67   Berlin im Detail Splanemann-Siedlung  Nächste Seite
Berlins. Idee und Entwurf für den Bau der Friedrichsfelder Siedlung stammen vom Architekten und Stadtplaner Martin Wagner (1885-1957).

Massenwohnungsbau mit sozialen Zielen

Während seiner Amtszeit als Stadtbaurat von 1926 bis 1933 erfolgte in Berlin nicht nur der architektonische »Durchbruch zur Moderne« in Gestalt des »Neuen Bauens«, sondern auch wohnreformerische Pläne, die am Ideal eines Massenwohnungsbaus mit ausgeprägt sozialen Zielen ausgerichtet sind, erhielten enormen Auftrieb. (Vgl. BM, 11/1995, S. 64-71) Wagner, bis 1931 Mitglied der SPD, ging es um die Eindämmung der grassierenden Wohnungsnot in Berlin. 1) Allein zwischen 1925 und 1929 war die Zahl der eingetragenen Wohnungssuchenden von 75 000 auf 179 000 gestiegen; rund 11 600 Haushalte vegetierten in Baracken und Behelfswohnungen.
     Dies erklärt das hohe soziale Engagement vieler Architekten und Stadtplaner des »Neuen Bauens« bei den Baugesellschaften der Gewerkschaften. Dazu gehörten die »Gemeinnützige Heimstätten Spar- und Bau-AG (GEHAG)«, deren Hauptaktionäre der ADGB, die DEWOG (Dachgesellschaft der gewerkschaftlichen Baugesellschaften und Baugenossenschaften im Reich) sowie die »Deutsche Bauhütte. Verband sozialer Baubetriebe« waren.

Herbert Schwenk
Die Splanemann- Siedlung

Vor 70 Jahren entstanden die ersten Plattenbauten in Berlin

Den Begriff »Plattenbauten« bringt der Berliner im allgemeinen mit dem Baugeschehen der Nachkriegszeit in Verbindung. Aber die ersten Plattenbauten in Deutschland entstanden bereits vor 70 Jahren. Sie stehen noch heute im Bezirk Lichtenberg, Ortsteil Friedrichsfelde, unweit des U-Bahnhofs »Tierpark« der Linie U 5. Sie bilden eine Wohnsiedlung, die von der Splanemannstraße, Friedenhorster und Sewanstraße umfaßt wird. Die Siedlung, die nie einen offiziellen Namen hatte, wurde ursprünglich »Kriegerheimstättensiedlung« und seit DDR-Zeiten, entsprechend der Haupterschließungsstraße, »Splanemann- Siedlung« genannt. Der einst in Lichtenberg wohnhafte Herbert Splanemann (1912-1945) gehörte als Mitglied der KPD einer illegalen antifaschistischen Betriebsgruppe der Teves-Werke in Wittenau an und wurde am 29. Januar 1945 von den Nazis hingerichtet.
     Die ersten Plattenbauten entstanden von 1926 bis 1930 in einer der fruchtbarsten Epochen der Bau- und Architekturgeschichte

SeitenanfangNächste Seite


   68   Berlin im Detail Splanemann-Siedlung  Vorige SeiteNächste Seite
     Um die Wohnungsnot zu mildern, war ein neuer rationeller Massenwohnungsbau notwendig, der die Investitionen auf große Siedlungskomplexe sowie industrielle Methoden des Wohnungsbaus konzentrierte. Vor allem Stadtbaurat Wagner drängte energisch darauf, im Wohnungsbau rationeller, schneller und kostengünstiger zu bauen. Zunächst hatte er versucht, die Beton- Großtafelbauweise direkt auf der Baustelle der Britzer Großsiedlung (»Hufeisensiedlung«) zu erproben, konnte sich jedoch damit nicht durchsetzen. Zwar kam in Britz zum ersten Mal auf einer Berliner Großbaustelle Maschinenarbeit anstelle schwerer Handarbeit (Bagger, Transportbänder, Schienenfahrzeuge) zum Einsatz, aber die Erprobung der Plattenbauweise geschah nicht hier, sondern im Berliner Nordosten – beim Projekt im Lichtenberger Ortsteil Friedrichsfelde am damaligen Triftweg (seit den 60er Jahren Hans- Loch- Straße, heute Sewanstraße).
     Bauherr der neuen Siedlung inmitten eines großen, von Gräben durchzogenen Laubengeländes war der »Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen GmbH, Berlin«, Mitglied im »Gemeinnützigen Reichsbund- Kriegersiedlung GmbH«. Von daher erklärt sich der Name »Kriegerheimstättenstraße« als der Haupterschließungsstraße der auch so bezeichneten Siedlung. Die Projektierung des Entwurfs von Martin Wagner nahmen die Architekten Primke und Goettel zu-
nächst für traditionelle Ziegelbauweise vor, um sie dann für die »Platte« umzusetzen.

