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programm zeigt die Entwicklung eines Helden von früher Jugend über das Mannesalter bis zum Tod auf dem Schlachtfeld sowie seine Entrückung zum Olymp. Ursprünglich war an gußeiserne Figuren gedacht worden. Das Metall galt nach den Befreiungskriegen als »patriotischer Stoff«, aus dem auch das Eiserne Kreuz gefertigt wurde. Die Königliche Eisengießerei am Rande der Stadt verstand sich auf die Herstellung von Kanonenrohren, Monumentalplastiken und filigranem Schmuck für die Damenwelt. Allerdings meinte Schinkel, es könne keinen schönen Anblick gewähren, zum Beispiel einen weiblichen Körper »in diesem rauhen und der Farbe nach unerfreulichem Metall ausgeführt zu sehen«. Die projektierten Gruppen enthielten »sehr schöne nackte Jünglings- und Weibergestalten«, die aus Eisen einen traurigen Anblick gewähren würden, sah der Meister voraus.
     So entschloß man sich, die Schloßbrückenfiguren aus Marmor fertigen zu lassen, was heute Steinrestauratoren zu regelmäßigen Inspektionen und gelegentlicher Nachkonservierung veranlaßt. Mit Eisenfiguren müßte man allerdings noch größeren denkmalpflegerischen Aufwand treiben, denn das Metall ist überaus korrosionsanfällig, wie die Pflegemaßnahmen des gußeisernen Kreuzbergdenkmals zeigen.
     Der Baumeister hat die seinerzeit »als
Helmut Caspar
Moralinsaure Kritik an Marmorhelden auf der Schloßbrücke

Die Sanierung der Schloßbrücke zwischen Schloßplatz und der Straße Unter den Linden hat Millionen verschlungen und die Geduld der Kraftfahrer aufs äußerste strapaziert. Jetzt zeigt sich Schinkels Meisterwerk in ganzer Schönheit und ist wieder beliebtes Fotomotiv wie ehedem. Zur Entstehungszeit war der auffällige Figurenschmuck, bestehend aus nackten Helden und antiken Göttinnen, höchst umstritten – die nackten Helden auf der Schloßbrücke. Acht Doppelfiguren hatte Karl Friedrich Schinkel als Krönung der Bauwerks vorgesehen, das als Ersatz für die baufällige »Hundebrücke« an gleicher Stelle errichtet wurde. Schinkel hatte die zu bauende Brücke nicht nur als bloßen Spreeüberweg konzipiert. Ihm schwebten »bedeutende Gegenstände« als Schmuck vor. Figuren auf hohen Postamenten sollten der Anlage Würde und Größe geben. Über die bloße Dekoration sollten die Figuren an die Helden der Befreiungskriege in antikisierender Verfremdung erinnern.
     Das von Schinkel entworfene Skulpturen

