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Der »Wintergarten«, eines der wichtigsten Werke des französischen Impressionismus, steht im Mittelpunkt der zur Zeit laufenden Ausstellung in der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin »Manet bis van Gogh - Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne«. Flankiert wird das Bild von van Goghs farbenprallen Landschaften und schwungvollen Zeichnungen von Segelbooten und sonnenüberfluteten Feldern, die gerade abgeerntet werden. Dazu Cézannes und Matisses Blumenstilleben, Monets Straßenszenen, Renoirs Porträts junger Frauen, von Rodins Büsten oder Toulouse-Lautrecs Skizzen aus dem Alltagsleben an der Seine. Ungewöhnlich in der Nationalgalerie sind Fotografien, die in Rodins Bildhaueratelier aufgenommen wurden. Die Ausstellung schildert den dornigen Weg Berlins zu einem Zentrum der Moderne, eine Entwicklung, an der Tschudi bedeutenden Anteil hatte. Leihgaben kommen aus München, Essen, Hamburg, Bremen und anderen Städten.
     Der aus altem Schweizer Adel stammende Kunsthistoriker war vor einem Jahrhundert naiv genug zu glauben, mit seiner Auswahl unbekannter Bilder den Berlinern ein »Weihnachtsgeschenk« zu machen. Dergleichen hatte man noch nie gesehen. Der Eklat war perfekt. Als der Galeriedirektor daranging, gar die Ordnung in der Nationalgalerie auf den Kopf zu stellen und die französischen Impressionisten im Allerheiligsten zu
Horst Koch

Warnung vor den
»violetten Schweinen«

Hugo von Tschudis Kampf für französische Impressionisten

»Der deutschen Kunst« steht in goldenen Lettern am Giebel der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel. Das Haus, in das man zur Zeit nur durch einen provisorischen Seitengang gelangt, weil vorn restauriert wird, war vor 100 Jahren Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen Vertretern »vaterländischer Kunst« und Anhängern der Moderne, insbesondere des französischen Impressionismus. Hugo von Tschudi, 1896 zum Direktor der Nationalgalerie berufen, legte sich mit der Macht an. Der Kunsthistoriker hatte es gewagt, einige Neuerwerbungen, die er gerade von einer Reise mit Max Liebermann nach Paris mitgebracht hatte, im Allerheiligsten des »nationalen Bilderspeichers« auszustellen. Darunter befand sich Edouard Manets 1878/79 gemalter »Wintergarten«. Moralapostel sahen Anzügliches in der Unterhaltung eines Mannes und einer Frau unter Palmen. Noch im Jahre 1904 erregten sich Landtagsabgeordnete über den »skandalösen Ankauf«.


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plazieren, schritt Kaiser Wilhelm II. ein. Er hielt solche »Gossenkunst« für unzumutbar. Es kam zum Eklat.
     In dem Streit vor 100 Jahren, dokumentiert auch im umfangreichen Buch zur Ausstellung (Prestel Verlag München, 463 S., 42 DM), gleichsam eine Tschudi-Bibel, so Galeriedirektor Klaus-Peter Schuster, ging es um hohe Politik. Kunst vom Erbfeind und dann noch in dieser »Verpackung« war zu viel für deutschnationale Kreise. Der Kaiser, der gerade in Berlin die marmorne Siegesallee errichten ließ, hatte Wilhelm Bode auf seiner Seite. Als Freund der Renaissance verargte der 1914 geadelte Generaldirektor der Königlichen Museen Tschudi zudem, Geld bei den gleichen Mäzenen zu besorgen, die er selber um Unterstützung anging.
     Der Monarch, der sich in Kunstdingen als höchste Instanz verstand, ließ sich Tschudis Extratouren nicht bieten. Schließlich besaß er das Privileg, über Ankäufe und Schenkungen an die Königlichen Museen zu entscheiden. Um den Kaiser umzustimmen, veranstaltete Tschudi in den gleichen Räumen, in denen die heutige Ausstellung gezeigt wird, eine Ausstellung. Man sieht förmlich den Kaiser in weißer Gardeuniform nach Luft schnappen. Nach dem »System Bode« wurde damals Geld für Ankäufe privat vorgestreckt und später vom Staat zurückgefordert. Mit der Bemerkung »Nur keine violetten Schweine!« stimmte Wilhelm II. zwar bei einigen Bildern zu, ließ
aber Tschudi wissen, die Franzosen sollten gefälligst erst einmal zeichnen lernen.
     Dann empfand der prestigesüchtige Kaiser sein Zurückweichen als Niederlage und zog sein Einverständnis zurück. Tschudi kam in Bedrängnis, hatte er doch bereits einem Kunsthändler Zusagen über 400 000 Mark gemacht. Das Geld wurde daraufhin bei reichen Mäzenen besorgt. Damit war die »Affäre Tschudi« nicht beendet. Dem Kunsthistoriker wurden vom Ministerium Steine in den Weg gelegt. Bode betrieb seine Ablösung. In bösen Presseartikeln wurde Tschudi unterstellt, Interessen von Kunsthändlern zu vertreten. Die konservative »Kreuz-Zeitung« behauptete sogar, er würde die Geschäfte jüdischer Kreise betreiben, indem er »der ganz extrem internationalen, sezessionistischen, impressionistischen, franzosenfreundlichen, hypermodernen Richtung« huldigt.
     Tschudi wurde in den Zwangsurlaub geschickt und verließ 1909 Berlin. Als Generaldirektor der Bayrischen Staatsgemäldesammlung in München, die vom 24. Januar bis 11. Mai 1997 die gleiche Schau in der Alten Pinakothek zeigen wird, beschritt er gegen große Widerstände unerschrocken seinen Weg, kaufte Impressionisten wie bisher in Berlin. Die Münchener Sammlung erlangte unter dem Direktorat des 1911 verstorbenen Tschudi internationalen Glanz.
     

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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