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Otto Dibelius als Mitglied des Bruderrates in Berlin und Brandenburg wiederum das Amt des kurmärkischen Generalsuperintendenten sowie neu das des Berliner Generalsuperintendenten und damit den Vorsitz im Konsistorium übernahm. Aus dem Konsistorium wurden mit dessen Präsidenten die kompromittierten Mitglieder entfernt. Schließlich wurde ein Beirat (wie 1918/19 der Vertrauensrat) gebildet, in dem (zunächst täglich, dann wöchentlich) alle zur Entscheidung stehenden Fragen besprochen wurden. Aus den Resten des Konsistoriums und dem Beirat entwickelte sich nach und nach die neue Kirchenleitung. Der Generalsuperintendent wurde ermächtigt, den in der altpreußischen Kirche immer umstritten gewesenen Titel Bischof zu führen.
     Zweifellos hatte eine solche Titulierung auch mit der zeitgenössischen Situation zu tun: Was konnte ein sowjetischer General, wenn er ihn denn empfange, mit einem Generalsuperintendenten anfangen? Bei seiner ersten Begegnung mit dem Berliner Stadtkommandanten Generaloberst Bersarin stellte sich Dibelius daher ebenso launisch wie selbstbewußt als »Metropolit von Berlin« vor. (Und es gibt weitere Anekdoten, die auf das frühe gute Verhältnis des Bischofs zur Besatzungsmacht deuten: Wenn sowjetische Soldaten märkische Pfarrhäuser betraten, in denen Porträts des Generalsuperintendenten hingen, erstarrten sie in Ehrfurcht: Sie meinten, Lenin-
Günter Wirth
Die Signaturen eines Bischofsamtes

Zum 30. Todestag von Bischof Otto Dibelius (Teil 2)

III

Nach dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands stand Otto Dibelius neuerlich vor Problemen, die – in freilich komplizierteren Konstellationen und größeren Nöten – denen ähnelten, die ihm 1918/19 begegnet waren und denen er analog zu begegnen suchte. Um Rechtskontinuität in den Leitungsorganen der Kirche zu sichern und um zugleich die politisch notwendigen Veränderungen (des »deutschchristlichen« Kirchenregiments) in eigener Verantwortung zu exekutieren, war rasches Handeln vonnöten. Bereits am 7. Mai 1945 waren in Berlin anwesende Mitglieder der Kirchenleitung und Geistliche, zumal aus der Bekennenden Kirche (BK), in das Pfarrhaus der Zehlendorfer Paulusgemeinde gerufen worden (der dortige Pfarrer, Lic. Otto Dilschneider, spielte 1945, auch im neu erwachenden öffentlichen Leben, u. a. als Mitbegründer des Kulturbundes, eine bedeutende Rolle). In dieser Zusammenkunft ergab sich, daß

