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Bernhard Meyer
Ein Leben im Geist der Aufklärung Der Arzt und Philosoph Markus Herz
Christoph Friedrich Nicolai (17331811)
zählte 1786 Markus Herz zu den namhaftesten gelehrten Köpfen des
spätfriederizianischen Berlins: »Markus Herz, Doctor der
Arzneygelahrtheit, Hofrath und Leibarzt des
Fürsten von Waldeck, er ist durch
philosophische und medizinische Schriften berühmt
und wohnt in der Spandauerstraße«.
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am Ephraimschen Stift lernen konnte,
um Rabbiner zu werden, sich dann jedoch mit 15 Jahren als Handlungsgehilfe in
Königsberg wiederfand. Gönner daselbst
finanzierten ihm zunächst an der
Königsberger Universität ein Studium der
Philosophie, wobei er nebenher noch Medizin hörte.
Schüler und Freund von Immanuel Kant Das bedeutete seinerzeit Kontakt und Nähe zu seinem bevorzugten Lehrer
Immanuel Kant (17241804), bei dem er
Meisterschüler wurde und mit dem ihn fortan eine
herzliche Freundschaft verband. Nach Beendigung des Studiums begab sich Herz 1770 mit
Empfehlungsschreiben u. a. für Moses Mendelssohn (17281786) und für das
Akademiemitglied, den Mathematiker und Philosophen Johann Georg Sulzer (17201779)
versehen, nach Berlin. Wiederum mit Unterstützung wohlhabender Freunde (u. a.
des Kaufmanns und Inhabers einer Seidenmanufaktur David Friedländer) führte er
seine bereits in Königsberg begonnenen
medizinischen Studien an der Universität Halle weiter, schloß sie 1774 mit der
Promotion ab und ließ sich in Berlin als
praktischer Arzt nieder.
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12jährige Tochter namens Henriette
(geb. 5. September 1764), die mit ihm nach altjüdischem Brauch vermittels
notariellem Kontrakt und im kindlichen Alter
verlobt wurde. Die Hochzeit feierten beide am
1. Dezember 1779 Henriette inzwischen
15 Jahre und 3 Monate und Markus 32 Jahre alt. Die näheren Umstände von
Verlobung und Vermählung sowie Bemerkungen
über ihren Ehemann hinterließ Henriette in
schöner Erinnerung und ohne jeden Groll in ihren autobiographischen Bruchstücken,
die sie 1817 verfaßte. 2)
Markus rief sie auch in späteren Jahren stets »mein Kind« er erzog und bildete als Ehemann seine noch heranwachsende Ehefrau. Dennoch bescheinigten viele der Gäste des offenen Hauses Herz dem Paar ein harmonisches und einfühlsames Verhältnis, das offensichtlich auch von Henriette so empfunden wurde: »Meine Ehe darf ich ein glückliches Verhältnis nennen, wenn vielleicht nicht eigentlich eine glückliche Ehe.« Natürlich träumte sie als junges Mädchen sie galt als eine ausgesprochene Schönheit von einem Adonis und sah, »daß er wenig von einem der Liebhaber in meinen Romanen hatte«, daß er »klein und häßlich« ausschaute; »ich drängte alles in mich zurück«. Aber ihr fiel auch der »geistreiche Ausdruck seines Gesichts« auf. 3) Selbst als die Ehe kinderlos blieb, ergaben sich daraus keine sonderlichen Probleme. Für eine dauerhafte innere Verwobenheit der Eheleute spricht, | daß Henriette nach dem Tod ihres
Mannes 1803 trotz mißlicher finanzieller Lage
und hochrangigen Bewerbern nicht wieder heiratete.