Karree mit offenen Ecken

Die 1930 fertiggestellte Siedlung umfaßte ursprünglich 138 Wohneinheiten; ein Block mit 20 Wohnungen wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Die Siedlung »besteht städtebaulich aus einer an den Ecken offenen Karreebebauung. An den Eingangsbereichen und Treppenhäusern sowie durch die Anordnung der Satteldächer und der Häuser zueinander werden einige expressionistische Akzente gesetzt. Die Grundfarbgebungen waren ursprünglich rotbraun, die Fenster dazu in weiß abgesetzt.« 2)
     In den 118 Wohnungen leben heute ca. 340 Menschen (1992). In überwiegend zweigeschossigen (an der Sewanstraße dreigeschossigen) Gebäuden befinden sich für die damalige Zeit große Wohnugen bei einer relativ großen Tiefe der Gebäude von 12,5 Meter (einschließlich Balkon oder Loggia). Es sind dies meist Dreieinhalb- Zimmer- Wohnungen mit einer Fläche zwischen 83 und 97,5 Quadratmeter (54 Prozent); der Rest sind Zweieinhalb- Zimmer- Wohnungen von etwa 70 Quadratmeter (29 Prozent) und Eineinhalb- Zimmer- Wohnungen von etwa 60 Quadratmeter (17 Prozent). Die Ausstattung der Wohnungen war durchaus komfortabel: mit Küche, Kammer, Bad und WC sowie Keller

SeitenanfangNächste Seite


   69   Berlin im Detail Splanemann-Siedlung  Vorige SeiteNächste Seite
und Balkon oder Loggia. Die Beheizung erfolgte durch Kachelöfen, später wurden sie durch modernere Heizsysteme ersetzt.
     Trotz des Gartenlandes, das heute unterschiedlich an die Mieter verteilt ist, spricht die Wohndichte von 150 Einwohner/ha (1992) für einen relativ kompakten Charakter der Siedlung. Sie liegt, trotz der niedrigen Geschoßzahl, zum Beispiel deutlich über der zur gleichen Zeit entstandenen »Hufeisensiedlung« in Britz (100) und dem nach 1945 entstandenen »Hansaviertel« und »Märkischen Viertel« (jeweils 120).
     Ähnliches bringt die Geschoßflächenzahl, ein Maß der baulichen Dichte, zum Ausdruck: Mit 0,5 ist die Summe aller Geschoßflächen auf einem Grundstück der »Splane-

 

mann-Siedlung« nur halb so groß als die jeweilige Grundstücksfläche.
     Damit ist die Friedrichsfelder Siedlung dichter bebaut als etwa die »Hufeisensiedlung« (0,4) oder »Gropiusstadt« (0,1 bis 0,4); deutlich niedriger liegt jedoch die bauliche Dichte zum Beispiel im Vergleich mit der diesbezüglich mit hohem Anspruch angelegten »Karl- Marx- Allee I«, der ehemaligen »Stalinallee« (vgl. Tab.).
     Das Verfahren zur Herstellung der ersten deutschen Plattenbauten in Friedrichsfelde stammte aus Holland, das wiederum nach einem amerikanischen Vorbild modifiziert worden war. Nach dem System »Patent Bron«, das 1921 anläßlich eines Wettbewerbs für neue industrialisierte Bautypen entwik-

 

Splanemann-Siedlung (1926-30)Hufeisensiedlung (1925-27)Siemensstadt (1929-31)Karl-Marx-Allee I (1949-58)Hansaviertel (1956-58)Fischerinsel (1967-73)Märkisches Viertel (1963-74)Gropiusstadt (1962-1975)Leipziger Straße (1972-1981)
SiedlungGeschoß-
flächenzahl1
Einwohnerdichte
(Ew/ha)
0,5ca. 150 (1992)
0,4ca. 100 (1987)
1,0ca. 160 (1987)
1,5 bis 3,5ca. 160 (1992)
0,4 bis 1,8ca. 120 (1987)
2,2ca. 350 (1992)
1,1ca. 120 (1987)
0,1 bis 0,4ca. 225 (1987)
4,2ca. 530 (1992)

1 Geschoßflächenzahl ist ein Maß der baulichen Dichte und setzt die Summe der Geschoßflächen aller Gebäude auf einem Baugrundstück zur Grundstücksfläche ins Verhältnis.
Quelle: Zusammengestellt nach M. Berning u. a.: Berliner Wohnquartiere, Berlin 1994

SeitenanfangNächste Seite


   70   Berlin im Detail Splanemann-Siedlung  Vorige SeiteNächste Seite
kelt worden war, entstanden bereits 1923 bis 1925 im holländischen »Betondorp« 151 Wohnungen.
     Dieses nun in Friedrichsfelde übernommene Verfahren bestand darin, Dreischicht- Großplatten mit Bewehrung sowie Fenster- und Türöffnungen, überwiegend in Abmessungen von 7,5 mal 3 Meter, auf der Baustelle vor Ort, auf großen Bretterböden liegend, zu gießen. Die relativ schweren Platten (bis zu 7 Tonnen Gewicht) wurden nach etwa zehntägiger Härtung mit einem Portal- Bockkran (bei dem Kranbrücke und Kranstützen ein »Portal« bilden) von 20 Meter Spannweite aufgerichtet und montiert. Allerdings mußten Teile der Gebäude (Keller, Geschoßdecken, Dach, Schornsteine) noch in konventioneller Ziegelbauweise errichtet werden.

