26 Probleme/Projekte/Prozesse | Theaterprojekt Wilmersdorf |
Brandenburg ausschließen) den Status
einer selbständigen Stadt erhielt, waren - trotz ihres Charakters als aufstrebende, wohlhabende südwestliche Vorstadt Berlins -
Spuren dörflichen Lebens in Wilmersdorf vorhanden. In diesem Zusammenhang ist eine Beschäftigung mit dem kulturellen Leben der Menschen zu dieser Zeit sehr aufschlußreich.
Wilmersdorf war vor 90 Jahren ein Ort vor Berlin mit vielen kreativen, künstlerisch aufgeschlossenen Bewohnern, die sich in Kulturvereinen zusammenschlossen, Musikschulen gründeten, Vortrags- und Musiksäle füllten. Doch auch Vergnügungsstätten wie den »Luna-Park« am Halensee liebten sie. Ebenso die vielen Kabaretts und Cabarets. Stets waren die Gartentheater überfüllt, zahlreiche Unterhaltungs-Etablissements gaben sich die Ehre. Bei schönem Wetter zog es die Familien in die volkstümlichen Gartenlokale »mit Musike« und dem Angebot »hier können Familien Kaffee kochen«. Seit der Stadtgründung 1906 wurden die Rufe nach einem großstädtischen Kulturangebot innerhalb der Bevölkerung immer lauter. Zu einer Zeit, die ohne Radio, Video, Fernsehen und Kintopp auskommen mußte, hieß das »Zauberwort« Theater. Ein eigenes Stadttheater müsse Wilmersdorf haben, lautete die Forderung. So etwas gehöre in einer wohlhabenden Stadt mit gutbürgerlicher Bevölkerung einfach »zum guten | ||||||
Kraft-Eike Wrede
Das Wilmersdorfer Stadttheater-Projekt 1908-1913 Im Jahre 1993 konnte Wilmersdorf sein 700jähriges Jubiläum feiern. Die
Entwicklung des heutigen Bezirkes war bis ins 19. Jahrhundert hinein die eines
märkischen Dorfes im Kreise Teltow. Mit der
einsetzenden Industrialisierung, die sich in den Gründerjahren ab 1871, dem Jahr der Reichsgründung mit Berlin als Hauptstadt
(dessen 125. Wiederkehr es im April dieses Jahres zu gedenken galt), verstärkte, änderte
sich das geruhsame Bild, das Wilmersdorf abgab. Als stadtnahe Gemeinde zur
kaiserlichen Residenz- und Hauptstadt des wilhelminischen Deutschlands übte es
große Anziehungskraft auf die vielen
Menschen aus, die im Sog der Industrialisierung
nach Berlin kamen. Wilmersdorf wurde zum bevorzugten Wohnort eher wohlhabender Bürger, die es sich leisten konnten, in
die seen- und waldreiche Umgebung Berlins zu ziehen.
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Ton«. Es war also kein Zufall, daß Ende 1908 zunächst zwei Interessentengruppen auftra | |||||||
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en, die sich später zu Betreibergesellschaften zur Errichtung eines Stadttheaters entwickelten. Anfang 1909 kam eine weitere Interessentengruppe hinzu, so daß es schließlich drei ernsthafte Konsortien in Wilmersdorf gab, die bis 1913 in Permanenz mit dem Magistrat der Stadt »Deutsch-Wilmersdorf« über die Errichtung eines städtischen Theaters verhandelten. 1) Überlegt wurde auch, wo das neue Theater anzusiedeln wäre. Es sollte eine zentrale und verkehrstechnisch günstige Lage haben, möglichst zwischen zwei U-Bahn-Stationen an der Grenze zwischen Wilmersdorf und Schöneberg. Zwei Standorte waren hierfür vorgesehen: die Spitze des Hohenzollernplatzes zwischen Nassauischer und Nikolsburger Straße sowie der Bereich zwischen Prinzregentenstraße und | |||||||
Titelseite der Denkschrift
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Helmstedter Straße mit Begrenzung
durch die Berliner Straße im Süden und der
Güntzelstraße im Norden - östlich der
Kaiserallee, der heutigen Bundesallee.
