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langte, aus seiner Mitte drei Prediger zu bestimmen, die gemeinsam mit dem Direktor die einzustellenden Lehrer prüfen, den Unterricht überwachen und die sonstigen Angelegenheiten der Schule leiten sollten.
     Die Schule wurde mit drei Klassen und fünf Lehrern in einem Mietshause in der Stralauer Straße, nahe dem Stralauer Tor, eingerichtet. Erster Direktor und Inspektor in einer Person war der französische Richter Charles Ancillon (1659-1715), dem allerdings eine Gelehrtenschule nach französischem Vorbild, ein akademisches Gymnasium, vorschwebte. Vom Großen Kurfürsten (1620-1688) zum Juge et Directeur de la Colonie de Berlin ernannt, hatte ihn dieser schon 1687 beauftragt, die Vorbereitung zur Gründung eines Gymnasiums der französischen Kolonie zu treffen. Offiziell ging das neue Gymnasium in der schon 1684 ins Leben gerufenen Acadèmie Françoise de Berlin auf, wobei die Schule mit einer Akademie im heutigen Sinn wenig zu tun hatte.
     Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes am 18. Oktober 1685 durch Ludwig XIV. (1638-1715) und dem darauf folgende Edikt von Potsdam (8. November 1685) durch den Großen Kurfürsten drängten immer mehr französische Flüchtlinge nach Berlin. Die meisten kamen vom Lande, aber auch die Zahl der Städter war groß. Rasch wuchs die französische Kolonie.
     Innerhalb des brandenburgischen Staates hatte sich eine unabhängige französische
Jutta Schneider
1. Dezember 1689:
Das Französische Gymnasium wird gegründet

An 1. Dezember 1689 wurde mit dem Collège François, wie das Französische Gymnasium offiziell genannt wurde, das dritte Berliner Gymnasium begründet. Zuvor gab es das 1574 eröffnete Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster und das 1607 gegründete, 1640 nach Berlin umgezogene, Joachimsthalsche Gymnasium. Im Gründungspatent der neuen Schule heißt es: »Wir haben beschlossen, behufs der Erziehung der Kinder der Refugié auf Unsere Kosten ein Gymnasium zu gründen, in welchem wie das in Frankreich geschieht, die Kinder nicht nur zur Gottesfurcht und zu guten Sitten erzogen, sondern auch unentgeltlich im Lateinischen, in der Beredtsamkeit, der Philosophie und Mathematik ...« Das Dokument ist unterschrieben vom Kurfürsten Friedrich III. (1657-1713) und gegengezeichnet von seinem Minister Eberhard Christoph von Danckelmann (1643-1722). Der Kurfürst bewilligte für die neue Schule 450 Taler, das französische Konsistorium fügte jährlich 100 Taler hinzu, wodurch es das Recht er


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Selbstverwaltung entwickelt. Das Fehlen einer französischen Schule in Berlin machte sich schnell negativ bemerkbar. »Das städtische Bürgertum Frankreichs verfügte im siebzehnten Jahrhundert in der Regel bereits über eine gründliche schulische Bildung: Mädchen und Jungen konnten lesen und schreiben, und die Jungen hatten meist auch Latein gelernt, die Bildungssprache des europäischen Bürgertums der Zeit«, schrieb der französische Historiker Antoine Teissier (1632-1715), Inspecteur des französischen Konsistoriums für das Französischen Gymnasium.
     Die Hugenotten blieben allerdings nur wenige Jahre unter sich, dann drängten die Söhne des Berliner Bildungsbürgertums in das Französische Gymnasium hinein. Über drei Jahrhunderte hat sich das Gymnasium bemüht, den Berlinern französische Bildung und Kultur vermittelt. 1945 ging das Archiv des Gymnasiums in Flammen auf. Jedoch haben die Akten des Geheimen Staatsarchives in einem Salzbergwerk bei Halle den Krieg unversehrt überstanden. Ebenso wie die aus dem Gymnasium im französischen Konsistorium. Christian Velder, selbst Schüler des Französischen Gymnasiums von 1940-1948 und später langjähriger Direktor, hat 1989 aus diesen Quellen (und vielen anderen) unter dem Titel »300 Jahre Französisches Gymnasium in Berlin« eine nach Jahrhunderten gegliederte Geschichte dieser bedeutenden Bildungseinrichtung vorgelegt.
120 Lehrer und Schüler aus drei Jahrhunderten werden in ihr vorgestellt. Zu den Porträtierten gehören u. a. Kurt Tucholsky (1890-1935) und Adelbert Chamisso (1781-1838). Das Französische Gymnasium, in seiner Geschichte mehrmals umgezogen, war über 170 Jahre in der Niederlagstraße, nahe Unter den Linden, zu Hause. 1874 zog es in einen Neubau in der Dorotheenstraße. 1952 fusionierte es mit dem von den französischen Alliierten in Reinickendorf errichteten Collège François, das seit 1974 in der Derfflingerstraße 7 im Bezirk Tiergarten seinen Sitz hat. Seine stattliche Bibliothek befindet sich gleich nebenan in der Villa Wuttke.
     800 Schüler, hauptsächlich deutsche, lernen heute in dieser geschichtsträchtigen Einrichtung und erwerben am Ende der 9. Klasse das brevet des collèges, das Zeugnis der mittleren Reife an französischen Schulen.

Quellen:
Verder, Christian: 300 Jahre Französisches Gymnasium in Berlin. Berlin 1989
Dr. Eduard Muret: Geschichte der Französischen Kolonie 1685 - 1885. Berlin 1885
Französisches Gymnasium: Beitrag in den Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 1 1890, S. 119
Berlin Handbuch. Das Lexikon der Bundeshauptstadt. Berlin 1992, S. 391/392


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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