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Marmor« hergestellt, und endlich wisse man, woher die vier Milliarden Schulden stammen.
     Die Siegesallee wurde im Jahre 1938 im Zusammenhang mit den Neubauplänen Hitlers und seines Chefarchitekten Albert Speer für die monumentale Nord-Süd-Achse an den Großen Stern verlegt, wobei auch die Siegessäule und weitere Denkmäler dort ebenfalls neue Plätze erhielten. Unter der Siegesallee wurde mit dem Bau eines Autotunnels begonnen. Sie ist heute nach der Neubepflanzung des Tiergartens als Prachtstraße nicht mehr zu erkennen.

Vergraben und wiedergefunden

Die bei den Kämpfen der letzten Kriegstage im April 1945 durch Beschuß stark beschädigten Figuren wurden aufgrund eines Alliierten Kontrollratsbeschlusses, der sich gegen »militaristische und faschistische Monumente« richtete, demontiert. Am 7. Juli 1947 beschloß der Berliner Magistrat, die Siegesallee abzubrechen. Die Standbilder Albrechts des Bären und Friedrich Wilhelms IV. sowie fünf büstenförmige Begleitfiguren sollten dem Märkischen Museum zugewiesen, der Rest als »Marmorreserve« im Berliner Schloß eingelagert werden. Dazu ist es aufgrund der politischen Entwicklung nicht mehr gekommen, so daß die für das Museum bestimmten Plastiken im Westteil der Stadt blieben. Die Figuren, die nahe des Schlosses Bellevue zusammengestellt

Helmut Caspar
Kein »bleibender Ehrenschmuck«

Siegesallee nur als Fragment erhalten

Vor einhundert Jahren meißelten prominente Bildhauer fleißig an einem Geschenk, das sich der gerade 37 Jahre alt gewordene Kaiser Wilhelm II. für »seine Berliner« ausgedacht hatte. Die mit prächtigen Fürstenstandbildern - von Albrecht dem Bären bis Kaiser Wilhelm I. - versehene Siegesallee im Tiergarten war im Entstehen (vgl. auch den schon vorliegenden Artikel in Heft 1/1995 der BM). Die Denkmalstraße, die aus Standbildern, Assistenzfiguren und halbrunden Bänken bestand - zog vom Kemperplatz zum Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik. Am 22. März 1898, dem 101. Geburtstag Kaiser Wilhelms I., wurden bereits die ersten drei Denkmäler enthüllt. Die Fertigstellung der Standbilder wurde am 18. Dezember 1901 gefeiert.
     Bereits während der Bauzeit mußte sich der Stifter bohrende Fragen gefallen lassen. Kritiker hielten das Geschenk des Kaisers an die Stadt Berlin für reine Geldverschwendung, und der »Simplizissimus« lobte in einer Karikatur von Thomas Theodor Heine, neuerdings würden »Vogelscheuchen aus


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wurden, sind auf Initiative von Landeskonservator Hinnerk Scheper in der Nähe des Schlosses Bellevue vergraben worden. 1979 holte man sie mit Zustimmung des Bundespräsidenten Walter Scheel wieder ans Tageslicht. 1)
     Im alten Wasserwerk am Halleschen Ufer sind Reste eher abgestellt als aufgestellt.
     Einige Köpfe von Höflingen und Ministern sind außerhalb des Lapidariums schutzlos
1895 bei seinem 37. Geburtstag mit Blick auf die 25-Jahr-Feier des neuen deutschen Kaiserreiches erklärt: »Ein Viertel Jahrhundert ist nahezu verflossen, seitdem das deutsche Volk, dem Rufe seiner Fürsten folgend, sich in Einmütigkeit erhob, um fremden Angriff abzuwehren und in glorreichen, wenn auch mit schweren Opfern erkämpften Siegen die Einigkeit des Vaterlandes, die Wiederbegründung des Reiches errang.«
dem Regen ausgesetzt. Teile der Siegesallee wie das Denkmal Albrechts des Bären und die Büste des Festungsbaumeisters Lynar befinden sich in der Spandauer Zitadelle. In der repräsentativen Ausstellung der Skulpturengalerie der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz »Ethos und Pathos« vom 19. Mai bis 29. Juli 1990 im Hamburger Bahnhof wurden auch Relikte der Siegesallee gezeigt. Sie erfuhren in den wissenschaftlichen Beiträgen im zweibändigen Katalog eine mit dem Abstand von neun Jahrzehnten gerechtere Beurteilung. 2)
     Wilhelm II., der sich als großer Mäzen fühlte, hatte am 27. Januar

»Sogar die Vogelscheuchen sind aus Marmor« - hintergründiges Lob von Th. Th. Heine im »Simplizissimus«


