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     25     „     Felsenkeller,
     22     „     Grünthaler Unterhöler,
     20     „     Nürnberger,
     20     „     Dresdn. Feldschlößchen,
     16     „     Ale,
     16     „     Duchsteiner,
       8     „     Porter
          C. Rose, Neuer Markt 7.«1)

     In diese Periode des Aufkommens neuer technisch- technologischer Möglichkeiten und Innovationen fällt die Geburtsstunde der späteren Berliner Kindl Brauerei. Die Gastwirte Peter Joseph Link, Philipp Jaeger, Ernst Baumbach, Franz Specht und Fritz Schmiedel, der Kaufmann Heinrich Mestern, Dr. Bernhard Heßlein sowie Otto Swoboda, Bankdirektor von Bercht & Swoboda, waren am 1. Februar 1872 die Gründungsväter der »Vereins- Brauerei Berliner Gastwirte zu Berlin, Aktien- Gesellschaft«. Vorstandsmitglieder waren Link und Jaeger. Den Zweck der Gesellschaft umriß der Geschäftsvertrag mit der Formulierung » ... die den Herren Joseph Link, Philipp Jäger und Konsorten gehörigen, in Böhmisch- Rixdorf gelegenen Grundstücke zu erwerben, auf diesen Grundstücken eine Bairisch- Bier- Brauerei zu erbauen und solche mit den damit verbundenen Nebengeschäften zu betreiben.«2) Das eingetragene Grundkapital betrug eine Million Thaler Preußisch Kurant. Das Grundstück, das im Bereich Berliner Straße/Jägerstraße (später Rollbergstraße) — Hermannstraße lag, ist

Willi Glaser
125 Jahre »Berliner Kindl«

Berlin begann »Bayrisch« zu trinken

Nestor der Herstellung von »Bayrisch- Bier« in Berlin war der aus der Pfalz stammende Küfer und in Bayern als Brauer ausgebildete Georg Leonhard Hopf. Als Besitzer einer Weinstube in der Leipziger Straße 6 hat er gemeinsam mit dem Kaufmann Fanta 1828 in einer stillgelegten Brauerei Friedrichstraße 126 — wo sich später das Friedrichs- Gymnasium befand erstmals in Berlin untergäriges Bier gebraut, das man damals als »Bayrisches« bezeichnete. Von der Qualität dieser neuen Produktgattung konnten die Berliner anfangs wohl noch nicht so recht überzeugt werden. Darauf läßt eine Anzeige in der »Vossischen« vom 30. März 1840 schließen: »Nachstehende direkt von den Brauereien bezogene, bestens abgelagerte und mussierende Biere werden im Lokal en détail und außer dem Hause teils in Fässern und Flaschen von jeder Sorte für einen Thaler versandt als:

     32 Flaschen Werdersches,
     30     „     Berliner Bayrisch,
     28     „     Grünthaler Bayrisch,

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Ein Abend auf dem Berliner Bock. Nach dem Original von E. Hosang 1886
nach Begrenzungskorrekturen heute noch Brauereigelände. Es entstand ein für damalige Zeit sehr moderner Braubetrieb, eingerichtet auf eine jährliche Erzeugung von 100 000 Hektolitern Bier. Bereits am 1. März 1873 war trotz noch nicht vollständig erfolgtem Abschluß der Bau- und Montagearbeiten Betriebseröffnung. Der erste Bierausstoß erfolgte am 17. Juli 1873. In den restlichen gut zwei Monaten des ersten Geschäftsjahres wurden 5 022 Hektoliter Bier verkauft.
     Nach unterschiedlichem Geschäftsverlauf und der Umbenennung in »Vereinsbrauerei Rixdorf« entwickelte sich die Produktion kontinuierlich, so daß 1889/90 erstmals die 100 000 Hektoliter- Marke überboten werden konnte.
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»Berliner Kindl« enstand