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Porträts, ungewöhnliche zwar, vor sich zu sehen. Als der Bischof einen Empfang in Karlshorst vorzeitig verlassen hatte, verwehrten sowjetische Offiziere der Schauspielerin Tschechowa, dessen Platz einzunehmen: Hier hat der Bischof gesessen.) Die Beziehungen des Bischofs zur SMAD blieben im allgemeinen besser als zu den ostdeutschen Behörden, was u. a. auch der Vermittlungstätigkeit von Generalsuperintendent F.-W. Krummacher, der aus dem Nationalkomitee »Freies Deutschland« kam, zu verdanken war. So war auch auffällig, daß Otto Dibelius um Weihnachten 1949 in sowjetischen Lagern vor Zivilgefangenen predigte.
     Wie nach 1918/19, so setzte sich auch 1945/46 – die einzelnen kirchenrechtlichen Schritte von der Bildung der Synode bis zur Annahme der neuen Grundordnung der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg können hier ebensowenig nachvollzogen werden wie die theologische Auseinandersetzung über das Erbe des Kirchenkampfes, der Bekennenden Kirche – eine Melange von Rechtskontinuität und vorsichtiger Erneuerung durch, wobei vor allem von den dahlemitischen BK-Kreisen um Niemöller, für den sich in Berlin nach seiner Rückkehr aus dem KZ kein Platz fand, Martin Albertz und anderen der eher restaurative Zug solcher Kirchenleitung hervorgehoben wurde.
     Da Otto Dibelius der einzige leitende Kirchenmann aus dem Osten Deutschlands
war, der im August 1945 an der ersten Nachkriegsberatung der deutschen evangelischen Kirchenführer im hessischen Treysa hatte teilnehmen können, war er auch in der Lage, von dort aus auf die Neugliederung der Kirche der altpreußischen Union (die durch die territorialen Verluste im Osten schwer getroffen war) und auf die der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Einfluß zu nehmen. Voraussetzung hierfür war allerdings die Klärung des durch das NS-Regime und den Zweiten Weltkrieg belasteten Verhältnisses des deutschen Protestantismus zur Welt und zur Weltchristenheit, die am 18./19. Oktober 1945 in einer Beratung in Stuttgart und vor allem mit der Annahme der Stuttgarter Schulderklärung (auch durch Otto Dibelius) erreicht wurde. In dieser Erklärung vor herausragenden Vertretern aus Kirchen solcher Länder, die von Hitlerdeutschland überfallen worden waren, war u. a. gesagt worden: »Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.« 1948 konnte in Eisenach die Grundordnung der EKD angenommen werden – auf einer Kirchenversammlung, die allerdings kurzfristig hatte verlegt werden müssen, weil ihr ursprünglicher Termin zu dem der Währungsreform in den Westzonen geworden war: keine günstige Perspektive für die Einheit der Kirche. Auf der ersten Synode der EKD in Bethel Anfang 1949 wurde Bischof Otto Dibelius,
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der übrigens 1948 auf der Amsterdamer (konstituierenden) Weltkirchenversammlung in das Exekutivkomitee des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) berufen worden war, mit 183 gegen 26 Stimmen für Martin Niemöller zum Ratsvorsitzenden gewählt.
     Dieses Stimmenverhältnis verdeutlicht die damaligen Kräfteverhältnisse im deutschen Protestantismus: Eine nicht unbeträchtliche Mehrheit orientierte sich auf kirchenrechtliche Kontinuität und darauf, das Konzept des »Jahrhunderts der Kirche« den veränderten Umständen anzupassen, d. h. eine kämpferische Haltung gegenüber allen Tendenzen der Säkularisation, wie sie diesem Jahrhundert schon damals eigen waren und wie sie durch das Vordringen des militanten Atheismus der UdSSR als Sieger- und Besatzungsmacht wesentlich verstärkt und mit massiver Macht ausgestaltet erschienen, zu bezeugen und zu praktizieren.
     Bereits Pfingsten 1949 setzte Bischof Dibelius mit einem seiner Rundschreiben an die evangelischen Pfarrer in Berlin- Brandenburg diesen Akzent sehr nachdrücklich, und er bekräftigte ihn in einer Predigt in der Potsdamer Friedenskirche, die ich – damals Glied dieser Gemeinde – hörte und die ich – als Redakteursvolontär der CDU-Zeitung »Märkische Union« noch auf der Linie Jakob Kaisers stehend – als Kampfansage gegen das neue Regime empfand.
     Bischof Dibelius blieb auf diesem Kurs,
wenn er – wie aus zahlreichen kirchengeschichtlichen Darstellungen, u. a. von Gerhard Besier und Robert Stupperich, bekannt – mit deutlicher Reserve auf die Gründung der DDR reagierte und zunächst jegliche persönliche Kontakte zur Regierung der DDR ablehnte, sie allein dem Bevollmächtigten des Rates der EKD, Propst Heinrich Grüber, überlassend; erst Mitte Dezember 1949 kam es zu einer förmlichen Begegnung des Bischofs mit Staatspräsident Wilhelm Pieck. Nicht zuletzt via Grüber bildete sich dann allerdings sehr rasch ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen dem Bischof und dem für die Kirchenfragen zuständigen Stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR, Otto Nuschke, heraus, das auch nicht durch gegenseitige polemische Äußerungen erschüttert werden konnte. Da ich – inzwischen hatte sich meine Haltung zur Entwicklung in Deutschland in der Folge der von mir als Spalterwahlen empfundenen ersten Bundestagswahlen im August 1949 grundsätzlich verändert – im März 1950 Mitarbeiter Otto Nuschkes in der Berliner Hauptgeschäftsstelle der CDU geworden war, hatte ich mehrfach die Aufgabe, persönliche Botschaften des CDU-Vorsitzenden im Faradayweg in Berlin-Dahlem beim Bischof selber oder bei dessen damaligem Sekretär, Wolf-Dieter Zimmermann, abzugeben. Nicht zufällig wurde Nuschke 1956 überdies in einem ZK-Memorandum vorgeworfen, er habe »mehrfach Gelegenheit genom-
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   34   Probleme/Projekte/Prozesse Otto Dibelius  Vorige SeiteNächste Seite
men, sein freundschaftliches Verhältnis zu Bischof Dibelius öffentlich darzulegen«.

