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Hans-Joachim Beeskow
Der »Bildungsminister der Reformation« Philipp Melanchthon zum 500. Geburtstag Den 500. Geburtstag begeht ein Denker, der nicht nur als engster Freund und Mitstreiter Martin Luthers in die
Geschichte einging, sondern auch als Humanist,
Theologe der Reformation und Begründer eines von der Reformation getragenen
Bildungswesens einen hervorragenden Platz im so bewegten 16. Jahrhundert einnahm. Schon Zeitgenossen Philipp Melanchthons priesen ihn als »Praeceptor Germaniae« (als » Lehrer Deutschlands«).
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Sein Großonkel, Förderer und Leiter
der Pforzheimer Lateinschule, Johannes Reuchlin (14551522), der bedeutendste
deutsche Humanist neben Erasmus von Rotterdam (14691536), gab dem jungen Philipp am 15. März 1509 den Namen
»Melanchthon«. Unter Humanisten war es damals
Brauch, durch gräzisierte oder latinisierte Namensgebungen einander zu ehren: Melan(griechischer Wortstamm für (schwarz«)
chton (griechisch »Erde« ) stand für den ursprünglichen Familiennamen Schwarzerdt.
Auf Empfehlung von Johannes Reuchlin wurde der erst 21jährige Philipp Melanchthon im Jahre 1518 von Kurfürst Friedrich von Sachsen (14631525) auf den neugestifteten Lehrstuhl für die griechische Sprache an der Wittenberger Universität berufen. Am 28. August des Jahres 1518 hielt Philipp Melanchthon hier seine berühmt gewordene Antrittsrede mit dem Titel »De corrigendis adolescentiae studiis« (»Über die Neugestaltung des Universitätsstudiums«). Von ihr war auch Martin Luther sehr beeindruckt, weil sie seinen Intensionen entsprach. Melanchthon forderte in dieser Rede ganz im humanistischen Sinne ein ad fontes (Zurück zu den Quellen) eine grundlegende Studienreform für die Jugend. An sie selbst appellierte er: »Lernt Griechisch zum Lateinischen, damit ihr, wenn ihr die Philosophen, die Theologen, die Geschichtsschreiber, die Redner, die Dichter lest, bis | ||||||
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zur Sache selbst vordringt, nicht ihre
Schatten umarmt ...« 1) Die Professur für
griechische Sprache an der Wittenberger Universität hatte Melanchthon bis zu
seinem Lebensende inne.
Im Jahre 1521 erschienen seine »Grundbegriffe des christlichen Glaubens« (»Loci communes rerum theologicarum«). Ausgehend von den Grundbegriffen der Rechtfertigungslehre Luthers wie Sünde, Gesetz und Gnade, die die alleinige Gnade Gottes (sola gratia), die den sündigen Menschen allein durch den Glauben (sola fide) annimmt (und nicht verwirft), zur Geltung bringt, verfaßte Philipp Melanchthon damit die erste lutherische Dogmatik. Sie war eine systematisch- theologische und zusammenfassende Darstellung der neuen lutherischen Lehre. Diese Dogmatik erlebte sehr viele Auflagen. Zwischen Philipp Melanchthon und Martin Luther, die sich in Wittenberg kennen und schätzen lernten, entwickelte sich eine überaus enge Freundschaft und kritische Zusammenarbeit. Melanchthon, der zunächst alte Sprachen und erst bei Luther Theologie studiert hatte, äußerte beispielsweise: »Ich danke dem verehrungswürdigen Herrn D. Martin Luther zuerst dafür, daß ich von ihm das Evangelium gelernt habe.« 2) Er »hat gezeigt, was wahre Buße, ... was gewisser Trost des Herzens sei. Er zog die Lehre des Paulus ans Licht, er sagt, daß der Mensch aus Glauben gerechtfertigt werde ... | Er übersetzte die prophetischen und
apostolischen Schriften in die deutsche Sprache, und zwar in solcher Klarheit, daß
diese Übersetzung dem Leser mehr Licht
spendet als die meisten Kommentare.« 3)
