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Feuerwehr

Brand Director.
     Brand-Inspector.
     Brandmeister.

Bernd Siegmund
19. Dezember 1859:
Berlin baut sich ein Feuerwehrhaus

Von der Statistik her gesehen war das Jahr 1859 nichts weiter als Durchschnitt. 261mal brannte es in Berlin. 17 Brände gehörten in die Kategorie »große Brände«, 32 verdienten sich das Prädikat »mittlere«, und in 212 Fällen rückte die Berliner Berufsfeuerwehr zu kleineren Bränden aus. Elfmal wurden die Feuermänner aus »Schabernack« alarmiert. Unter den 212 Kleinbränden hatte sich 12mal ein Schornstein entzündet, 30mal fingen Gardinen leichtfertig Feuer. Der Januar war mit 36 Bränden der feuergefährlichste Monat des Jahres, der Sonnabend mit 46 Einsätzen Hauptkampftag. Besonders häufig, 23mal nämlich, zeigte die Uhr die 19. Stunde, wenn es in Berlin brannte. 4mal schlug der Blitz ein, 46mal wurde fahrlässig mit Licht und Zündmaterial umgegangen, neunmal kam es zu Gasexplosionen, 86mal blieb die Brandursache unermittelt. Es brannte u. a. in zwei Apotheken, in einer Destillation, in zwei Gewächshäusern, einer Fournierschneide-Anstalt, zwei Kasernen, drei Müllgruben, acht Tischler-Werkstätten, kurz gesagt: Auch 1859 gehörte Feuer in der 550 000-Einwohner-Stadt zur normalsten

Feuerleute.
Dienstgrade der Berliner Berufsfeuerwehr 1851
Spritzenmann. Ober Feuermann
1851.
Sache der Welt. Die Berliner, die einerseits ihre Feuerwehr liebten, rissen andererseits Witze über sie. Trafen sich Meier und Lehmann in der Alexanderstraße, wo gerade mal wieder ein Haus abgebrannt war.

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Sagt Meier zu Lehmann: »Weißt du, womit sich die Feuerwehr bedeckt?«
Lehmann: »Na, mit die Lederkappe ...«
Meier: »Nee, mit Ruhm bedeckt se sich!«
Ein Ruhmesblatt der Berliner Feuerwehr trägt das Datum 19. Dezember 1859. An diesem Tag wurde offiziell um 19.43 Uhr das erste kommunale Feuerwachgebäude der Berliner Feuerwehr in der Linienstraße 128/129 in Dienst gestellt.
     Die neue Feuerwache, entworfen von Stadtbaurat Holtzmann, hatte drei Stockwerke. Im Erdgeschoß befand sich eine große Halle mit sechs Straßenausfahrten. Hinter den verschlossenen Toren derselben standen zwei Wachtspritzen, je ein Wasser-, Personen- und Utensilienwagen sowie eine große Maschinenleiter. Die erste Etage gehörte den Mannschaftsunterkünften, während im zweiten Obergeschoß die Dienstwohnungen der Brand-Inspektoren bzw. Brandmeister, der Feldwebel und Oberfeuermänner lagen. Das Gebäude war nicht unterkellert. Die Pferde wurden auf einem kleinen, dreieckig geschnittenen Hof in Stallungen gehalten, da ihr Geruch auf die Dauer für die Feuerwehrmänner unzumutbar war. Die Pferde standen stets angeschirrt und waren einsatzbereit. Ihre tägliches Futter bestand aus »3 3/4 Metze Hafer, 8 Pfuder Heu und 5/7 Bund Stroh«. Der in den Ställen »aufkommende Pferdedünger« war »contractlich an den Meistbietenden verpachtet«. Ferner gab es im Haus Werkstätten für kleinere Schlos
ser-, Sattler- und Tischlerarbeiten, Baderäume für die Mannschaften und offene Holzschuppen zum Trocknen der Kleidung.
     Obwohl ein Neubau, war der Hof der Feuerwache in der Linienstraße zu klein geraten. Feuerwehrübungen sowie die Ausbildung der Löschmannschaften fanden auf der Berliner Hauptwache, Breite Straße 15, statt. Auch das Anspannen der Pferde geschah auf der Straße.
     Als die Berliner Feuerwehr am 19. Dezember 1859 das Gebäude in der Linienstraße 128/129 bezog, war es das erste seiner Art in Deutschland. Neu daran war nicht so sehr der Umstand, daß es sich um ein Haus handelte, das für die Bedürfnisse des Dienstbetriebes einer Feuerwehr maßgeschneidert war. Das traf auch auf die 1854 erbaute Feuerwache in der Großen Hamburger Straße 13/14 zu. Neu war, daß die Kosten des Baus von der Kommune Berlin getragen wurden.
     Diese Tatsache verdient ein dickes Ausrufezeichen. In der Linienstraße war die Feuerwehr erstmals in ihrer Geschichte ihr eigener Herr. Mußte keine Miete an die Polizei und die städtische Straßenreinigung zahlen, deren Räume sie bis dato »mitbewohnt« hatte. Ergeben hatte sich dieses Untermieter-Verhältnis bei der Neuorganisation der Berliner Feuerwehr im Jahre 1851. Da teilte man das Stadtgebiet in fünf Bezirke, Brandinspektionen, auf. In jedem einzelnen Bezirk wurden an zentraler Stelle Feuerwa

