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Japan und folgte 1936 einem Ruf als Professor für Architektur an die Akademie der Künste in Istanbul, wo er zwei Jahre später verstarb. Nicht weit von der »Hufeisensiedlung« entfernt (Grüner Weg) trägt eine Straße den Namen Bruno-Taut-Ring. Auch Martin Wagner stammte aus Königsberg, studierte in Dresden und Berlin Architektur und übernahm von 1924 bis 1926 den Posten als Direktor der Deutschen Wohnungsbau-Genossenschaft in Berlin. Von 1926 bis 1933 wirkte er als Stadtbaurat im Magistrat. In dieser kommunalen Kompetenz arbeitete er eng mit Bruno Taut bei der Konzipierung der Hufeisensiedlung zusammen. Zuvor schuf er 1924 die Entwürfe für die Lichtenberger Plattenbausiedlung, wobei erstmals Betonplatten für den Wohnungsbau verwendet wurden. Gleich Käthe Kollwitz und aus Solidarität mit ihr verließ er 1933 die Preußische Akademie der Künste. Er mußte emigrieren. Über die Türkei gelangte er in die USA, wo er an der Harvard Universität eine Professur erhielt. Nach Deutschland ist Wagner nach Kriegsende dann nicht mehr zurückgekehrt. Er starb in Cambridge. Zu seinem Andenken trägt seit 1958 eine hufeisenförmig verlaufende Straße in der Nähe der Britzer Siedlung an der Gutschmidtstraße den Namen Martin-Wagner-Ring.
     Beginnen wir unseren Rundgang am nördlichen Ausgang des U-Bahnhofs Parchimer Allee. (1) Seit 1927 so benannt, verläuft sie

Die»Hufeisensiedlung« in Britz

Fußtouren durch Berlin

Im Jahre 1925 hat der Architekt Bruno Taut (1880-1938) zusammen mit seinem Freund Martin Wagner (1885-1957) für Britz (Bezirk Neukölln) die erste deutsche Großsiedlung entworfen. Berlin war zu jener Zeit führend unter den deutschen Städten bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Bis heute finden sich im Berliner Stadtbild zahlreiche Wohnviertel mit einer zweckmäßig-charakteristischen, die Mietskasernen und den Jugendstil zurücklassenden Architektur. Tauts Berliner Siedlungsbauten sind jedoch weltberühmt geworden, und die hier in Britz sind wohl die schönsten von allen.
     Bruno Taut stammte aus Königsberg und gründete 1909 in Berlin sein erstes Architekturbüro. Unter seiner Regie als Stadtbaudirektor von Magdeburg in den Jahren 1921 bis 1924 entstand die Gartenstadt »Reform«. Danach berief ihn die GEHAG Berlin, die große gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft, zu ihrem Chefarchitekten. An der Technischen Hochschule Berlin lehrte er Städtebau, ab 1930 als Professor. Bereits 1932 begab sich Bruno Taut in die Sowjetunion. Von den Faschisten als »Kulturbolschewist« diffamiert, emigrierte er nach


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von der Kolonie »Frisch-Auf« über den Buschkrug bis zum Martin-Wagner-Ring. Ein paar Schritte zunächst in westlicher Richtung die Parchimer Allee entlang, wenden wir uns dem Siedlungsteil zu, der links der Straße gelegen ist. (2) Taut hat die Häuserzeilen hier parallel und rechtwinkelig zur Hauptstraße angeordnet. Betreten wir einen der so entstandenen Gänge, so können wir bereits einige typische Eigenarten seines architektonischen Gestaltens entdecken: Als erstes fallen die Farben der Häuser auf. Taut war ein enthusiastischer Verfechter farbiger Fassaden. Ein kräftiges Englischrot kontrastiert mit hellem Ocker, dazu an anderen Stellen leuchtendes Weiß. Die Farben »antworten einander« von Block zu Block. Interessant ist, in welcher Weise dazu farbige Türen und Fensterkreuze in wechselnden Tönen gestellt sind. Das alles ergibt ein lebendiges, aber zugleich solide und maßvoll gestaltetes Ganzes.
     Immer wieder hat Bruno Taut versucht, das Innere der Wohnungen mit einem grünen Erlebnisraum draußen harmonisch zu verbinden. Die Kopfbauten werden besonders hervorgehoben, sie sind um ein Stockwerk höher und durch Loggien und eine besonders kräftige Farbigkeit ausgezeichnet. Aber auch im weiteren Verlauf der Häuserzeile finden sich kleine Vorsprünge - es sind hier Reihenhäuser. Jede Familie hat einen kleinen Garten; die Wohnung innen mit einem grünen Erlebnis
raum draußen innig zu verbinden, dies hat Taut immer wieder versucht.
     Zurückgekehrt zur Parchimer Allee und zur Kreuzung Fritz-Reuter-Allee, finden wir
Verlauf der Fußtour