Philipp Melanchthon war an Luthers Bibelübersetzung und ihrer Revision aktiv beteiligt. Als Martin Luther am 6. März 1522, von der Wartburg kommend, in Wittenberg wieder eintraf, brachte er das komplette Übersetzungsmanuskript des Neuen Testaments mit. Philipp Melanchthon, der exzellente Kenner alter Sprachen, sah es für den Druck durch. Nach dem Wartburg- Aufenthalt Luthers, begannen er und seine Wittenberger Freunde, zu denen neben Philipp Melanchthon u. a. Johannes Bugenhagen (14851558), Nikolaus von Amsdorff (14831565) und Justus Jonas (14931555) gehörten, mit einer Reihe von Kirchenreformen und -visitationen. Sie dienten der kirchlich- theologischen Bestandsaufnahme und dem Vertrautmachen mit der lutherischen Lehre. Auch hier war Melanchthon entscheidend beteiligt. Er verfaßte wichtige Instruktionen für die Visitatoren, gab Kirchen-, Schul- und Universitätsordnungen heraus. Im Juni 1530 vertrat Melanchthon den Protestantismus vor Kaiser und Reich in Augsburg. Auf dem hier tagenden Reichstag wurde das Lehrbekenntnis der evangelisch- lutherischen Kirchen, auch Augsburgische | ||||||
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Konfession (»Confessio
Augustana«) genannt, in deutscher Sprache verlesen und Kaiser Karl
V. überreicht. Die Augsburgische Konfession geht auf Philipp Melanchthon als Verfasser zurück. Sie enthält in wesentlichen Bestandteilen
Luthers Theologie und gehört noch heute zu den grundlegendsten
Bekenntnisschriften der evangelischen Kirche.
Melanchthons Einfluß auf das neue Kirchen- und Bildungswesen war von überaus großer Bedeutung. Er wurde deshalb (etwa 1530) der »Lehrer Deutschlands« (»Praeceptor Germaniae«). Anstelle der bisherigen Bildung, die vom Lateinischen beherrscht wurde und nur wenigen Auserwählten galt, wollte Philipp Melanchthon eine Schule haben, die für alle Kinder ohne Unterschied des Standes, Ranges und Geschlechts zugänglich war. So richtete er in Nürnberg, Eisleben und Magdeburg Gymnasien ein. Unter seiner Leitung wurden die Hochschulen in Marburg, Königsberg und Jena gegründet sowie weitere (z. B. Tübingen, Heidelberg und Frankfurt an der Oder) reformiert. Sein im Jahre | |||||||
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1528 erschienenes Büchlein »Unterricht
der Visitatoren« hat in Deutschland als
Grundlage für die Neugestaltung des gesamten Schul- und Bildungswesens gedient.
Mit großer Ausdauer und Energie bemühte Philipp Melanchthon sich um die Einheit und Reinheit der lutherischen Lehre in den sich herausbildenden Landeskirchen. In diesem Zusammenhang unternahm Melanchthon viele Reisen, da Martin Luther das Territorium von Kursachsen nicht verlassen durfte, denn auf ihm lagen seit 1521 der päpstliche Bann und die Reichsacht. So weilte Melanchthon mehrmals in Berlin- Brandenburg und war Gast des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. (15051571). Großen Einfluß nahm Melanchthon auf die brandenburgische Kirchenordnung, die Ende Juni 1540 in Berlin (Offizin Hans Weiß) im Druck erschien. Bei all' seinen Bemühungen um die Einheit und Reinheit der Lehre in den einzelnen deutschen Territorien widmete sich Melanchthon seiner Wittenberger Vorlesungstätigkeit. Dabei ging es ihm auch um das rechte Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie. Er forderte eine strikte Trennung von Theologie und Philosophie. Beide wollte er entgegen bisheriger Tradition nicht vermischt wissen, »wie der Koch viele Suppen zusammengießt«. 4) Die Theologie solle sich der Methoden der Philosophie bedienen, unter Beachtung ihrer Eigenständigkeit. | Als Luther am 18. Februar 1546 starb,
trat Philipp Melanchthon an die Spitze des Protestantismus. Er hatte heftige Auseinandersetzungen um das Verständnis der Lehre Luthers zu führen. Melanchthon fühlte sich der »Wut der Theologen« oft nicht
gewachsen. Entmutigt und ermüdet von den permanenten Auseinandersetzungen starb Philipp Melanchthon am 19. April 1560
in Wittenberg. In der Wittenberger Schloßkirche fand er neben Martin Luther seine letzte Ruhestätte.