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herrliche Erinnerung an den Kampf für Freiheit und Selbständigkeit« gedachten antiken Göttinnen mit und ohne Flügel samt dazugehöriger Krieger nicht mehr zu sehen bekommen, da er bereits 1841 starb. Der sparsame und wenig risikofreudige Friedrich Wilhelm III. hatte für derlei Schmuck nicht viel übrig, erinnerte er doch an eine Zeit, da die Hohenzollern- Herrschaft arg beschnitten und Preußen in Bedrängnis geraten war. Unter dem Druck der Ereignisse hatte sich der Monarch zu Zugeständnissen genötigt gesehen, für die er sich unter »normalen« Umständen nie bequemt hätte. Des Königs Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV., der in der 48er Revolution eine so unrühmliche Rolle spielen sollte, aber als Künstler und Mäzen bedeutend war, ließ die unfertigen Bauten und Denkmalsprojekte seines Vaters vollenden. Dazu gehörte auch der Brückenschmuck.
     Die vier Eckgruppen versinnbildlichen folgende Themen: Nike lehrt den Knaben Heldensagen (von Emil Wolff, 1847), Nike bekrönt den Sieger (von Friedrich Drake, 1853), Nike richtet den Verwundeten auf (von Ludwig Wichmann, 1853) und Nike trägt den gefallenen Krieger zum Olymp empor (August Wredow, 1847). Zu diesen Gruppen mit den geflügelten Siegesgöttinnen gesellen sich vier Mittelgruppen mit Frauengestalten ohne Flügel, aber prächtigen Helmen: Athena unterrichtet den Jüngling im Waffengebrauch (Hermann Schievel-
bein, 1853), Athena bewaffnet den Krieger (Karl Heinrich Möller, 1851), Athena führt den Jüngling in den neuen Kampf ( Albert Wolff, 1853) und Athena beschützt den jungen Helden (Gustav Blaeser, 1854).
     Auch bei der Gestaltung der Neuen Wache unweit des Zeughauses, heute Deutsches Historisches Museum, wurden Erinnerungen an Kampf, Sieg, Niederlage und Tod wach. Im Giebeldreieck der Wache, heute Gedenkstätte für die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft, sowie oberhalb der Säulen kann man Siegesgöttinnen und antike Heldenfiguren betrachten.
     Die nach der Revolution von 1848/49 aufgestellten Schloßbrückenfiguren riefen manchen Unmut hervor. Da war die Forderung des Witzblattes »Kladderadatsch«, man möge den nackten Helden gefälligst »anständigere und wärmere Kleidung« verpassen, noch ein freundlich- harmloser Rat. Miesepetrige Moralapostel moserten an den marmornen Muskelmännern herum und behaupteten allen Ernstes, das Volk würde die griechischen Götterbilder nicht verstehen, und außerdem würden sie sich, mit Schnee bedeckt, im rauhen Klima des Nordens »curios« ausnehmen. Ein besonders sittenstrenger Kunstrichter meinte gar, Berliner Mädchen würden angesichts der prächtigen Nacktheiten oben auf den Sockeln auf die schiefe Bahn kommen. Witzblätter nutzten die Brückenfiguren, um den Kampf der Geschlechter, ausgeführt mit Gewehren
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Auf dem Sockel Kampf der Geschlechter – Karikatur um 1855
und Bratpfanne, aufs Korn zu nehmen. Auch die Heimkehr eines weinseligen Pantoffelhelden am Neujahrsmorgen wurde in Anlehnung an den Brückenschmuck deftig geschildert. Die moralinsaure Kritik vorausahnend, hatte Friedrich Wilhelm IV. veranlaßt, einigen Helden ein Tüchlein über die bewußte Stelle zu legen, so wie ein sittenstrenger Papst die Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle nachträglich noch mit »Lendentüchlein« bemalen ließ. Der Bildhauer Gustav Blaeser berichtet, Friedrich Wilhelm IV. habe ihn einmal gelobt, denn es sei sehr vernünftig, daß er, Blaeser, dem Krieger eine »Schürze« vorgemacht hat. Andere Figuren entbehren dieses »Vorhemdchens«.
     Im Sommer 1989 wurden die noch fehlenden Adlermedaillons in die Sockel eingefügt.
Vier Reliefs zeigen den Kampf eines Adlers mit der Schlange, andere den Raubvogel mit Blitzbündeln. Bildhauer der Stuck und Naturstein GmbH Berlin schufen die runden Marmorreliefs nach Abgüssen, die im Austausch gegen anderes Kunstgut aus West-Berlin in den Ostteil gelangten. Die Komplettierung der Schloßbrücke wurde möglich, nachdem die acht Doppelfiguren, die im Zweiten Weltkrieg abgebaut und verlagert worden waren, im Jahre 1981 aus West-Berlin im Tausch mit dem Archiv der Königlichen Porzellanmanufaktur nach Ost-Berlin gelangt waren. Sorgfältig restauriert, kamen sie 1983 und 1984 auf ihre alten Sockel.

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© Edition Luisenstadt, 1997
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