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Zitta Übel
»Abends bei Sanders«

Sophie Sander und Goethe

Die Geschichte der Berliner Salons im 19. Jahrhundert stellt eines der faszinierendsten Kapitel der deutschen Kulturgeschichte dar. Volkstümlich gemacht hat die Literatur vor allem zwei dieser Salons – die zunächst beide jüdisch waren. Der eine ist der Salon von Rahel Levin (1771–1833), der andere der der Literatin Henriette Herz (1764–1847). Aber auch das Haus des Verlegers Johann Daniel Sander und seiner Frau Sophie (geb. 26. Oktober 1768 in Pyrmont, gest. 21. März 1828 in Berlin) – nach allem, was Zeitgenossen von ihr zu berichten wußten, vielleicht die berlinischste aller dieser Frauen –, deren Ehrgeiz in die Welt des Geistes strebte, wenn ihr berlinisches Wesen darin auch vielleicht nicht ganz heimatberechtigt war. Sophie Sander stammte aus Pyrmont, ihr Wesen aber paßte ausgezeichnet in die Stadt. Sie besaß alles, was zu einer richtigen Berlinerin gehörte: sehr hübsch anzusehen, eine gute Mutter, eine treffliche Freundin, griff in Zeiten der Not selbst energisch in den Gang der Geschäfte ein, vertrat den Mann und hielt über Wasser, was sich bei den unruhigen Zeiten der Napoleonischen Wirren und Kriege irgend über Wasser halten ließ.