Experiment ohne Erfolg

Die Plattenbauweise, so belegte das Wagnersche Experiment in Friedrichsfelde, konnte die von den damaligen Baupionieren gehegten Erwartungen nicht erfüllen: »Vorfertigung und Montageprozeß waren inkonsequent, die Seriengrößen zu klein, die städtebauliche Lösung zu steif, der Portalkran zu unbeweglich und die Platten zu schwer.« 3) Bereits während der Errichtung der Siedlung in Friedrichsfelde setzte massive Kritik am industriellen Bauen ein, insbesondere, weil »die Gleichheit der Häuser unerträglich« sei. So blieb der »Splanemann-

Siedlung« zwar der Erfolg eines »Durchbruchs zur Platte« versagt, nicht aber der Erfolg eines »Kleinods« im Bemühen um einen Wohnungsbau mit sozialen Zielstellungen.
     Unbeschadet des Mißerfolgs in Friedrichsfelde hielt Mitte der 50er Jahren die »Platte« im Ost-Berliner Baugeschehen Einzug. Nachdem Ende 1954 die Allunionsbaukonferenz in Moskau und 1955 die erste Baukonferenz in Berlin (Losung: »Besser, schneller und billiger bauen«) den Weg zur vollständigen Industrialisierung des Bauwesens gewiesen hatten, wurden 1956 in Karlshorst, nur wenige »Steinwürfe« von den Plattenbauten der 20er Jahre entfernt, zwischen Marksburgstraße und Ilsestraße, ca. 200 ofenbeheizte Wohnungen in Großblockmontage mit austauschbaren Einzelbauelementen nach verschiedenartigen Grundrissen und Fassaden errichtet. 1958 entstanden in Ost-Berlin bereits 30 Prozent der Wohnungen industriell; bis 1960 waren 70 Prozent aller Neubauwohnungen industriell errichtet.
     Ende der 50er Jahre entstanden dann die ersten geschlossenen Neubaugebiete ausschließlich in Großblockmontage- Bauweise, beispielsweise die 4-geschossigen Wohnbauten mit durchschnittlicher Nutzfläche von 54,5 Quadratmeter je Wohnung beim ersten Bauabschnitt des »Heinrich- Heine- Viertels«. Viele tausend industriell gefertigter Wohnungen in riesigen Großsiedlungen im Osten und Westen Berlins sollten noch folgen.
SeitenanfangNächste Seite


   71   Berlin im Detail Splanemann-Siedlung  Vorige SeiteAnfang
     So wurden auch die 1960 begonnenen Großsiedlungen in Neukölln (»Gropiusstadt« mit 18 898 Wohnungen) und in Spandau (»Falkenberger Feld« mit ca. 8 000 Wohnungen) sowie das 1962 in Reinickendorf begonnene »Märkische Viertel« (16 943 Wohnungen) samt Folgeeinrichtungen bereits zu einem erheblichen Teil in industrieller Bauweise errichtet.
     Allein die mangelnde städtebauliche und bauliche Qualität industriell gefertigter Bauten trat überall, wie seinerzeit bereits in Friedrichsfelde, in Erscheinung. Für die insgesamt 273 000 Wohnungen in den industriell errichteten Wohngebäuden Ost-Berlins wurde die gigantische Summe von über 80 Milliarden DM aufgewendet – das sind 293 000 DM je Wohnung. Und die anstehende Instandsetzung und Modernisierung der industriell gebauten Wohngebäude wird noch einmal über 13 Milliarden DM erfordern, das sind über 47 600 DM je Wohnung! »Dieses Zeitalter des massenhaften Bauens in Platte oder der >in Beton gegossenen Hinterlassenschaft der DDR< wird noch Generationen beschäftigen«4), resümiert Günter Peters, einst Leiter der Gesamtplanung, Investitionsvorbereitung und Baudurchführung der Großsiedlung Marzahn mit ihren 62 135 Platten- Neubauwohnungen ...
Quellen:
1     Die folgenden Angaben nach: Annemarie Lange: Berlin in der Weimarer Republik, Berlin 1987, S. 635-643
2     M. Berning/ M. Braum/ E. Lütke-Daldrup/ K.-D. Schulz: Berliner Wohnquartiere. Ein Führer durch 60 Siedlungen in Ost und West, Berlin 1994, S. 132
3     Ebenda
4     Günter Peters: Kleine Berliner Baugeschichte. Von der Stadtgründung bis zur Bundeshauptstadt, Berlin 1995, S. 237
SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de