»Bei Moses Mendelssohn ging er ein und aus« Sein Salär verdiente Markus Herz als frei praktizierender und als angestellter Arzt am Jüdischen Krankenhaus in der Oranienburger Straße 8. In diesem Beruf fand er seine eigentliche Bestimmung und einen Lebensinhalt, der auch seine philosophischen Kenntnisse und Interessen einschloß. Sein Credo lautete: »Die Arzeneykunst unterscheidet sich merklich von den übrigen Künsten darin, das bey diesen auch das Mittelmäßige, und gar das Schlechte für gewisse Subjekte, zu gewissen Endzwecken brauchbar seyn kann; nicht so bey jener. Man muß ein trefflicher Arzt seyn, oder man ist keiner.« 4) Kant, im gelegentlichen Briefwechsel mit Markus Herz, prophezeite 1777 seinem einstigen Lieblingsschüler eine große Karriere als Arzt, »wenn Sie fortfahren, die Arzeneykunst mit der Forschbegierde eines Experimentalphilosophen und zugleich mit der Gewissenhaftigkeit eines Menschenfreundes zu treiben und Ihr Geschäft zugleich als eine Unterhaltung für den Geist, nicht bloß als Brodkunst anzusehen, Sie in Kurzem sich unter den Aerzten einen ansehnlichen Rang erwerben müs- | ||||
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sen.« 5) Die Herzsche Praxis florierte
tatsächlich, der Zulauf von Zuhörern und
Prominenten bei den Vorlesungen nahm zu die Eheleute zogen zu Beginn der 1780er
Jahre in eine repräsentativere Wohnung in der Neuen Friedrichstraße 22. Besonders
unter den etwa 3 400 jüdischen Familien
erlangte Herz schnell Ansehen; seine Popularität
kam der von Ernst Ludwig Heim (17471834) nahe. Als Hausarzt und Freund ging er
bei Moses Mendelssohn in der Spandauer Straße ein und aus, bis dieser am
Silvestertag 1785 bei Wind und Wetter das Manuskript seines letzten Werkes wenige
Straßen weiter in die Breitestraße 9 zu seinem
Verleger Christian Friedrich Voß (17221795) brachte, sich erkältete und am 4. Januar
1786 starb. Die Todesursache gab Herz mit »Schlagfluß aus Schwäche« an.
Sein manifestierter aufklärerisch- toleranter Wesenszug führte Markus Herz auf die Seite jener Juden, die der Assimilation wohlwollend gegenüberstanden. Das hieß für ihn keineswegs christliche Taufe, jedoch Abbau streng orthodoxer jüdischer Rituale, die der Zeit nicht mehr entsprachen. Zu diesen Themen gehörte der sogenannte »Beerdigungsstreit« in der Berliner Jüdischen Gemeinde. Es ging um die Abschaffung des alten jüdischen Brauchs, Verstorbene innerhalb von vier Stunden nach Eintritt des Todes zu beerdigen. Das hatte zumindest aus hygienischer Sicht eine gewisse Berechtigung, schloß aber nicht aus, daß noch Le- | bende für tot erklärt wurden
»Scheintote« auf dem Friedhof landeten. Zur
damaligen Zeit gab es nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine sichere
Methode zur eindeutigen Feststellung des Todes.
Markus Herz verfaßte dazu 1787 ein Traktat »Ueber die frühe Beerdigung der Todten«. Darin verlangte er den Aufschub der Beerdigung auf 24 Stunden, wobei er drei Tage für angemessener hielt. Zur Gewährleistung der dazu notwendigen hygienischen Voraussetzungen hielt er die Einrichtung von Leichenschauhäusern für unabdingbar. Aber dies war schon kein jüdisch- religiöses Problem mehr, denn der medizinisch- hygienische Alltag erforderte derlei Einrichtungen dringend. Ab 1785 Leibarzt des Fürsten Waldeck Er selbst durchlitt 1782 eine schwere Krankheit, die ihn an den Rand des Todes brachte. An seiner Seite standen neben Henriette die Charité-Ärzte Selle (17481800) und Johann Christoph Friedrich Voitus (17411786), denen er aus tiefer Dankbarkeit seinen »Grundriß aller medicinischen Wissenschaften« zueignete. Die anschließende Kur in Bad Pyrmont vollendete seine Genesung und trug ihm überdies die Freundschaft des Fürsten von Waldeck ein, der ihn 1785 zu seinem Leibarzt ernannte und ihm den Titel eines Hofrats verlieh. In überschwenglicher | |||||