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Berlin habe an der Entwicklung reichen Anteil, schrieb der Monarch in seinem Erlaß. »Zum Zeichen Meiner Anerkennung für die Stadt und zur Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit unseres Vaterlandes will Ich daher einen bleibenden Ehrenschmuck für Meine Haupt- und Residenzstadt stiften, welche die Entwicklung der vaterländischen Geschichte von der Begründung der Mark Brandenburg bis zur Wiederaufrichtung des Reiches darstellen soll ... Die Kosten der Gesamtausführung will Ich auf Meine Schatulle übernehmen.« Was die »städtischen Behörden« von dem Geschenk hielten und ob sie nicht viel lieber ein Krankenhaus gesehen hätten, ist nicht überliefert. Dennoch wurde das kaiserliche Geschenk dankend angenommen. Die Ruhmesstraße werde Zeugnis ablegen von der erhabenen und pietätvollen Gesinnung Seiner Majestät, erklärte die Stadtverwaltung. »Sie wird uns und künftigen Geschlechtern künden von den Großthaten unserer Fürsten, das Wirken hervorragender Männer, die theure Hingabe des Volkes; wir werden von ihr lernen und der Lehre, die sie uns gibt, nachleben.« Der Kaiser verlangte, daß die Fürsten in fortlaufender Reihe dargestellt werden. Die Aufstellung der 32 Vertreter der Askanier, Wittelsbacher, Luxemburger und Hohenzollern sollte Kontinuität von grauen Vorzeiten bis in die Gegenwart dokumentieren. Auf diese Weise sollte der Anteil vor allem der Hohenzollern an der deutschen Geschichte unterstrichen werden. Die Historie war in dieser Sicht eine Abfolge durchweg ruhmvoller Taten, und die dargestellten Herrscher zeigten sich ohne Fehl und Tadel. Schüler bekamen im Angesicht der Marmorfiguren »vaterländischen Unterricht«. 3)

Zille als »Bauernschlächter«

Bis ins Detail überwachte der Monarch, was 25 Bildhauer um die Jahrhundertwende unter der Gesamtleitung des bei Hofe besonders geschätzten Bildhauers Carl Begas aus carrarischem Marmor schufen. Der einflußreiche Hofhistoriograph und Direktor der preußischen Staatsarchive Reinhold Koser lieferte die geschichtliche Munition und schlug vor, welche Persönlichkeit welchem Herrscher beigeordnet werden soll. Ursprünglich sollte dem Standbild nur eine Assistenzfigur beigefügt werden. Am Ende kamen zwei Büsten auf die Bänke.
     An der »Puppenallee« waren namhafte Künstler beteiligt, die Crème der deutschen Bildhauerei um 1900 - Begas, Calandrelli, Eberlein, Herter, Kraus, Lessing, Schaper, Schott, Siemering und Uphues. Die 32 Standbilder (darunter eine Doppelgruppe) und die 64 Büsten sind mehr oder minder authentische Bildnisse von Militärs und Ministern, Gelehrten und Künstlern. Einige Ungereimtheiten fallen auf. So flankiert Johann Sebastian Bach das Standbild Fried


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richs des Großen. Jedem Schulkind war bekannt, daß der flötenspielende Herrscher mit der Musik des Leipziger Thomaskantors nicht viel anfangen konnte und ihn bei seinem Besuch in Potsdam hatte abblitzen lassen.
     Mitunter hatten die Künstler Probleme mit den Vorlagen. Denn wie mögen wohl Heinrich das Kind, Otto der Faule oder Ludwig der Römer ausgesehen haben? Bilder, Siegel- und Münzdarstellungen, ja auch Beschreibungen gab es von den ältesten Herrschern nicht. Bisweilen haben sich Bildhauer damit geholfen, daß sie sich selbst in historischer Gewandung darstellten. Walter Schott gab Albrecht dem Bären sein Gesicht, und August Kraus porträtierte seinen Freund Heinrich Zille als Ritter Wedigo von Plotho. Der bärtige Adlige mit dem Beinamen »Bauernschlächter« flankiert das Standbild des Markgrafen Heinrich das Kind, der als letzter Askanier nur ganz kurze Zeit - 1319/20 - regierte. Ein Foto zeigt Zille, die Büste des Wedigo von Plotho und den Bildhauer Kraus.
     Die Siegesallee verschaffte einigen frühen Herrschern den gleichen historischen Rang wie späteren wirklich bedeutungsvollen Landesherren. Wilhelm II. übersah solche Manipulationen geflissentlich und erklärte am 18. Dezember 1901 bei der Weihe der kompletten Siegesallee: »Mit Stolz und Freude erfüllt Mich am heutigen Tage der Gedanke, daß Berlin vor der ganzen Welt dasteht mit einer Künstlerschaft, die so
Großartiges auszuführen vermag. Es zeigt das, daß die Berliner Bildhauerschule auf einer Höhe steht, wie sie wohl kaum je in der Renaissancezeit hätte sein können.« Kritische Zeitgenossen fanden den kaiserlichen Vergleich zwischen der Puppenallee mit den genialen Schöpfungen etwa eines Michelangelo unpassend und überzogen die Herrschergalerie mit Spott. Man nannte die »Puppenallee« ein »Marmorameer«, in dem die »Steinzeit noch in voller Blüte« steht, und fragte nach der Stelle im Tiergarten, die noch von keinem Denkmal besetzt ist. Kaisertreue Zeitgenossen indes hielten die Fürstengalerie für große, patriotische Kunst. Übersehen worden ist, daß deutsche Geschichte auf das Haus Brandenburg reduziert wurde, auf oft ganz unbedeutende Monarchen, die keine historischen Spuren hinterlassen haben.