Wichtig war die Betonung eines bildungsbürgerlich geprägten Theaters. Man dachte eher an ein »Goethe-Theater« 2) als an eine »Volksbühne« und fühlte sich den Werken der deutschen Klassik verpflichtet. Kein Geringerer als Thomas Mann 3) gab seine Sympathieerklärung für das »idealistische« Unternehmen der »Goethe-Theater-Gesellschaft« ab. Auch Max Reinhardt bestärkte die zögernden Stadtväter dahingehend, daß »der Mann mit den richtigen Eigenschaften« es schon schaffen werde, ein Theater künstlerisch und gewinnbringend zu leiten. 4) Selbst die legendäre »k. u. k. Hofburgschauspielerin« Adele Sandrock ließ durch ihren Bruder beim Magistrat sondieren, ob sie als Direktorin eines Wilmersdorfer Stadttheaters willkommen sei. »Meine Schwester Adele würde selbstverständlich in erster Linie die Hauptrollen darstellen«, hieß es in dem »Bewerbungsschreiben«, »und die Regie der Klassiker übernehmen. Ich persönlich wäre bereit, den administrativen Teil der Direktionsleitung zu übernehmen.« 5) Deutlich wollte man sich von Otto Brahms, dem Direktor des Lessing-Theaters, abgrenzen, der den Naturalismus pflegte. Wichtig war für die Verantwortlichen der volksbildende Charakter des Theaters in idealisti | schem Sinne und der in ihm zur
Aufführung gelangenden Stücke. Interessant ist dabei die Idee des Repertoiretheaters, die damals modern und beim Publikum beliebt
war. Man spielte en suite: Monatelang bekam das Publikum immer dieselben Stücke zu sehen.
Zwar hatte Berlin - wie die Eintragung im »Neuen Theater-Almanach« von 1906 belegt - nicht weniger als 44 Bühnen, 6) so daß allein durch diese große Zahl eine gewisse Programmvielfalt gesichert war. Aber: Die Theater lagen überwiegend im Zentrum, waren zu weit entfernt von den Wohnungen der Wilmersdorfer. Die Eltern fürchteten sich, ihre »höheren« Töchter mutterseelenallein den Gefahren (oder Verlockungen?) der abendlichen, sündigen Großstadt auszusetzen. Außerdem wurde immer wieder Klage darüber geführt, daß der Eintritt zu diesen Theatern für gutbürgerliche Kreise zu hoch sei. Unter Bildungsanspruch erwartete man ein zwar abwechslungsreiches, aber auch preiswertes Theater. Dieser konzeptionelle Ansatz zieht sich wie ein Ariadnefaden durch alle Kalkulationspläne der Theaterbetriebs-Gesellschaften. Für den Magistrat stellte sich die Frage: Sollte er ein eigenes Theater bauen und verpachten oder städtischen Grund und Boden verkaufen, um es so einer Betreibergesellschaft zu ermöglichen, auf eigenes Risiko einen Theaterbau zu errichten und zu be | |||||
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treiben. Interessant ist diese Frage auch
vor dem Hintergrund der gegenwärtig in Berlin immer stärker in Erscheinung
tretenden kommerziellen Theater. Stadttheater als städtischer Regiebetrieb oder
kommerzielles Pachttheater mit kulturellem Anspruch -
so lautete auch vor neunzig Jahren die Frage. Fünf Jahre lang diskutierten die
Wilmersdorfer Stadtväter dieses Problem, um
sich am Ende nicht einigen zu können.
Man hatte damals sowohl als GmbH als auch als AG zu führende Betriebsgesellschaften vorgeschlagen, die bei Häusern in der Größenordnung von 1 600 Plätzen und bei preiswertester Kostenkalkulation für den Zutritt zum Kulturgut Theater sogar Gewinne in Höhe von 8 % Dividende abwerfen sollten. An diesen Gewinnen sollten die Protagonisten anteilmäßig - und zur Motivations- und künstlerischen Leistungssteigerung - finanziell beteiligt werden. In der Tat ein Modell, das aufhorchen läßt. (Betriebswirtschaftler sollten einmal genau untersuchen, ob dieses Modell nicht auch heute - unter anderen Vorgaben - möglich sein könnte.) Und doch konnten sich die Politiker nicht entscheiden, in welches der vorliegenden Projektansätze sie das meiste Vertrauen investieren sollten. Dagegen war - ansonsten tatenlos - die Zusammensetzung der Theaterdeputation wiederholt geändert und zahlenmäßig immer größer geworden. Ursprünglich fünf, dann zehn, zwölf und | schließlich fünfzehn Mitglieder trugen
ihre Bedenken und Oberbedenken dahingehend vor, daß man sich bei 30 Millionen
Goldmark 7) Schulden ein Theater doch recht eigentlich nicht leisten könne. Das war bereits 1911 klar und Gegenstand einer
Meldung im »Berliner Lokal-Anzeiger«
(Abendausgabe) vom 11. 12. 1911, wonach man einen Theaterbau »Privatunternehmen
überlassen« sollte, da Wilmersdorf schon jetzt »30 Millionen M. Schulden« habe.
