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Hans Aschenbrenner
24. Februar 1897:
Grünes Licht für »Stadt Schöneberg«

Berliner Zeitungen verkünden an diesem und am folgenden Tag: »Eine Niederlage Berlins«; »Schöneberg als Stadtgemeinde«; »Zustimmung des Provinziallandtages der Provinz Brandenburg zur Ertheilung des Stadtrechtes an Schöneberg«; »neuer Sieg des Agrarierthums über Berlin«. Solcherart Schlagzeilen deuten an, daß der am 24. Februar des Jahres 1897 gefaßte Beschluß des Landtages in Deutschlands Hauptstadt einiges Aufsehen hervorruft. Ist doch Schöneberg auch als ein Zentrum und Schlüsselpunkt derjenigen bekannt, die für die Eingemeindung der Vororte eintreten. Nun aber stehen Berlin und Schöneberg vor vollendeten Tatsachen, zumal – Oberpräsident Dr. v. Achenbach erklärt dies in der Landtagssitzung – die Zustimmung der Regierung gesichert ist.
     Von niemandem wird bestritten, daß die Stadtwerdung für das inzwischen »größte Dorf Deutschlands« mehr als überfällig ist. Es gab jedoch in der Vergangenheit in der Gemeinde ein ständiges Hin und Her darüber, wie die städtische Organisation ausse-