Anfang der 90er Jahre dann begann man in Rixdorf mit dem Einbrauen eines Spezialbieres (nach gewisser Bayrisch- Münchener Art) mit dem Namen »Berliner Kindl«. Diese Marke hatte bald solche Beliebtheit, daß sich ihre Herstellung weiter positiv entwickeln und 1900 die 200 000 Hektoliter- Grenze überschritten werden konnte. Ab 1909 wurde dann nur noch dieses 13prozentige Spezialbier gebraut — übrigens nach dem in Berlin erst seit 1906 gesetzlich verbindlichen Reinheitsgebot (vorher war es für die Berliner Brauer eine Frage der Freiwilligkeit!) — und es avancierte 1910 gar zum Namensgeber für die nunmehrige Berliner Kindl Brauerei AG. Am Rande bemerkt: Das »Berliner Kindl« kam vor 1900 noch aus einem Dorf, allerdings dem damals größten Dorf des Deutschen Reiches, nämlich Rixdorf, das dann 1899 Stadtrecht erhielt. Für eine Stadt mit 200 000 Einwohnern war das Ortssuffix —»dorf« nicht gerade geeignet, die Bedeutung zu unterstreichen und das Ansehen zu fördern. So wurde 1912 aus Rixdorf Neukölln.
     Das Blättern im »Berliner Kindl«- Geschichtsbuch zeigt auch typische Entwicklungselemente des Wirtschaftsstandorts Berlin. Seit der Gründerzeit ließ sich eine Tendenz zur Übernahme von Brauunternehmen zur eigenen Kapazitätsvergrößerung oder zur Verbesserung des Absatzfeldes nach

Stillegung erworbener Brauereibetriebe belegen. Beginnend 1896 und verstärkt dann in den 1920er Jahren wurden solche Möglichkeiten natürlich auch von der wirtschaftlich starken Vereins- bzw. Kindl- Brauerei genutzt. Neben der seit 1716 bestehenden Königsbrauerei Potsdam, später Adelung & Hoffmann, wurde mehr als ein Dutzend kleinerer Brauereien aus Berlin und Umgebung einverleibt. Die wahrscheinlich älteste Brauerei darunter war die Schloßbrauerei Schöneberg, deren verbriefte Braurechte sich bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Fünf Jahre nach der Bierverordnung des Rates der Städte Berlin und Cölln von 1370 wird im Landbuch Karls IV. erstmals der Dorfkrug zu Schöneberg genannt. Urkundlich belegt wird dieser »propter bonitatem cerevisiae« (wegen der Güte des Bieres) in der Folge häufig gelobt.3)

Ab- und Aufschwung im Wechsel

Einen drastischen Knick in der positiven Unternehmensentwicklung von »Kindl« brachte der Erste Weltkrieg. Bereits 1915 wurde der Malzverbrauch kontingentiert. Die als Abteilung II bezeichnete und aus der ehemaligen Brauerei der Gebrüder Hoffmann in Potsdam hervorgegangene Produktionsstätte mußte geschlossen werden. Durch Mangel an Arbeitskräften sowie Roh- und Brennstoffen hervorgerufene Probleme einschließlich des Zwangs zur Dünnbierher-

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stellung wirkten auch noch in der Nachkriegsphase. 1920 wurden die Brauereien F. Happoldt und der Weißenseer Betrieb von Gabriel & Richter gekauft. Die erstgenannte Braustätte legte man still, die zweite gliederte man modernisiert als Abteilung III in den Betrieb ein. Diese Maßnahmen führten zusammen mit der 1921 erfolgten Angliederung der Königstadt- Brauerei mit ihrem beachtlichen Kundenstamm zu erneut hoher betriebswirtschaftlicher Stabilisierung. Die strategische Bedeutung dieser Transaktion wird noch klarer, wenn man erfährt, daß durch Königstadt noch Absatzkontingente der Deutschen Bierbrauerei, der Habel- Brauerei und des Münchner Brauhauses in Berlin sowie der Franz Lamm Brauerei in Potsdam eingebracht wurden. Im Frühjahr 1922 nahm dann auch die Abteilung II Potsdam wieder die Produktion auf. Eine Jahresproduktion von 1 100 000 Hektoliter »Kindl«- Bier wurde damit möglich.
     Die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens wird natürlich entscheidend auch von der Verfügbarkeit geeigneter Arbeitskräfte bestimmt. Unter welchen Rahmenbedingungen im Konjunkturjahr 1924 in der Kindl- Brauerei gearbeitet wurde, zeigt folgender Auszug aus dem Tarifvertrag:

