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nen nicht mehr erlaubt sein, sich dem Austausch »funkentelegraphischer Nachrichten« aus Konkurrenz- oder anderen Gründen zu verweigern. Vielmehr müssen sie diese annehmen und auch weitersenden. Gerade auf diesen Punkt drängt vor allem die deutsche Delegation. Noch in allzu frischer Erinnerung ist, daß wenige Wochen zuvor eine Funkstation der britischen Marconi-Gesellschaft auf Borkum ein Telegramm Kaiser Wilhelms II. nicht angenommen hatte, weil die Sendestation nach dem rivalisierenden Telefunken-System arbeitete.
     Neun der 27 Staaten machen von dem im Schlußprotokoll formulierten Recht Gebrauch, einzelne Küstenstationen von der »Interkommunikationspflicht« auszunehmen, allerdings unter der strikten Bedingung, »daß anstelle der auszunehmenden Station eine andere den Bedürfnissen des allgemeinen Verkehrs genügende Station für den uneingeschränkten Nachrichtenaustausch bereitgestellt wird«. Italien behält sich die Ratifikation des Abkommens vor. Auf Antrag der Vereinigten Staaten von Amerika wird noch eine die »Interkommunikationspflicht« auch für den Nachrichtenaustausch von Schiff zu Schiff vorschreibende Zusatzvereinbarung getroffen und von 21 der 27 Staaten unterzeichnet. Vereinbarung und Zusatzvereinbarung sollen am 1. Juli 1908 in Kraft treten. Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden soll sobald als möglich in Berlin erfolgen. Die nächste Konferenz
Hans Aschenbrenner
3. November 1906:
Nachrichtenaustausch
wird verbindlich

Vier Wochen angestrengter Arbeit liegen hinter den Delegierten, ehe am 3. November 1906, gegen drei Uhr nachmittags, im Sitzungssaal des Berliner Reichstages der Schlußakt der ersten Internationalen Konferenz für Funkentelegraphie vorgenommen werden kann: die Unterzeichnung einer Konvention über drahtlose Telegraphie (»Convention radiotélégraphique internationale«) durch Vertreter aus 27 Staaten von vier Kontinenten. Ursprünglich sollte das Forum bereits im Frühjahr des gleichen Jahres zusammentreten. So jedenfalls war es auf einer »Vorkonferenz« in Berlin 1903 beschlossen worden. Auf Wunsch Englands aber war das Ganze dann noch einmal bis zum Herbst vertagt worden. Mit dem Abkommen wird »der Austausch funkentelegraphischer Nachrichten zwischen Küstenstation und Schiff ohne Rücksicht auf das jeweilig angewendete funkentelegraphische System obligatorisch gemacht« (»Vossische Zeitung«, 4. November). Das, was auf diese Weise festgeschrieben werden soll, wird in dem Vertragstext »Interkommunikationspflicht« genannt. Fortan soll es Funkstatio


