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Joachim Bennewitz
Erkundungen 1847 -
Leben aus dem Amtsblatt

KÖNIGL. PREUSS. AMTSGERICHT BERLIN-PANKOW lautet die Umschrift auf dem Stempelabdruck mit dem Adler. Kalligrafisch fein ist hinzugesetzt, daß es sich um die Registrier-Nr. F 91 handele und der Band ins Zimmer 181 gehöre. Von anderer Hand, eilig zwar, dennoch in Respekt abnötigender Kanzleischrift: Zoll-Amt. Diese Herkunftsmerkmale befinden sich auf dem Titelblatt eines Buches, das vor vielen Jahren im Antiquariat gekauft wurde. Wir sprechen vom AMTS-BLATT der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jahrgang 1847. Neu kostete es 15 Silbergroschen für 430 Seiten. Weitere drei Sgr. und neun Pfennige waren zu bezahlen für 35 Seiten Anhänge. Das war wohl nicht zu teuer, wenn man bedenkt, daß zur gleichen Zeit ein Quart doppelten Branntweins rund sechs Silbergroschen kostete. Schließlich: Das Buch ist noch da. Der Branntwein schon längs nicht mehr.
     1847 - in diesem Jahre finden in Deutschland zahlreiche Hungertumulte statt, erscheint in Frankreich das »Elend der Philosophie«, erst fast 40 Jahre später wird eine deutsche Ausgabe vorliegen.

Im Oktober des Jahres erhält ein Werner Siemens das preußische Patent auf den ersten Telegraphenapparat, 1847 ist das Geburtsjahr Max Liebermanns, und schließlich begründet David Kalisch mit dem Stück »100 000 Taler« die Ära der Berliner Lokalposse.
     Vom 11. April bis zum 26. Juni tagt im Weißen Saal des Berliner Schlosses der Vereinigte Landtag; Friedrich Wilhelm IV. sah sich unter dem Druck finanzieller Ebbe in der Staatskasse gezwungen, die bisher getrennt arbeitenden Provinzialtage gemeinsam einzuberufen. Hier kommt es zum ersten Kräftemessen zwischen dem Monarchen und den aufstrebenden Kräften aus dem Bürgertum. Diese wollen künftige Zustimmungen zu Anträgen der Regierung von der Bewilligung weitgehender Mitspracherechte abhängig machen. Es gelingt ihnen, die Mehrzahl der Abgeordneten zum Veto gegen die königlichen Geldforderungen zu bewegen. Erstmals wird in diesem Land ein Monarch mit dem Leitsatz künftiger Generationen konfrontiert: In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf.
     Nicht alles, was sich in diesen zwölf Monaten ereignet, findet seinen Niederschlag im Amtsblatt. Die Mißernten der letzten drei Jahre allerdings werden kommentiert, da sie die Preise für Nahrungsmittel, Viehfutter und andere wichtige Erzeugnisse der Landwirtschaft erheblich haben ansteigen lassen. In Stück 9 des Amtsblattes wird dazu eine Bekanntmachung der Abteilung des Inneren veröffentlicht.
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In dieser wird nach anfänglich besänftigenden Äußerungen über die »nichtunergiebig ausgefallene Ernte« des Vorjahres schließlich vor der Hoffnung auf fallende Preise gewarnt, da »der in anderen Provinzen und Ländern ... herrschende Mangel auf die Preise ... in unserer Provinz zurückwirkt«. Vorsorglich wird geraten, einen »größeren Teil des Grund und Bodens ... mit Frühkartoffeln, Mairüben, Wasserrüben, Stoppelrüben, Kohlrabi und selbst Mohrrüben zu bestellen«. Einige Zeit später, am 25. April, benutzt der Oberpräsident der Provinz Brandenburg das ministerielle Blatt, um mit praktischen Vorschlägen dem erneut drohenden Hunger zu begegnen. Seines Wissens »... sind an mehreren Orten Hinterpommerns kürzlich Versuche gemacht worden, aus Mehl von Queckenwurzeln, unter Zusatz von Roggenmehl, Brod zu backen, die überraschend günstige Resultate lieferten, indem das erzielte Brod von dein Brode aus reinem Roggenmehl kaum zu unterscheiden, ja der Geschmack des Queckenbrodes fast noch angenehmer sein soll«.