Philipp Melanchthon hat »in einer Schlüsselepoche der deutschen Geschichte, als in den protestantischen Territorien die Fundamente der modernen Welt gelegt wurden, deren religiöse und kulturelle Komponente maßgeblich bestimmt. Als Mann der Synthese, des maßvollen Ausgleichs und der ordnenden Form hat dieser evangelische Humanist, ein Lehrer und Theoretiker, die Wirklichkeit durch die Macht des Geistes, die sich für ihn stets in der Kraft Jesu Christi gründet, verändert und gestaltet. Das neuzeitliche Deutschland ist ohneMelanchthon nicht denkbar.« 5) Er gilt zu Recht als der »Bildungsminister der Reformation«, weil es ihm wesentliches Anliegen war, die Reformation Martin Luthers mit der (humanistischen) Bildung zu verbinden und die Bildung mit der Reformation. Christliche Gedanken sollten und konnten dann auch durch eine wohldurchdachte Pädagogik vermittelt werden. Dieses Kon- | ||||||
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zept hat sich über Jahrhunderte hinweg
als prägend erwiesen.
Quellen:
Bildquelle: Archiv Autor Weiterführende Literatur:
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Denkanstöße:
Nirgendwo sonst hat sich Gott offenbart als nur in der sichtbaren Kirche, in der allein die Stimme des Evangeliums ertönt. Und wir sollen keine andere
unsichtbare und stumme Kirche unter den Menschen, die doch in diesem Leben sind,
erdichten, sondern Augen und Sinn sollen auf die Versammlung der Berufenen achten, das heißt derer, die die frohe Botschaft
Gottes bekennen. Und wir sollen wissen, daß es
nötig ist, daß unter den Menschen
öffentlich die Stimme des Evangeliums ertönt.
Das Wort Evangelium heißt gewißlich in der alten griechischen Sprache eine Rede, die eine fröhliche Botschaft ist, und es ist kein Zweifel: Gott hat dies liebliche Wort brauchen wollen und gemein
machen zur Erinnerung, daß diese Predigt von Christo weit unterschieden sei vom Gesetz. Denn das Gesetz verkündigt uns den
großen ernsten Zorn wider unsere Sünde
und saget nichts von der Vergebung der Sünden aus Gnaden, ohne unser Verdienst.
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Von Schulen. Es sollen auch die Prediger die leute vermanen, yhre kinder zur Schule zu thun, damit man leut auffziehe,
geschickt zu leren ynn der kirchen vnd sonst zu
regiren. Denn es vermeynen etliche, es sey genug zu einem Prediger, das er deutsch
lesen künde. Solchs aber ist ein schedlicher
wahn. Denn wer andere leren sol, mus eine grosse bung vnd sonderliche schicklichkeit
haben. Die zuerlangen, mus man lang vnd von iugent auff lernen ... Darümb sollen die Eltern, vmb Gottes willen, die kinder zur Schule thun, vnd sie Gott dem Herrn
zurüsten, das sie Gott andern zu nutz
brauchen künde.
