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Gerhard Keiderling
DDR-Pläne für die Hauptstadt Deutschlands

Die DDR trat am 7. Oktober 1949 mit einem gesamtdeutschen Anspruch auf die politische Bühne. Als Keimzelle eines neuen, künftig sozialistischen Deutschlands sah sie es als ihre vordringliche Aufgabe an, das kriegszerstörte Berlin als Hauptstadt neu zu gestalten. Der Magistrat von Groß-Berlin, der seit dem 30. November 1948 unter Oberbürgermeister Friedrich Ebert (SED) den Ostteil der Stadt verwaltete, hatte bereits in seiner 24. Sitzung vom 5. Mai 1949 einem auf zehn Jahre berechneten Generalplan zum »Wiederaufbau der Hauptstadt Deutschlands« zugestimmt. In seiner 52. Sitzung vom 28. November 1949 nahm er »Leitsätze für die Planung Groß-Berlins« an: »Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, ist der Sitz der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Der Aufbau der Hauptstadt ist Angelegenheit aller Deutschen. [...]
     Berlin als Mittelpunkt des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens erhält sein Gepräge durch die Gestaltung der gesamten Stadt, der Innenstadt, der Bezirke, bestimmter Straßen und Plätze sowie

Einzelbauwerke entsprechend seiner Aufgabe als Hauptstadt Deutschlands. [...] Die Innenstadt muß als Standort der zentralen Regierungs- und Wirtschaftsorgane sowie übergeordneter kultureller Bauten besonders hervorgehoben werden.« 1)
     In diesem Sinne beschloß der Magistrat als erstes die Wiederherstellung des Brandenburger Tores und des Linden-Forums, den schwerpunktmäßigen Wohnungsbau in der Stalinallee (heute Karl-Marx- Allee) und am Rosa- Luxemburg- Platz sowie die pompöse Ausgestaltung des U-Bahnhofs Thälmannplatz (früher Kaiserhof – heute Mohrenstraße) mit Marmor aus Hitlers Neuer Reichskanzlei. Bei der Übergabe des U-Bahnhofs sollte auf dem Platz der Grundstein für ein Thälmann- Denkmal gelegt werden. Im Februar 1949 war mit dem Neubau der sowjetischen Botschaft Unter den Linden begonnen worden.
     Seit November 1949 übernahm die DDR- Regierung die weitere Leitung des Wiederaufbaus Berlins. Vor allem Ministerpräsident Otto Grotewohl und Aufbauminister Lothar Bolz kümmerten sich darum. Auf Veranlassung Grotewohls beschäftigte sich der Ministerrat am 26. November 1949 in Anwesenheit des Ostberliner Oberbürgermeisters Friedrich Ebert und des SED- Landesvorsitzendenden Hans Jendretzky mit der Neugestaltung des Zentrums. Während Grotewohl die »nationalpolitischen« Akzente setzte, trug der Direktor des Instituts für Städtebau,
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Dr.-Ing. Kurt Liebknecht, erste Planvorstellungen vor. Man beschloß, eine Gruppe von Architekten und Städteplanern unter Leitung von Minister Bolz zu einer Studienreise vom 12. April bis 27. Mai 1950 in die Sowjetunion zu entsenden. Als diese mit »Erfahrungen des sowjetischen Städtebaus« zurückkam, waren schon wichtige Entscheidungen gefallen.