hen soll: Anschluß an Berlin – oder selbständig existierend. Von der Gemeindevertretung mit dem Berliner Magistrat eingeleitete Verhandlungen zogen sich schleppend hin. Sie waren auch dadurch alles andere als begünstigt worden, daß 1893/94 seitens des Magistrats die Eingemeindung lediglich eines Teils von Schöneberg (bis zur Ringbahn!) in Aussicht gestellt wurde. In der Gemeindevertretung hatte dann letztlich im November 1896 bei einer nochmaligen Abstimmung, die Remis (15 gegen 15 Stimmen) endete, die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gegeben, fortan weiter über die Stadtrechtsverleihung zu verhandeln. Ein erneuter Antrag hatte zur Folge, daß der preußische Minister des Inneren auf Veranlassung des Oberpräsidenten eine Erklärung des brandenburgischen Provinziallandtages einforderte, ob der Landgemeinde Schöneberg die Annahme der Städteordnung gestattet werden solle. Genau dies ist nun Gegenstand der Landtagssitzung an besagtem 24. Februar, einem Mittwoch.
     Den Bericht der zu diesem Zwecke bestellten Kommission erstattet Charlottenburgs Oberbürgermeister Hans Fritsche. Während der Kreistag Teltow, der gleichfalls angehört worden war, sich im Dezember 1896 gegen den Antrag ausgesprochen hatte, legt Fritsche die Gründe dar, warum die Kommission der Ansicht ist, »daß der Landtag mit Rücksicht auf die gegebenen Verhältnisse ohne Weiteres, soviel an ihm liegt,
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sich für die Verleihung der Städteordnung aussprechen solle. Schöneberg, das vor 20 Jahren 7 000 Einwohner zählte, hat jetzt 71 000 und ist eine große Stadt mit allen großstädtischen Einrichtungen. Es zahlte im vergangenen Jahre 233 000 Mark Kreissteuern. Die Gesichtspunkte des Kreisausschusses sind nicht mehr entscheidend, sondern die thatsächlichen Verhältnisse.« (»Berliner Tageblatt« vom 25. Februar 1897)
     In der Tat: Längst Vergangenheit ist die Zeit des einstigen märkischen Kätnerdorfes mit seinen Sandbergen, von denen die Windmühlen den Wanderer grüßten. Zurück liegen nun auch schon jene Jahre, da Wiesen, Äcker und Felder allmählich Landhäusern und Gärten Platz machten, da die Berliner ihre Ausflüge hierher unternahmen, in den Gartenrestaurants ihre Stullen auspackten und sich an den Vorstellungen der Sommertheater erfreuten oder gar Sommerhäuschen mieteten.
     Noch früher, 1751, war nördlich des alten Dorfes die Kolonie Böhmerberg angelegt worden, die mindestens seit 1801 Neu- Schöneberg genannt wurde – im Unterschied zum Bauerndorf, das nun Alt- Schöneberg hieß. Beide Dörfer vereinten sich 1875 unter dem Namen Schöneberg. Bereits 1861 waren das dicht besiedelte Alt- Schöneberger Unterland und die entfernt gelegenen Alt- Schöneberger Wiesen von Berlin einverleibt worden.
     Nicht zuletzt die Nähe zu Berlin beschleu-
nigte die städtische Entwicklung , die verstärkt in den 70er, 80er Jahren einsetzte: Immer neue, dichtbebaute Straßenzüge entstanden, Hochbauten schossen aus dem Boden. Es war ein Eldorado der Landvermesser, -aufkäufer und Bauarbeiter. »Terraingesellschaften« erwarben Land, das sie »auf Vorrat« bebauten. Der Boden- und Bauspekulation waren Tür und Tor geöffnet. Davon profitierten alte Bauernfamilien – fortan als »Millionenbauern« tituliert–, erzielten sie doch für ihren Grund und Boden Preise, von denen der brandenburgische Kurfürst Joachim I. im »thusentfunffhundert und im sextenn jar«, da er die Gemeinde für 1 842 Gulden und 26 Groschen kaufte, nicht einmal geträumt haben konnte.
     Für den Provinziallandtag jedenfalls ist an jenem 24. Februar die Sachlage klar: Schöneberg soll selbständige Stadt werden. Die Abstimmung ergibt die einstimmige Annahme des Kommissionsantrages. Ungeachtet dessen kommt – bei aller Betonung, die Verleihung des Stadtrechts und die Auseinandersetzung seien gesetzlich getrennte Dinge – auch die Problematik der Eingemeindung nach Berlin immer wieder zur Sprache.
     Was Charlottenburgs Oberbürgermeister Fritsche, erklärter Eingemeindungsgegner, dazu sagt, hat laut »Berliner Tageblatt« vom 24. Februar 1897 den »Vorzug vollständiger Offenheit«: »Was die Eingemeindung betrifft, so glaubt die Kommission, daß gerade mit
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Das Dorf Schöneberg im Jahre 1790; eine Radierung von F. A. Calau
Rücksicht auf diese die Verleihung des Stadtrechts zu empfehlen ist. Die Provinz kann Schöneberg nicht gern verlieren. Erhält nun aber die Gemeinde das Stadtrecht, so wird der Eingemeindungsgedanke wohl allmählig zurücktreten und schwinden. ... Über die Eingemeindung wird nun schon 20 Jahre gesprochen, aber ein brauchbarer Gedanke, auf Grund dessen man einverleiben könnte, ist noch nicht herausgekom- men.« Landrath v. Waldow (Niederbarnim) unterstreicht, die Gemeinde Schöneberg sei finanziell und auch hinsichtlich der Personenfrage durchaus imstande, die an eine Stadt und an einen Stadtkreis zu stellenden Aufgaben zu erfüllen. Kein Interesse des Kreises spreche gegen die Verleihung des Stadtrechts, viele Interessen der Provinz zweifellos dafür. Sie werde die Eingemeindung mindestens auf ziemlich lange Zeit
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hinausschieben, das liege durchaus im Interesse der Provinz, die so steuerkräftige Gemeinden wie Schöneberg nicht gut entbehren könne. Und v. Achenbach äußert, früher selbst auch für die Eingemeindung gewesen zu sein, daß sich jetzt aber die Verhältnisse ganz gewaltig geändert hätten. Das Interesse der Provinz, die Vorortgemeinden zu behalten, sei ein sehr großes; ihre Einbuße an Steuern würde bei dem Verluste ganz gewaltig sein. »Wir brauchen uns also nicht zu schämen, wenn heute die Stimmung für die Eingemeindung nicht so günstig ist wie vor einigen Jahren.« Landesdirektor Freiherr v. Manteuffel führt u. a. aus: »Ein noch größeres Anwachsen Berlins würde ich für ein soziales Übel halten. Dagegen ist es gut, wenn ein Gürtel von potenten Gemeinden um Berlin herum liegt.«
     Schönebergs Stadtwerdung wird alsbald Realität. Im »Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin« erscheint in der Ausgabe vom 11. Juni 1897 unter der Nummer 123 die Mitteilung: »Des Königs Majestät haben mittels Allerhöchsten Erlasses vom 17. Mai d. J. der Landgemeinde Schöneberg, Kreis Teltow, die Annahme der Städteordnung vom 31. Mai 1853 zum 1. April 1898 zu gestatten geruht.« An letzterem Tag tritt für Schöneberg die Städteordnung in Kraft. Mit dem 1. April 1899 scheidet die Stadt Schöneberg dann auch aus dem Kreis Teltow aus und wird zum eigenen Stadtkreis erhoben.
Ein Auseinandersetzungsvertrag regelt die damit verbundenen Fragen: Ablösung des Anteils am Passivvermögen des Kreises durch eine einmalige Zahlung; weitere Mitbenutzung der Kreiskrankenhäuser; anteilige Beteiligung an den Chausseen usw. Mit dem gleichen Tage wird ein Gesetz vom 12. Juni 1889, durch das die Wahrnehmung einiger Zweige der Polizeiverwaltung in Schöneberg dem Polizeipräsidium in Berlin übertragen worden war, für die Stadt Schöneberg außer Kraft gesetzt.
     Die Frage der Zugehörigkeit zu einem Groß-Berlin war mit all dem für Schöneberg jedoch nicht ein für allemal passé. So gehörte die Stadt dem per Gesetz vom 19. Juli 1911 gebildeten, am 1. April 1912 in Kraft getretenen »Zweck- Verband« für Berlin an. 1915 stimmte der Schöneberger Magistrat dann grundsätzlich einer Eingemeindung in Berlin zu; Bürgermeister Alexander Dominicus verhandelte, da sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht realisieren ließ, über ein Verschmelzen mit Charlottenburg, und er besprach mit Berlins Stadtoberhaupt Adolf Wermuth sogar ein »Syndikat Berlin- Schöneberg«. Als dann am 27. April 1920 die Geburtsstunde der Einheitsgemeinde Groß-Berlin schlug, wurde Schöneberg zusammen mit der Landgemeinde Friedenau elfter von 20 Verwaltungsbezirken.

Bildquelle:
»Berliner Morgenpost« vom 19. Januar 1934

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