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Brand in Berlin - Lithographie um 1870
chen eingerichtet. Da nicht genügend geeignete Gebäude zur Verfügung standen, »kroch« die Feuerwehr bei anderen unter. Die monatlichen Mietkosten, die sich der Polizeipräsident dafür zahlen ließ, waren erheblich. Durch den Bau von städtischen Einrichtungen versuchte die Kommune nun, die laufenden Kosten zu senken. Abschaffen konnte sie sie nicht. Denn Berlin brauchte den »Luxus« einer Berufsfeuerwehr.
     Immer wieder hatten in der Vergangenheit verheerende Brände die Stadt heimgesucht.

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Hilflos standen die Bürger dieser »Naturgewalt« gegenüber. Hatten die Flammen erst einmal ihr Fressen gefunden, vermochte das irgendwann von irgendwoher anrückende freiwillige, unorganisierte und untrainierte Einwohnerlöschaufgebot nur noch wenig auszurichten. Die Chronologie der »wichtigsten« Berliner Großbrände der Jahre 1800 bis 1851 liest sich so:
- Am 20. September 1809 brannte erneut (nach 1730) die Petrikirche ab. 42 Krambuden, die im Schatten des Gotteshauses standen, wurden ebenfalls vom Feuer vernichtet.
     - Am 29. Juli 1817 ging das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Flammen auf. Der Brand war so gewaltig, daß noch 14 Tage danach Schutt und Trümmer glühten.
     - Am 3. April 1838 kam es zu einem verheerenden Großbrand auf dem Mühlendamm, Augenzeugen berichteten, daß die Folgen grauenhaft gewesen seien.
     - In der Nacht vom 18. zum 19. August 1843 stand das Opernhaus Unter den Linden in Flammen. Einem Zeitgenossen zufolge breiteten sich die Flammen »mit unglaublicher Geschwindigkeit« aus. »Bald brannte das ganze Haus in seinem Innern. Es war eine Nacht der Angst für die Berliner ... Fast eine halbe Stunde vom Brandorte entfernt konnte man ... in den Zimmern lesen, so hell leuchteten die Flammen ...«
Dieser Brand war der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Überall in Deutschland überlegte man, wie und mit welchen Mitteln die Geißel Feuer zu besiegen sei. Beantworten sollte diese Frage in Berlin ein Mann, der gerade mal 39 Jahre alt war: Ludwig Scabell.
     Scabell, im Hauptberuf Bauinspektor, wurde am 1. Februar 1851 vom Polizeipräsidenten von Hinckeldey zum Königlichen Branddirektor ernannt. Scabell gilt als Vater der Berliner Feuerwehr. Der ältesten Berufsfeuerwehr Deutschlands. Sofort nach seiner Ernennung machte er sich ans Werk.
     Als erstes krempelte er das seit 1672 bestehende Alarmsystem um, in dem die Nachtwächter eine besondere Rolle spielten. Sie trugen ständig zwei Hörner mit sich herum, von denen das eine hoch, das andere tiefer gestimmt war. Der hohe Ton signalisierte ein Feuer auf der rechten, der tiefe eines auf der linken Seite der Spree.
     Trotz dieser klaren musikalischen Zuordnung spielten sich bis 1851 die unglaublichsten Dinge ab, wenn der Ruf »Feurio« ertönte. Ein Augenzeuge: »Alle Nachtwächter tuteten, auf den Militairwachen schmetterten die Hörner, wirbelten die Trommeln, und von allen Thürmen läuteten die Glocken. Ein Höllenlärm, der natürlich die ganze Stadt aus dem Schlafe störte. Allgemeine Unruhe und Angst. Niemand wußte, ob es im eigenen Hause, oder ob es im entgegengesetzten Stadtviertel brannte, auch die