IV

1949 ist also – zusammen mit 1945 – eine weitere wesentliche Zäsur im Lebensgang und Wirken von Otto Dibelius, bestimmt von den politischen Daten der Gründung der BRD und der DDR sowie von den kirchlichen Daten, zumal der Synode von Bethel und der Wahl des Ratsvorsitzenden als Signalen der kirchlichen Einheit. Wenn man den fast unmöglichen Versuch unternimmt, die Leitungstätigkeit und kirchenpolitischen Entscheidungen des Berliner Bischofs, des EKD- Ratsvorsitzenden und des (seit 1954) ÖRK- Präsidenten im Kontext der zeit- und kirchengeschichtlichen Entwicklung in der Zeit zwischen 1949 und 1961 zu charakterisieren, wird man – auch im zusätzlichen Zusammenhang eigenen Involviertseins – diese Linien ausziehen können.
     1. ging es Bischof Dibelius darum – noch »haben wir die Kirche« –, die Kräfte der Kirche zu sammeln, zu bündeln, zu stabilisieren und sie in die Auseinandersetzung mit den säkularen Kräften zu führen. Das aber hieß, daß innerkirchlich die oppositionellen bruderschaftlichen, religiössozialistischen und konfessionellen Gruppierungen eingegrenzt werden sollten zugunsten der vom Bischof geleiteten kirchlichen Einheitsfront,