     Bei den Beratungen eines Fünfjahrplans 1951–1955 für die Volkswirtschaft der DDR im Politbüro des ZK der SED hatte sich Walter Ulbricht mit seiner Idee eines zentralen Aufmarschplatzes auf der Schloßinsel und einer repräsentativen Gestaltung der Stalinallee als »wichtigste Aufmarschstraße des östlichen Stadtgebietes« durchgesetzt. Auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 verwarf Ulbricht alle bisherigen Planungen zum Wiederaufbau Berlins als »kosmopolitische Phantasien«, die eher »in die südafrikanische Landschaft passen« würden. »Keine amerikanischen Kästen und keinen hitlerschen Kasernenstil mehr«, sondern »monumentale Gebäude und eine architektonische Komposition, die der Bedeutung der Hauptstadt Deutschlands gerecht wird.« Sodann verkündete er: »Das Zentrum unserer Hauptstadt und das Gebiet der jetzigen Schloßruine muß zu dem großen Demonstrationsplatz werden, auf dem Kampfwille und Aufbauwille unseres Volkes Ausdruck finden können.« 2)
     Damit war das Urteil über das Berliner
Stadtschloß gefällt. Eilig wurde der Parteitagsbeschluß verwirklicht. Ausgehend von den 16 »Grundsätzen des Städtebaues«, die der Ministerrat am 27. Juli 1950 verabschiedet hatte, unterbreitete das Ministerium für Aufbau am 3. August 1950 einen von Kurt Liebknecht und Walter Pisternik, Hauptabteilungsleiter im Aufbauministerium, ausgearbeiteten »Vorschlag zur Gestaltung des Zentrums der Hauptstadt Deutschlands Berlin«: »Das Zentrum Berlins, gestaltet nach den 16 vom Ministerrat beschlossenen Grundsätzen des Städtebaues, kann vom Brandenburger Tor bis zum Luxemburgplatz und der Stalinallee reichen. Es führt über die Linden zum Lustgarten, über das neu zu schaffende Demokratische Forum und den Alexanderplatz zum Luxemburgplatz.
     Um sofort einen ausreichend großen Platz für Standdemonstrationen und fließende Demonstrationen zu haben, ist das Schloß abzureißen. Eine weitere Vergrößerung des Platzes auf der Spreeinsel in Richtung Breite Straße und Brüderstraße empfiehlt sich nicht, da hiermit das vom Brandenburger Tor zur Stalinallee führende Zentrum mit dem Mittelpunkt Lustgarten (später Lustgarten und Demokratisches Forum) unterbrochen würde. Die Vergrößerung des Lustgartens senkrecht zur Achse Unter den Linden (also zur Achse des vorgeschlagenen Zentrums) gibt zwar einen Abschluß für die Linden, aber keinen organi-
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   48   Probleme/Projekte/Prozesse DDR-Hauptstadtpläne  Vorige SeiteNächste Seite
schen Anschluß an Stalinallee, Alexanderplatz, Leninallee und Luxemburgplatz. Der von der Stalinallee über die Königstraße nach den Linden fließende Verkehr würde den Platz schneiden, anstatt ihn zu tangieren. Ein Zuschütten des einen Spreearmes ist nicht möglich, da er als Umfluter benötigt wird.«
     Im einzelnen wurde vorgeschlagen: »Gewinnen eines großen Platzes durch sofortigen Abriß des Schlosses und Benutzen dieses Platzes (bis an den Marstall) als Demonstrationsplatz für stehende und fließende Demonstrationen. Bildung eines neuen Platzes, begrenzt durch Königstraße, Hoher Steinweg, Liebknechtstraße und Spree. Nach Fertigstellung dieses Platzes wäre an der Stelle, wo das Schloß stand, das Gebäude der Volksvertretung für ganz Deutschland zu errichten.«
     Die Verfasser präferierten das Areal zwischen Liebknechtstraße und Rotem Rathaus mit einer Größe von rund 100 000 Quadratmetern: »Geeignet für stehende Kundgebungen von 400 000 Personen und fließende Demonstrationen mit Reihen von 70 Personen = 125 000 pro Std. Nähe S- und U-Bahnhöfen. Hauptan- und Abmarschstraßen günstig an den Stirnseiten, durch Verbreiterung der Liebknecht- und Königstraße für fließende Demonstrationen leicht zu verbessern.
     Dieser Platz läßt sich zu einem Forum der Demokratie durch Errichtung von Großbauten der demokratischen Massenorgani-
sationen gestalten. Vor der Kongreßhalle in der Karl- Liebknecht- Straße können massive Tribünen für Stand- und fließende Demonstrationen errichtet werden. An Stelle des jetzt abzureißenden Schlosses wird nach der Einigung Deutschlands das Haus der Volksvertretung, in der Achse der Linden und im Mittelpunkt des Schlosses liegend, errichtet werden. [...]