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auf der anderen Straßenseite rechts eine Siedlung, die 1925 schon existierte, als Taut und Wagner hier ihre Ideen umzusetzen begannen. (3) Die Baugesinnung der von der DEGEWO veranlaßten Beamtensiedlung mißfiel ihnen; sie setzten sich mit ihren Entwürfen gleichsam polemisch davon ab.
     Eine Besichtigung dieses Areals etwa an der Malchiner Straße reizt zum Vergleichen an. In der ganzen Siedlung wird eine kleinstädtische oder gar dörfliche Atmosphäre vorgespiegelt. Spitze Satteldächer, zur Straße gestellte Giebel an den Blickpunkten, Haustüren mit niedlich hübschen Schnitzereien, Fenster mit kleinen Scheiben und Klappläden - gegen dieses Neobiedermeier lehnten sich Taut und Wagner auf. Es erschien ihnen wie eine Idylle aus guter alter Zeit, die es so gar nicht mehr gab. Taut war vor dem Ersten Weltkrieg selbst beratender Architekt der »Deutschen Gartenstadtgesellschaft«. Diese Gartenstadtbewegung suchte Wege zu einem gesünderen, naturnahen, sozial verträglicheren Wohnen, und vielfach entstand daraus die beschriebene Beschaulichkeit. Bei aller Polemik von Taut und Wagner - auch hier wurden im Vergleich zu den Hinterhöfen am Wedding oder im Prenzlauer Berg völlig neue Reformschritte gegangen.
     Weiter in dieser Richtung gelangen wir an einen kleinen Platz (4), der rechts Reihenhäuser unter schattigen Bäumen und links den Durchgang zu einem kleinen Park mit einem Weiher bietet.
Am Ufer des kleinen Teiches stoßen wir auf den vorderen Ausgang der »Hufeisensiedlung«. Hier fand Taut, wie seine Baukonkurrenz gegenüber ebenfalls, einen Teich vor. Nun ist es wiederum interessant zu vergleichen, wie die annähernd gleiche naturgegebene Situation unterschiedlich verwertet wurde. Jetzt stehen wir am Eingang des »Hufeisens« (5), wie der Volksmund das große Oval des Siedlungszentrums getauft hat. In einem eleganten Bogen hat der Architekt seine lange Hauszeile um die Wiese mit dem Teich in der Mitte gelegt. Wie in einem Amphitheater schreiten wir die Treppen herunter, rechts und links die Kopfbauten mit einer Terrasse und Gemeinschaftseinrichtungen.
     Um die Wiese mit dem Teich führt ein Ringweg, er umschließt den gleichsam allen gehörenden Außenraum. Zum Wohnblock hin liegen Hausgärten, jeder Aufgang hat also auch noch seinen eigenen, privaten Grünbereich. Dieses Zweierlei in ein architektonisches »Bild« gebracht zu haben wird alsbald in der Fachwelt als eine der großartigsten Leistungen des Jahrzehnts bekannt. Man wird es ein »ästhetisches Manifest der Gemeinschaft« nennen.
     Taut hat die norddeutsche Backsteingotik geliebt. So ist für ihn typisch, wie er, ohne in ein historisierendes Zitieren von Schmuckformen zu verfallen, bei den Fassaden die Putzflächen durch Klinker einfaßt: Kanten, Sockel, die Loggien und die Durch