einer Ecclesia militans im »Jahrhundert der Kirche«. Ich erinnere mich mancher Gespräche mit Propst Grüber, in denen er diesem kirchenpolitischen Kurs, von den Barthianern »Dibelianismus« genannt, leidenschaftlich widersprach, und in vielen öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen beiden, vor allem zwischen 1954 und 1957, stand ich in der »Neuen Zeit« engagiert auf Grübers Seite. Unvergeßlich ist mir überdies, wie auf einer Tagung der Provinzialsynode Berlin- Brandenburg – es müßte dies 1952 gewesen sein – Professor Heinrich Vogel, der Systematiker an der Humboldt- Universität und an der Kirchlichen Hochschule Zehlendorf, in der Debatte über das Bischofswahlgesetz das Verständnis des Bischofsamtes durch Otto Dibelius wortstark kritisierte: Er überbetone das Repräsentativ- Gubernatorische zuungunsten des Brüderlich- Visitatorischen.
     2. ging es Bischof Dibelius darum, der von ihm so geleiteten Kirche Positionen gerade auch in der sich zum Sozialismus hin entwickelnden DDR zu sichern, ohne dem Regime Konzessionen zu machen, nicht einmal die einer Loyalitätserklärung der zurückhaltenden Art. Schon zu Beginn der fünfziger Jahre sprach er – ich habe es auf mehreren Synodaltagungen so aus seinem Mund gehört – vom »Staat im östlichen Währungsgebiet«, wenn er die DDR meinte, und 1959 zog er in der von ihm provozierten Debatte zur »Obrigkeit« (zuerst in einer Fest-
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   35   Probleme/Projekte/Prozesse Otto Dibelius  Vorige SeiteNächste Seite
die Wiedervereinigung einzusetzen, wobei er, der – was in der Kirche sehr umstritten wurde – CDU-Mitglied geworden war, der »Politik der Stärke« Konrad Adenauers zuneigte und diese auf eigene Weise unterstützte. Allerdings blieb er stets realistisch gegenüber Vorschlägen auch von der »anderen Seite«, wenn sie ihm die Möglichkeit zu bieten schienen, der Wiedervereinigung näher zu kommen. Als Ministerpräsident Otto Grotewohl im Spätherbst 1950 Bundeskanzler Konrad Adenauer zu Gesprächen am Runden Tisch einlud, war es der Bischof, der die polemischen Ausfälle des DDR- Ministerpräsidenten gegen ihn auf dem SED- Parteitag im Sommer 1950 vergaß und seine Bereitschaft äußerte, sein Haus in Dahlem für solche Gespräche zur Verfügung zu stellen, worauf aber Adenauer nicht einging.
     Im Umfeld der »Stalin- Note« von 1952 – mit Blick auf mögliche gesamtdeutsche Wahlen – kam von Bischof Dibelius der Vorschlag, die vom Westen geforderte Kontrolle solcher Wahlen könne von den Kirchen praktiziert werden – die DDR- Regierung stimmte diesem Vorschlag ausdrücklich zu. Überdies war Dibelius sensibel genug, auf die unterschiedlichen Stimmungen im Volke zu achten, so daß er in der die zweite Hälfte der fünfziger Jahre erschütternden Atomdebatte nicht nur die Haltung einnahm, die ihn in der DDR- Presse undifferenziert zum »Atombischof« werden ließ. Ich erinnere mich, wie ich ihm 1954 mitten in eine synodale Ausein-
Bischof Otto Dibelius
schrift für Landesbischof D. Dr. Hanns Lilje) die Grenzlinien, die für den Gehorsam bzw. Ungehorsam der Christen galten (bis hin zur Infragestaltung sogar der Verkehrsvorschriften in einem diktatorischen Regime).
     3. ging es Bischof Otto Dibelius darum, der Einheit Deutschlands zu dienen und sich für
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   36   Probleme/Projekte/Prozesse Otto Dibelius  Vorige SeiteNächste Seite
andersetzung hinein ein gerade eingegangenes Schreiben des englischen ÖRK- Präsidenten Bischof George Bell an Otto Nuschke überbrachte; Dibelius nahm die dort ausgesprochenen Mahnungen zur atomaren Rüstung spontan auf.
     4. ging es Bischof Otto Dibelius darum, im Ringen um die Wiedervereinigung des Volkes die Einheit der (Evangelischen) Kirche in Deutschland zu erhalten. Einheit der Kirche – im Sinne des ersten, vor allem aber auch im Sinne dieses Punktes – war die hauptsächliche Signatur des Bischofsamtes von Otto Dibelius. Hierfür ging er auch unpopuläre Schritte, so – gegenüber der einen Seite – mit der Unterstützung des Evangelischen Kirchentags in Berlin 1951, der von der DDR als Aufwertung ihrer Politik betrachtet wurde, und so – gegenüber der anderen Seite – mit der Unterschrift unter den Militärseelsorgevertrag mit der Bundesregierung.
     Freilich hatte der zuletzt genannte Schritt eine Konsequenz, die Dibelius so nicht voraussehen konnte: War bis dahin der Bischof von Berlin- Brandenburg und Ratsvorsitzende trotz aller Polemik gegen den »Atom-« und »NATO-Bischof« der letztlich entscheidende Gesprächspartner der Regierung der DDR geblieben, wenn er es nur selber wollte (so in Verhandlungen der Bischöfe mit der Regierung 1950 und 1953 – kurz vor dem 17. Juni – oder bei den intensiven Gesprächen auf dem Leipziger Kirchentag 1954) –