     Besondere Wirkung durch die in Berlin ungewohnte Größe des Platzes, die ihn aus allen vorhandenen Platzanlagen heraushebt. Der Lustgarten wird zum >Vorhof< des zentralen Platzes, den man für kleinere Veranstaltungen benutzen kann. Auf der anderen Seite bildet der Alexanderplatz den >Vorhof<.«
     Die Variante »Vergrößerung des Lustgartens durch Abriß des Schlosses« wurde demgegenüber nur als Interimslösung angesehen, weil lediglich »ein Platz für Standdemonstrationen von rund 75 000 m2 und rund 300 000 Personen (4 auf den Quadratmeter gerechnet) gewonnen« wäre. Auch eine Maximalvariante »Bildung eines Platzes auf der Spreeinsel« in den Ausmaßen von 180 x 550 Metern und einer Fläche von 96 000 Quadratmeter »für stehende Kundgebungen von 385 000 Personen und fließende Demonstrationen mit Reihen von 70 Personen = 125 000 pro Std.« wurde verworfen: »Nachteilig das Einschwenken der wichtigsten Marschsäule Unter den Linden vor der Tribüne. [...] Die vorhandenen historischen Gebäude zu klein, um den Platz zu beherr-
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   49   Probleme/Projekte/Prozesse DDR-Hauptstadtpläne  Vorige SeiteNächste Seite
schen. [...] Auch dieser Platz hat für Berlin eine ungewohnte Größe, ohne allerdings Platzcharakter zu haben.« 3)
     Wenngleich Grotewohl und Ulbricht den Vorschlag des Aufbauministeriums ablehnten, so flossen trotzdem Argumente und Anregungen in die weitere Planung ein. Vor allem dokumentierte das Papier das Kardinalanliegen der Partei- und Staatsführung der DDR, mit dem Abriß der Schloßruine, einer »Zwingburg des preußisch- deutschen Militarismus«, einen Massenaufmarschplatz nach Moskauer Vorbild zu schaffen.
     Das Politbüro des ZK der SED faßte am 15. August 1950 einen entsprechenden Beschluß, ungeachtet der Proteste aus der Berliner Bevölkerung sowie aus dem In und Ausland. Der Ministerrat verabschiedete am 23. August 1950 neun »Grundsätze für die Neugestaltung Berlins«, denen der Ostberliner Oberbürgermeister Friedrich Ebert ostentativ zustimmte. 4) Sie beinhalteten: Die Stalinallee ist in einer Breite von 40 Metern direkt auf den Alexanderplatz hinzuführen; das Linden-Forum ist wiederherzustellen, zwischen Charlottenstraße und Pariser Platz entstehen Botschaften und öffentliche Gebäude, anstelle des Schlosses entsteht ein Demonstrationsplatz, zwischen Rotem Rathaus und Karl- Liebknecht- Straße ist ein weiterer Großplatz und zwischen Spandauer Straße und Spree eine Kongreßhalle zu schaffen, in der Wilhelmstraße stehen Regierungs- und Botschaftsgebäude,
vor dem Bahnhof Friedrichstraße ein Großhotel, die Französische Straße entlastet die »Linden« bis zur Ebertstraße, und im Stadtbezirk Mitte wird überall nach sowjetischem Muster eine Lautsprecheranlage zwecks politischer Beschallung der Bevölkerung installiert. 5)
     Der Ost- Berliner Magistrat nahm die »Grundsätze« ohne Aussprache als Beschluß Nr. 502 am 31. August 1950 an. Zum Abriß des Schlosses hieß es: »3. Auf der Spreeinsel ist zur Erweiterung des Lustgartens das Schloß abzureißen. Diejenigen Einzelteile des Schlosses, die aus künstlerischen oder kulturhistorischen Gründen erhalten bleiben müssen, sind zu bergen und an geeigneten Plätzen bis zu ihrer späteren Aufstellung in Museen oder Einfügung in andere Bauten aufzubewahren. 6) Auf der Spreeseite ist an der Stelle, wo der Schlüterbau des Schlosses gestanden hat, eine provisorische Tribüne zu errichten. Die Trümmer des Schlosses sind dort insoweit aufzuschütten, als sie später für die Errichtung einer ständigen Tribüne gebraucht werden können. Gegenüber der provisorischen Tribüne ist an der Stelle des ehemaligen Nationaldenkmals ein Denkmal für die internationalen Opfer des Faschismus zu errichten. Später ist der Lustgarten nach Süden durch Abriß der Häuser zwischen Breite Straße und Brüderstraße zu erweitern. An der Südseite ist Platz für die Errichtung einer neuen Staatsoper vorzusehen. 7) Die Schloßbrücke, die Kurfürsten-
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   50   Probleme/Projekte/Prozesse DDR-Hauptstadtpläne  Vorige SeiteNächste Seite
brücke und die Liebknechtbrücke sind zu verbreitern.« 8)
     Schon am 7. September 1950 begannen die Sprengungen an der mittelalterlichen Schloßapotheke gegenüber dem Dom; als letztes fiel am 30. Dezember 1950 die ausgebrannte Kuppel über dem Eosanderportal in sich zusammen. 9) Das Ministerium für Aufbau, das die Sprengung leitete, gab verschämt die Devise aus, »daß das Bauvorhaben bewußt unter dem Namen >Abräumung der Schloßruine< laufen soll.« 10) Die Kosten für die Totalabräumung wurden mit 2,3 Millionen Mark, für die Bergung der Kunstgüter mit 1,5 Millionen Mark angesetzt. 11)
     Am 1. Mai 1951 fand auf dem eingeebneten Schloßgelände, das von nun an den Namen »Marx- Engels- Platz« trug 12), eine »Kampfdemonstration« statt. An der Nordostseite war aus Trümmermassen des Schlosses eine massive Tribüne errichtet worden. 13) Während der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1951 defilierten die Demonstranten sogar in 90er Reihen vorüber.
