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Friedrich Kleinhempel
25. Januar 1823:
Erste Schnellpresse in Berlin

Noch Anfang des 19. Jahrhunderts ließ Berlin kaum seinen künftigen Höhenflug als europäische Zeitungsmetropole ahnen. Bis zum mächtigen Presse-Imperium in der Stadtmitte um Koch-, Zimmer- und Jerusalemer Straße mußten noch hundert Jahre vergehen. Ein Glanzlicht in Berlins Zeitungsgeschichte aber blitzte bereits auf, als Johann Carl Philipp Spener d. J. (1750–1827) am 25. Januar 1823 als erster auf dem europäischen Kontinent seine Zeitung auf einer der eben erst erfundenen Schnellpressen drucken ließ. Die vor 170 Jahren wenigen Zeitungen vermeldeten ja in ihrem Klein-Oktav- oder Quart-Druckformat und ihrer höchstens dreimal wöchentlichen Erscheinungsweise nicht nur fürstliche Ordensverleihungen, prominente Reiseankünfte, Lottozahlen, Wetterunbilden, Wolfsjagden, abenteuerliche Kriegsgeschehnisse usw. Wichtiger wurden für eine immer breiter werdende Leserschaft die wirtschaftspolitischen Rubriken, Handelsfragen und Zollbestimmungen, Börsenmitteilungen, insbesondere die »Kundmachungen« und Geschäftsanzeigen einheimischer und auswärtiger Fa-

brikanten und Händler. (Preußens König Friedrich Wilhelm I. hatte, um Handel und Wandel zu intensivieren, schon 1727 die Herausgabe einer speziellen Anzeigenzeitung angeordnet. Diese »Wöchentlichen Berlinischen Frag- und Anzeigungs-Nachrichten« mußten als Pflichtblatt vom Berliner Magistrat und allen Kaufmannsgilden, Handwerkerzünften sowie Ärzten, Apothekern, Gastwirten, Advokaten, Geistlichen u. a. m. abonniert werden.)
     Das um 1820 zwar schon zweihundertjährig tradierte (erste handgedruckte Zeitung in Berlin vermutlich 1617), dennoch bescheidene Berliner Zeitungswesen fand man in einem Zustand, den sowohl aufklärerischer Pioniergeist bei Verlegern und Redakteuren als auch Würgegriffe politischer Zensur und mitunter erbärmliche Konkurrenz der beiden tonangebenden Blätter markierten: Die »Berlinische privilegierte Zeitung« bestand seit 1721 unter königlicher Gunst und königlichem Privileg. Mit Namen wie Rüdiger, Mylius, Lessing, Mendelssohn verbunden, erwarb die nach ihrem rührigen Herausgeber Christian Friedrich Voss (seit 1751) kurz »Vossische« genannte Zeitung historischen Ruhm.
Ohne ausgesprochenes königliches Privileg, aber unter dankbarem Wohlwollen Friedrich II. gegenüber dem Beschützer aus seiner Kinderzeit, Ambrosius Haude (1690–1748), führten die von ihm, Haude, 1740 gegründeten »Berlinischen Nachrichten
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Schnellpresse der Würzburger Firma König & Bauer
von Staats- und gelehrten Sachen« wie die »Vossische« den Preußenadler im Titel. Nachdem nach Haudes Tod 1748 zunächst sein Schwager Johann Carl Spener (d. Ä.), nach dessen Tod die beiden Witwen »Haude und Spener« die bis auf den heutigen Tag gleichnamige Verlagsbuchhandlung leiteten, übernahm 1772 Speners Sohn Johann Carl Philipp Spener d. J. (1750–1827) das Geschäft und die Herausgabe der bestens renommierten Zeitung, die er bis zu seinem Tode mit Geschick und Niveau redigierte. Er war ein weitgereister Mann von profunder Bildung, der enge Beziehungen zu bedeutenden Männern seiner Zeit unterhielt. Eben- falls weitgereist und mit profunder Bildung versehen war Johann Friedrich Gottlob König (1774–1833), der in Leipzig bei Breitkopf & Härtel Setzer und Drucker gelernt und autodidaktisch Mathematik und Mechanik studiert hatte. Intime Praxiskenntnis bewog seinen Plan, die schwere Druckerarbeit an der Handpresse zu maschinisieren. Gesuche um finanzielle Hilfe dafür in Deutschland, Frankreich und Rußland scheiterten. Erst im technisch viel eher aufgeschlossenen England gelang ihm sein beharrlich verfolgtes Ziel: die Konstruktion der ersten einsatzfähigen Druckmaschine, in London patentiert am 29. März 1810.
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Weitere, noch verbesserte Schnellpressen (Bezeichnung im Gegensatz zu Handpressen), dampfmaschinengetrieben, vom Flachzum schnelleren Zylinderdruck übergehend, brachten König neue Londoner Patente 1811, 1813 und 1814. Der geschäftstüchtige Eigentümer der »Times« bestellte umgehend zwei Schnellpressen und ließ die seinerzeit schon bedeutende Zeitung am 29. November 1814 erstmals darauf maschinell drucken – mit damals sensationellen 1 100 Bogen pro Stunde! 1815 baute König schon Doppelmaschinen für beidseitigen Bogendruck mit nahezu doppelter Leistung. Die Erfindung der Setzmaschine 1815 und die technisch gereifte Papierfabrikation für ausreichende Mengen begünstigten die Einführung der Schnellpressen zusätzlich. Von seinem Londoner Kompagnon neidisch hintergangen, wandte sich der Schnellpressenerfinder nach Deutschland zurück und schuf zusammen mit seinem treuen Mitstreiter, dem Mechaniker und Magister der Tübinger Universität Andreas Friedrich Bauer (1783–1860), ab 1817/18 eine Maschinenwerkstatt im aufgegebenen Kloster Oberzell bei Würzburg. »König & Bauer« wurden bald zur renommiertesten Buchdruckmaschinenfabrik Deutschlands.
     Die ersten vier in Deutschland und von der Fa. König & Bauer gefertigten Schnelldruckmaschinen wurden am 15. November 1822 nach Berlin verfrachtet. Anfang Dezember trafen die Pferdegespanne vor vier
schweren Wagen in Berlin ein – zwei in Holzkisten verpackte Schnellpressen lud man in der Deckerschen Geheimen Oberhofbuchdruckerei Wilhelmstraße 75 ab, zwei bekam Spener zur Schloßfreiheit geliefert. Andreas Bauer, aus Oberzell in der zweiten Dezemberwoche angereist, leitete die komplizierte Montage der Maschinen vor Ort.
Anfang des folgenden Jahres überwachte der weitsichtige, dem technischen Fortschritt aufgeschlossene Verleger Spener den Probebetrieb, ab 25. Januar führten die neuen Maschinen hocheffektiv den guten alten »Onkel Spener« (wie der Berliner Volksmund das Blatt später analog zur »Tante Voss« betitelte) in seine neue Zeit. Eine der frühen König & Bauerschen Schnellpressen zeigt die Abbildung.

Quellen:
Ernst Consentius: Die Berliner Zeitungen bis zur Regierung Friedrichs des Großen, Verlag der Haude & Spenerschen Buchhandlung (F. Weidling), Berlin 1904, S.104
Ebenda, S. 8
Walther G. Oschilewski: Zeitungen in Berlin, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 1975, S.46
Theodor Goebel: Friedrich König und die Erfindung der Schnellpresse. Ein biographisches Denkmal, 2. Aufl., Stuttgart 1883, S.399 f.

Bildquelle: Archiv des Autors

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