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merschen Bauern- und Handwerkerfamilie stammenden Tischlers wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Bereits als Junge verdiente er sich seinen Konfirmandenanzug durch die Veranstaltung von Kinderfesten, Aushilfsarbeiten in einer Buchhandlung und in einem Sommertheater. Nach dem Besuch der Volksschule wurde er Qualitätsarbeiter in der Billard-Queues-Fabrik Weißensee, mit 16 Jahren war er Würfelbudenbesitzer und mit 17 Redakteur und Herausgeber des Welt-Courier, einer internationalen Fachzeitung für Korrespondenz-, Tausch- und Sammelwesen.

Erste große Erfolge mit
der »Glücksgöttin«

Die leichte Muse zog ihn schon in jungen Jahren magisch an. 1913 ließ er sich zum Operettenbuffo ausbilden, wozu die Bekanntschaft Paul Linckes (1866-1946) am Apollo-Theater wesentlich beitrug. Nachdem er zuerst mit Lincke durch Norddeutschland tingelte, ging er nach Beendigung seines Gesangs- und Musikstudiums allein auf Tournee. In dieser Zeit legte er sich auch seinen Künstlernamen zu. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges brach er seine gerade erst begonnene Karriere ab, da viele Theater schließen mußten. Fast zwei Jahre hielt er sich als Fahrstuhlführer in einem Warenhaus und Laborant in einer Apotheke über Wasser, bis er im Jahre 1916 zum Hee

Bärbel Ruben
Der Theaterdirektor von Weißensee

Wilhelm Heiden-Heinrich und seine Liebeserklärungen an Weißensee und Hohenschönhausen

Der am 16. April 1895 in der Roelckestraße 14 geborene Wilhelm Heinrich wirkte unter seinem Künstlernamen Heiden-Heinrich als Theaterdirektor der Stadthalle Weißensee (1919-1929), als Gastwirt der Hohenschönhausener »Terrassen am Orankesee« sowie Bauherr und Pächter des Strandbades am Orankesee (1929-1942/44). Seine Liebe zum Heimatbezirk spiegelte sich im ungewöhnlich vielfältigen Engagement zur Belebung des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens Weißensees wider. Beredtes Zeugnis dafür sind nicht nur seine selbst getexteten und komponierten Liebeserklärungen an Weißensee und Hohenschönhausen. 1) In vielen seiner Unternehmungen hatte Wilhelm Heinrich eine glückliche Hand, da er hervorragende Eigenschaften sowohl als Künstler wie auch als Unternehmer besaß.
     Sein Aufstieg war ihm nicht in die Wiege gelegt. 2) Der Sohn des aus einer hinterpom


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resdienst gerufen wird. Da er wegen einer Herzkrankheit bereits nach sechs Wochen ausgemustert wurde, arbeitete er in der Frühschicht in einer Munitionsfabrik und trat am Abend im Apollo- oder Walhalla-Theater auf. Noch im letzten Kriegsjahr eröffnete er ein Theatergeschäftsbüro und erntet mit seinem ersten eigenen Ensemble, der »Deutschen Operetten- und Volksbühne«, und dem selbstverfaßten Singspiel »Die Glücksgöttin« an verschiedenen Provinzbühnen große Erfolge.
     Inzwischen ist er mit Ida Patschke verheiratet, einer herzensguten und temperamentvollen Frau, der wie ihrem Mann die Musik und das Schauspiel im Blut liegen.
     Im Dezember 1919 übernahm Wilhelm Heiden-Heinrich die seit fünf Jahren stilliegende Stadthalle in der Pistoriusstraße 23. Zur Stadthalle gehörten der Turnsaal der Gemeinde, ein Restaurant, eine Kegelbahn und ein Wannenbad. Mit Ausnahme des Wannenbades war Wilhelm Heiden-Heinrich der Gesamtpächter der Stadthalle. In der Gemeindeturnhalle fanden sonntags die Theateraufführungen seines Ensembles statt, was bedeutete, daß der Turnsaal jedesmal in einen Theatersaal umgewandelt werden mußte. Das »Theater in der Gemeindeturnhalle« - so seine offizielle Bezeichnung - erlebte zehn glanzvolle Jahre mit zahlreichen umjubelten Premierenfeiern von Volksstücken, Varietéaufführungen und Operetten, die zum nicht geringen Teil aus der Feder Heiden-Heinrichs selbst flossen.
Eines der frühesten überlieferten Künstlerfotos: Wilhelm Heinrich beim Auftritt in Paul Linckes Operette »Casanova« 1913/14

