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der Anstoß), von denen er keine
Erklärung ihres Werdens und Seins abgeben
konnte, zum anderen die Unerklärlichkeit des
Bewußtseins (des Denkens und Fühlens,
der Empfindungen). Natürlich war für ihn
das Bewußtsein an Hirnprozesse gebunden, also etwas Materielles, aber für ewig unerklärbar hielt er das Phänomen, warum
und wie Empfindung in der Materie entsteht.
Die Leipziger Rede fiel bereits in jene Zeit, als er nur noch selten experimentierte und sich bei ihm das Gefühl immer stärker ausbreitete, daß sich seine Methodik erschöpft habe. Emil du Bois-Reymond galt von seinem Forschungsansatz her als Antivitalist, der das Leben aus naturwissenschaftlicher Sicht für grundsätzlich erklärbar hielt. Insofern war er ein streitbarer naturwissenschaftlicher Materialist. Mit diesem erkenntnistheoretischen Werkzeug und seinen Forschungsergebnissen versetzte er der Naturphilosophie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weitere herbe Niederlage, so wie dies auch durch Hermann von Helmholtz (1821-1894) und Rudolf Virchow (1821-1902), durch Charles Darwin (1809-1882), Ernst Haeckel (1834-1919) und viele andere geschah. Seit seinem Medizinstudium (1836-1841) bei dem berühmten Johannes Müller (1801-1858) an der Charité zog ihn die noch weitgehend spekulativ betriebene Physiologie besonders an. Gemeinsam mit dem später ebenso erfolgreichen | ||||||
Bernhard Meyer
Emil du Bois-Reymond: »Wir werden es nicht wissen« Mit diesem markigen »Ignorabismus« beendete Emil du Bois-Reymond, der vor 100 Jahren am 26. Dezember 1896 starb, effektvoll seinen Vortrag 1) auf der 45. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Leipzig am 14. August 1872. In dieser Konzentration drückte er sein Fazit nach 30jähriger naturwissenschaftlich-experimenteller Forschung aus und es sollte bedeuten: Wir wissen es jetzt nicht und wir werden es niemals wissen. Dieser nach du Bois-Reymonds Worten »anfangs kühl aufgenommene Vortrag«, der später heftig und kontrovers diskutiert wurde, beschäftigte sich aufgrund seiner Forschungserfahrungen und philosophischen Belesenheit mit den Rätseln der Natur. Für du Bois-Reymond existierten im wesentlichen zwei Erkenntnisgrenzen, die sich dem Forscher und damit der denkenden Menschheit als unüberwindbare Hindernisse in den Weg stellen. Zum einen waren das die Materie (das Sein, das Weltall im weitesten Sinne) und die Kraft (der erste Impuls, | ||||||
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Physiologen Ernst von Brücke
(1819-1892) sowie Helmholtz und Virchow, die alle
aus der Schule von Müller hervorgingen, Karl Ludwig (1816-1895) und Ludwig
Traube (1818-1876) wandte du Bois-Reymond das Experiment als neuartige Methode für
Naturerkenntnis an. Sein Spezialgebiet wurde die physiologische Elektrizität bei
Mensch und Tier, sein spezielles Forschungsobjekt der Frosch. Er legte seit 1841, also mit
dem Beginn seiner Assistentenzeit, schier unendliche Reihen von Messungen der
Erregungsentstehung der Nerven vor. Das nach du Bois-Reymond benannte Gesetz
formuliert die Erregung der Nerven und Muskeln durch gezielte elektrische Reizung aus
der Steilheit des Anstiegs, nicht aus der absoluten Dichte des Stromes. Für ihn
unerklärlich, woher der Anstoß, gewissermaßen
der Ur-Anstoß, für die Erregung kommt
und warum dieser Zustand als Empfindung wahrgenommen werden kann. Er gilt als der hauptsächliche Begründer der
klassischen Physiologie.
Als medizinisch geprägter Naturwissenschaftler meinte du Bois-Reymond, theoretisch müßten alle Naturvorgänge in einer »Weltformel« erfaßbar sein. Er lehnte sich hierbei an einen von Pierre Simon de Laplace (1749-1827) erdachten, gewünschten, jedoch auch von diesem selbst für unmöglich gehaltenen Geist an, der alle Kräfte der Natur kennt und der eine Analyse der Bewegungen des Weltkörpers vornehmen könnte. | Weil es diesen von du Bois-Reymond
als »Laplace'schen Weltgeist« bezeichneten
imaginären Aufklärer der
Naturgeheimnisse niemals geben kann, wird »der
menschliche Geist von dieser vollkommenen Naturerkenntnis weit entfernt bleiben«.
2) Dennoch kann du Bois-Reymond keineswegs, wie
dies nur zu häufig geschah, den Agnostikern zugerechnet werden. Die Welt trat ihm als ein Mechanismus der Atome gegenüber; alle Naturvorgänge lösen sich in der
Mechanik der Atome auf, einem »mathematisch bestimmten Spiel der Atome«, worin für
ihn Naturerkenntnis bestand.