     Trotz der Verwendung des Konjunktivs und unterstützt vom kleinen Wörtchen »fast« wird, um allem noch mehr Überzeugungskraft zu verleihen, abschließend versichert, daß die Queckenwurzel »keine Spur eines der Gesundheit nachtheiligen Stoffes, vielmehr viel Schleimzucker neben Extractiv-Eiweiß und Faserstoff« enthält.
Sie »ist daher nicht nur gesund, sondern zugleich nährend« - was ja für Brot sicherlich nicht unbedeutend sein dürfte. Wer darüber hinaus weiß, daß Quecken auch im schlechtesten Erntejahr auf jedem Brandenburger Boden als unerwünschte freiwillige Gabe der Natur zur Verfügung stehen, wird sich die Erleichterung vorstellen können, die den Oberpräsidenten befallen haben muß, als ihm sein Amtskollege aus der Nachbarprovinz diese Hilfestellung hatte geben können.
     Den Präsidenten des Königlichen Polizeipräsidiums in der Hauptstadt dagegen veranlaßt die Versorgungslage, andere Wege zu beschreiten. Er befiehlt die administrative Bekämpfung des Mangels. Nicht der Hunger führe zu leeren Regalen bei den Bäckern, so seine These, sondern deren ungenügende Sorgfalt bei der Ausübung ihres Handwerks. Deshalb müsse man sie veranlassen, »stets soviel altbackenes Brod in Vorrath zu halten, daß sie der Nachfrage genügen können«. Gutmütig setzt der Herr Präsident hinzu: »Das Polizei-Präsidium hegt das Vertrauen, daß sämmtliche Bäcker diesem nach sich so einrichten werden, daß jedes Begehr der Käufer nach altbackenem Brode Befriedigung findet, da dasselbe sich anderen Falles genöthigt sehen würde, auf Grund einer hier zu ermächtigenden Allerhöchsten Cabinetsordre vom 3. d. M., den Verkauf von altbackenem Brode zwangsweise einzuführen.«
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Selbst der Monarch kommt also nicht umhin, sich mit derlei profanen Dingen zu beschäftigen.
     Im gleichen Blatt wird mit Nachdruck darauf verwiesen, daß Auswanderungsgesuche nach Amerika wenig Aussicht auf Erfolg haben, da auf Grund eines US-amerikanischen Gesetzes spürbar höhere Kosten für die Überfahrt wirksam geworden sind. Es handelt sich um eine Verteuerung der Tickets ab Rotterdam von 44 bis 46 Gulden auf 90 bis 110 Gulden, Beträge also, die angetan sind, warnend auf die Reisewilligen einzuwirken.
     Hatte Se. Majestät bereits früher geruht, Erleichterungen für das einfache Volk zu schaffen, so ist nun über eine weitere zu berichten. Um »der bevorstehenden Erndte, welche eine gesegnete zu werden verspricht, keine arbeitsamen Hände zu entziehen«, wird verfügt, daß die fälligen Übungen der Landwehr-Infanterie ausfallen.
     Erstaunlich wirkt auch eine am 10. August erlassene Weisung an alle Vollzugsorgane im Lande, die in der Behauptung gipfelt, daß »durch die bewirkte Zufuhr von Getreide und die sehr günstige diesjährige Ernte die Preise der notwendigsten Lebensmittel auf das gewöhnliche Maß zurückgegangen sind«. Deshalb sollen nun die polizeilichen Bestimmungen zur Unterbindung der Bettelei - zu deren Anwachsen nicht zuletzt die öffentliche und private Wohltätigkeit beigetragen habe - wieder mit der »erforderlichen Strenge gehandhabt« werden.
     Im Gegensatz dazu erscheint unter dem Datum 15. Oktober - dem Geburtstag des Königs - ein königlicher Befehl. Dieser geht wieder von einer »ungewöhnlichen Teuerung« und einem »beklagenswerten Nothstand unter der ärmeren Classe« der Untertanen aus und verfügt, daß alle Verfahren niederzuschlagen sind, bei denen es um die Entwendung von Lebensmitteln und Brennmaterial, selbst im Zusammenhang mit Einbruch, geht. Gleiches wird angewiesen für Diebstahl, Betrug, Unterschlagung und andere Delikte, die weniger als fünf Taler betreffen. Gleichfalls einzustellen sind die Ermittlungen bei Bettelei und Landstreicherei in den Fällen, da die Augeschuldigten sich vor diesem Vergehen »untadelhaft geführt« haben. Das Kammergericht Berlin beeilt sich denn auch, bereits drei Tage nach Erlaß dieser Gnadenaktion zu verfügen, daß alle Betroffenen sofort in Freiheit zu setzen seien. Das gelte selbst für bereits rechtskräftig Verurteilte, die sich deswegen in Zuchthäusern, Strafanstalten, Landarmenhäusern und Festungen befinden.
