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Ungarn, Oberösterreich und Tirol, wobei er das Studium des dortigen Volkslebens zu seiner Hauptaufgabe machte. Die Revolutionsjahre 1848/49 verbrachte er im Auftrag der »Augsburger Allgemeinen Zeitung«, einem für die damaligen Verhältnisse großen und traditionsreichen Blatt, in Wien.

Autor von Skizzenbüchern

In diesen Jahren schrieb er seine Erzählung »Aus dem Kaiserstaat. Schilderungen aus dem Volksleben in Ungarn, Böhmen, Mähren, Oberösterreich, Tirol und Wien« (Wien 1849). Seine nächste Veröffentlichung, »Berlin und Wien. Ein Skizzenbuch« aus dem Jahr 1850 schilderte seine hautnahen Eindrücke von den Revolutionsjahren in Wien und Berlin. »Wie in Paris nach dem zu späten Zugeständnisse Louis Phillips, so brachte sie auch hier (gemeint ist die Revolution in Berlin, F. E.) noch ein Zufall zu Wege. Aber täuschen wir uns darüber nicht; wäre dieser Zufall nicht eingetreten, so wären hundert andere gekommen, um den Aufstand hervorzurufen. Selbst um Blutvergießen zu verhindern, war es zu spät! Die Revolution lag in der Luft, wie später die Cholera.« Interessant sind in diesem Buch auch seine Einschätzungen von Personen des Preußischen Vereinigten Landtages. Als Beispiel soll Bismarck stehen, den er einem »kleinen Stamm von Reactionären« zurechnete: »Vom Abgeordneten von Bismark-Schönhausen

Frank Eberhardt
Ein vergessener Erzähler und Lehrer aus der Luisenstadt

Heinrich Christoph Ferdinand Pröhle (1822-1895)

Am Luisenstädtischen Realgymnasium wirkte über 30 Jahre ein Lehrer und Schriftsteller, dessen Name heute keinem mehr geläufig ist, obwohl ihn jedes Schriftsteller-Lexikon aufführt und seine Bücher in den großen Bibliotheken verfügbar sind: Heinrich Christoph Ferdinand Pröhle (mitunter auch Proehle geschrieben). Er wurde am 4. Juni 1822 in Satuelle bei Neuhaldensleben als Sohn eines Pfarrers geboren. Der Vater Heinrich Andreas Pröhle (1797-1875) war ein auf kirchlichem Gebiet nicht unbedeutender Schriftsteller, dessen Namen auch neue Literatur-Lexika aufführen. Der junge Heinrich Pröhle besuchte die Domschule in Halberstadt und anschließend das Gymnasium in Merseburg. Nach dem Abitur studierte er Geschichte und Philologie in Halle und Berlin, wo ihn Jacob Grimm (1785-1863) zu folkloristischen Studien anregte.
     1847 unternahm Pröhle eine Reise durch


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aus Rheinfeld (in Rheinfeld wohnten Bismarcks Schwiegereltern, F. E.), dem berühmten Journalistenfeind, kann man nicht sagen, daß er Einsicht in die politischen Verhältnisse besessen hätte. Wo das Bereich des Junkerthums aufhörte, da schien auch sein Verstand aufzuhören. Hunderte von neuen Revolutionen würden diesen Mann nicht zu dem Zugeständnisse gebracht haben, daß an der großen Staatsmaschine auch nur die geringste Kleinigkeit etwa durch einen Kanzelisten versehen worden sei. Während seiner Reden, die er sehr rasch herausstieß, mußte er zuweilen selbst über die Consequenz lachen, mit der er alles negirte, was über den Gesichtskreis des Junkerthums auch nur eine Spanne weit hinauslag, und man konnte seine Vorträge in der That nur als kleine Neckereien betrachten.« Pröhles Einstellung, die sich hier in der Einschätzung des späteren Reichskanzlers ausdrückte, dürfte für seine Lehrerlaufbahn hinderlich gewesen sein. Ungeachtet seiner vielen Veröffentlichungen mußte er sich als Lehrer mühsam hochdienen und erhielt nie eine besondere Anerkennung oder Beförderung, wie die Jahresberichte und Festschriften des Luisenstädtischen Realgymnasiums zeigen.
     Nach kurzem Aufenthalt in Berlin zog es ihn 1851 in seine Heimat, wo er sich in Wernigerode niederließ und die Sagen des Harzes in den Mittelpunkt seiner Forschung stellte. Vielleicht war dieser Weggang auch eine Flucht vor der zu jener Zeit in Berlin
herrschenden Reaktion, wie ja auch Runge (s. S. 51) damals ins Exil ging. Jedes Jahr erschien nun wenigstens ein Buch von Pröhle, meistens Sagen, Märchen und Bräuche aus dem Harz enthaltend. Die wichtigsten Bücher aus dieser, seiner fruchtbarsten Zeit sind die »Kinder- und Volksmärchen« (Leipzig 1853, mit einem Nachdruck 1975), die »Harzsagen. Gesamm. auf dem Oberharz u. in der übrg. Gegend von Harzeburg u. Goslar bis zur Grafschaft Hohenstein u. bis Nordhausen« (Leipzig 1854) und die »Harzbilder. Sitten und Gebräuche aus dem Harzgebirge« (Leipzig 1855).