nach dem Abschluß des Militärseelsorgevertrags und nach seiner Billigung durch die synodale Mehrheit im Februar 1957 war Bischof Dibelius als Gesprächs- und Verhandlungspartner der DDR- Regierung endgültig »abgemeldet«, war er eben der »Westberliner« Bischof, und nachdem sich der Bevollmächtigte der EKD Propst Grüber auf der Frühjahrssynode 1958 ausdrücklich vor den Bischof gestellt und gegen eine harsche Attacke des SED- Politbüromitglieds Albert Norden protestiert hatte, konnte auch er keinen Einfluß mehr auf die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der DDR nehmen (überdies war Otto Nuschke kurz nach Weihnachten 1957 verstorben). Das Kommuniqué von Kirche und Staat vom Juli 1958, das als Substitut einer bisher ausgebliebenen Loyalitätserklärung anzusehen war, aber auch als Ouvertüre zur Verselbständigung der DDR-Kirchen elf Jahre später, unterschrieben Kirchenführer aus der DDR, was zu bezeugen schien: Gerade durch das institutionelle Beharren auf die Einheit der EKD konnte ihr realiter damals nicht gedient werden ...
     5. ging es Bischof Otto Dibelius um die Einheit der Weltchristenheit. Hierfür setzte er sich – früher ökumenischer Protagonist seit der für die Herausformung der ökumenischen Bewegung so bedeutungsvollen Konferenz über Glaube und Kirchenverfassung 1925 in Stockholm – innerhalb der ökumenischen Bewegung ein. Er tat dies aber auch
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   37   Probleme/Projekte/Prozesse Otto Dibelius  Vorige SeiteNächste Seite
im Gespräch mit den Exponenten der römischen Kirche, und zwar nicht nur in Deutschland. Es wirkte sensationell, als Dibelius eine Reise nach Australien in Rom unterbrach, um Papst Pius XII. aufzusuchen. Analog suchte er die Kontakte zur Orthodoxie, zumal zur Russischen Orthodoxen Kirche, deren Repräsentanten, etwa Erzbischof Alexander, er bereits 1945 in Berlin begegnet war. 1952 hatte er die Einladung erhalten, das Moskauer Patriarchat zu besuchen. Der Tag der Abreise stand schon fest, und ich schrieb aus diesem Anlaß einen Leitartikel für die »Neue Zeit«, den ich auch der »Märkischen Union« gab. Wegen politischer Stellungnahmen, die als Parteinahme für US- amerikanische Positionen gedeutet wurden (ein anderer Leitartikel von mir aus jener Zeit war getitelt: »Dulles und Dibelius«), wurde der Bischof und Ratsvorsitzende kurzfristig ausgeladen – so kurzfristig, daß ich zwar den Artikel aus der »Neuen Zeit« noch hatte herausnehmen lassen können, nicht aber aus der »Märkischen Union«, die früher Redaktionsschluß hatte.
     Dieser Vorgang der Ausladung konnte natürlich nicht dazu beitragen, daß Dibelius besonderes Interesse für den »kirchlichen Polittourismus« nach Osteuropa entwickelte, es sei denn das, ihn mehr als in Grenzen zu halten; dies galt auch der 1958 begründeten Prager Christlichen Friedenskonferenz, der eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten
der Kirche Berlin- Brandenburg (Heinrich Vogel, Albrecht Schönherr, Elisabeth Adler, mehrere Superintendenten usw.) bis 1968/69 zuneigten. 1956 allerdings konnte der Bischof einer Reise nach Osteuropa nicht ausweichen: Im Sommer tagte der Zentralausschuß des ÖRK erstmalig in Osteuropa, in Galyatetö, im Norden Ungarns, wenige Monate vor den die Welt erschütternden ungarischen Ereignissen. Damals erlebte ich den Bischof nicht nur in den Verhandlungen des ökumenischen »Parlaments«, sondern auch beim Besuch einer »Muster-LPG«, durch die wir von dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten Ferenc Erdei geführt wurden (von Erdei, der als Schriftsteller, früherer Exponent der linken Bauernpartei und reformierter Synodalsenior bekannt war). Bei dieser Gelegenheit stellte ich dem Bischof die Frage, ob er sich ein Interview mit mir, der ich schon so oft gegen ihn polemisiert hatte, vorstellen könne. Zu meiner Überraschung konnte er es. Das Interview erschien dann in der »Neuen Zeit« unmittelbar vor Beginn des Evangelischen Kirchentages in Frankfurt am Main, auf dem der Bischof – es war dies ein charakteristischer Zug seiner Haltung – Fairness gegenüber Otto Nuschke zeigte: Als dieser in einer Veranstaltung des Kirchentags sich einer pogromartigen Stimmung gegenübersah, war es Dibelius, der sich vor den Stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR stellte. Um dies hier noch hinzuzufügen: Ob-
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wohl der Bischof nicht zur offiziellen Trauerfeier für Otto Nuschke eingeladen gewesen war, ließ er es sich nicht nehmen, zur kirchlichen auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zu erscheinen, und als ich gerade noch rechtzeitig sah, daß er »draußen vor der Tür« der überfüllten Friedhofskapelle stehen mußte, konnte ich doch noch dafür sorgen, daß er Platz in ihr fand ...
     Schließlich ging es Dibelius 6. – und dies wäre eigentlich 1. – um die Verkündigung, um das biblische Wort, um die Bibel (und deren Übersetzung). »Heimkehr zum Wort« hat er eine seiner Veröffentlichungen genannt, und es war dies das Motto über sein geistliches Wirken überhaupt, vor allem über das als Prediger, als Prediger in vielen kleinen und großen Gemeinden in Deutschland, in der Mark, der Kurmark vor allem, solange er dorthin reisen konnte, in der Berliner Bischofskirche, der Marienkirche, in der er – bis man es ihm verwehrte – aller vier Wochen das Wort nahm.