8)
Mehr als fünf Jahre lang, von 1908 bis 1913, wurde insgesamt verhandelt. Immer wieder wurden neue Gutachten anderer Städte über deren Erfahrung mit städtischen und Pachttheatern eingeholt. Man verzettelte sich und kam über Finanzierungspläne und entsprechende Wirtschaftlichkeitsberechnungen nicht hinaus. Und das, obwohl die Stadt ein hohes Steueraufkommen hatte, sich den U-Bahn-Bau der Wilmersdorfer Bahn vom Wittenbergplatz bis zum Thielplatz leisten konnte, große Parkanlagen wie den Volkspark realisierte, viele - sogar architektonisch aufwendig ausgestattete - Schulen errichten ließ. Für den Bau eines Theaters konnte sich die Stadt nicht entscheiden. Die Stadtväter führten sogar das soziale Argument der »Errichtung eines Armenhauses« gegen das Theater ins Feld. Im Protokoll des Magistrats vom 29. 4. 1913 hieß es denn auch: »Der Magistrat erklärt sich grundsätzlich mit der Errichtung eines Theaters einverstanden. Dagegen glaubt | ||||
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der Magistrat, für die Errichtung eines
solchen z. Zt. nicht eintreten zu können mit Rücksicht auf die Theater-Misere in
Groß-Berlin, die Lage des Geldmarktes, die
großen Aufgaben, die die Stadt in den nächsten Jahren zu lösen hat (Rathaus, Seepark, Armenhaus, Schulbauten,
Untergrundbahn) usw. Der Beschluß wird einstimmig gefaßt.«
9)
Dieses Dokument ist der Beleg für das definitive »Aus« des Wilmersdorfers Stadttheater-Projekts. Das Protokoll liest sich, als sei es 1996 verfaßt: Einschneidende Sparzwänge wegen »Theater-Misere, Schwierigkeiten des Geldmarktes, große Aufgaben«! Obwohl eine wohlhabende Stadt, mochten sich die in Wilmersdorf politisch Verantwortlichen in preußischer Strenge dann doch nicht vor dem Hintergrund der (vorgeschobenen?) Sachzwänge »das Vergnügen« leisten, Steuergelder in einen Musen-Tempel zu investieren. Gut ein Jahr später hatte der Wilmersdorfer Magistrat Gelder für ganz andere Ausgaben aufzubringen: Es ging um die Mitfinanzierung des Ersten Weltkrieges. Dessen Ausgang ist bekannt: Er brachte nicht nur Niederlage, Revolution, Inflation, sondern auch den Wechsel der Staatsform vom Kaiserreich zur Republik, immense Kriegsschulden und lange Jahre einer allgemeinen Verarmung, von der Hitler mit seiner »nationalsozialistischen Bewegung« gehörig profitierte. Ein anderes Deutschland war entstanden. 1920 wurde Wilmersdorf zum | 9. Bezirk von Groß-Berlin, hatte
aufgehört, eine selbständige Stadt zu sein. Die
Wilmersdorfer Theater-Träume waren
endgültig ausgeträumt.
Doch zurück zum Schlußakt - und zur Schlußakte - des Wilmersdorfer Stadttheater-Projekts. Der »verlängerten Gebetswirkung einer angezündeten Kerze« nicht unähnlich: Bis in den Herbst 1913 hinein reichen die - allmählich seltener werdenden - Aufzeichnungen über die letztlich ergebnis- und erfolglosen Verhandlungen. Bürgermeister Peters, ein redlicher Verfechter der Wilmersdorfer Theateridee bis zum Schluß, fungierte schließlich als »Notar des Scheiterns«, wie das letzte Dokument belegt: »Letzte Anweisung >Zu den Akten< vom 30. 9. 13 durch Bürgermeister Peters, ein Angebot, die Übernahme einer Theaterleitung durch Julius Haller und Dr. Fritz Budde vom 21. 9. 13 betreffend. Beigeschlossen ist Buddes (maschinenschriftliche) Denkschrift >Das Wilmersdorfer Theater-Projekt< (42 Seiten DIN A 4). Unter >VIII. Die künstlerische Organisation des Betriebes< wird ein Regie-Theater gefordert, dessen Dekorationswesen ausgezeichnete Künstler versammeln soll, das Schauspieler-Ensemble soll erfahrene und junge Kräfte vereinen; Fazit: >nur so kann das Theater geschaffen werden, das allein für sich in der Lage ist, allen Bedürfnissen des Publikums zu entsprechen, das eine umfassende Kultur-Arbeit leistet, ein | |||||
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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