     Statistisch gesehen gibt es im Jahre 1847 in Berlin 29 Polizeireviere. Es praktizieren 58 Hebammen, wie eine Übersicht ausweist. Sie beginnt beim Buchstaben A für Frau Aminde, Taubenstraße No. 37, und endet mit Z wie Frau Zimmermann, wohnhaft Neue Königstraße No. 73. Alle Hebammen sind verheiratet. Nur eine wird nicht als Frau, sondern als »unverehelichte Burtz« geführt.
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Schwer zu sagen, was uns heute mehr Nachdenken abverlangt, der Mut einer jungen Frau zu einem solchen Alleingang oder der Ernst, mit dem in einer amtlichen Bekanntmachung Standes- und Familienstandsunterschiede beachtet werden.
     Es gibt nun, nach Übernahme der Gasversorgung in städtische Regie, eine stadteigene Gas-Erleuchtungs-Anstalt sowie eine Erleuchtungs-Deputation. Diese veranlaßt die Polizei zu einer Verordnung, nach der den Hauseigentümern Änderungen an den stadteigenen Straßenleuchten untersagt sind. Auch der Verkehr nimmt immer mehr zu. Schon am 30. Oktober 1846 hatte die »Conzessionirte Berliner Omnibus-Compagnie« die Genehmigung zur Einrichtung der ersten fünf Pferdeomnibus-Linien erhalten, am 1. Januar 1847 nahm die erste zwischen Alexanderplatz und Bendlerstraße ihren Betrieb auf. Ein neues Reglement für das bisher dominierende Droschken-Fuhrwesen wird -erlassen, die letzte Ordnung war erst knapp vier Jahren alt. Danach sollen die Kutscher ortskundig und nicht dem Trunke ergeben sein. Die Kutschen müssen ordentlich und reinlich gehalten werden, täglich ist bis sieben Uhr auszufahren. Im Behinderungsfalle ist sogleich dem Aufsichtsbeamten Anzeige zu machen. Geregelt ist das Warten an den Halteplätzen ebenso wie die Zulässigkeit der Aufnahme von Fahrgästen an anderen Stellen.
In den Fahrzeugpapieren, die stets mitzuführen sind, ist die Livree der Kutscher beschrieben und daher so verbindlich. Sie hat »ordentlich und reinlich« zu sein. Der Kutscher hat dem Fahrgast nach dem Einsteigen die Uhr zu zeigen und diese sowie das Geschäfts-Reglement bei der Abrechnung auf Verlangen erneut vorzuweisen. Paragraph 41 verbietet dem Kutscher das Verlangen von Trinkgeld, dessen Annahme ist jedoch nirgendwo untersagt. Mehrere Regeln behandeln die Pflicht der Kutscher, sich eines anständigen Betragens zu befleißigen, anderenfalls sie »mit Gefängnis bis zu 14 Tagen und nach Bewandnis der Umstände mit körperlicher Züchtigung bestraft werden«. Als solche Haltung gegenüber dem Publikum ist auch anzusehen, wenn unbegründet die Fahrt verweigert wird, wie überhaupt der Fahrer an einem Standplatze oder Eisenbahnhofe »niemandem die gewünschte Fahrt abschlagen« darf.
     Des weiteren haben die Kutscher noch weitere Verpflichtungen einzuhalten. Da gibt es die »Verordnung in Betreff des Fahrens und Reitens in der Stadt Berlin«, festgelegt ist das Schrittfahren beim Passieren von Brücken, das Verhalten vor Kirchen während des Gottesdienstes, auch Vorschriften für das Warnen der Fußgänger durch lauten Zuruf gibt es. Man erfährt, daß beim Begegnen an engen Stellen der unbeladene Wagen in schicklicher Entfernung zu warten hat,
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Wagen mit Dünger oder anderen übelriechenden Substanzen innerhalb der Stadt nirgendwo anhalten dürfen, unnötiges Peitschenknallen untersagt ist. Noch ist der März 1848 weit entfernt, und so ist den Kutschern auch das Rauchen verboten. Es wird für notwendig erachtet, mehrmals im Laufe des Jahres an die Allerhöchste Cabinetsordre zu erinnern, die »das Taback-Rauchen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen innerhalb der Ringmauer von Berlin, so wie im Thiergarten ... bei einer Geldstrafe bis zu Zwei Thalern oder verhältnismäßiger Gefängnißstrafe« verbietet. Erst 1848 wird dieses Verbot fallen.
