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Helmut Caspar
Figuren, Säulen und meterdicke Fundamente

Die ehemalige Börse am Spreeufer

Die 1859 bis 1863 von Friedrich Hitzig erbaute Börse unweit der Museumsinsel, dem Dom gegenüber, gehörte zu den aufwendigsten Bauten des 19. Jahrhunderts in Berlin. Bei Ausgrabungen wurden stattliche Reste des im Zweiten Weltkrieg zerstörten und in den 50er Jahren abgetragenen Gebäudes gefunden. Die Archäologen vom Berliner Landesdenkmalamt schlossen die Untersuchungen Ende 1996 ab. Danach rückten Tiefbauer an und hoben die Baugrube für das neue Büro- und Geschäftshaus der Deutschen Sparkassen- Immobilien- Anlage- Gesellschaft zwischen der ehemaligen Handelshochschule, heute Teil der Humboldt- Universität, dem Radisson Plaza Hotel und der Spreepromenade aus. Die Grabungen waren Teil umfangreicher Untersuchungen im Stadtzentrum.
     Grabungsleiter Heinrich Lange und sein Team dokumentierten die Lage der Keller und Gewölbemauern der Börse sowie die Fundstellen von Säulen, Pfeilern, Bögen, Ge-

simsen und Figurenresten. Die Architekturdetails aus Sandstein und Granit lassen ahnen, wie aufwendig das im Stil der Neorenaissance errichtete Gebäude innen und außen einst gestaltet war. Der Hauptraum wurde vor 100 Jahren als größter »Prachtsaal« Berlins gelobt. Er bestand eigentlich aus drei großen Sälen, die durch Säulenreihen voneinander getrennt waren. Hier fanden die Effektenbörse, der Handel mit Wertpapieren und die Produktenbörse statt. »In diesem schönheitsvollen Raume mit seinen zahllosen Säulen aus poliertem schlesischem Granit, seinem aus Stuckmarmor bestehenden Wänden mit den farbenreichen allegorischen Gemälden Klöber's und seiner wundervollen cassetierten Decke spielte sich in den Mittagsstunden der Hauptbörsenverkehr ab. Wohl an viertausend Personen wirren hier durcheinander, ihr Rufen, Verhandeln, Sprechen, Schnarren, Hin- und Hergehen erzeugt ein dumpfbrausendes Geräusch, als ob man am Meeresstrande weile, und so unruhig wie häufig das Meer, ist diese von Minute zu Minute sich verändernde Schar von Besuchern, die alle Elemente der Börse in sich vereint: hier die Geldfürsten, deren Namen in fünf Weltteilen Klang und Geltung haben, dort sorgsam strebende Banquiers, deren Parole, >Sicherheit und Festigkeit< lautet, da kleine und große Jobber, die frischdrauflos spekulieren, denn sie haben meistenteils wenig zu verlieren, junge Bankangestellte,
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Ansicht der Börse

welche ihre Chefs suchen und gelegentlich ein >kleines Geschäftchen< machen ...«, schreibt Paul Lindenberg in seinem Buch »Berlin in Wort und Bild« aus dem Jahre 1895. Die Berliner Börse wirke neben den Börsen in London und Paris bestimmend auf den Weltmarkt ein. »Nach Milliarden zählen die an ihr zum Umsatz gelangenden Effekten, nach Millionen die täglichen Abschlüsse.«

