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als eine Gruppe der Mennoniten ursprünglich im Elsaß und in Norddeutschland lebten, wegen ihrer Glaubensrichtung aber nach Pennsylvania auswanderten. Sie sprechen noch heute das sogenannte Pennsylvania- Deutsch. Das größte der »Berlins« in den USA ist jedoch »New Berlin« in Wisconsin mit immerhin 23 000 Einwohnern.
     Weiter ging es über Mittel- nach Südamerika. Hier ist die Anzahl der Orte mit dem Namen »Berlin« besonders groß. Welchen engen Bezug gibt es gerade hier zu Berlin? Sind es immer Auswanderer, auf die die Namensgebung zurückgeht? Allein in Nikaragua gibt es elfmal »Berlin«, allerdings sind dies überwiegend geographische Punkte. Nur zwei kleine Siedlungen hat Harry Hampel dort besucht, »Comarca Berlin« und »Barrio Berlin«. Hier kann man »Berliner« beim Kaffee pflanzen sehen. »Berlin« in El Salvador, das 1884 gegründet wurde, ist ein hübsches Städtchen mit 25 000 Einwohnern. Sogar einen herrlichen Wasserfall, den »Berlin Hill«, kann man hier bewundern.
     Ob in Uruguay, Chile, Bolivien, Kolumbien, Venezuela, Argentinien oder Guayana, allein in diesen Staaten gibt es »Berlin« 34mal. Das höchste »Berlin« (4 500 Meter) ist ein kleines Dorf in Argentinien mit drei Lehmhütten, einer Feuerstelle und einem Viehgatter; es wurde einst von deutschen Auswanderern gegründet. Neun Haciendas mit dem Namen »Berlin« gibt es in Venezuela teils in den Anden und teils im Dschungel. Vier davon hat Harry Hampel besucht; auf den dort entstandenen Fotos werden die sozialen Unterschiede und Größenordnungen doch recht deutlich. Das Melken von Hand auf den kleinen familiären Haciendas ist hier so normal wie die Kneippkuren für Bullen zur Vermeidung von Desinfektionen der Klauen auf den riesigen Farmen. In »Nuevo Berlin«, einer kleinen Stadt in Uruguay, gibt es etwas ganz Außergewöhnliches. Hier hat ein Bruchstück der Berliner Mauer einen Platz auf der Plaza erhalten. In Bolivien gar hat das 1969 gegründete »Estancia Centro Berlin«,
»Berlin liegt nicht nur an der Spree«
Von Berlin über Berlin nach Berlin

Bericht über die Fotoausstellung von Harry Hampel

Das geographische Institut der Technischen Universität Berlin hat insgesamt 118 Orte auf der Welt ausfindig gemacht, die den Namen Berlin tragen. Orte, das sind Ortschaften, Berge, Täler, Waldgebiete, Sümpfe, Flüsse und auch ganze Landstriche. Das beeindruckte Harry Hampel so, daß er eine Bilddokumentation über dieses Thema in Angriff nahm. Innerhalb von zwei Jahren besuchte er 57 dieser »Berlins« und hielt seine Eindrücke auf 15 000 Fotos fest.
     Im Säulensaal des Roten Rathauses wurde am 13. Februar 1997 durch den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen eine Ausstellung eröffnet, auf der nun 67 Fotos seiner Reise durch die Welt zu betrachten sind.
     Harry Hampel begann seine Reise in den USA. Hier suchte er 26 Städte und Dörfer in 18 Staaten auf. 20 000 Kilometer mußte er zu diesem Zweck mit dem Mietwagen fahren und dabei 32 Staaten durchqueren. Die ausgestellten Fotos geben neben den Besonderheiten der Orte gleichzeitig auch eindrucksvolle Einblicke in die Weite und Vielschichtigkeit der USA. So von »Berlin« in Georgia, einem kleinen Ort mit Landwirtschaft, von der kleinen Industriestadt »Berlin« in New Hampshire, von den Büffeln auf der Winterweide im kältesten »Berlin« in North Dakota bis hin zum »Berlin« in Ohio, das mit seinen 3 500 Einwohnern die größte Gemeinde der »Amish People« in den USA ist. Bei dieser religiösen Gemeinschaft ist historisch eine gewisse Verbindung zu Deutschland gegeben, da sie