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In der Pistoriusstraße 23 war das »Theater in der Gemeindeturnhalle«
Das Publikum kreischte
vor Vergnügen

Für jedes Stück übernahm der Theaterdirektor zugleich die Regie. Ihm zur Seite standen die Schauspieler Otto Redlich, Paul Mohaupt, Carla Liebig, Marga Seidler und Willi Rothenburg. Seine Frau Ida Heinrich gehörte dem Schauspielensemble ebenfalls an.
     In den meisten Stücken spielten sie und ihr Mann die Hauptrollen. Die mit leichter Hand

aufgeführten Stücke in der Stadthalle Weißensee waren laut überlieferten zeitgenössischen Theaterkritiken fast durchweg »phänomenale Erfolge«, Heiden-Heinrich und seine Frau waren »herzerfrischend«, »spielten mit gewohnter Routine«, charakterisierten ihre Rollen »einfach glänzend«, erhielten stets den »ungeteilten Beifall« des oftmals »vor Vergnügen kreischenden Publikums«. In seinen selbstverfaßten Liedern und Stücken bemühte sich Wilhelm Heiden-

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Heinrich darum, dem Lokalkolorit Tribut zu zollen.
     Mit der Weltwirtschaftskrise und der zunehmenden Verbreitung des Kinos setzte gegen Ende der 20er Jahre in Berlin auch das Theatersterben ein, viele kleine Bühnen und Vorstadttheater gingen in den Konkurs. Auch Wilhelm Heiden-Heinrich spürte, daß die
Zeit seines Theaters in der Stadthalle vorbei war. In seiner Familiengeschichte schreibt er: »Als nach der furchtbaren Inflation der Rückgang des Theatergeschäfts einsetzte, versuchte ich mein Unternehmen durch Varieté- und Kabarettvorstellungen lebensfähig zu halten, stellte mich aber dann hauptsächlich auf den gastronomischen Betrieb um.«
In dieser Zeit begann er, vom alten Weißensee (die Stadthalle gab er 1933 auf) langsam Abschied zu nehmen, und verlagerte seine Aktivitäten an den Orankesee nach Hohenschönhausen. Er ging aus einer Ausschreibung zur Neuverpachtung der »Terrassen am Orankesee« als Sieger hervor. 3) Ausschlaggebend war dabei wohl sein überzeugendes wirtschaftliches Konzept, das vorsah, neben der Wiederherrichtung des heruntergekommenen Wirtshauses ein Strandbad am Orankesee aufzubauen. Damit sollte ein langgehegter Wunsch der Hohenschönhausener in Erfüllung gehen. Ursprünglich hatte die Weißenseer Bezirksverwaltung Magistratsmittel in Höhe von 150 000 RM für den Bau einer sehr großzügigen Badeanlage beantragt, diese aber nie bewilligt bekommen. Gerade in der Weltwirtschaftskrise waren die öffentlichen Kassen leer.
     Schon bald nach Abschluß des Vertrages
Wilhelm Heiden-Heinrich 1942

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Terrassen am Orankesee
mit dem Bezirksamt Weißensee, der erst im Februar 1929 rechtswirksam wurde, setzten die umfangreichen Renovierungsarbeiten am Wirtshaus ein. Der Bau des attraktiven Freibades erfolgte in so kurzer Zeit, daß wenig später bereits die »Berliner Nordostzeitung« erwartungsfroh den »Wannsee des Berliner Nordostens« prophezeite.
     Interessant ist, daß die Promenade um den See mit Abbruchmaterial von Häusern aufgeschüttet wurde, die dem Untergrundbahn
bau nach Friedrichsfelde weichen mußten. Aus den Baugruben der Hochhäuser am Alexanderplatz schaffte man wagenweise den weißen Sand für den Strand herbei, so daß der Eindruck entstand, der Sand stamme aus einem Ostseebad. 4) Im Einklang mit den Weißenseer Behörden schaffte es Heiden-Heinrich, das Strandbad tatsächlich bis zum Beginn der Badesaison 1929 fertigzustellen.