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gänge hebt er so hervor. Schön setzen sich die warmen Rottöne der Backsteine gegen die weißen Putzflächen ab, dazu das leuchtende Blau der Loggien. Zusammen mit den unterschiedlichen Fensterformaten gewinnt er damit Möglichkeiten für eine lebendige, rhythmische Gestaltung. Geld für einen Bodenraum zum Wäschetrocknen mußte bei Taut immer übrig sein; und dessen kleine, quadratische Fenster als lustigen oberen Abschluß hat er besonders gern verwandt.
     Die Häuser bleiben niedrig, beschränkt auf drei Etagen. Ganz dem Charakter der märkischen Landschaft entsprechend, wird die Horizontale betont. So bescheiden in den Ausmaßen die Zwei-Zimmer-Wohnungen sind, alle haben sie eine Loggia. Taut will auch hier die Wohnung gleichsam öffnen und das Außen hineinholen. Eine besondere Idee war, in alle Mietgärten Kirschbäume zu pflanzen. Das Schöne sollte sich mit dem Nützlichen verbinden. Vor allem aber schafft der üppige, sich stets wandelnde Charakter der Obstbäume von der Blüte bis zur Ernte immer eine den ganzen weiten Raum bestimmende Atmosphäre.
     Wir haben das Oval jetzt durchschritten und gelangen durch einen der Durchgänge auf den zweiten Hauptplatz der Siedlung: »Hüsung«. (6) Kräftig rote Reihenhäuser umstehen eine rautenförmige Grünfläche. Von den 1000 Wohnungen der Siedlung wurden 480 als Einfamilienhäuser mit
Gärtchen gebaut. Wenn wir uns nach rechts, etwa durch die Mining- oder die Liningstraße zur Stavenhagener Straße hin wenden, können wir bewundern, wie die Gestalter mit diesem einen Haustyp die abwechslungsreichsten Erlebnisräume geschaffen haben.
     Die Baukörper springen vor und zurück, es entstehen Vorplätze, Nischen, Biegungen. Vor allem schafft die Farbe wiederum die charakteristischen, unverwechselbaren Räume. Kräftige Akkorde unterteilen die Häuserzeilen und antworten einander über die Straße hinweg. Der Gartenarchitekt Vageler besorgte die eindrucksvolle Grüngestaltung; bis heute sind Bäume, Sträucher und Hecken wohlbedachte Teile des Ganzen. Dort, wo die Gärten hinter den Häuserzeilen aneinanderstoßen, führen schmale Wege zwischen den Hecken hindurch. Man ist plötzlich wieder in einen ganz anderen Landschaftsraum versetzt.
     Taut hatte etwas gegen die monotonen Reihungen einförmiger Wohnzeilen, die damals vielfach entstanden. Dem wollte er lebendig gegliederte, als »wohnlich« erlebbare Räume, Baukörper und Fassaden entgegenstellen. Das ist ihm in Britz meisterhaft gelungen. In der Stavenhagener Straße treffen wir noch einmal auf einen höheren Querriegel mit Etagenwohnungen und gelangen dann rechts zu einem Eingang des U-Bahnhofes Blaschkoallee. (7) Ehe wir unseren Rundgang beenden, werfen wir noch

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einen Blick auf die Blöcke in der Fritz-Reuter-Allee. Es sind 32 gleiche Hauseinheiten rechts und links vom Eingang des »Hufeisens«. Die Bewohner nannten sie damals »Die Rote Front«.
     Das ergab sich zum einen aus der kräftigen Farbe. Die Blöcke wirkten aber auch so, als habe sich der Architekt bewußt mit dieser, einer Burgmauer ähnlichen Häuserzeile gegen die von ihm abgelehnte Beamtensiedlung abgrenzen wollen. Sicher war mit dem Spitznamen auch eine politische Anspielung verbunden. Als Bauherr der Siedlung fungierte die GEHAG, und Bruno Taut war deren beratender Architekt. Allein nach seinen Entwürfen wurden von dieser Gesellschaft in Berlin über 10 000 Wohnungen geschaffen.
     Der Freund und Mitgestalter der Britzer Siedlung, Martin Wagner, hat sich als sozialdemokratischer Stadtbaurat in jenem Jahrzehnt des gemeinsamen Wirkens immer wieder maßgeblich in den jedesmal erneut notwendigen Kämpfen um die finanziellen Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau engagiert. Die Baukosten wurden von der Bauindustrie so in die Höhe getrieben, daß den Gewerkschaften und anderen Trägern des sozialen Wohnungsbaus der Atem auszugehen drohte. Man behalf sich mit der Gründung von genossenschaftlichen Bauhütten. Um mit den geringsten Mitteln das Höchstmögliche zu erreichen, entwickelten die beiden Architekten auch weit voraus
schauende Möglichkeiten der Industrialisierung des Bauens. Ebenso sind die rationellen und doch bedürfnisgerechten Grundrisse der Kleinwohnungen architektonische Meisterleistungen. In den Jahren 1930/31 wurde die Siedlung nach Entwürfen von Taut und Schneidereit noch einmal erweitert. Die Blöcke stehen an der Kreuzung der Parchimer und der Buschkrugallee. (8) Ein nach außen nüchterner, geschlossener Wohnkomplex umschließt einen dreieckigen Innenhof. Seine reizvolle Gestaltung mit Loggien und wiederum kräftigen Farben bekommt der normale Spaziergänger aber leider nicht zu sehen. Die Zugänge sind durch Gittertüren verschlossen.
     Wer noch ein Stück wandern will: Südlich der Parchimer Allee ist bis hin zur Gutschmidtstraße zu erleben, wie hauptsächlich in den fünfziger Jahren in einer der Tautschen Baugesinnung durchaus verwandten Weise weiter gebaut worden ist. (9)

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/1996
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