     Nachdem der Aufmarschplatz in Eile geschaffen worden war, wandte sich die SED- Führung dem Ostabschnitt der »zentralen Achse« zu. Entlang der Stalinallee – am 21. Dezember 1949 war die Frankfurter Allee anläßlich des 70. Geburtstages des Kreml-Chefs umbenannt worden – sollte in Gestalt der »ersten sozialistischen Straße Deutschlands« der DDR- Beitrag zum maßlos über-
triebenen Personenkult um Stalin in Stein gesetzt werden. In dem am 25. April 1951 vom Ost- Berliner Magistrat ausgeschriebenen Wettbewerb für »die städtebauliche und architektonische Gestaltung der Stalinallee« hieß es: »Die Stalinallee, die wichtigste Verkehrsader in Berlin, erschließt die Arbeiterviertel des östlichen Stadtgebietes. 14) [...] Die Stalinallee ist weiter die wichtigste Aufmarschstraße des östlichen Stadtgebietes für Kundgebungen und Demonstrationen im Zentrum und für den traditionellen Aufmarsch zu den Gräbern der großen Sozialisten auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde.
     Entsprechend ihrer Bedeutung soll die Stalinallee eine repräsentative Gestaltung erfahren, die einmal durch die Breite der Straße und durch die Höhe der Bebauung, zum anderen die architektonische Komposition und Gestaltung der Baukörper zum Ausdruck kommen soll.« 15)
     Den Zuschlag erhielten im September 1951 die Architekten Hermann Henselmann, Hans Hopp, Richard Paulick, Egon Hartmann, Karl Souradny und Kurt Leucht. Als die Preisträger die einzelnen Gebäudekomplexe projektierten, mischte sich Walter Ulbricht ständig ein, um »formalistische Auswüchse« zu tilgen und das sowjetische Vorbild hochzuhalten. Den Architekten wurde drastisch bedeutet, »daß wir uns politisch bekennen mußten«. 16) Mit der Grundsteinlegung für das Hochhaus an der Weber-
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   51   Probleme/Projekte/Prozesse DDR-Hauptstadtpläne  Vorige SeiteNächste Seite
wiese am 1. September 1951 begannen die Arbeiten, die sich bis 1957 hinzogen. Für den Wiederaufbau Berlins existierte seit Juli 1950 eine Stadtplanungskommission, die die »Verordnung über den Aufbau Berlins« vom 7. Dezember 1950 legalisierte und in die der Magistrat und die DDR- Regierung je vier Vertreter entsandten. 17) Die Kommission legte am 18. Oktober 1951 den Entwurf eines Gesamtplanes vor, der aus elf Einzelplänen für Flächennutzungsplan (Raumordnungsplan), Hauptstraßennetz, Wasserstraßen Osthafen, Personen- Fernverkehr, Güterverkehr, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Omnibus und Obus, Grünplanung sowie Bebauungsplan für das Zentrum bestand. 18) Der Entwurf ging von zwei Prämissen aus:
     Erstens: »Die Hauptstadt Deutschlands, Berlin, soll in Struktur und architektonischer Gestaltung Ausdruck des politischen Lebens und des nationalen Bewußtseins des deutschen Volkes sein.«
     Zweitens: »Der Planung Berlin wird unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung, der Bedeutung als Hauptstadt Deutschlands, der natürlichen Gegebenheiten, der vorhandenen Kapazitäten sowie der städtebildenden Faktoren eine Einwohnerzahl von 4 Millionen zugrunde gelegt. Das Stadtgebiet wird unter Zugrundelegung des gegenwärtigen Standes abgerundet.«