Trotz des mechanisch-materialistischen Ansatzes von du Bois-Reymond glaubten konservative Naturforscher, Ärzte und Philosophen, seinen Vortrag für ihre Ansichten ausschlachten zu können. Die Konfessionen interpretierten seine Äußerungen als gewisse Schlußformel der Naturwissenschaften, als ihre Kapitulation gegenüber den »letzten Fragen«. Sie sahen ihren festen Glauben an außerweltliche, gottgemäße Anstöße bestätigt und attackierten um so heftiger die aufgekommene evolutionärbiologische Richtung von Darwin und Haeckel. Letzterer reagierte 1874 heftig auf du Bois-Reymond: »Dieses scheinbar demütige, in der Tat aber vermessene >Ignorabismus< ist das >Ignoratis< des unfehlbaren Vatikans und der von ihm angeführten >schwarzen Internationale<, jener unheilbrütenden Schar, mit welcher der moderne Kulturstaat jetzt endlich, end | ||||
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lich den ernsten >Kulturkampf< begonnen hat. In diesem Geisteskampfe ... stehen auf der einen Seite unter dem lichten Banner der Wissenschaft: Geistesfreiheit und Wahrheit ..., auf der anderen Seite unter der schwarzen Fahne der Hierarchie: Geistesknechtschaft und Lüge.« 3) Forscher naturwissenschaftlicher Disziplinen riefen du Bois-Reymond ihr »Wir müssen wissen, daß wir wissen werden« und Haeckel, übrigens auch Müller-Schüler, sein trotziges »Impavidi progrediamur« (Unerschrocken fortschreiten) als erkenntnistheoretischen Optimismus entgegen. Allein, er folgte ihnen nicht, er verblieb bei seinem Erkenntnis-Pessimismus. Zwar reagierte er auf alle Unterstellungen, Vorhaltungen und Ratschläge gelassen, von seinen zutiefst verinnerlichten Überzeugungen jedoch wich er nicht ab. Eigentlich wollte er als Atheist und experimenteller Naturforscher keiner Seite dienen, am wenigsten theologischen Spekulationen ungewollt Wasser auf die Mühlen geben. Ihm kann ein naturwissenschaftlich begründeter Antiklerikalismus bescheinigt werden. Religion erschien ihm als »Verfinsterung« des Menschengeschlechts. Seine Rede »Darwin und Kopernikus« wurde von Adolf Stoecker (1835-1909) als »Gotteslästerung« gebrandmarkt. Du Bois-Reymond wünschte sich eine konsequent materialistische Erklärung, glaubte jedoch, naturwissenschaftlich und philosophisch an unauflösbaren Grenzen angelangt zu sein. | Du Bois-Reymond, redegewaltig und gewandt, seit 1851 Mitglied und ab 1867 als Sekretär der physikalisch-mathematischen Klasse der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und als mehrfacher Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin sowie Dekan der Charité an die Freuden und Unwägbarkeiten derartiger Ämter gewöhnt, außerordentlich vielseitig gebildet und interessiert, mit dem freiheitlichen Denken der Hugenotten verbunden, reflektierte mit seinem »Ignorabismus« Lebensweisheit, bediente keineswegs irgendeinen Zeitgeist. Acht Jahre später (1880) hielt er zum alljährlichen Leibniz-Tag vor der Akademie den Festvortrag, dem er den Titel »Die sieben Welträtsel« gab. 4) Bei dieser Gelegenheit resümierte er die Polemiken der letzten Jahre in würdevollem Stil, wobei er seinen zwei Erkenntnisgrenzen weitere, als Detailierung zu verstehende Grenzen hinzufügte. (Siehe Leseproben Nr. 4.) Es wäre allerdings falsch, aus dieser von ihm akribisch vorgenommenen Auflistung zu entnehmen, daß die Welt für ihn immer rätselvoller geworden wäre, nein, er wollte sich nur noch verständlicher machen. Nicht nur aus rhetorischen Gründen bemühte er den Akademiegründer Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), von dem er meinte, daß er seinem »Ignorabismus« aus der Sicht des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts wenigstens ein »Dubitamus« (Zweifel an der Erkennbarkeit der Welt) zugebilligt hätte. | |||||
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Emil Heinrich du Bois-Reymond,
geboren am 7. November 1818, war und blieb sein Lebtag Berliner. Der Vater, aus
Neufchatel stammend, in preußischen Diensten
stehend, die Mutter hugenottischer Herkunft, wurde in der Familie auch französisch
gedacht und gesprochen. Nach seiner 1846 erfolgten Habilitation und der 1853 zuerkannten außerordentlichen Professur trat er mit dem Tod von Müller das
neugegründete Ordinariat für Physiologie an der Charité an. Vielfältig und lang
anhaltend währte seine Mitwirkung am
wissenschaftlichen Leben Berlins. Er zählte zu den wenigen universitären Wissenschaftlern, die sich gelegentlich als Referenten zur URANIA in die Invalidenstraße begaben.