Der Biograph von Turnvater Jahn

Erzogen in einem patriotischen Elternhaus (der Vater hatte an den Befreiungskriegen teilgenommen), verfaßte Heinrich Pröhle die erste Lebensbeschreibung Friedrich Ludwig Jahns (1778-1852), mit dem er noch zu dessen Lebzeiten verkehrt hatte. Im Vorwort schrieb er, daß er den Plan gehabt hätte, »einmal auf etwas längere Zeit nach Freyburg zu gehen und mit ihm Alles, was in seinem Leben erheblich war, festzustellen und vor seinen Augen niederzuschreiben. Als ich ihn das letztemal 1851 von Leipzig aus in Freiburg besuchte, fand ich ihn so voll von dem Gedanken an die eigene Ausführung der Arbeit, daß ich mich nicht entschließen konnte, ihm für die Zukunft einen solchen Vorschlag zu machen und mein Mißtrauen


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merken zu lassen.« 1) Jahn starb jedoch bereits ein Jahr später und konnte seine Lebenserinnerungen nicht mehr niederschreiben. Der junge, noch nicht 30jährige Pröhle widmete sich nun dieser Aufgabe: »Dem Gehalt von Jahn's Leben und Wirken bin ich sehr gewissenhaft nachgegangen. Muß doch an einem rostigen Schilde erst lange geputzt werden, ehe es wieder blank wird.«
1855 promovierte Pröhle in Bonn mit einer volkskundlichen Arbeit »Über die Bructerer und über die Sagen, die bis zu ihren Bergen verbreitet sind« (die Bructerer waren eine alte germanische Völkerschaft, die die Gegend um Ems und Lippe bis zum Harz hin bewohnten, F. E.). Anschließend bewarb er sich als Lehrer. Was ihn zu diesem Schritt trieb, ist nicht bekannt. Vielleicht war es die finanzielle Unsicherheit als freier Schriftsteller, vielleicht war es auch der Wunsch, einen Hausstand zu gründen. Er bestand sein Probejahr 1856-1858 in Berlin und wirkte anschließend ein Jahr als Lehrer in Mülheim an der Ruhr. Zurückgekehrt nach Berlin, war er ab 1859 für ein Jahr als Hilfslehrer und anschließend als ordentlicher Lehrer an der Luisenstädtischen Realschule (ab 1882 Realgymnasium) angestellt. Auch weiterhin blieb er jedoch - wenn auch in eingeschränkterem Umfang - schriftstellerisch tätig. Er veröffentlichte die »Unterharzischen Sagen« (Aschersleben 1856) und bereitete die Herausgabe einer zweiten Auflage der Sagen des Oberharzes
und des Unterharzes vor. Er sammelte auch weiterhin Novellen, Erzählungen, Skizzen, Lyrik und Volksschauspiele.
     Charakteristisch für seine weitgespannten Interessen ist das Buch »Feldgarben. Beiträge zur Kirchengeschichte, Literaturgeschichte und Culturgeschichte«. 2) Es enthält unter anderem Abhandlungen wie »Protestantische Freunde und freie Gemeinden in der Provinz Sachsen«, Beiträge zur Geschichte der Kreise der Umgegend des Oscherslebener Bruches, zur Literatur der Märchen und Sagen sowie zur Goethe-Literatur und zur Geschichte des Jahres 1806.