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Dankbarkeit widmete er namentlich dem Fürsten seine im folgenden Jahr (1786) erschienene Arbeit »Versuch über den Schwindel«, die aus medizinischer Sicht das zeitgenössische Wissen über Krankheit und Seele zusammenfaßte. Neben den Leistungen von Markus Herz bedurfte es wohl auch der Protektion des Fürsten von Waldeck, um den preußischen König Friedrich Wilhelm II. (17441797) zu bewegen, ihm 1787 den Professorentitel für Philosophie mit Gehalt und Pensionsanspruch von 500 Talern zu verleihen. Das war eigentlich honorig, denn der Titel zog keinerlei Verpflichtungen für die Königliche Preußische Akademie nach sich. Der Ehrung von Markus Herz liegen besonders seine beiden Werke »Grundriß ...« (1782) und »Briefe an die Ärzte« (1777) zugrunde. Ersteres faßte das medizinische Wissen seiner Zeit, geschickt mit philosophisch- aufklärerischen Betrachtungen über die Seele verbindend und den historischen Werdegang von Diagnosen und Therapien aufzeigend, zusammen und fand eine ansehnliche Verbreitung. Die »Briefe«, so Kant 1777 an Herz, haben »mir überaus wohlgefallen und wahre Freude gemacht«. 6) In diesen Briefen teilte er einigen auswärtigen Ärzten Erfahrungen seiner ärztlichen Tätigkeit mit, die den Geist der Aufklärung atmeten. Immer wieder plädierte er für den Einzug des Psychologischen in die medizinische Praxis, ein Gegenstand, der der Ärzteschaft noch weitgehend unbekannt war. Bemerkenswert auch sein | Bestreben, nicht nur entstandene
Krankheiten zu »curiren«, sondern an die Wurzel
ihrer Entstehung zu gelangen.
Dem philosophischen Freund und Vordenker Immanuel Kant verbunden, versuchte Herz mit seinem Schrifttum der mystisch- spekulativen Denkweise durch Forderungen nach genauer Naturbeobachtung, quantitativem Sammeln, Ordnen und Systematisieren der Medizin voran zu helfen. Solcherart Herangehen war nicht alltäglich und nicht allerorts erwünscht, denn Unerklärliches gab es zuhauf, so daß der Okkultismus blühte und bis in die Wissenschaftlergilde und das Königshaus hineinreichte. Bei den befreundeten Humboldts »spukte« es bekanntlich im Schloß Tegel, und König Friedrich Wilhelm II. nahm an spiritistischen Sitzungen teil. Herz zählte unerschrocken zu denjenigen Denkern, die der Seele und dem Geist absolut Diesseitiges bescheinigten. In diese Situation hinein fällt 1792 das Bestreben von Markus Herz, die höchste Sprosse wissenschaftlichen Ansehens in Preußen durch Aufnahme in die Königliche Akademie zu erklimmen. Zwar hatte er die nun schon 20 Jahre zurückliegende Ablehnung (1771) von Moses Mendelssohn noch in Erinnerung, aber immerhin gehörten der Akademie bereits einige jüdische Wissenschaftler an. So wurde erst im Vorjahr (1791) sein ärztlicher Freund Karl Philipp Moritz (17571793) Mitglied der Wissenschaftlervereinigung. Herz verfügte über günstige | |||
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mündliche Zusagen, jedoch fehlte
schließlich sein Name auf der dem König
vorgelegten Liste. Daraufhin richtete er im
Oktober 1792 eine Bittschrift an Friedrich Wilhelm II.,
damit dieser entscheide, was seine Beamten bisher, wie er meinte, nicht getan
hätten. Und er vermutete die Gründe für deren
Zurückhaltung durchaus richtig: »Meine
Religion Sire, ist die eintzige Ursache die den (sic) herrn Curator abhält so gleich
über mich zu entscheiden.« 7) Markus Herz
blieb die letzte Stufe seines Karrierewunsches versagt.
