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den 26, dort, wo später das Café Bauer eröffnet wurde und übrigens auch 1884 die ersten elektrischen Lampen in Berlin brannten. In dem schlichten, zweistöckigen Eckhaus der Südseite der Linden und der Friedrichstraße wohnte Caroline von Humboldt in den Tagen der Befreiungskriege. Sie schrieb am 29. Dezember 1815 an ihren Mann, Wilhelm von Humboldt, der an den Friedensverhandlungen in Frankfurt am Main teilnahm: »Weihnachten ist auf das schönste ausgefallen...An zwei Enden eines langen Tisches brannten zwei kleine Weihnachtsbäume, einen bescherte die Gräfin Düben mit allerlei Spielsachen, die drum herumstanden, ihren Kleinen, den andern ich dem Hermann. Seine Hauptspielsachen waren ein Theater, ein sehr schönes Bauspiel, eine Schwadron Kosaken usw. In der Mitte des Tisches lagen und standen Carolinens, Adelheids und Gabriellens Geschenke, auf einem Stuhl daneben Augusts Geschenk, ein Geschirr auf zwei Wagenpferde. Da sich die Schwestern auch noch untereinander beschenkt hatten, so war Raum genug, und die erleuchtete Krone und alle übrigen Lichter und Lichterchen machten den Anblick außerordentlich hübsch. Wenn nur Du dagewesen wärst! Alle waren höchst zufrieden und danken, denn ich habe alles mit in Deinem Namen geschenkt...« 2)
     Der Weihnachtsabend 1815 war die Geburtsstunde des ersten Berliner Lichterbaums. Vorher war der Baum beispielsweise
Hans-Joachim Beeskow
Der erste
Berliner Lichterbaum

E. T. A. (Ernst Theodor Amadeus) Hoffmann (1776-1822), u. a. bekannt als Schriftsteller, Komponist und Zeichner, schrieb auch das im Jahre 1818 erschienene und berühmt gewordene Märchen über den »Nußknacker und Mäusekönig«. Hier findet sich die folgende Textpassage: »Der große Tannenbaum in der Mitte trug viele goldne und silberne Äpfel, und wie Knospen und Blüten keimten Zuckermandeln und bunte Bonbons und was es sonst noch für schönes Naschwerk gibt, aus allen Ästen. Als das Schönste an dem Wunderbaum mußte aber wohl gerühmt werden, daß in seinen dunklen Zweigen hundert kleine Lichter wie Sternlein funkelten und er selbst in sich hinein- und herausleuchtend die Kinder freundlich einlud, seine Blüten und Früchte zu pflücken. Um den Baum umher glänzte alles sehr bunt und herrlich - was es da alles für schöne Sachen gab -ja, wer das zu beschreiben vermöchte.« 1)
     E. T. A. Hoffmann reflektiert und thematisiert in diesem Märchen auf seine Weise ein Berliner Ereignis, das am Weihnachtsabend des Jahres 1815 großes Aufsehen erregte: Viele Berliner standen am genannten Abend vor dem Haus in der Straße Unter den Lin


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Der Berlinische Weihnachtsmarkt in der Breiten Straße, um 1796
mit Kartoffeln geschmückt. Erst seit dem Jahre 1851 gab es den Baum auf dem Schloßplatz in größeren Mengen zu kaufen. Er löste dann allmählich die Berliner Pyramide als weihnachtliche Symbolik ab, die auf dem Weihnachtsmarkt erhältlich war. Dieser Markt hat eine lange Tradition, die bis etwa ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Zunächst war er beschränkt auf den Verkauf von sogenannten Devotionalien, wie es noch heute an Wallfahrtsorten üblich ist. An den Mauern der Berliner Pfarrkirchen von St.-Nikolai, St.-Petri (heute nicht mehr vorhanden) und St.-Marien wurden in den Wochen vor dem Christfest Pilgerandenken, geweihte Kerzen und Honigkuchen verkauft.
     Im Verlauf der Jahrhunderte wurde aus dem ursprünglichen Christmarkt (so sein Name) der spätere Weihnachtsmarkt; ein Treffpunkt und Ort der Kleinhändler und

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Weihnachtseinkäufer. Neben Buden, die Backwerk verkauften, machten sich auch Verkaufsstände auf dem Weihnachtsmarkt breit, in denen Spielwaren, Andenken, Pelz- und Naschwerk angeboten wurden. Zu ihnen gesellten sich Schwertschlucker, Bänkelsänger und Karussels, später die alles übertönenden Orchestrions.
     An der Entwicklung vom Christzum Weihnachtsmarkt nahm im Jahre 1769 der Berliner Aufklärer und Journalist Carl-Friedrich Wegener Anstoß. Er beklagte u. a.: »Man stelle sich diesen Markt mit allen seinen Possen vor. Wird man ihm, ohne Lästerung, einen so erhabenen Namen (Christmarkt, d. V.) geben können? Der Weihnachtsmarkt ist ein Sammelplatz von Menschen von verschiedenstem Geschmack. Dem einen gefällt eine Puppe, dem anderen ein Flitterwerk, dem dritten etwas Brauchbares, und der größte Theil giebet baares Geld für Possen hin. Der Kluge siehet dem Thoren von ferne zu; und verlachet ihn.« 3)
     Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ist Carl-Friedrich Wegener dafür verantwortlich zu machen, daß sich der Name Weihnachtsmarkt durchsetzte. Berühmt und berüchtigt war der Mutterwitz der Verkäuferinnen und Verkäufer. Mit erhobener Stimme riefen sie zum Beispiel die folgenden Sprüche in die Menge:
»Een Dreier det Schäfken, een Jroschen nur der Hampelmann, der Arm und Been bewejen kann.«
»Een Jroschen de laufende Maus, janz jrau sieht se aus, det kleene Aas macht vorn Taler Spaß.«
Das Berliner Bäcker- und Konditorhandwerk bot Pfefferkuchenherzen an:
»Ob Zwiebel oder Bolle, ick liebe meine Olle.«
»Det lange Hinziehn hat keen Zweck, willst du mein Herz nich, schmeiß es weg.«
»Dieser Kuchen schmecke dir, wie der erste Kuß von mir.«
»Willst du ein süßes Herz dir suchen, so kaufe diesen Pfefferkuchen!«
»Diesen Kuchen schenk' ick dir, damit du nicht mehr zankst mit mir.«
»So nimm hier diese Kleinigkeit, und denke an der schlechten Zeit.«
»Den Pfefferkuchen schenk' ick dir, nun jönn auch mir den Seidel Bier.«
»Det Herze sagt dir, bleib' zu Haus und jeh nich alle Abend aus.«
»Oller brumme nich, Konjak is alle, Hausschlüssel jib's nich, rinn in de Falle.«
»Den Kuchen eß und denk' an mir, damit de weeßt, ick liebe dir.«

Quellen:
1 E. T. A. Hoffmann: Nußknacker und Mäusekönig, Berlin 1976, S. 10 f.
2 Wilhelm und Caroline Humboldt in ihren Briefen. Hrsg. von A. v. Sydow, 5. Bd., Berlin 1912, S. 163
3 Carl-Friedrich Wegener: Zeitschrift »Der berlinische Zuschauer«, 52. Stück, Berlin 1769
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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