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An einem Tag 12 000
Badegäste am Orankesee

Am Sonntag, dem 23. Juli 1929, besuchten das Bad bereits 12 000 Badegäste. 5) Dies war zweifellos ein Rekord und kaum zu bewältigen für den ca. fünf Hektar großen See. Die Besucherzahlen lagen im Laufe der Zeit an den Wochenenden bei rund 10 000 Gästen. Der Pächter der »Terrassen am Orankesee« und des Strandbades zog nun mit seiner ganzen Familie in die »Orankesee-Terrassen«. In Hohenschönhausen verbrachte er seine glücklichsten Jahre, bis der totale Krieg seinem volksnahen Wirken auch an diesem Orte ein Ende setzte. Unter Heiden-Heinrich erlebte das Wirtshaus am Orankesee seine wahrscheinlich glanzvollste Zeit. Das Haus bot in der Saison mit seinem Hauptrestaurant und kleinem Saal, seinem Vereinszimmer, dem Sommersaal und den beiden Freiluftterrassen (eine davon direkt am See) Platz für 5 000 Besucher. Es verfügte außerdem über einen Bierkeller mit Ausschank, eine Kaffeküche, eine Verbandskegelbahn, eine kleine Freilichtbühne und ein Wildgehege mit Damhirschen und Rhesusaffen. Dieses Vergnügungsetablissement suchte in Hohenschönhausen seinesgleichen und zog an den Wochenenden bei schönem Wetter einige tausend Gäste aus ganz Berlin an.
     An den Saisonwochenenden arbeiteten bis zu 25 Kellner bei Heiden-Heinrich, um

den Gästeansturm zu bewältigen. Viele Vereine, allen voran der durch Lokalgrößen aus den Villenkolonien besetzte wohltätige Verein der »Orankeritterschaft«, tagten im Lokal. Vielfältige Konzertreihen und Vergnügungsveranstaltungen, wie die Frühkonzerte zu Pfingsten (Beginn: 6.00 Uhr morgens), sorgten für die große Beliebtheit des Orankewirtes, der auch hier bei allen Veranstaltungen Regie führte und als Sänger auftrat. Wo sonst in Berlin gab es einen Gastwirt, der durch seine Mitgliedschaft im Guttemplerorden in früher Jugend geprägt, keinen Alkohol trank, nicht rauchte, das Kartenspiel nicht kannte und statt dessen seinen Gästen ein Liederbuch mit seinen Kompositionen präsentierte?
Vermutlich ab 1942 wurde der Gaststättenbetrieb in den Orankesee-Terrassen stark eingeschränkt, da Teile des Wirtshauses von der Wehrmacht requiriert waren. Im Oktober 1942 ging er mit einer Varieté-Wehrmachtsbühne auf Tournee. Ab Februar 1944 begleitete ihn seine Tochter Heidi dabei. Das Strandbad am Orankesee wurde durch Bombenabwürfe in der Nacht vom 2. zum 3. Januar 1944 völlig zerstört. Im Juni 1944 fallen auf das behelfsmäßig wiederhergerichtete Bad erneut Bomben, und es blieb von da ab geschlossen.

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Umzug nach Petershagen
und Kinderrevuen

Im Herbst 1944 gab es auch kein Wehrmachtsvarieté mehr. Der Ernst der Lage erforderte die Stillegung aller kulturellen Aktivitäten. Heiden-Heinrich und seine Tochter wurden Rüstungsarbeiter.
     Inzwischen war der Umzug der Familie nach Petershagen am See erfolgt. Trotz aller Not hatte es Heiden-Heinrich wieder geschafft, sich ein Wassergrundstück zuzulegen. In Petershagen erlebte die Familie das Kriegsende.
     Bis Anfang der 50er Jahre blieb Wilhelm Heiden-Heinrich mit seiner Familie im sowjetischen Sektor und versuchte, sich eine neue Existenz aufzubauen. In sein altes Domizil am Orankesee konnte er nicht mehr zurück. Die russische Armee hatte die geliebte »Jejend« in ein militärisches Sperrgebiet umgewandelt, das er nicht betreten durfte.