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ein Ort mit 200 Einwohnern, eine »Gedächtniskirche«. Das kolumbianische »Barrio Berlin«, ein 1991 entstandener Vorort von Bogotá, besitzt für 3 000 Einwohner nur ein einziges Telefon. Durch den Verkauf von Fotos will Harry Hampel hier öffentliche Telefone spenden – eine tolle Idee. »Berliner« beim Pflücken von Orangen in Bolivien, »Berliner« Landarbeiter auf der Bananen- Plantage in Guayana und die Landepiste im Dschungel zu Füßen des »Berlin Hill«, – das Spektrum der Berlin- Darstellungen ist breitgefächert.
     1996 war Harry Hampel wiederum in Sachen »Berlin« unterwegs. Von Frankfurt am Main nach Kapstadt und dann 1 100 Kilometer im Mietwagen, gelangte er nach »Berlin« in der Nähe von East London, einem kleinen 1857 gegründeten Ort mit 1 500 Einwohnern. Über Australien ging die Reise nach »Berlins« in Neuseeland. Hier wurde 1874 ein Hotel am Buller River gegründet, das noch heute existiert und sicher als einziges Gebäude mit seinen drei Einwohnern, dem Wirt, seiner Frau und seiner Tochter, das kleinste bewohnte »Berlin« ist.
     Die ausgestellten Fotos der Orte mit dem Namen Berlin in aller Welt sind nur ein Bruchteil dessen, was Harry Hampel gesehen und erlebt hat. Weitere Reisen 1997 nach Costa Rica, Kanada, Rußland, in die Ukraine sowie in die Antarktis sollen das Bild über die »Berlins« in der Welt abrunden. Noch im Herbst soll dann das Buch über die Erlebnisse mit Fotos und Geschichten erscheinen. Die Ausstellung macht neugierig auf das Buch.
     Nachdem man so viel über Berlin erfahren hat, ist eines klar: Berlin ist nicht einmalig! Etwas aber haben die Berliner von der Spree, was keiner der anderen Namensvettern in aller Welt hat, nämlich den einmaligen, nicht exportfähigen Dialekt.
Ingrid Utech
Harry Hampel/ Thomas Friedrich
Wo die Mauer war

Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1996

Ein Kinderspiel vergangener Jahre hieß: Ich sehe was, was du nicht siehst. Der Fotograf Harry Hampel (vormals West-Berlin) und der Historiker Thomas Friedrich (vormals Ost-Berlin) sehen noch die Mauer in Berlin, obwohl sie so gut wie verschwunden ist. In der Tat, wo war eigentlich die Mauer? Millionen Berliner haben in 28 Jahren die »Mauer« von der einen, den »antifaschistischen Schutzwall« von der anderen Seite gesehen, gehaßt, erduldet, verflucht, mit ihr gelebt, akzeptiert ... Nun sind bereits sieben Jahre seit der Maueröffnung vom 9. November 1989 vergangen, das Leben in der Stadt pulsiert, es wird investiert und gebaut, das umstrittenste Bauwerk in der Geschichte Berlins hat sich aufgelöst. Zum Glück und auf Nimmerwiedersehen sagen viele und meinen, sie solle vollständig unsichtbar gemacht werden. Wo zeigt man jedoch Nachgeborenen und Touristen die ehemals so berüchtigte Mauer?
     Der bei Nicolai vorgelegte Bildband kann helfen, wo die lokale Ortsbesichtigung nichts oder nicht mehr viel von Grenze und Todesstreifen, Fluchtversuchen und militärischer Bewachung spüren läßt. Harry Hampel hat in Ahnung der Endlichkeit des im Laufe der Jahre immer weiter perfektionierten Betongemischs zahlreiche Fotos gemacht – alle von der graffitybesprühten Seite. Welche hätte er auch von der anderen Seite machen können bzw. dürfen?
     Nach dem Mauerfall suchte er haargenau den gleichen fotografischen Standpunkt von damals auf. Im Buch nun stellt er das meist in den 80er Jahren entstandene Foto dem der Nachwendezeit auf einer Doppelseite gegenüber. Alle Aufnahmen sind