     Dafür gibt es andere Regelungen aus jenem Jahre, die uns auch noch 150 Jahre später interessieren. So wird, wahrscheinlich erstmalig, die Anbringung polizeilicher Kennzeichen an Fahrzeugen verfügt. Sie müssen, nur für »nächtliche Straßen-Fuhrwerke«, »auf beide Wagenlaternen, und zwar auf die äußere Glasscheibe, mit gelber Farbe deutlich aufgemalt und stets leserlich erhalten« sein. Auch beklagt die Polizei den »fühlbar gewordenen Mangel von Bestimmungen zum Schutz derjenigen öffentlichen Wege« und ordnet an, daß, »wer öffentliche Wege, deren Einrichtungen, wie Meilenzeiger, Wegweiser, Anpflanzungen darauf, beschädigt, ebenso mit Strafe belegt wird wie der, der Schutt, Scherben, Mist, Müll und anderes auf öffentlichen Plätzen und Wegen innerhalb wie außerhalb der Stadtmauern ablädt oder auch nur verliert«.
Ähnlich verhält es sich mit der »mangelhaften Befolgung der auf Erhaltung der Reinlichkeit und Wegsamkeit der Straßen in hiesiger Residenz« erlassenen Bestimmungen. Mit 15 Paragraphen werden die Eigentümer zu Säuberungspflichten ermahnt. Das hat gute Gründe, die Stadt ist noch ohne Kanalisation. Jeden Mittwoch und Sonnabend ist der Straßendamm zu reinigen, auch ist zu sichern, daß die Gehstreifen im Winter »zur Sicherung der Passage,... so oft als es nothwendig ist, bestreut werden«.
     Vieles aus der Zeit vor 150 Jahren ist uns heute fremd, doch ebensoviel hat sich in gleicher oder nur wenig veränderter Form erhalten. Das AMTS-BLATT bietet sich in diesem Sinne auch als Quelle für historische Forschungen an. Die »großen« Dinge dieser Zeit stehen in der GESETZESSAMMLUNG FÜR DIE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN STAATEN und geraten ab und an zwischen die Zeilen der kleinen Politik. Es bleiben viele Stichworte, bedeutende und weniger interessante: Verstreut über das ganze Jahr wird über den Zustand der Pferdezucht berichtet. Der Land-Stall-Meister Strubberg vom Friedrich-WilhelmsGestüt Neustadt an der Dosse berichtet zum Beispiel mit mathematischer Akkuratesse über die Erfolge des Jahres 1845. Danach haben 140 Stück Brandenburgische Landbeschäler 6 494 Stuten gedeckt, damit durchschnittlich jeder Hengst 46 1/3 Stuten, ... davon über 29 5/6 Stuten befruchtet und über 26 lebende Fohlen erzeugt«.
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Im Jahre 1846 konnten die Leistungen noch gesteigert werden, hier deckten 142 Hengste 6 664 Stuten. Über den Erfolg dieser hervorragenden Leistungsfähigkeit kann natürlich noch nichts ausgesagt werden. Dafür aber wird einige Ausgaben weiter angezeigt, wie produktiv sich das laufende Jahr darstellen wird: An 20 Orten des Regierungsbezirkes, darunter auch in der Dorotheenstraße No. 64 im königlichen Marstall, in Nassenheide, Angermünde, Lenzen und Brandenburg werden die »besten und werthvollsten Beschäler des Brandenburgischen Landgestüts« im Frühjahr sprungbereit sein, »jedoch nur gegen Erlegung von Zwei Thalern Sprunggeld«. Für angemeldete Stuten im Gestüt selbst decken Vollbluthengste »à 6 und à 3 Friedrichsd'or, Halbbluthengste à 6 ThIr. in dem Stall«. Die edlen Tiere haben so schöne Namen wie Rockingham (à 6 Fr'or), Taurus, Medoro bis hin zu dem für schon 6 Thlr. zu Diensten springenden Plasto.
