, zusammen.
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Das Fernbleiben des Monarchen änderte keineswegs die monarchische Gesinnung des Landtages. 1904, als wiederum die Vermählung eines Kronprinzen anstand, wurden 80 000 Mark für ein »Perlencollier mit Diamantagraffe«, gefertigt vom Hofjuwelier Friedländer, bewilligt. Zum 25. Regierungsjubiläum Wilhelms II., 1913, wurden allerdings keine Juwelen mehr geschenkt, sondern vielmehr die Stiftung einer Hebammen-Lehranstalt beschlossen. Sie konnte im Kriegsjahr 1917 in der Stadt Neukölln ein.geweiht werden.
     Die Kommunikation zwischen Monarch und Landtag geschah in altständischen Formen, aber über moderne Medien: 1908 bis 1912 teilte man dem Monarchen telegrafisch die Eröffnung mit der Formel: »Der Brandenburgische Landtag ist zusammengetreten und huldigt in alter Treue seinem allergnädigsten Markgrafen« mit, und der Herrscher dankte knapp auf gleichem Wege. Während des Ersten Weltkrieges ging man von dieser Formel ab und verband etwa 1916 die Huldigung »mit dem Gelöbnis unwandelbarer Treue bis zum letzten Blutstropfen«, was-einen »wärmsten Dank« aus dem kaiserlichen-Hauptquartier zur Folge hatte. Bis zum letzen Kriegsjahr wurde diese Art der Kommunikation beibehalten.
     Bestimmend für das Verhältnis von Landesherr und Provinziallandtag waren nicht die in den Verwaltungsreformen zugewiesenen Aufgaben der Versammlung,
sondern deren ständische Tradition. Dazu gehört auch der äußerliche Rahmen, das Festmalil und nicht die Sitzungen mit den Ausschüssen und Kommissionen, in denen sich der Wandel der Schwerpunkte legislatorischer Arbeit hin zu den Erfordernissen des modernen Wohlfahrtstaates zeigte. Wilhelm II. fand bei den zu den Festmählern Eingeladenen eine Hörerschaft, die ihn als »geborenen Redner« zu Äußerungen mitriß und inspirierte, die -er vor anderen Zuhörerkreisen niemals gemacht hätte. Da die Bühne des so schauspielerisch begabten Monarchen nicht irgendwo in der Provinz, sondern in der Hauptstadt stand, führten die Reden bei weniger inspirierten Zeitgenossen zu weltweiter Aufmerksamkeit.
     Ganz im Sinne eines konstitutionellen Monarchen, vermied Wilhelm II. in den Fällen, in denen er die Thronrede vor dem preußischen Parlament persönlich hielt, Anspielungen auf das Gottesgnadentum. Dort hatte Wilhelm II. nach seinem Regierungsantritt in der Thronrede bei der Eröffnung des Preußischen Landtages am 27. Juni 1888 ein Gelöbnis auf die Verfassung abgelegt.
     Vor den Provinzialorganen aber hat er - unter Hinweis auf seinen Großvater geglaubt, diese Rechtsauffassung vor einer dafür geeigneten Zuhörerschaft unterlaufen zu können. Das Gottesgnadentum wurde auch wohl um nicht eid- und verfassungsbrüchig zu werden - lediglich in Einrichtungen, die unterhalb der Verfassungsorgane standen, propagiert.
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Dies geschah über einen längeren Zeitraum durchaus systematisch, so noch 1910 in Ostpreußen. Der informelle Rahmen des Festmahles des Brandenburgischen Landtages als Bühne für derartige Äußerungen ließ den unter dem Erwartungsdruck der altständischen Gefolgschaft stehenden Herrscher im Kernraum seiner Monarchie starke Worte finden und erfüllte - unter einem Erwartungsdruck stehend, wie jüngst Nicolaus Sombart hervorhob - dabei zugleich die Wünsche und Vorstellungen des sehr konservativen Auditoriums.
     Eine Gefahr für das Verfassungsleben stellten die kaiserlichen -Äußerungen wohl in keinem Fall dar, wenn auch der Monarch wohl das eine oder andere Mal das Wort für die Tat hielt. Es bleibt ein Zwiespalt zwischen den kaiserlichen Äußerungen auf provinzialer und gesamtstaatlicher Ebene. Aber hat der labile Herrscher wohl nicht sowohl vor dem Preußischen wie Brandenburgischen Provinziallandtag das gesagt, was die jeweilige Zuhörerschaft allzu gern hören wollte?

Zu Ehren der Emeritierung von Professor Ingo Materna fand am 4. April 1997 an der Humboldt-Universität ein wissenschaftliches Kolloquium statt.

Das Thema: »Stadt und Provinz, Berlin und Brandenburg in Wechselbeziehung. « In loser Folge veröffentlichen wir Beiträge von diesem Kolloquium.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1997
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