V

Wenn das Jahr 1961 nochmals zu einer Zäsur im Wirken von Bischof Otto Dibelius wurde, dann nicht zuerst deshalb, weil für ihn in diesem Jahr seine Amtszeit als Ratsvorsitzender ablief, sondern deshalb, weil die für ihn schon früher gezogene Grenze durch Berlin und gegen die Mark versteinert wurde. Der Mauerbau überschattete die letz-

ten Jahre seines Bischofsamtes, zumal er in seiner Sicht den schon länger erwarteten Rücktritt als Berliner Bischof nicht erlaubte. Bereits Ende August 1961 hatte der Bischof »Reden an eine gespaltene Stadt« in der Kirche am Südstern zu halten begonnen: »Was jetzt in Berlin geschieht, ist Symptom! Es ist nicht die Krankheit selbst, sondern Symptom einer Krankheit. Und diese Krankheit ist der Atheismus, der alles Menschliche in den Menschen zerstört!« Wir sehen, wie auch diese Ereignisse in seine Konzeption eingeordnet werden – und welche Perspektive er ihnen auf eigene Weise gab.
     Es kann hier nicht im einzelnen beschrieben werden, wie diese Perspektive in der Kirche jetzt nicht mehr allgemein angenommen wurde, und das nicht nur »im Osten«, sondern auch im Westen, sogar in West-Berlin. Andere theologische Strömungen, für die Präses Kurt Scharf, sein Nachfolger als Bischof in West-Berlin, stand, wurden prägend – und mit ihnen neue politische Optionen, wie sie etwa der sozialdemokratische Regierende Bürgermeister und Pfarrer Heinrich Albertz und der Theologe Helmut Gollwitzer verkörperten. Wenn sich der Bischof dem neuen Zeitgeist stellte, etwa in einer Auseinandersetzung mit dem »Spiegel«- Herausgeber Rudolf Augstein, schien er nicht mehr up to date zu sein, und erst recht schien dies für seine Arbeit zu gelten, die (1966) zu seiner letzten werden sollte: »Der Christ und sein Vaterland«.
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24 Jahre später sah dies wiederum ganz anders aus. Jetzt erschien der Titel dieser Arbeit als ein Testament, das vollstreckt werden konnte. Das aber bedeutete auch, daß die Weichen, die Otto Dibelius in den 50er Jahren gestellt hatte (und die wir in den einzelnen Punkten zu beschreiben versuchten), doch nicht in eine falsche Richtung gewiesen hatten, was viele von uns damals und erst recht nach 1968 so gesehen hatten. Heute ist Deutschland wieder vereinigt, und die Einheit der Kirche ist gesichert – allerdings auf einem niedrigeren Level ihres Einflusses im Vergleich zu der Zeit vor 40 Jahren, die als Hoch-Zeit deutschen Protestantismus in diesem Jahrhundert (einem »Jahrhundert der Kirche«?) anzusehen war ...
     Der Bischof, der auch in der ersten Hälfte der sechziger Jahre noch viel auf Reisen war, u. a. nach Südafrika und nach Japan, wo er seinen elften Dr. h. c. entgegennehmen konnte, trat 1966 zurück. Zu Ostern hielt er in der Kaiser- Wilhelm- Gedächtniskirche seine Abschlußpredigt, am 1. April verabschiedeten sich die Gemeinden von ihm.
     Otto Dibelius starb am 31. Januar 1967, die Trauerfeier fand in der Steglitzer Matthäus- Kirche statt, die Beisetzung auf dem Parkfriedhof in Lichterfelde.
Literatur:

Otto Dibelius: Ein Christ ist immer im Dienst, Stuttgart 1961

Robert Stupperich: Otto Dibelius. Ein evangelischer Bischof im Umbruch der Zeit, Berlin 1970

Robert Stupperich: Otto Dibelius, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Berlinische Lebensbilder. Theologen, Berlin 1960

Günter Wirth (Hrsg.): Beiträge zur Berliner Kirchengeschichte, Berlin 1987 (dort u.a. die Beiträge von Kurt Nowak, Hartmut Ludwig und Christian Stappenbeck)

Friedrich Bartsch u.a. (Hrsg.): Die Stunde der Kirche. Eine Festschrift für Bischof Otto Dibelius, Berlin 1950

Gerhard Besier: Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung, München 1993

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