Feuergefährliche Aufsätze

Lange blieb unbekannt, daß ein Lehrer am renommierten Joachimsthalschen Gymnasium Aufsätze über die Bildwerke schreiben ließ. Wilhelm II. hörte davon und ließ sich einige analytische Betrachtungen über das Thema »Die Beinstellung der Denkmäler in der Siegesallee« vorlegen. »Gleich beim ersten Anblick fällt uns die Mannigfaltigkeit der Beinstellung auf, aber alle sind künstlerisch schön«, lobte ein Schreiber in seinem Hausaufsatz. Mit Blick auf antike Skulptu


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renfragmente behauptet der Schüler, man könne aus der Stellung der Beine in den meisten Fällen auf die Figur schließen, sollte sie nicht existieren. Das gefiel dem Kaiser, und er schrieb ein »gut!« an den Rand. Wilhelm II., der die Aufsätze auf einer seiner Nordlandfahrten las, korrigierte den vom Lehrer als »genügend, einzeln besser« bewerteten Aufsatz mit einem »bravo! W. sehr gut«. »Ganz leidlich« fand der Kaiser, was ein anderer Schüler herausfand. Bei Friedrich Wilhelm II. erkannte er an der »lehnenden Stellung« der königlichen Beine einen »Mangel an Thatkraft«, und in den Waden Friedrichs des Großen glaubt er, den »rastlosen Herrscher« erkennen zu können.
     Die Schulaufsätze hatten noch ein Nachspiel, denn Beamte in der Umgebung des Monarchen argwöhnten, daß die Freizeitbeschäftigung ihres Herrn ruchbar werden könnte. Ein Kaiser, der sich mit solchen Schüleraufsätzen abgibt, wäre ein Fressen für die Oppositionspresse gewesen. Daher ließen besorgte Beamte die durch Wilhelm II. »veredelten« Hefte im Archiv des Hohenzollernmuseums verschwinden. Dessen Direktor Paul Seidel wurde aufgefordert, die »feuergefährlichen Hefte« zu separieren, denn es scheine nicht erwünscht, »daß die Randbemerkungen Seiner Majestät des Kaisers und Königs zu diesen Schüleraufsätzen in absehbarer Zeit weiteren Kreisen bekannt werden. Nach Dezennien wird die Sache anders liegen!« Seidel befolgte die
Aufforderung des Ministeriums für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten und sorgte dafür, daß die Kopien versiegelt und »dem Publikum sowie Unterbeamten unzugänglich aufbewahrt« werden.
     Erst 1960 wurden die Betrachtungen in Berlin durch R. E. Hardt erstmals publiziert und 1990, erneut mit einem Kommentar versehen, veröffentlicht. 4) Der Name R. E. Hardt ist ein Pseudonym. Hinter ihm verbirgt sich der ehemalige Chefredakteur des »Neuen Deutschlands«, Rudolf Herrnstadt.

Anmerkungen:
1 Geschichtslandschaft Berlin. Orte und Ereignisse, Band 2. Tiergarten, Teil 1. Herausgegeben von der Historischen Kommission Berlin, Berlin 1989, S. 37 ff.
2 Kritik und Künstlerbiographien im zweibändigen Katalog der Ausstellung »Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786-1914«. Herausgegeben von Peter Bloch, Sibylle Einholz und Jutta von Simson. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz 1989
3 Eine vollständige Auflistung enthält das Buch von Hermann Müller-Bohm »Die Denkmäler Berlins in Wort und Bild«, Berlin o. J. (um 1905)
4 Die Beine der Hohenzollern. Schüleraufsätze von 1901 über die Figuren der Berliner Sieges-
allee. Kommentiert von Helmut Caspar, Berlin 1990

Bildquelle: Archiv Autor


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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