Ein Mann mit vielseitigen Interessen

Als Lehrer wandte sich Pröhle natürlich auch der Vermittlung der Literatur im Unterricht zu. Davon zeugen Abhandlungen wie »Der deutsche Unterricht in seinen Verhältnissen zur Nationalliteratur von H. P.« (Berlin 1865), in der er die Literatur als Mittel der Erziehung darstellte. Insbesondere die deutschen Klassiker würdigte er darin als die eigentliche Grundlage des Deutschunterrichts. Später folgte »Friedrich der Große und die deutsche Literatur. Mit Benutzung hs. Quellen« (Berlin 1872 und 1878). Getreu seiner nationalen Gesinnung publizierte er »Patriotische Erinnerungen. Erzählungen und Abhandlungen aus den Zeiten der Kriege zwischen Deutschland und Frankreich« (Berlin 1873)


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oder die kleinen Schriften »Die Fremdherrschaft. Mitteilungen a. d. Geschichte des ehemaligen Königreichs Westfalen« (1858) und »Markgraf Gero, die Stiftskirche zu Gernrode und die Gersdorfer Burg« (1870).

Immer wieder Rückkehr zu den Sagen

Aber immer wieder kehrte er zu den Sagen zurück. 1867 erschienen die »Deutschen Sagen«, herausgegeben von H. Pröhle. Hier fand er die erste Verbindung zu Runge. Dieser war im Exil in der Schweiz und hatte dort auch Sagen gesammelt, die in Zeitschriften verstreut veröffentlicht waren. Pröhle erhielt die Genehmigung, diese Sagen abzudrucken. Ob es sich dabei um alle von Runge gesammelten Sagen handelte, ist nicht klar. Pröhle schrieb in einer Fußnote: »Er hat sehr zahlreiche Schweizersagen gesammelt, aus welchen seine durch die verflossenen Kammersitzungen aufgehäuften Geschäfte und der rasch vorrückende Druck der Sagen leider eine weitere Mittheilung verhinderte.«
Entsprechend seiner Lehrtätigkeit beschäftigte sich Pröhle zunehmend mit den deutschen Dichtern. So veröffentlichte er 1877 das Buch »Lessing, Wieland, Heine. Nach den handschriftlichen Quellen in Gleims Nachlasse dargestellt von H. Proehle«, das bereits zwei Jahre später eine Neuauflage erfuhr. Höhepunkt seines Schaffens war aber sicherlich die Herausgabe der

Werke Christoph Martin Wielands in sechs Bänden (1883-1887).
     Doch der Journalist Pröhle behielt auch seinen Platz. Viele seiner Schriften wurden zuerst in Zeitschriften veröffentlicht. So war es logisch, daß er bereits 1862 den Vorschlag machte, einen Verein »Berliner Presse« zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Journalisten zu gründen. Dieser sollte auch zur Unterstützung der Mitglieder in Notfällen und zur Fürsorge für ihre Hinterbliebenen dienen. Zeit seines Lebens hat Pröhle aktiv in diesem Verein gewirkt, wie die »Vossische Zeitung« am 30. Mai 1895, zwei Tage nach seinem Tode, schrieb.
     Heinrich Pröhle starb in Steglitz, wohin er nach seiner Pensionierung verzogen war. Er wurde auf dem dortigen Friedhof begraben. Leider gelang es nicht, heute vielleicht noch lebende Verwandte aufzuspüren und damit Näheres über die Person und das Leben Heinrich Pröhles zu erfahren. Wenn auch im Bewußtsein der Menschen heute seine Arbeiten vergessen sind, so bleibt mit Pröhles Namen die Sammlung der Harzsagen untrennbar verbunden.

Quellen:
1 Heinrich Pröhle: Fr. Ludw. Jahns Leben nebst Mitteilungen aus seinem literar. Nachlasse,
Berlin 1855
2 Heinrich Pröhle: Feldgarben. Beiträge zur Kirchengeschichte, Literaturgeschichte und Culturgeschichte, Leipzig 1859


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
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