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schwarzweiß wiedergegeben, auch die nach dem Mauerschwund. Diese Verfahrensweise erweist sich als äußerst vorteilhaft, denn das Ganze erscheint so trist und unwirklich, wie es eigentlich auf die Menschen diesseits und jenseits wirkte. Glücklicherweise entschloß sich der Fotograf, die Nachwendeaufnahmen nicht in Farbe anzubieten, denn so farbenfreudig sieht es entlang des ehemaligen Mauerverlaufs auch wieder nicht aus. Nein, beide Momentaufnahmen in schwarzweiß treffen die Atmosphäre am besten und ermöglichen eine realistischere Vergleichbarkeit. Da kommen Ödnis, Stille, Häßlichkeit, Unnatürlichkeit, Abgeschnittenheit auf westlicher Seite vor der Wende und Leben, Bewegung, Bautätigkeit durch Beseitigung des früheren Zankapfels eindrucksvoll zur Geltung. Und dies wollen die Autoren eigentlich erreichen.
     Der Betrachter kann gewissermaßen einen Mauerspaziergang rund um Berlin unternehmen und den damaligen und den heutigen Zustand an 50 verschiedenen Standpunkten miteinander in Beziehung setzen. Er beginnt auf der politischen und geographischen Westseite des Brandenburger Tores und endet auf der östlichen Seite. Dazwischen gibt es viel zu entdecken, nicht nur für Ortsfremde. Ein »fotografisches Spezialarchiv« (S. 17) wird geöffnet, und der Leser und Betrachter kann eine »exemplarische Zusammenstellung typischer Konstellationen« (S. 17) sehr zu seinem Gewinn verfolgen. Alle Fotografien von Hampel sind mit einem knappen, erläuternden Text von Friedrich versehen. Was er mitzuteilen hat, ist interessant und aufschlußreich, historisch und sehr gegenwärtig, informativ und kenntnisreich. Der Texter geht auf die Bilder ein und verweist auf das, was jeder sehen kann und viele kennen. So z. B. auf die inzwischen stadtbekannte Info-Box auf dem Potsdamer Platz, pardon, am Rand des heute nicht mehr erkennbaren Leipziger Platzes. (S. 29)
     Am besten kann der Rundgang anhand eines Stadtplans absolviert werden. Besonders gelungen
sind die Gegenüberstellungen der alten und der neuen Oberbaumbrücke. (S. 76/77) Hier wird sinnbildlich, wie schnell sich Veränderungen einstellen und wie schnell sich manches vergißt. Das gilt ebenso für die Bilder von der Waßmannsdorfer Chaussee – vom Grenzübergang zur ländlichen Straßenidylle. Die Widersinnigkeit der östlichen grenzsichernden Maßnahmen wird durch die Sprengung der Versöhnungskirche 1985 und das dadurch entstandene Ödland besonders anschaulich dokumentiert. (S. 110/111) Die Grenzbilder aus der Zimmerstraße bieten in ihrer Fülle viele typische Details. Sie sind sowohl Beleg für den Widersinn einer innerstädtischen Teilung wie für die Tatsache, daß diese ehemaligen Grenzfilets besonders schnell bebaut wurden und das Gewesene vergessen lassen. Vom weltberühmten Checkpoint Charlie wird durch City- Bebauung so gut wie nichts an Erinnerung bleiben. Was wird aus den Gedenkstätten für die beiderseitigen Maueropfer? Die des DDR- Grenzsoldaten Reinhold Huhn wurde bereits beseitigt (S. 64), die von Peter Fechter wird sich durch das Fehlen der Mauer und so entstandene Beziehungslosigkeit wohl bald überleben. (S. 54/55)
     Thomas Friedrich lieferte auch den einleitenden Text, von dem man nicht recht weiß, worauf er hinaus will. Knapp gehalten, wird vieles angerissen und nur wenig ausgeführt. Auf Polemik wird gänzlich verzichtet, Andeutungen finden sich wiederholt. Wie sollen sich die Überreste der Mauer in das Leben der Stadt einfügen? Stichwörter wären »Bildungsbeflissenheit«, Touristenattraktion oder Zeichen der Erinnerung und des Gedenkens. Der Autor verzichtet auf die Chance, sich mit unterschiedlichen Auffassungen auseinanderzusetzen und seinen Standpunkt auszubreiten. So ergibt sich der Eindruck, daß jenes von der Welt einst so bestaunte und verurteilte Bauwerk eher dem Vergessen als gezielter Aufbereitung anheimfallen wird. Die Geschichte Berlins sei reich an vergebe-
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nen Gelegenheiten, »mit dem eigenen historischen Erbe verantwortungsvoll und reflektiert umzugehen«. Auch diesmal wieder? Friedrich läßt nicht allein Geldmangel als Grund gelten, verrät aber dem Leser nicht seine Vermutungen. Mehr hätte man gern erfahren zum Thema, wie die Berliner heute mit der Mauer umgehen und warum es den Verantwortlichen diesbezüglich an »Bewußtsein und Sensibilität« (S. 16) fehlt. Texter wie Fotograf wollen den Verantwortlichen ihre Verantwortung unter die Nase reiben – jeder versucht es auf seine Weise. Eine Streitschrift für den Mauererhalt will die Publikation keineswegs sein, und so konzentriert sich das Interesse mehr auf das Schauen.
     Es fehlen Hinweise auf die tatsächlichen östlichen Ursachen für den Mauerbau wie massenhafte »Republikflucht« und wirtschaftliche Schwäche. Der von der DDR als »antifaschistischer Schutzwall« deklarierte Bau wurde zur Überlebenslüge, wurde zu ihrer Existenzbedingung, verhinderte den Bankrott 1961, verzögerte ihn bis 1989. Ohne diese Kenntnis muß es fernen Touristen und auch einheimischen Nachgeborenen völlig unverständlich bleiben, warum Millionen Menschen in der DDR mit so einem trennenden Gebilde drei Jahrzehnte einigermaßen leben konnten, sie sich von der Welt abschotten ließen und andererseits dem Westen letztlich nur ihre Duldung blieb mit der Hoffnung, daß ein »Wandel durch Annäherung« eintreten würde. Davon leider nichts, dafür aber interessante Informationen über frühere Mauern in Berlin (S. 16) und die Probleme der Alliierten bei Kriegsende, den Verlauf der Sektorengrenzen zu bestimmen (S. 14).
     Dieses Buch wurde nur möglich durch die vorsorglich angefertigten Fotografien Harry Hampels. Es ist ein hoffnungsvoller Beginn und wird seine Leser und Betrachter finden, zweifellos. Eine weitergehende Dokumentation der Mauer in Berlin jedoch erfordert die Sichtung aller vorliegenden Aufnahmen der verschiedensten Fotografen, auch die von der östlichen Seite. Wenn dann auch die un-
mittelbare Vergleichbarkeit, eine wesentliche Stärke des vorliegenden Buches, nicht mehr so gegeben sein wird, besteht der Vorteil in mehr Vollständigkeit und breiter angelegtem Text. Aber welcher Verlag kann sich einem solch aufwendigen Unternehmen zuwenden? Vorerst wird der Interessierte mit großem Gewinn auf die Publikation Hampel/Friedrich zurückgreifen.
Bernhard Meyer