     Einige bemerkenswerte Empfehlungen seien genannt: Das Zentrum sollte von ei-
nem Straßenring mit markanten Plätzen und Hochhäusern umgeben sein. »>Zentrale Achse< und >Friedrichstraße< sind die repräsentativen Straßen des Zentrums. Am Marx- Engels- Platz, dem Ziel der Demonstrationen, liegt das höchste und repräsentativste Gebäude der Hauptstadt. 19) Die früher geplante Einteilung in Regierungsviertel, Zeitungsviertel, Magistratsviertel usw. wird verlassen.« Im Zentrum sollte eine sechzehngeschossige Bebauung erfolgen, die zum Stadtrand hin auf fünfbis eingeschossig absinkt. Im Westen Spandaus, im Nordwesten Tegels, in Weißensee, Marzahn und südlich des Teltow- Kanals sollte künftig »die bewußte Konzentration der Industrie« erfolgen. Das S- und U-Bahn- Netz sollte erweitert werden, u. a. durch eine neue S-Bahn- Linie von Grünau über Wuhlheide zur Strecke nach Strausberg und durch zwei U-Bahn- Linien von Weißensee über Alexanderplatz und Potsdamer Straße nach Steglitz sowie von Lichterfelde über Bundesallee und Bahnhof Zoo zur Putlitzstraße in Moabit. U-Bahn- Linienverlängerungen waren von Pankow- Vinetastraße nach Nordend, von Friedrichsfelde zum S-Bahnhof Karlshorst, von der Warschauer Straße bis zur Bersarinstraße (heute Petersburger Straße), von der Seestraße bis Tegel und von der Uhlandstraße bis S-Bahnhof Halensee vorgesehen. »Am Platz der Republik (Nähe Lehrter Bahnhof) wird ein neuer Bahnhof mit Übergang zur Stadtbahn entstehen. Die Stadtbahn wird
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   52   Probleme/Projekte/Prozesse DDR-Hauptstadtpläne  Vorige SeiteNächste Seite
zwischen dem Bahnhof Friedrichstraße und dem Bahnhof Bellevue unter Aufgabe des Lehrter Bahnhofs begradigt.« Weniges der damaligen Vorstellungen wurde realisiert, manches ging in spätere Planungen ein.
     Das Jahr 1952 brachte vorerst einen Stopp der planerischen Aktivitäten. Die Verschärfung des Ost-West- Gegensatzes durch Koreakrieg und Westintegration der BRD und der von Moskau forcierte »Aufbau der Grundlagen des Sozialismus« in der DDR, der mit einer erheblichen Belastung der Volkswirtschaft durch Remilitarisierung verbunden war, schoben die ehrgeizigen Pläne der DDR- Regierung zur »Neugestaltung der deutschen Hauptstadt« vorerst auf ein Abstellgleis, zumal die Perspektive einer Wiedervereinigung sich zunehmend verengte.
     Um die hochgeschraubten Erwartungen nicht zu enttäuschen, entschloß sich die SED- Führung im November 1952 zur Proklamation eines »Nationalen Aufbauprogramms Berlin«, das die Vision der »sozialistischen Hauptstadt« über die Mobilisierung der Bevölkerung zu freiwilliger Arbeit wenigstens teilweise erfüllen sollte. Erst nach 1957/58 – auch als Reflex auf die Westberliner »Interbau« 1957 – wurden die Hauptstadtplanungen wieder aufgenommen. Die Umgestaltung des Ostberliner Zentrums zwischen Alexanderplatz und Spree in der heutigen Form nahm man erst nach 1964/65 in Angriff.