So baute er mit unermüdlichem Elan eine Gastspieldirektion in Petershagen auf, veranstaltete Kinderrevuen und Abend-Gastspiele und alljährlich die »Petershagener Kunst- und Gewerbemesse«. Daneben züchtete er zusammen mit einem Freund Heilkräuterkulturen in Petershagen und war ihm behilflich, im Jahr 1946 die Arzneimittelfabrik »Biomed« in Berlin zu gründen. 1949 schied er aus gesundheitlichen Gründen aus dem bald darauf volkseigenen Betrieb aus.
     Durch die Vermittlung von Dr. Degener erhielt Wilhelm Heiden-Heinrich 1950 die künstlerische Leitung des Kurhauses in Ruhpolding/Bayern. Die Familie verließ daraufhin endgültig die DDR, und Heiden-Heinrich begann noch einmal von vorn. 1953 wechselte er zur Reisegesellschaft »Touropa« (der Vorläuferin der TUI) und blieb hier bis zu seiner Pensionierung als Reisebegleiter und Abendveranstalter tätig. Auch in dieser, seiner letzten Schaffensperiode hat er


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sein dankbares Publikum und erhält glänzende Beurteilungen. Mit dieser größten Reisegesellschaft Deutschlands bereiste er viele Länder Europas und kam auch in die DDR, nach Polen und die Sowjetunion. Ein letztes Mal machte er einen Abstecher zum Orankesee im Jahre 1958. Alles wirkte befremdend auf ihn. Es ist nicht mehr seine alte, ihm vertraute Welt, und er nimmt innerlich endgültig Abschied von seinem geliebten »Hohenschönhausen am See«.
     In Ruhpolding hat er sich zusammen mit seiner geliebten Frau Ida sein »Knusperhäusl« erbaut, wieder steht es auf einem Wassergrundstück. Doch in Ruhpolding gibt es keine Seen wie in Berlin-Brandenburg, also tut es auch die kleine Urschlauer Ache, die durch den Ort fließt.
     Zu Weihnachten 1960 beendete Wilhelm Heiden-Heinrich seine Familiengeschichte mit dem Satz: »Wenn ich nun zurückschaue, kann ich wohl sagen: unser Leben war doch schön und immer fühlte ich mich in meinem ganzen Leben als ein gottbegnadeter Mensch.« Seine Familie und Freunde können dies bestätigen, auch wenn auf seinen letzten Lebensabschnitt der Schatten einer langen qualvollen Krankheit fiel. Der Operettenbuffo, Texter und Komponist, Theaterdirektor und Gastwirt, Strandbaderbauer, Firmenmitbegründer und Reisebegleiter, der liebevolle Vater und Großpapa starb am 3. September 1980 in Ruhpolding. Hier fand er auch seine letzte Ruhestätte.
Der Tochter Wilhelm Heiden-Heinrichs, Heidi Dorgathen, die das Andenken ihres Vaters für die Familie bewahrt, verdankt die Autorin die Wiederentdeckung einer Weißenseer Persönlichkeit, die Lokalgeschichte schrieb.
     »Alles nach Weißensee zum Sternecker« ist der Titel einer Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Weißensee, in der auch Wilhelm Heiden-Heinrichs gedacht wird. Sie wird am 1. Dezember er-öffnet.

Quellen:
1 Frohe Stunden mit W. Heiden-Heinrich, Liederheft der WHH Gaststätten, »Terrassen am Orankesee«, Heimatmuseum Hohenschönhausen
2 Alle biographischen Angaben im Beitrag stammen aus der sich im Familienbesitz befindlichen Familiengeschichte, die von Wilhelm Heinrich verfaßt wurde
3 Landesarchiv Berlin, Rep. 48-08, Nr. 202
4 »Berliner Nordostzeitung«, 1. Beilage, 2. Juni 1939
5 »Hohenschönhausener Lokalblatt«, 27. Juli 1929

Bildquelle:
Heimatmuseum Hohenschönhausen, Verein Weißenseer Heimatfreunde e. V.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
www.berlinische-monatsschrift.de