 
I. Meinicke/ H.-M. Bernitz
Der Gemüsegarten Berlins

Bilder einer Ausstellung,
Verlag Natur & Text GmbH, Rangsdorf 1996

So ähnlich muß es 1937 dem »Arbeiter- Astronomen« Bruno H. Bürgel ergangen sein, als er aus Anlaß eines Stadtjubiläums die Stätten von Kindheit und Jugend besuchte und die Erinnerungen an die Zeit der Jahrhundertwende beschwor, als ihm wieder bewußt wurde, wie sein Weißensee »eben vor einem halben Jahrhundert aussah. Weit dehnten sich die Felder, da und dort spiegelte ein kleiner See, ein Teich, ein >Pfuhl< den Himmel wider, breiteten sich kleine Waldstücke; der ganze Ort hatte einen mehr dörflichen Charakter.« Er erinnert sich an kindliche Spiele inmitten der Idylle einer solchen Landschaft und weiß noch, es »sang des alten Lehrers Geige von der kleinen Schule weit über Stoppelfelder, liefen da, wo jetzt die Elektrische dahinsurrt, Autos hupen, Hasen und Kaninchen, gackerten Hühner, watschelten Enten, und ungehindert sah das Auge Sonne, Mond und Sterne vom Aufgang zum Niedergang wandern«.