Als Vorsitzender der Berliner Physiologischen Gesellschaft (seit 1875) erlebte er die wissenschaftliche Sternstunde eines späteren Nobelpreisträgers. Er leitete die legendäre Sitzung der Gesellschaft am 24. März 1882, auf der Robert Koch (1843-1910) die Entdeckung des Tuberkelbazillus bekanntgab. Erst der Tod nahm dem 78jährigen die Ämter aus der Hand. Geehrt mit allen Orden, die Preußen und das Deutsche Reich für ihr »geistiges Leibregiment« vorsahen, verschied ein maßgeblicher Wegbereiter der naturwissenschaftlichen Medizin. Begraben wurde er auf dem Friedhof der Französisch-Reformierten Gemeinde in der Chausseestraße. | Denkanstöße:
Erstens nämlich ist daran zu erinnern,
daß das Naturerkennen, welches vorher als unser Kausalitätsbedürfnis vorläufig
befriedigend bezeichnet wurde, in Wahrheit dies nicht tut, und kein Erkennen ist. Die
Vorstellung, wonach die Welt aus stets dagewesenen und unvergänglich kleinsten Teilen
besteht, deren Zentralkraft alle Bewegung erzeugen, ist gleichsam nur Surrogat
einer Erklärung. Sie führt, wie bemerkt, alle
Veränderungen der Körperwelt auf eine
konstante Menge von Materie und ihr anhaftender Bewegungskraft zurück, und läßt an den Veränderungen selber nichts zu
erklären übrig, denn was stets da war, kann
nur Ursache, nicht Wirkung sein.
Allein es tritt nunmehr, an irgendeinem Punkt der Entwicklung des Lebens auf Erden, den wir nicht kennen und auf dessen Bestimmung es hier nicht ankommt, etwas Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas wiederum, gleich dem Wesen von Materie und Kraft, und gleich der ersten Bewegung Unbegreiflichses. Der in negativ unendlicher Zeit angesponnene Faden des Verständnisses zerreißt, und unser Naturerkennen gelangt an eine Kluft, über die kein Steg, kein Fittig trägt: wir stehen an der anderen Grenze unseres Witzes. | ||||
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Aus: Über die Grenzen des Naturerkennens, S. 33
Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von
Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-,
Sauerstoffusw. Atomen nicht sollte gleichgültig
sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner
Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammenwirken Bewußtsein entstehen könne. Sollte ihre Lagerungs- und Bewegungsweise ihnen nicht gleichgültig sein, so müßte man
sie nach der Art der Monaden schon einzeln mit Bewußtsein ausgestattet denken. Weder wäre damit das Bewußtsein überhaupt
erklärt, noch für die Erklärung des
einheitlichen Bewußtseins des Individuums das mindeste gewonnen.
Dieser Schwierigkeiten lassen sich im ganzen sieben unterscheiden.
Transzendent nenne ich darunter die, welch mir
unüberwindlich erscheinen, auch wenn ich mir die in der aufsteigenden Entwickelung ihnen voraufgehenden gelöst denke.
| sprung der Bewegung. Wir sehen
Bewegung entstehen und vergehen; wir können uns die Materie in Ruhe vorstellen; die Bewegung erscheint uns an der Materie als
etwas Zufälliges, wofür in jedem Falle der
zureichende Grund angegeben werden muß ...
Die dritte Schwierigkeit ist die erste Entstehung des Lebens ... Hat einmal die Materie angefangen sich zu bewegen, so können Welten entstehen; unter geeigneten Bedingungen, die wir so wenig nachahmen können, wie die, unter welchen eine Menge unorganischer Vorgänge stattfinden, kann auch der eigentümliche Zustand, den wir Leben nennen, geworden sein ... Die vierte Schwierigkeit wird dargeboten durch die anscheinend absichtsvoll zweckmäßige Einrichtung der Natur. Organische Bildungsgesetze können nicht zweckmäßig wirken, wenn nicht die Materie zu Anfang zweckmäßig geschaffen wurde; so wirkende Gesetze sind also mit der mechanischen Naturansicht unverträglich ... Erst die fünfte ist es wieder durchaus (transzendent - B. M.): meine andere Grenze des Naturerkennens, das Entstehen der einfachen Sinnesempfindung ... Nicht mit voller Überzeugung stelle ich als sechste Schwierigkeit das vernünftig Denken und den Ursprung der damit eng verbundenen Sprache auf ... Mit der siebenten Schwierigkeit also steht es so, daß sie keine ist, wofern man sich entschließt, die Willensfreiheit zu leugnen | |||||
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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