Salon Herz für Liebhaber der Gelehrsamkeit Das Haus Herz in der Spandauer Straße begann 1777, eine gefragte Adresse für das geistige Leben der schon mehr als 100 000 Einwohner zählenden Residenz- und Hauptstadt Berlin zu werden, denn hier hielt der Hausherr Privatcollegien zu philosophischen und medizinischen Themen ab, zu denen sich später noch die Experimentalphysik und die Elektrizität gesellten. Herz brachte als erster die Philosophie Immanuel Kants unter das Berliner Publikum. Bis zu 50 Liebhaber der Gelehrsamkeit fanden sich regelmäßig zusammen, um Neues aus der Wissenschaft zu vernehmen. Einige von ihnen wie die Brüder Alexander (17691859) und Wilhelm von Humboldt (17671835), Justizminister Karl Abraham von Zedlitz | (17311793), Mitglieder des königlichen
Hofes, darunter der fünfjährige
Kronprinz (später König Friedrich Wilhelm
III., (17701840), der Philosoph Friedrich Daniel Schleiermacher (17681834), der
Charité-Internist Johann Christian Reil
(17591813), der Erzieher der Humboldts, Gottlieb
Johann Christian Kunth (17571829), der
Mineraloge Dietrich Ludwig Gustav Karsten (17681810) und viele andere wurden
vom Vortragenden zum Verbleib unmittelbar nach der Vorlesung gebeten die
Geburtsstunde wissenschaftlichen Gedankenaustauschs und geselligem Beisammenseins
im Hause Herz.
Nach der Eheschließung besuchte Henriette fleißig Vorlesungen ihres Mannes. Sie verfügte nur über eine einfache Schulbildung und wurde seitens ihrer Eltern allein auf die Ehe vorbereitet. Neugierde trieb sie und Bildungsverlangen an die Seite eines schon in der Stadt gerühmten Wissenschaftlers. Neben wachsendem Kunstverständnis verfügte sie über Interesse an Sprachen. Herz erwartete von seiner Frau, daß sie allmählich sein Haus neben der strengen Wissenschaftlichkeit zu einem Ort höherer Geselligkeit befördere. Der Hausherr galt als ein Verstandesmensch, trauter und weinseliger Runde durchaus nicht abhold, witzig und sarkastisch, aber stets mehr dem rationellen, gehobenen Gespräch zuneigend, in der Geselligkeit mehr die Erholung, nicht die geistige Erbauung suchend. Später | |||||
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schrieb Henriette: Er lernte »eigentlich
weder Menschen noch Welt kennen, und sein Geist wurde in viel höherem Grade
ausgebildet als sein Charakter«. 8)
Schon bald teilten sich die im Anschluß an die Herzschen Vorlesungen zum Bleiben aufgeforderten Gäste in jene, die ernsthaft- wissenschaftliche Gespräche mit dem Gastgeber bevorzugten, und jene, die sich in einem Nebenzimmer vornehmlich zu Gesprächen über Literatur und Kunst bei der ansehnlichen Hausfrau versammelten. Aus diesen Anfängen heraus bildete sich der Salon Henriette Herz, der vor allem die frühromantische Richtung pflegte. Soweit sich Markus Herz mit dem Künstlerischen befaßte, hing er der Denk- und Schreibweise von Gotthold Ephraim Lessing (17291781) an, mit dem er in Kontakt stand. Nur was Lessingscher Klarheit und Durchsichtigkeit entsprach, ließ er in der Literatur gelten. Mit Goethe und dem folgend Schwärmerischen der Romantik konnte der kühle Denker nichts rechtes anfangen, sie blieben ihm unverständlich. Anekdotisch wird seine Empfehlung an einen Bekannten hinsichtlich einer unverständlichen Textstelle bei Goethe überliefert: »Gehen Sie zu meiner Frau; die versteht die Kunst, Unsinn zu erklären!« Mit dem plötzlichen Tod von Markus Herz am 19. Januar 1803 geht die Ära des Hauses faktisch zu Ende. Für Henriette riß das Ableben ihres Mannes eine unersetzbare Lücke; | sie war tieferschüttert. Schleiermacher,
seit 1796 Prediger an der Charité-Kirche
und ständiger Gast im Hause Herz, schrieb
ihr: »Herzs Verhältnis zu Dir und Deinem
Leben war ein vielfaches und wunderbar verschlungenes.«
9) Der 56jährige Markus Herz fand seine letzte Ruhestätte an der Seite
von Moses Mendelssohn auf dem Jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße.
Seine interpretierenden, zusammenfassenden und systematisierenden Arbeiten haben das medizinische Wissen seiner Zeit bereichert und es den Ärzten verbunden mit dem Geist der Aufklärung näher gebracht. Quellen:
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© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de