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Nur, daß es diesmal den umgekehrten Weg nimmt: Man hat die Verwandlung einer Landschaft nahezu täglich selbst miterlebt, das Fällen der Bäume auf der Falkenberger Chaussee und an den Rändern der Wege über die Rieselfelder, das Zerfurchen des Bodens, aus dem jahrzehntelang Gemüse und Obst für die Großstadt gekommen waren, das quer über das brache Land – zuerst ins Nirgendwo – fuhr, lange bevor die ersten Platten zu Häusern zusammengefügt wurden. Dafür steigt jetzt die Erinnerung an Kindheit und Jugend aus den Bildern eines Buches, das einen bescheidenen, wenngleich auch poetischen Titel trägt. Sie wird lebendig, man spürt die flirrende Hitze eines Sommertages in der Tiefe der Felder, erblickt nur in der Ferne die Dächer, Türme und Schornsteine der Stadt, hört dann und wann einen Zug über die Gleise rollen – in der Nase den Duft der Falläpfel, die die Mutter in jedem Herbst preisgünstig in den Schnitterhäusern längs der Malchower Dorfstraße einhandelte, auf dem Weg nach Hause zwischen den gleich neben der Chaussee glucksenden Rieselfeldern. Die für ein Großstadtkind exotisch anmutende Fahrt auf dem Oberdeck des Omnibus bis ins ferne Ahrensfelde, immer an den Feldern entlang, in den Ohren das Geräusch von den Zweigen, die der Bus am Straßenrand streifte.
     Die Texte, die die Ausstellungsbilder ergänzen und den historischen Hintergrund für Entstehen und Vergehen der Rieselfeldwirtschaft erläutern, heben sich wohltuend von den derzeit im Schwange befindlichen Bildbüchern zu »..., wie es früher war«, ab. Sie informieren den Leser, sie geben ihm Gelegenheit, mehr über die Menschen zu erfahren, die sich ihm auf den Fotos vorstellen. Und welche Genugtuung, daß damals offenbar nicht nur ein einzelner Fotograf die Runde machte und auch die meisten Bauern, Pächter und wohl auch Saisonkräfte Freude an der Darstellung hatten. Man betrachte die Gesichter der Frauen, die neben ihrer gewiß schweren Arbeit auf den weitläufigen Schlägen die
Gelegenheit nicht versäumten, sich »ein wenig zurecht zu machen«. Das beeindruckendste Bild ist wohl auf Seite 27, das mehr auszudrücken vermag als nur den Besuch auf dem Feld mit der Vespermahlzeit, geschmückt mit dem schönsten Hut, den die schöne Luise aufzutreiben vermochte. Hier wie bei den meisten anderen sieht man allerdings nichts oder nur wenig von der Last der Arbeit, man kann sie nur ahnen, wenn man im Hintergrund die Weite der Feldflächen sieht und um das Verziehen von Ackerpflanzen und die Mühsal der Radieschenernte weiß.
     Das alles ist heute Geschichte. Nicht nur, weil die Großstadt, wie schon seit Hunderten von Jahren, immer wieder freies Land sich einverleibte. Auch ohne dies wären die Rieselfelder gestorben, abgeschafft im Interesse der Hygiene der Großstadt, der sie ihre Entstehung verdankten. Abgeschafft aber auch, weil Obst und Gemüse aus Chile oder Neuseeland heutzutage aus unerforschlichen Gründen hier billiger und gewinnträchtiger vermarktet werden können als das aus dem Gemüsegarten Berlins. Da sind Bücher wie dieses wichtig, und man muß den Autoren und den die Herstellung unterstützenden Institutionen dankbar sein, daß sie diese historischen Kleinode bewahrten und nach der Ausstellung jedermann zugänglich machten.
     Kleinere Fehler, wie die Verlegung des Neuen Marktes, der sich zu Füßen der Marienkirche ausbreitet, auf den Alexanderplatz (S. 63), oder Druckfehler, wie Brücknersfelde (S. 21), alle nicht in dem kleinen »Vertauscht«- Zettel genannt, lassen sich bei der Fülle des zu Lobenden gern verschmerzen. Zu wünschen ist, daß diese Publikation mit dazu beiträgt, die Arbeit an der Schaffung des Landschaftsparks Barnim, der auf weiten Arealen ehemaliger Rieselfelder entstehen wird, zu unterstützen. Vielleicht wird auch das schon seit langem gewünschte »Nordost- Museum« mit dem Kernstück Rieselwirtschaft am Ende dieser Arbeit stehen.
Joachim Bennewitz
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© Edition Luisenstadt, 1997
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