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Feuermänner natürlich nicht ... Nachdem diese ihre Kleider und Löschgeräte zusammengesucht, sich eventuell erst durch einen Morgenkaffee gestärkt, machten sie sich auf den Weg nach dem Spritzenhause. Die Spritzen waren da, aber die Pferde wollten immer noch nicht kommen. Inzwischen wurde der nächste Thürmer requiriert, um nach dem Feuer auszuschauen. Der alte Mann kletterte die hundert und einige Stufen hinauf und kam nach einer halben Stunde mit der Nachricht zurück, daß ihm das Feuer in der Gegend des Oranienburger Thores zu sein schiene. Weil die Pferde noch immer nicht eingetroffen waren, faßten die wackeren Bürger einen heroischen Entschluß und spannten sich selber vor die Spritze. So ging es rüstig durch die Straßen, bis die Spritze von den Pferden eingeholt wurde ...« - Szenen dieser Art sollten nie mehr vorkommen. Das schwor Scabell sich und den Berlinern. Er sorgte nach 1851 mit eiserner Hand dafür, das endlich zusammenkam, was zusammen gehörte: Feuer und Feuerwehr. Depot und Wache. Ein schnell und sicher funktionierendes Alarmsystem und eine zum Einsatz bereite Mannschaft. Die Spritze bei Fuß stand. Wie in dem eigens dafür konzipierten Haus in der Linienstraße 128/129. Es ist heute das älteste Feuerwehrgebäude Berlins, wird genutzt durch die Freiwillige Feuerwehr.
     Die zündenden Ideen, mit denen Scabell die Berliner Feuerwehr umkrempelte, wa
ren ausgesprochen revolutionär. Er untersagte, daß jeder, der wollte, auch durfte.
     »Seine« Feuerwehrmänner mußten zwischen 18 und 40 Jahre alt sein, in geordneten Familienverhältnissen leben, geistig und körperlich gesund sein. Sie sollten idealerweise Maurer sein oder Zimmerer, eine Feuerwehraxt tragen und eine einheitliche Uniform. Um sie schnell ans Feuer zu führen, erfand Scabell das »Blaulicht«, das Vorfahrtrecht im Straßenverkehr, und die Sirene. Besser gesagt, die Vorläufer dieser Sondersignale. Seinem Wissen ist zu danken, daß die Berliner Feuerwehr dazu überging, Brände grundsätzlich im Inneren anzugreifen, sie mit möglichst wenig Wasser zu löschen.
     Scabell war ein Feuerwehr-Genie. Und ein erfolgreiches obendrein. Schon bald nach seinem Amtsantritt sprach alle Welt in Deutschland und Europa von der sogenannten Berliner Taktik. Der Branddirektor wurde ein berühmter Mann. Schon bald nach seinem Amtsantritt dichteten die Berliner: »Gebrochen ist des Feuers Macht, seitdem Scabell darüber wacht.«

Bildquelle:
Albert Ballhorn: Das Polizei-Präsidium zu Berlin, Verlag der Deckerschen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei, Berlin 1852; Feuerwehr-Museum Berlin


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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