Sie war Gattin und Hausfrau, und sie fürchtete sich auch vor den Verwirrungen der Liebe nicht. Sie war anmutig genug, selbst einen so verwöhnten Mann wie Goethe ein Weilchen in ihren Bann zu ziehen.
     Sophie Sander konnte sich eines Briefwechsels mit Persönlichkeiten wie Heinrich von Kleist (1777–1811), Adam Müller (Staatswissenschaftler und Sophies Vetter; 1779–1829) und Zacharias Werner (Dichter und Schriftsteller; 1768–1823) rühmen. Wenn ihr Bild trotzdem aus der Geschichte Berlins und der Berlinerinnen verschwunden ist, so lag das an zwei Männern: zunächst dem Schriftsteller, Philologen und Archäologen Karl August Böttiger (1760–1835), der mit der Familie Sander befreundet war und dann wegen eines Fasans ein erbitterter Feind der Frau wurde. Böttiger hatte dem Ehepaar Sander zu einer festlichen Gelegenheit eines dieser nahrhaften Tiere übersandt: bei der Vertilgung war durch einen unglücklichen Zufall auch Friedrich Schlegel (Dichter; 1772–1829) dabei, Freund aller guten, eßbaren Dinge, für Böttiger aber Objekt tiefsten Hasses. Böttiger erfuhr von dem Anteil, den der Dichter am Verzehr des Vogels hatte, und sein Zorn richtete sich naturgemäß gegen die unglückliche Hausfrau. Sie schrieb ihm einen entschuldigenden Brief, daß nur der Zufall eines plötzlichen Besuches den dicken Dichter zum Teilnehmer am köstlichen Mahle gemacht hatte. Böttiger nahm die Erklärung entge-
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gen, zeigte sich versöhnt und rächte sich dennoch in einer biographischen Notiz nach dem Tode des Mannes über ihn und dessen Frau. Diese Notiz kam aus seinem Nachlaß ans Tageslicht, und nun war Sophie Sander »die feile Kokette, die gerne mit den Schönen Geistern liebelte«.
     Böttiger gehörte zu den wenigen, die überhaupt etwas über die Sander berichteten: So wurde sein Urteil entscheidend. Die Schwächen der Sophie Sander schoben sich vor ihre wesentlichen Qualitäten, und so kam es, daß Ludwig Geiger (1848–1919), einer der jüdischen Historiker des alten Berlins, die Haltung Böttigers übernahm und sie durch seine Auffrischung von neuem belebte.
     Das Berliner Dasein der Sophie Sander begann 1795 – im September 1794 hatte in Pyrmont die Hochzeit mit Johann Daniel Sander (geboren 1759) stattgefunden. Breite Straße Nummer 23, da, wo das alte Haus der »Vossischen Zeitung« gestanden hatte, war die erste Wohnung des jungen Paares, nicht weit vom Ermelerhaus, dem wohl wertvollsten Gebäude jener Jahre. Sophie bekam mehrere Kinder, schon beim zweiten übernahm Böttiger die Rolle des Paten, und die Namensreihe des Kindes – Karl August Friedrich Wilhelm – zeigt sehr deutlich die preußisch weimarische Haltung des Sanderschen Hauses. Das Haus und die Kinder waren Sophies Domäne. Die Literatur und den Verlag überließ sie den Männern. Sie
kam zur Literatur nur in Beziehung durch die Menschen, die sie betrieben. Auf ihren Reisen nach Pyrmont wohnte sie in Braunschweig bei Joachim Heinrich Campe (deutscher Pädagoge; 1746–1818), frühstückte in Halberstadt mit Johann Wilhelm Ludwig Gleim (Dichter; 1719–1803). Mit ihrer Heiterkeit wurde sie ganz von selbst Mittelpunkt der Geselligkeit, die zu pflegen ebenfalls Ehrgeiz des Verlegers Sander war.
     Von 1800 bis 1810 etwa hat der Sandersche Salon bestanden. Wie in allen angesehenen Häusern war der einmal Eingeführte jeden Tag zur gewöhnlichen Teezeit willkommen. An Glanz und Luxus kein Gedanke; desto angenehmer und heimischer fühlte sich jeder in den netten Zimmern am Teetisch, wo die hübsche und lebhafte Sophie der wirkliche Mittelpunkt der Geselligkeit war. Sie war eine sehr anmutige und gewandte Gesprächspartnerin sowie taktvolle Gastgeberin. Gelegentlich vermittelte sie zwischen Dichtern, die sich noch nicht persönlich begegnet waren. Zuweilen leuchtete aus ihren Blicken eine recht wohltuende Freundlichkeit. Wer aber von den vielen Männern sich falsche Hoffnungen machte, wurde schon bald von dem Ausdruck ihres Stolzes auf den rechten Weg zurückgewiesen.
     Zu den Gästen des Sanderschen Hauses gehörte damals fast jeder, der in Berlin Namen und Ansehen hatte: Wilhelm von Humboldt, der spätere Kultusminister, und
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Johannes von Müller, der Schweizer Historiker, der Theologe Zöllner und der Musiker Carl Friedrich Zelter, Adam Müller, der Freund Kleists, und Johann P. F. Ancillon, der Gottesgelehrte, später Adelbert von Chamisso und Heinrich von Kleist, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Jean Paul und Zacharias Werner.
     Sander's Stellung war zu Beginn seiner verlegerischen Laufbahn so zukunftsreich, daß er durch Vermittlung Wilhelm von Humboldts der Korrektor letzter Hand für Goethe wurde. Er überwachte den Druck von »Hermann und Dorothea« und brachte manche Verbesserung in der Zeichensetzung und im Versmaß an, die Goethe nachher bereitwillig übernahm. Auch Goethes 1800 erschienene Neue Gedichte wurden von Sander betreut. Die persönliche Bekanntschaft zwischen Sander, seiner Frau und Goethe war in Leipzig durch Friedrich Rochlitz (Schriftsteller und Musikkritiker; 1769–1842) vermittelt worden. Man speiste im Hotel de Saxe zur Nacht, und am nächsten Tag notierte Goethe ins Tagebuch »Abends bei Sanders«. Das war im Mai 1800, und Goethe fand so viel Gefallen an Sophie, daß sie ihn wenige Wochen später in Weimar wiedersah. Es ist Sophie Sander gelungen, in den nächsten Umkreis der Welt Goethes und sogar in seine Seele einzudringen. Sie wurde in sein Haus geladen, schon in Leipzig saß sie bei einem Festessen stolz an seiner Seite. Sie durfte in Weimar
mit ihm die Oper besuchen und nachher wieder in dem kleinen Kreise in seinem Haus weilen. Sie war, wie Sander später einmal an Böttiger schrieb, ein wenig in ihn verliebt. Sie schrieb ihm lange Briefe, in denen sie aus den Begegnungen heraus mehr an persönlicher Nähe fühlbar machte, als ihm lieb zu sein schien, und überschritt wohl zu sehr die Grenzen, die er um sich gewahrt sehen wollte. Er schwieg, ließ sie ohne Antwort. Erst dem Ehemann gelang es, das Eis zu brechen, indem Sander Goethe um Übernahme der Patenschaft bei einem seiner Kinder bat. Goethe wollte erst nicht recht, machte Ausflüchte, aber zuletzt stand er doch im Taufregister, zusammen mit Wilhelm von Humboldt und Jean Paul. Schließlich gelang es einer Sendung von Fischen und Rüben, das Schweigen des Herrn »Geheimderaths« auch gegen die Frau Sander zu brechen. Er schrieb ihr einen seiner barocken Dankbriefe, um dann für immer ihr gegenüber zu verstummen.
     
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