»... Arbeitszeit:

8 Stunden netto
9 Stunden brutto
Mit Rücksicht auf die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse im Braugewerbe kann vom Arbeitgeber in der Zeit vom
1. April bis 30. September 1924 für den ganzen Betrieb oder für einzelne Abteilungen Überarbeit angeordnet werden ...
      Pausen: Zur Einnahme der Mahlzeiten werden zwei Pausen von je einer halben Stunde gewährt. Außerhalb der Pausen dürfen Mahlzeiten nicht eingenommen werden ...
Bestimmungen für das Fahrpersonal:
Bei einem durchschnittlichen Verkauf von mehr als 8 hl Faßbier und mehr als 25 Kasten Flaschenbier täglich hat jeder Tourenfahrer einen Mitfahrer zu beanspruchen. Fahrer, die auf den Mitfahrer verzichten, erhalten hierfür keine Vergütung ...
Urlaub:
... Urlaub erhalten unter Fortzahlung des baren Wochenlohnes
a) männliche Arbeitnehmer, die am 1. April in einer Brauerei beschäftigt sind
1/2 Jahr6 Werktage
2 Jahre9 Werktage
3 Jahre12 Werktage
10 Jahre und darüber15 Werktage

b) weibliche Arbeitnehmer
1/2 Jahr3 Werktage
2 Jahre9 Werktage
3 Jahre12 Werktage
10 Jahre und darüber15 Werktage
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Lohnabkommen:
WochenlohnStundenlohn
1. Gelernte33,00 RM68,8 Pfg
2. Fahrpersonal30,00 RM62,5 Pfg
3. Ungelernte29,00 RM60,4 Pfg
4. weibl. AN19,50 RM40,6 Pfg
5. Reinemachefrauen-33,2 Pfg
... «4)

Die weitere Entwicklung verlief trotz Weltwirtschaftskrise und 450 000 Arbeitslosen 1929 in Berlin für die Brauereien zunächst relativ gut, und in einigen Betrieben realisierte man sogar umfangreiche Investitionsprogramme. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gab es in der Wirtschaft einschneidende Veränderungen. Im Januar 1934 erschien das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit«; eine Verfügung regelte die Verleihung des Titels »Nationalsozialistischer Musterbetrieb«. Neben anderen Berliner Brauereien hat auch die Kindl AG diese Auszeichnung erhalten. In der Folge aber zwangen Absatzschwierigkeiten in Berlin und Umgebung die Brauereien der Hauptstadt, zeitweise den Mittwoch als arbeitsfreien Tag festzulegen — natürlich unbezahlt.5)
     Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verschärften sich die Existenzbedingungen der Brauwirtschaft weiter. Es erhielten nicht nur viele Mitarbeiter ihre Einberufungsbefehle; die Kindl- Brauerei mußte beispielsweise 50 Prozent ihres Fahrzeugbestandes mit Kraftfahrern in die Kasernen schicken.

Trotzdem war man noch bis 1940 in der Lage, Bier nach alten Qualitätsstandards zu brauen. Ab 1941 wurde der Stammwürzegehalt dann auf acht Prozent zurückgenommen. Die im Betrieb verbliebenen Lastkraftwagen wurden auf Holzgas umgestellt, und als Transportkapazitäts- Ausgleich beschaffte sich Kindl 20 Ochsengespanne. Als weiteres Transportmittel in der Auslieferung diente die Berliner Straßenbahn. Arbeitswagen der BVG brachten nachts auf der Trasse der Linie 15 Bier zu den Kantinen der Firmen Siemens, Daimler- Benz und ins Wernerwerk. Wie in vielen anderen Berliner Betrieben waren auch in der Kindl- Brauerei Kriegsgefangene im Einsatz. Polen, Franzosen und später auch sowjetische Gefangene waren vorwiegend für Transportaufgaben und zur Beseitigung von Bombenschäden eingesetzt. Durch die räumliche Nähe zum Flugplatz Tempelhof war die Brauerei extrem gefährdet. Beim Fliegerangriff am 12. Juni 1944 wurde die Kindl- Brauerei schwer getroffen. Trotz erheblicher Zerstörungen in den Hauptproduktionsbereichen Sudhaus und Gärkeller konnte Ende Juli mit einigen Einschränkungen die Bierproduktion wieder aufgenommen werden.