Quellen und Anmerkungen:
1     Landesarchiv Berlin, Bestand Stadtarchiv, (LAB [STA]), Rep. 100, Nr. 843
2     Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der SED, 20. bis 24. Juli 1950 in der Werner- Seelenbinder- Halle zu Berlin, Bd. 1, Berlin 1951, S. 380
3     LAB, BPA, IV L-2/6/267
4     Vgl. LAB (STA), Rep. 100, Nr. 851, B. 26 ff., Anlage 1
5     LAB (STA), Rep. 100, Nr. 851
6     Laut Schreiben der Magistratsabteilung Aufbau, Amt für Abräumung, vom 14. September 1950, oblag Dr. Strauß die Leitung des »wissenschaftlichen Aktivs an der früheren Berliner Schloßruine«. (Vgl. LAB (STA), Rep. 110, Nr. 912, Bl. 62.) Eine Reihe kunsthistorisch wertvoller Teile in Form von Fassadenteilen, Ornamenten und Skulpturen wurde auf Lagerplätzen in Friedrichsfelde und Heinersdorf deponiert bzw. beim Wiederaufbau des Zeughauses verwendet. Die Fassade des ehemaligen Portals IV von der Lustgartenseite wurde 1963 im Staatsratsgebäude eingebaut. Die bronzene Reiterstatue des heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen von August Kiss (1855) aus dem 1. Schloßhof fand 1951 im Volkspark Friedrichshain und 1987 im Nikolaiviertel ihren Platz. Zwei Bronzelöwen vom sogenannten Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. an der Schloßfreiheit wurden 1963 vor dem Alfred- Brehm- Haus des Tierparkes aufgestellt. Der Neptunbrunnen von Reinhold Begas (1891), früher auf dem Schloßplatz gegenüber dem Marstall, kam nach Einlagerung 1969
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auf seinen heutigen Standort vor dem Roten Rathaus.
7     Die damalige Planung sah den Neubau einer Oper in der Breiten Straße vor. Auf Veranlassung von DDR- Präsident Wilhelm Pieck wurde am 24. Juni 1951 der historisch getreue Wiederaufbau der kriegszerstörten Staatsoper Unter den Linden beschlossen.
8     LAB (STA), Rep. 100, Nr. 851, Bl. 26, Anlage 2
9     Vgl. Gerhard Keiderling: »Der Abriß des Berliner Schlosses«, In: horizont International, Berlin, H. 1/1991, S. 60 f.
10     LAB (STA), Rep. 110, Nr. 912, Bl. 54
11     Vgl. LAB (STA), Rep. 110, Nr. 912, Bl. 38
12     »Neues Deutschland« (Berliner Ausgabe) teilte am 27. April 1951 mit: »Auf Vorschlag des ZK der SED beschloß der demokratische Magistrat von Groß-Berlin, den Lustgarten, den Schloßplatz und die Schloßfreiheit in Marx- Engels- Platz umzubenennen. Die Schloßbrücke erhält den Namen Marx- Engels- Brücke. Die feierliche Umbenennung des Platzes wird am 1. Mai vor Beginn der Mai- Kundgebung erfolgen.«
13     In Auswertung der ersten Großveranstaltungen auf dem Marx- Engels- Platz befand man Ende 1952: »Als wesentlicher Nachteil hat sich der plötzliche Übergang von dem geschlossenen Straßenraum Unter den Linden zu dem fast gänzlich offenen Marx- Engels- Platz erwiesen.« Es wurde darum empfohlen, den Mittelteil der Tribüne »als Hauptblickpunkt« zu betonen, ihm gegenüber von Fall zu Fall transportable Nebentribünen zu errichten, durch Pylonen an den Seitenflügeln, Fahnenreihen und anderes eine
»besondere Ausschmückung« zu erreichen. LAB, BPA, IV L-2/6/267
14     Erwähnenswert ist der Fakt, daß der KPD- Bezirkssekretär von Friedrichshain, Heinrich Starck, schon auf der Groß-Berliner Funktionärkonferenz vom 8. März 1946 den Wiederaufbau der Frankfurter Allee als typische Straße in einem Arbeiterviertel ankündigte. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/I/3/1-2/114, Bl. 87
15     LAB, BPA, IV L-2/6/267
16     Vgl. die Memoiren von Kurt Liebknecht, Mein bewegtes Leben. Aufgeschrieben von Steffi Knop, Berlin (Ost) 1986, S. 118 ff.
17     Vgl. LAB, BPA, IV L-2/6/267
18     Vgl. ebenda
19     Hier war das Gebäude der gesamtdeutschen Volksvertretung in pyramidaler Form der Moskauer Hochhäuser vorgesehen.
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