In der Börse gab es ein Restaurant sowie Presse-, Depeschen-, Lese- und Telegraphenzimmer. Als besondere Errungenschaft werden in dem Buch die 88 Fernsprecher- Zellen hervorgehoben, von denen direkte Verbindungen zu 125 Städten hergestellt werden konnten. Zutritt zu der unter Aufsicht der »Ältesten der Kaufmannschaft« stehenden Börse hatten nur berechtigte Mitglieder einer privilegierten Korporation. Je nach
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Größe ihres Geschäfts mußten sie bis zu 1 000 Goldmark Jahresbeitrag entrichten. Das interessierte Publikum konnte sich auf der Galerie ein Bild vom Trubel im Börsensaal machen.
     Paul Lindenberg fügte seiner Beschreibung hinzu, daß der Humor in der Börse nicht zu kurz kommt. Börsianer trügen Spitznamen wie Schwarze Venus, Rasender Roland, Tannenbaum oder Caprivi nach dem Reichskanzler, dessen Bankier sich durch einen so genannten Angestellten vertreten ließ. Hin und wieder kämen auch handgreifliche Scherze und sogar Forderungen für Duelle vor. Spottlust »an flauen Tagen« zeige sich darin, daß Besuchern heimlich Zettel mit der Aufschrift »Vor dem Gebrauch zu schütteln«, »Achtung! Dampfwalze« oder »Geschenk von Konsul Schönlank« auf dem Rücken angeheftet werden. Kein Wunder, daß der Betreffende »geschnitten« wurde.
     Bedeutende Bildhauer schufen Symbolfiguren von Kontinenten, Provinzen und Handelsstädten, die die Attika des weitausladenden Hauses am Spreeufer zieren. Da detaillierte Beschreibungen und Abbildungen vorliegen, wird man hoffentlich bald wissen, wohin welches Detail gehört. Das gilt besonders für zwei unbeschädigt gebliebene Frauenköpfe mit Mauerkronen in den Haaren und einen Knabenkopf, die im Erdreich gefunden wurden. Sie gehören offensichtlich zu Figuren von der Attika. Dort erhob sich eine von dem Bildhauer Reinhold
Begas geschaffene Borussia als Beschützerin von Handel, Industrie und Landwirtschaft.
     Bei den Untersuchungen sind zahlreiche tief in den Boden greifende Fundamentmauern der Börse zum Vorschein gekommen. Heinrich Lange hat kaum Hoffnung, Reste des barocken Vorgängerbaues der Börse zu finden. Hier an der Burgstraße stand das im 18. Jahrhundert errichtete Palais Itzig, das in Friedrich Nicolais »Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Postdam« aus dem Jahre 1786 als »schönes Gebäude« gelobt wurde, »worin auch verschiedene von Fechhelm gemalte Säle, wovon des einen Decke aufgeklappt werden und zur Lauberhütte dienen kann, eine schöne Gemäldesammlung, eine wohlgebaute Synagoge oder Hauskapelle und ein Bad befindlich sind«. Die Fundamente und Pfahlrostgründungen des Palais wurden Mitte des 19. Jahrhunderts der Börse geopfert.
     Wie Friedrich Hitzig in der »Zeitschrift für Bauwesen« berichtete, war es nötig, den Neubau in einer Tiefe von 25 bis 30 Fuß unterhalb des Grundwasserspiegels auf festem Sandboden neu zu gründen. Die bei den Ausgrabungen zutage getretenen Granite für die Säulen wurden im schlesischen Striegau, der gelbrötliche Sandstein bei Nebra an der Unstrut gebrochen und über die Elbe beziehungsweise Saale zum Bauplatz an der Spree transportiert. Durch den niedrigen Wasserstand der Saale kam ein mit fünf Fi-
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gurenblöcken beladenes Schiff wochenlang nicht voran. Ein Block fiel beim Verladen an der Burgstraße in die Spree, ein anderer mit einem Gewicht von 450 Zentnern verunglückte bei Borsig in Moabit. Hier stand der einzige Kran in Berlin, der solche Lasten heben konnte.
     Die Ausgrabungen ergaben, daß der rückwärtige Teil der Börse den alten Friedhof des Heiliggeist- Hospitals angeschnitten hat. Bei den Untersuchungen auf dem schon lange aufgelassenen Gottesacker wurden neben zahlreichen Skeletten auch 27 mittelalterliche Silbermünzen gefunden. Die Sandverfärbung läßt vermuten, daß die grauschwarz angelaufenen Geldstücke in einem Geldbeutel steckten. Vor einigen Wochen waren schon einmal solche Silberlinge entdeckt worden. Sie lagen nicht wie jetzt neben dem Toten, sondern steckten in Mundöffnungen. Die Archäologen vermuten, daß die Angehörigen der Verstorbenen damit die Wiederkehr der Seelen der Toten verhindern wollten.
     Laut Heinrich Lange müßte recherchiert werden, was aus der Originalsubstanz des stark beschädigten, innen und außen aber noch weitgehend erhaltenen Börsenhauses geworden ist. Das betreffe den Verbleib der schmückenden Bauplastik ebenso wie den der etwa 130 polierten Granitsäulen und zahlreichen Sandsteinblöcke der Außenfassade, bei denen nachgeforscht werden müßte, ob sie vielleicht wiederverwendet
wurden. »Wurde hier wirklich beim Abriß der durchaus wiederherstellbaren Ruine in den fünfziger Jahren und nicht zuletzt beim Aushub der Baugrube für das Palasthotel Anfang der achtziger Jahre der Großteil des einst so stolzen Baues der Berliner Kaufmannschaft in Lastkähne auf der Spree verladen und auf Deponien in Berlin und dessen Umland verbracht, wie das ähnlich bei der Schleifung des Stadtschlosses geschehen ist«, fragt der Archäologe. Er hofft, daß das von dem Bildhauer Dankberg gefertigte Modell der Börse noch erhalten ist. Laut Hitzig wurde es zur Industrieausstellung 1852 nach London gesendet und habe dort die Aufmerksamkeit der Besucher »gefesselt«. Später habe das Modell im Museum von South Kensington (London) eine würdige Stelle »in der interessanten Sammlung ähnlicher Arbeiten« gefunden.

Bildquelle:
Paul Lindenberg: »Berlin in Wort und Bild«, 1895

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