Aus: Unterricht der Visitatoren, 1528, In: Ebenda, a. a. O., Band XXVI, S. 90 Ich weiß, daß viele es für sehr
bedeutend halten, wenn sie kühn gegen alles
anrennen, niemanden schonen und Krieg anfangen mit Freunden und Feinden. Ich denke nicht
so, ich wünsche auch nicht, daß du so
denkst. Ich meine auch nicht, daß Paulus so
gedacht hat, der befahl, die Schwachen zu schonen und sie als Brüder anzunehmen.
| Bis jetzt haben wir uns Mühe gegeben,
solche Schriftsteller für unsere Schule zu bevorzugen, aus denen die Jugend über die Sprachkenntnis hinaus auch das Wesen
der griechischen Wissenschaft erkennt ...In den Schulen soll es so gehalten werden, daß
man solche Schriftsteller nimmt, die gleichzeitig sowohl Sprachkenntnis als auch den
Geist fördern.
Aus: Philipp Melanchthon an Hieronymus Baumgarten, 1521, In: Ebenda, a. a. O., Band I, S. 517 f. Jene Theologen, Juristen und Mediziner, die zu plötzlich in ihrem Fachstudium voranschreiten und sich nicht zuvor mit
gründlicher Allgemeinbildung versehen haben, lassen nicht allein die anderen
Wissenschaften untergehen, sondern können ihr
eigenes Fach nicht beherrschen.
»Das menschliche Leben ist ... ohne Kenntnis der Geschichte nichts anderes als ...
gewissermaßen eine immerdauernde Kindheit,
ja sogar eine ständige Finsternis und Blindheit.«
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In der Regel fehlen Regenten durch
Trägheit. Viele aber, die mit Weisheit und
Lebhaftigkeit des Geistes ausgestattet sind, fehlen durch unberufene Vieltuerei. Daher erinnert er oftmals, daß man vor dieser krankhaften Richtung sich hüten
müsse. Und weil dieselbe aus Ehrgeiz hervorgeht, stellt er sehr geschickt einen ganz entgegengesetzten Ehrgeiz gegenüber; nach
dem Ruhme nämlich empfiehlt er uns zu eifern, daß wir uns befleißigen, jeder innerhalb
der Schranken und Grenzen seines Berufes zu bleiben, wie man sprichwörtlich sagt,
jeder sein Sparta zu verherrlichen. Aber gemeine Geister halten für weit rühmlicher jene unberufene Vieltuerei, welche sich überall einmischt, viele reizt und aufregt, friedliche Absichten stört und überhaupt
allenthalben Geschäfte herbeizieht, gleichwie Cäsais die Wolken an sich gezogen haben soll.
Aus: Rede über den Apostel Paulus, gehalten 1543, In: Ebenda, a. a. O., Band V, S. 164 Es ist bisweilen notwendig zu antworten, wenn Beschimpfungen sich auf Gott beziehen, und unser Bekenntnis ist nötig. Bisweilen aber braucht nicht geantwortet zu werden, oder es ist nur mit großer Zurückhaltung zu antworten, nämlich bei geringfügigeren Vorwürfen. Es ist vortrefflich, was Cyprian (Kirchenvater H.-J. B.) sagt: Nicht der ist elend, der eine Schmährede hört, | sondern der sie tut! Und in einem
gewissen Gedicht heißt es: Keine Musik sei
wohltönender oder harmonischer, als eine
Schmährede zu ertragen. Solche maßvolle
Haltung geziemt sich für einen aufrechten Mann,
daß er nicht so sehr mit Worten als vielmehr
mit der Tat selbst sich von persönlichen
Beleidigungen zu reinigen sucht.
Aus: Melanchthons Postille, 1549, In: Ebenda, a. a. O., Band XXIV, S. 551 Wenn die Wissenschaft ausgelöscht ist,
geht auch die Kirche völlig zugrunde.
Soll nu Frieden bleiben, so muß einer mit dem andern Gedult haben.
Die Kirche bringt keine neue Lehre hervor, sondern sie ist gleichsam die
Grammatik (grammatica) zum Worte Gottes (sermonis divini).
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© Edition Luisenstadt, 1997
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