Die jüngsten 50 Jahre

Nach Kriegsende wurden die technischen Hauptausrüstungen der »Kindl- Brauerei« demontiert und als Reparationsleistung in

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die Sowjetunion gebracht. Dort ist eine Moskauer Brauerei damit ausgestattet worden. Über den damals üblichen »Natural- Tauschhandel« und mit vielen Tricks und Notlösungen gelang das Zusammenschustern von einigermaßen funktionsfähigen Produktionsanlagen, die im Oktober 1947 die Wiederaufnahme des Braubetriebs erlaubten. Der 23. November 1947 war dann der große Tag für die Kindl- Leute, an dem das erste Nachkriegsbier verkauft werden konnte. (Zwei Hektoliter Bier, die zu diesem Anlaß für die Belegschaft in der Kantine flossen, stammten allerdings als Brauergruß aus der Brauerei Berliner Bürgerbräu in Friedrichshagen.) Durch die Nachkriegsentwicklung waren die Brauereien in Weißensee und Potsdam nicht mehr Unternehmensbestandteil. So wurde zunächst der Wiederaufbau der Abteilung I in Neukölln betrieben. Mit Berliner Bankkrediten und aus Mitteln der amerikanischen Wirtschaftshilfe konnte die erste Ausbauphase 1955 abgeschlossen werden. Eine sehr wichtige Entscheidung war der 1954 erfolgte Kauf der Schöneberger Schloßbrauerei, die etwa die gleiche Produktionskapazität wie Kindl hatte, 1959 in »Bärenbier- Brauerei AG« umgetauft und später durch die nunmehrige Konzernmutter »Oetker« wieder verkauft wurde. Zielstrebige Unternehmenspolitik, insbesondere zur Absatzstrategie und für Schwerpunkt- Investitionen, ermöglichten 1972 — im Jahr des 100. Betriebsjubiläums des Stammbetriebes Neu- kölln — wieder die Überschreitung der magischen 1 Million Hektoliter- Produktion des beliebten »Kindl«- Bieres. Zum diesjährigen Gründungsjubiläum findet sich unter dem Kindl- Dach ein Teil der alten Familie. Nach Verhandlungen wurden alle Geschäftsanteile der Potsdam Brauerei GmbH erworben. Die Kindl- Brauerei AG besteht nach Realisierung eines umfangreichen Modernisierungs- Programms in Potsdam wieder aus zwei leistungsfähigen Großbetrieben. Hoffen wir im Interesse der Freunde echt berlinischen Gerstensaftes, daß gemeinsam mit den zwei weiteren in der Hauptstadt noch übriggebliebenen Brauereien in Weißensee und Friedrichshagen sich auch der Kindl- Stern noch lange in alter Pracht am Berliner Bierhimmel hält und von der hiesigen Braukunst einst und jetzt kündet.

Quellen:
1     R. Knoblauch: Hundert Jahre untergärige Brauwirtschaft in Berlin, Berlin 1938
2     Industriebibliothek, Bd. 17, Berlin, o. J.
3     Festschrift: »Berliner KINDL 100 Jahre groß«, Berlin 1972
4     Berliner Kindl Postille, div. Jahrgänge
5     Vgl. Berliner Kupferkessel, div. Jahrgänge

Bildquelle:
Festschrift »Berliner KINDL 100 Jahre groß«, a. a. O.

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© Edition Luisenstadt, 1997
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