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Emanzipationsedikt vom 11. März 1812

Unter Mitwirkung der Berliner Jüdischen Gemeinde erläßt am 11. März 1812 König Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) ein Edikt, das in engstem Zusammenhang mit den preußischen Reformen steht und das vor allem den Juden der Provinzen Brandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen und Schlesien die Anerkennung als preußische Staatsbürger gewährt:
     »Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen usw. haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue, der allgemeinen Wohlfahrt angemessene Verfassung zu ertheilen, erklären alle bisherige, durch das gegenwärtige Edikt nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften für die Juden für aufgehoben und verordnen wie folget:
     § 1. Die in Unsern Staaten jetzt wohnhaften, mit General- Privilegien, Naturalisations- Patenten, Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und Preußische Staatsbürger zu achten.
     § 2. Die Fortdauer dieser ihnen beigelegten Eigenschaft als Einländer und Staatsbürger wird aber nur unter der Verpflichtung gestattet: daß sie fest bestimmte Familien- Namen führen, und daß sie nicht nur bei

Führung ihrer Handelsbücher, sondern auch bei Abfassung ihrer Verträge und rechtlichen Willens- Erklärungen der deutschen oder einer andern lebenden Sprache, und bei ihren Namens- Unterschriften keiner andern, als deutscher oder lateinischer Schriftzüge sich bedienen sollen.
     § 3. Binnen sechs Monaten, von dem Tage der Publikation dieses Edikts an gerechnet, muß ein jeder geschützte oder konzessionierte Jude vor der Obrigkeit seines Wohnorts sich erklären, welchen Familien- Namen er beständig führen will. Mit diesem Namen ist er, sowohl in öffentlichen Verhandlungen und Ausfertigungen, als im gemeinen Leben, gleich einem jedem andern Staatsbürger, zu benennen.
     § 4. Nach erfolgter Erklärung und Bestimmung seines Familien- Namens erhält ein jeder von der Regierung der Provinz, in welcher er seinen Wohnsitz hat, ein Zeugniß, daß der ein Einländer und Staatsbürger sey, welches Zeugniß für ihn und seine Nachkommen künftig statt des Schutzbriefes dient.
     § 5. Nähere Anweisungen zu dem Verfahren der Polizei- Behörden und Regierungen wegen der Bestimmung der Familiennamen, der öffentlichen Bekanntmachung derselben durch die Amtsblätter und der Aufnahme und Fortführung der Hauptverzeichnisse aller in der Provinz vorhandenen jüdischen Familien bleiben einer besondern Instruktion vorbehalten.
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     § 6. Diejenigen Juden, welche den Vorschriften § 2 und 3 zuwider handeln, sollen als fremde Juden angesehen und behandelt werden.
     § 7. Die für Einländer zu achtende Juden hingegen sollen, in sofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.
     § 8. Sie können daher akademische Lehr- und Schul- und Gemeinde- Aemter, zu welchen sie sich geschickt gemacht haben, verwalten.
     § 9. In wie fern die Juden zu andern öffentlichen Bedienungen und Staats- Aemtern zugelassen werden können, behalten Wir Uns vor, in der Folge der Zeit, gesetzlich zu bestimmen.
     § 10. Es stehet ihnen frei, in Städten sowohl als auf dem platten Lande sich niederzulassen.
     § 11. Sie können Grundstücke jeder Art, gleich den christlichen Einwohnern, erwerben, auch alle erlaubten Gewerbe mit Beobachtung der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften treiben.
     § 12. Zu der aus dem Staatsbürgerrechte fließenden Gewerbefreiheit, gehöret auch der Handel. (...)
     § 28. Da, nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, neue Gesetze auf vergangene Fälle nicht bezogen werden können, so sind die Streitigkeiten über Handlungen, Begebenheiten und Gegenstände, welche das
bürgerliche Privatrecht der Juden betreffen, und sich vor der Publikation der gegenwärtigen Verordnung ereignet haben, nach den Gesetzen zu beurtheilen, die bis zur Publikation dieses Edikts verbindend waren, wenn nicht etwa die bei jenen Handlungen, Begebenheiten und Gegenständen Interessierten, in so fern sie dazu rechtlich befugt sind, sich durch eine rechtsgültige Willenserklärung den Bestimmungen der Gegenwärtigen Verordnung, nach deren Publikation, unterworfen haben sollten. (...)
     § 39. Die nöthigen Bestimmungen wegen des kirchlichen Zustandes und der Verbesserung des Unterrichts der Juden, werden vorbehalten, und es sollen bei der Erwägung derselben, Männer des jüdischen Glaubensbekenntnisses, die wegen ihrer Kenntnisse und Rechtschaffenheit das öffentliche Vertrauen genießen, zugezogen und mit ihrem Gutachten vernommen werden.
     Hiernach haben sich Unsere sämmtliche Staats- Behörden und Unterthanen zu richten. Gegeben Berlin, den 11ten März 1812.

     Friedrich Wilhelm
     Hardenberg, Kircheisen.«

Zitiert nach: Julius Höxter, Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, V. Teil, Frankfurt am Main, 1930, S. 21 f.

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