     Auch Justizfragen sind wiederholt Gegenstand von Veröffentlichungen, so in Gestalt eines Jahresberichtes über die Strafanstalten in Spandau und Brandenburg für 1846. In diesem Jahr saßen in Spandau, dem für schwere Fälle gedachten Hause, 845 männliche, in Brandenburg 391 männliche und 244 weibliche Strafgefangene ein. Allein das Berliner Kriminalgericht hatte mit fast 63 Prozent der Verurteilten dazu beigetragen.
Rund 71 Prozent verbüßten eine Strafe für »gemeinen« Diebstahl, wovon 819 Sträflinge, also über 55 Prozent, als rückfällig eingestuft werden. Unter denen wiederum sind 110 Straftäter, die bereits das vierte Mal einsitzen. Dabei darf man das Strafmaß allgemein als überaus streng einstufen. Von den 1480 Insassen haben immerhin 24 eine Strafe auf Lebenszeit, 366 haben über zehn Jahre bekommen, 632 eine Strafe zwischen ein und zehn Jahren. Für selbst geringe Delikte konnte man - schon bei Diebstahl bis zu fünf Talern - ins Zuchthaus kommen. Preußisch exakt wird der tägliche Arbeitsverdienst errechnet. In Spandau beträgt er je Häftling vier Sgr. acht Pf., in Brandenburg vier Sgr. Zur gleichen Zeit belaufen sich die Preise für Brot auf durchschnittlich 1,5 Sgr. für das Pfund, für Rindtleisch auf 2,9 Sgr. Aber selbst dieser geringe Verdienst kommt den Häftlingen nicht zugute, denn die Gegenüberstellung mit den Kosten führt zu dem Schluß: »In beiden Anstalten hat der Arbeitsverdienst den Betrag der Speisungsund Bekleidungskosten gedeckt, und der Staats-Casse blieben nur die Generalkosten zu tragen übrig.«
     Armut ist in dieser Zeit so weitverbreitet, daß nicht nur private Einrichtungen, wie eine »Deutsche Gesellschaft zur Versorgung verschämter Armer mit freiem Brennmaterial« oder ein amtlicher Kurmärkischer Landarmenverband existieren,
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sondern auch staatliche Beschlüsse gefaßt werden, um wenigstens in kleinem Umfange eine Linderung zu ermöglichen. Es werden Maßnahmen kundgetan, die eine Unterstützung hilfsbedürftiger Familien der einrückenden Landwehrmänner vorsehen. Im Juli verabschiedet die Regierung eine deutliche Order an alle Behörden im Land mit der Maßregel, die Bestimmungen des Armengesetzes nicht zu Ungunsten (!) der Betroffenen auszulegen. Ernsthaft ermahnt in aller Öffentlichkeit werden die nachgeordneten Stellen, man spricht die Erwartung aus, »daß die Communal-Behörden ... sich derartiger, für ihre Stellung unpassender und für ihre Commune nachtheiliger Einwendungen gänzlich enthalten werden«.
     Zur gleichen Zeit wird verfügt, daß für unbemittelte Tote, Selbstmörder und ähnliche Fälle, bei denen keine Angehörigen zur Kostentragung herangezogen werden können, und die daher von den Kommunen zu bestatten sind, ein Kostensatz von einem Taler bewilligt wird. Ein Taler, dafür ist kein Leichendiener zu haben, geschweige denn ein ordentlicher Sarg. Mit Sicherheit darf man annehmen, daß solche Leichen zumeist in aller Stille verscharrt wurden. Aber auch das Kranksein wird teurer. Die Königliche Charité-Direction verfügt am 9. März, daß sich die Kur- und Verpflegungskosten »wegen der ungewöhnlichen Theuerung« um rund 10 Prozent erhöhen. Sie belaufen sich nun auf bis zu elf Sgr. drei Pf. täglich.
Für die gehobenen Stände kostet ein Aufenthalt in der Ziegelstraße bis zu 20 Sgr. 6 Pf. Das ist in etwa der Preis für ein Armenbegräbnis.
     1847 - das Biedermeier geht seinem Ende zu. Das AMTS-BLATT in seinem unscheinbaren Einband gab uns die Möglichkeit, ein wenig am Leben des Jahres 1847 teilzunehmen. An einer Zeit, die von der Geschichtsschreibung als eine Periode des Aufbruchs beschrieben wird. Aber auch als eine verklärte, unbeschwerte Epoche. Dafür steht die Walzerseligkeit, stehen die gelben Postkutschen und Spitzweg-Gemütlichkeit in Stadt und Land. Für die Mehrzahl der damals Lebenden jedoch war nicht alles so glücklich oder gar sorgenfrei.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1997
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