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wird für 1911 in London vorgemerkt. Anläßlich des Abschlusses der Tagung empfängt das Kaiserpaar am 4. November die Delegationen in der Jaspis-Galerie des Neuen Palais in Potsdam zu einer Frühstückstafel.
     Zur Zeit, da die Berliner Konferenz tagt, gibt es über die Stärke und die Bedeutung des Verkehrs zwischen den radiotelegraphischen Stationen noch keine zuverlässige und hinreichend vollständige Statistik. Die bestehenden oder im Bau befindlichen Stationen an der Küste, die größtenteils dem allgemeinen Verkehr dienen, werden auf schätzungsweise 400 beziffert; etwa 250 Kauffahrteischiffe sind mit radiotelegraphischen Apparaten ausgerüstet. Bedeutend höher als die für die Kauffahrteischiffe und die Küstenstationen insgesamt angesetzte Zahl ist zweifellos die Anzahl der mit derartigen Apparaten versehenen Kriegsschiffe. Der Staatssekretär des Reichspostamtes Krätke verweist auf solche statistischen Angaben bereits in seiner Rede anläßlich der Eröffnung der Konferenz im Reichstagsgebäude am 3. Oktober, und er fügt daran an: »Überall, wo die Nachrichtenübermittlung auf Entfernungen vermittelst metallischer Leitungen auf Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder technischer Natur stößt, werden Versuche gemacht, die Fortpflanzung der Wellenbewegung in der Luft zur Gedankenübermittlung zu verwenden. Gleichzeitig bleibt trotz aller erreichten Verbesserungen, wie uns allen bekannt ist, noch viel zu wün
schen. Der ungestörte Verkehr zweier Stationen hängt im allgemeinen von dem guten Willen der benachbarten Stationen ab. Die Geheimhaltung der Nachrichten und die Ausschaltung atmosphärischer Störungen sind noch ungelöste Probleme. Aber diese sind nicht die einzigen. Bezüglich der Sicherheit der Übermittlung werden vor allem die Wissenschaft und die Technik noch viel zu arbeiten haben, bevor die Funkentelegraphie allen Anforderungen genügen kann.« (»Neue Preußische Zeitung«, 4. Oktober 1906)
Betont wird der rein verkehrswissenschaftliche Charakter der Konferenz. Sie ist nicht öffentlich. Militärrechtliche Fragen bleiben ausgeklammert, d. h. Marine- und militärische Stationen sind von den Bestimmungen der Konvention ausgeschlossen. Teilnehmen dürfen nur staatliche Beamte, etwa des Telegraphendienstes oder der Flotte, denen attestiert wird, in keiner Weise am Ausgang der Verhandlungen materiell interessiert zu sein. Die miteinander konkurrierenden großen Privatgesellschaften waren nicht imstande gewesen, ersprießliche Lösungen für ihre Zusammenarbeit auf den Tisch zu legen. Und von dieser Seite wird auch jetzt wieder argumentiert, die drahtlose Telegraphie sei viel zu jung, als daß völkerrechtlich bindende Verträge für sie überhaupt von Vorteil sein könnten. Berlin jedenfalls ist in diesen Herbstwochen 1906 Sammelpunkt der führenden Geister dieser neuen Technik. Und die Teilneh

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Festmahl statt. Hamburg ist am Tag darauf die nächste Station, und nach einer Stadtrundfahrt geht es nach Berlin zurück.
     Die Funkentelegraphie war in den ca. elf Jahren, seitdem sie zum ersten Male auftauchte, ständig verbessert worden. Sie funktioniert nach dem Prinzip, daß die Morse-Signale durch Modulation oder Tastung eines Senders erzeugt und im Empfänger durch Demodulation hörbar gemacht werden. Sie erlangte rasch Bedeutung für die Schiffahrt, den Handel und die Industrie, aber auch für militärische Zwecke. So hatte die deutsche Regierung bereits 1905 auf der Militäreisenbahn von Berlin nach Zossen Versuche machen lassen, die drahtlose Telegraphie als Mittel zur Verhinderung von Eisenbahnunglücksfällen zu verwenden - wichtig besonders für eingleisige Strecken. Als Hauptanwendungsgebiet der Funkentelegraphie aber wird bald das Meer erkannt (heute ist der Seenotverkehr eine ihrer letzten Bastionen). Sie beflügelt den modernen Seeverkehr und wird in den Dienst der Handels- und Kriegsmarine gestellt: für den Verkehr von Schiff zu Schiff, aber auch von Schiff zu Land und umgekehrt. Und fast ist man geneigt zu schmunzeln, wenn in Zeitungen von damals beispielsweise steht, daß nun auch Verbrecher verhaftet werden können, die auf Dampfern entflohen sind.
     Bildquelle: Archiv Autor
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Funkentelegraphie-Empfänger (1895)
mer der Konferenz machen, nachdem die erste Lesung der von deutscher Seite vorgelegten Konvention abgeschlossen ist und die Beratungen Mitte Oktober in eine Pause eintreten, Gebrauch von dem Angebot, in Norddeutschland industrielle Unternehmungen zu besichtigen. So werden nach einem Festmahl im Rathaus zu Bremen, an dem auch der Vorsitzende der Konferenz, Unterstaatssekretär Sydow, Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Reichsmarineamtes und des Kriegsministeriums teilnehmen, die Norddeutschen Seekabelwerke in Nordenham und anschließend in Bremerhaven das Trockendock, die Modell-Versuchsstation und der Schnelldampfer »Kronprinz« besichtigt; an Bord des letzteren findet wiederum ein

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
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