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Friedrich Kleinhempel
12. April 1817:
Erste eiserne Druckpresse in Berlin

In der Deckerschen Königlichen Geheimen Hofbuchdruckerei in Berlin wird am 12.April 1817 die erste eiserne Druckpresse auf dem europäischen Kontinent in Betrieb genommen.
     Georg Jakob Decker (1765-1819), königlich- privilegierter Ober- Hofbuchdrucker, betrieb, wie schon sein Vater, die bedeutendste und größte Buchdruckerei Berlins. Um 1805 be-

schäftigte er über 80 Mitarbeiter in Verlag, Buchbinderei, eigener Papierfabrik sowie in seinen Druckereien innerhalb und außerhalb Berlins. 1810 führte er die Lithographie, 1816 die Stereotypie und schließlich 1817 die erste eiserne Druckpresse — die StanhopePresse — ein, die aus England stammte.
     Lord Charles Mahon Earl of Stanhope (1753-1816), gebildeter Sproß einer alten englischen Grafenfamilie, Schüler des berühmten Eton College, hatte 18jährig eine Preisaufgabe der Akademie in Stockholm über die Pendelschwingungen gelöst und tüftelte an der Verbesserung von Druckereieinrichtungen. Von dem Mechanikassistenten Dr. Tilloch und dem Buchdrucker Foulis (beide an der Universität Glasgow) fachlich unterstützt, gelang Stanhope mit Hilfe eines


Stanhope-Presse um 1800
Mechanikers nach vielen kostspieligen Versuchen 1795 der Bau dieser eisernen Presse. Sie hatte sich in der Offizin von William Bulmer, London, beim Druck der großen Prachtausgabe von Shakespeares Werken bewährt. 1804 konnte der Londoner Buchdrucker Wilson beantragen, »die Bibeln und die Gebetbücher der Universität Cambridge mittels des neuen Verfahrens herstellen zu lassen«.
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     Seit Gutenbergs Erfindung Mitte des 15. Jahrhunderts bestanden Buchdruckerpressen aus festgefügten stabilen Hölzern auf schwerem Gestell. Sie mußten unverrückbar der Körperkraft des Druckers standhalten, wenn dieser den Drucktiegel mittels grober Gewindespindel mit dem sogenannten Bengel auf die letternbesetzte Druckplatte zog und preßte. In Basel hatte schon 1772 der Schriftgießer Haas eine Druckerpresse geschaffen, die teilweise aus Eisenguß bestand. In den Niederlanden, in England, Schottland und weiteren Ländern versuchte man die Stereotypie — das Zusammenfügen metallener Lettern zu geschlossenen, leicht wiederverwendbaren Druckplatten (van der May; Müller; Ged; Tilloch; Foulis). Aber weder an der Konstruktion noch am Wirkprinzip der Handpresse hatte sich in den vorangegangenen Jahrhunderten kaum etwas geändert.
     Bei der Stanhopeschen Handpresse waren einzelne Teile der hölzernen Vorgänger — Wände, Krone, Ober- und Unterbalken — zu einem einzigen Stück Eisenguß vereinigt. An Stelle der Schraubspindel mit Bengel ermöglichte ein zusammengesetzter Hebel, »in dem Augenblick des Druckes eine fast unbegrenzte Kraft zu entwickeln. Die Arbeiter, die früher mit Aufgebot aller Gewalt den Bengel an sich ziehen mußten, indem sie mit zurückgebogenem Körper den Fuß an den Antritt stemmten, konnten gar nicht begreifen, daß ein gelindes Anziehen im letzten Augenblick genügend sei, um einen kräfti-
gen Abdruck zu erzielen.« Die neue Presse arbeitete feiner, leichter, schneller, und die Farbe wurde gleichmäßiger verteilt.
     In enger Verbindung damit entwickelte Stanhope das Stereotypieverfahren, welches die beweglichen Letternsätze, mit Gips abgeformt und in Metall gegossen, als feste Platten zum Druck hergab.
     Zehn Jahre später, im November 1827, konstatiert ein Inventar bei der Deckerschen Buchdruckerei außer den beiden 1823 installierten großen Druckmaschinen von König & Bauer noch 20 hölzerne Pressen und diese »1 eiserne Druckerpresse«. Im Jahre 1864 hatten die Berliner Buchdruckereien insgesamt 200 eiserne Handpressen, davon die Preußische Staatsdruckerei 40, Decker 19 und Litfaß eine.
     Die — noch handhebelbetriebene — eiserne Druckerpresse hatte einen neuen Entwicklungsstand des Buchdrucks markiert. Die Erfindung der dampfmaschinengetriebenen »Schnellpresse« mit rotierendem Druckzylinder um 1814 durch König & Bauer eröffnete dann den Weg zum hochleistungsfähigen, modernen Buchdruck.

Bildquelle:
Faulmann, Karl: Illustrierte Geschichte der Buchdruckerkunst, Wien/Pest/Leipzig 1882, S. 649

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