69   Novitäten Wetterkarte in der Zeitung  
Horst Wagner
Die Wetterkarte der »Tante Voss«

In Berlin betrug die Temperatur am 1. November 1886 um 8.00 Uhr morgens ein Grad. Es war wolkenlos und es wehte ein »leiser Zug« aus östlicher Richtung. Das alles (und noch viel mehr) kann man der Wetterkarte entnehmen, welche die »Vossische Zeitung«, im Volksmund auch »Tante Voss« genannt, in ihrer Abendausgabe an diesem Montag - und von da an täglich - veröffentlichte. Auch bisher hatte das tonangebende Berliner Blatt, wie es in einem der Karte vorangestellten Beitrag erläuterte, »Witterungsnachrichten in Form einer Tabelle zur Veröffentlichung gebracht, die wohl von dem Wetter an einzelnen Orten Kenntnis gab, bei der indessen der Überblick über die allgemeine Witterungslage nahezu verloren ging«. Als Neuerung sei deshalb »in der heutigen Nummer zum ersten Male eine synoptische Wetterkarte (d. h. Wetterkarte gleichzeitiger Beobachtungen) abgedruckt«. Eben das entspräche dem »Bedürfnis nach einer raschen Verbreitung der täglichen Witterungsbeobachtung, welche für das Gebiet des Deutschen Reiches durch die Hamburger Seewarte übernommen wurde«.
     Als Pionier einer »neuen Ära der moder

nen Witterungskunde« würdigte das Blatt in diesem Zusammenhang den französischen Astronomen Leverrier, der 1858 die Anregung für regelmäßige Wetterbeobachtung und -aufzeichnung gegeben hatte. Besonderes Verdienst um die Wetterkarte der »Vossischen« gebühre dem Berliner Wetterbüro von Dr. Leß und Lipkowitz. Dort habe man »die außerordentlich großen technischen Schwierigkeiten der raschen Herstellung übersichtlicher und dem Auge gefälliger Wetterkarten« soweit überwunden, daß »in Deutschland allein in Berlin schon um 5 Uhr nachmittags in Tausenden von Exemplaren die Morgenbeobachtungen des gleichen Tages ausgegeben werden« konnten. Vorsichtig sprach die »Tante Voss« davon, die Karten würden zunächst nur versuchsweise erscheinen. »Ein guter klarer Druck« werde »besonders auf der Rotationsmaschine, welche die >Vossische Zeitung< ihrer hohen Auflage wegen anwendet, nicht sogleich zu erzielen sein.« Tatsächlich wurde der Versuch nicht aufgegeben. Die Karten erschienen weiter, wurden detailreicher. Auf denen vom November 1896 sind deutlich Regen- und Schneefälle sowie Dunst und Nebel zu erkennen. Neben der Wetterkarte erschienen nun ausführliche Tabellen über das Tageswetter in Berlin, die Prognose für den nächsten Tag, eine Übersicht über die allgemeine Wetterlage sowie Wetter- und Temperaturangaben für zahlreiche Städte in- und außerhalb Deutschlands.

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
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